Die neue Weltordnung

Martin R. Textor

 

Wie wird sich die Weltbevölkerung in den kommenden 10 bis 40 Jahren verändern? Welche Trends werden die politischen und wirtschaftlichen Systeme prägen? Wie werden sich die Weltmächte weiterentwickeln? Um solche und ähnliche Fragen geht es in diesem Artikel. Da der Text nicht zu lang werden soll, werden nur einige Themen angesprochen. Zudem werden die einzelnen Prognosen nur mit einigen wenigen Sätzen umrissen - wer Genaueres erfahren möchte, muss im Internet bzw. in der Fachliteratur recherchieren. In diesem Artikel wird also nur eine Synopse von einigen weltweiten politischen und wirtschaftlichen Trends geboten.

Bevölkerungsentwicklung

Nach der aktuellen Prognose der UN-Abteilung für Bevölkerungsforschung wird die Weltbevölkerung in den kommenden Jahrzehnten stärker wachsen als zuvor angenommen: auf gut 8 Mrd. Menschen im Jahr 2025, auf rund 9,6 Mrd. im Jahr 2050 und auf ca. 10,8 Mrd. im Jahr 2100. Die Revidierung bisheriger Vorausberechnungen erfolgte vor allem aus zwei Gründen: Zum einen steigt die Lebenserwartung dank der Fortschritte in Medizin und Pharmakologie weltweit stark an. Dementsprechend wird der Anteil der 65-Jährigen und Älteren an der Weltbevölkerung von 6% im Jahr 2002 über mehr als 9% im Jahr 2020 auf knapp 17% im Jahr 2050 steigen. Zum anderen sinkt die Geburtenrate in vielen Ländern langsamer als zuvor erwartet.

Für die Hälfte des absoluten Bevölkerungswachstums zeichnen nur acht Länder verantwortlich: Indien, Nigeria, USA, Tansania, Kongo, Niger, Uganda und Äthiopien. Beispielsweise wird in Nigeria die Einwohnerzahl von derzeit 160 Mio. auf knapp 1 Mrd. Menschen im Jahr 2100 ansteigen - bei einer Fläche, die zweieinhalb mal so groß wie Deutschland ist.

Sieht man einmal von den USA ab, so findet das Bevölkerungswachstum vor allem in ärmeren Staaten statt. So wird sich die Einwohnerzahl in den 49 am wenigsten entwickelten Ländern bis zum Jahr 2050 verdoppeln (auf 1,8 Mrd. Menschen). In Staaten mit einem starken Bevölkerungswachstum wird der Druck auf die natürlichen Ressourcen (wie Nahrungsmittel, Wasser, Bauland usw.) und die finanziellen Möglichkeiten der Regierungen (z.B. in Bereichen wie Bildungs- und Sozialpolitik) in den kommenden Jahrzehnten immer größer werden.

Schon jetzt sind in diesen Ländern viele Menschen arbeitslos bzw. leben am oder unter dem Existenzminimum. Ihre Zahl dürfte stark ansteigen, weil immer mehr junge Menschen auf den Arbeitsmarkt drängen werden. So wird z.B. Indien zwischen 2010 und 2040 knapp 320 Mio. Arbeitsplätze zusätzlich bereitstellen müssen. Selbst bei einem Wirtschaftswachstum von 5 oder 6% werden wohl kaum so viele neue Stellen geschaffen werden können. Hinzu kommt, dass das Outsourcing seitens der Unternehmen in Industrie- und Schwellenländer zurückgehen dürfte, weil immer mehr Arbeitsvorgänge und Dienstleistungen automatisiert bzw. von Robotern übernommen werden und da die Wissensgesellschaft immer höhere berufliche Kompetenzen verlangt, die in armen Ländern zumeist nicht erworben werden können. So wird die Konkurrenz um die verbleibenden outgesourcten Stellen größer werden. Dann wird die Mittelschicht nicht mehr weiter wachsen - oder sogar schrumpfen. Die Arbeitslosigkeit - insbesondere von jüngeren Menschen - wird zu einem immer größeren Problem werden; die Gefahr von sozialen Unruhen und Aufständen wird steigen.

Je größer die Probleme in diesen Ländern werden, umso mehr Menschen werden versuchen, sie zu verlassen: Besser qualifizierte Personen werden sich auf vakante Stellen in Industrieländern bewerben (hier wird es in den nächsten Jahren noch einen großen Fachkräftemangel geben; nach dem Jahr 2030 werden z.B. Ärzte, Krankenschwestern und Pfleger für die rasant zunehmende Zahl von kranken bzw. pflegebedürftigen Senioren benötigt werden). Dieser Braindrain ist für die Wirtschaft und die Gesellschaft der betroffenen Staaten von Nachteil. Allerdings überweisen Migranten auch viel Geld an Verwandte in ihren Herkunftsländern - im Jahr 2011 war der Gesamtbetrag in Höhe von rund 370 Mrd. US $ größer als die weltweite staatliche Entwicklungshilfe. Un- oder wenig qualifizierte Menschen, die in ihrer Heimat keine Zukunftschancen sehen, aber auch Personen, die in diesen Ländern von Hungersnöten und anderen (Klima-) Katastrophen, von Verfolgung oder Bürgerkriegen betroffen sind, werden versuchen, als Flüchtlinge, Asylanten oder Illegale in reichere Staaten zu gelangen.

Zwischen 1960 und 2010 stieg die Zahl der Migranten weltweit von 75 auf 214 Mio. Menschen an. Weitere 740 Mio. Menschen wandern innerhalb ihrer Heimatländer (zumeist vom Land in die Städte). Diese in Zukunft noch größer werdenden Migrantenströme lassen Gesellschaften diverser werden. Das wird sich vielerorts bereichernd auswirken; häufig dürfte es aber zu Ressentiments, Fremdenfeindlichkeit, Konflikten zwischen Bevölkerungsgruppen, Verfolgung von Minoritäten oder sogar Bürgerkriegen kommen.

In nahezu allen Industrieländern, aber auch in Schwellenländern wie China oder Südkorea, wird es in den kommenden Jahrzehnten - entgegen dem weltweiten Trend - einen Bevölkerungsrückgang geben, verbunden mit einer starken Bevölkerungsalterung. Hier könnte es einerseits zu einem Rückgang der Wirtschaftsleistung kommen, weil weniger Güter nachgefragt werden und da die Innovationsfähigkeit älterer Arbeitnehmer als geringer eingeschätzt wird. Andererseits werden die Ausgaben der Sozialversicherungen, des Gesundheitssystems und der Altenhilfe stark ansteigen und - in Verbindung mit der hohen Verschuldung vieler dieser Staaten - die finanziellen Spielräume der betroffenen Regierungen stark einschränken.

Wie bereits erwähnt, wird es in den Industrieländern zunächst einen wachsenden Fachkräftemangel geben, da immer mehr ältere Arbeitnehmer in Rente gehen und viele ihrer Stellen mangels Nachwuchs vakant bleiben werden. Informationstechnik, Automatisierung und Robotik werden es aber Arbeitgebern ermöglichen, viele Arbeitsplätze wegzurationalisieren, für die niedrige bis mittlere Qualifikationen nötig sind. Dementsprechend wird sich die Nachfrage hin zu hoch qualifizierten Mitarbeitern verlagern, die wegen der Konkurrenz mit anderen Arbeitgebern immer besser bezahlt werden müssen. So werden in den Industrieländern die Unterschiede zwischen gut und schlecht verdienenden Menschen bzw. zwischen Reichen und Armen größer werden. Auch wird es trotz des Bevölkerungsrückgangs viele Arbeitslose geben - Menschen, die über keine in der Wissensgesellschaft benötigten Qualifikationen verfügen.

Globalisierung

In den kommenden Jahren werden die Warenmärkte noch offener werden - so sollen z.B. neue Freihandelszonen zwischen den USA und der EU sowie im Pazifikraum geschaffen werden. Insbesondere Unternehmen aus Industrieländern produzieren inzwischen dort, wo die Kosten am niedrigsten sind oder wo die wichtigsten Absatzmärkte liegen. So haben große Konzerne inzwischen mehr Fabriken und mehr Mitarbeiter im Ausland als in ihrem "Heimatland". Immer mehr Produkte werden exportiert oder sogar weltweit gehandelt. Beispielsweise machen die im S&P 500 gelisteten US-Konzerne inzwischen knapp die Hälfte ihres Umsatzes im Ausland. In Deutschland liegt die Exportquote derzeit bei mehr als 40%.

Die Globalisierung trägt dazu bei, dass immer größere multinationale Konzerne entstehen, die von den lokalen Regierungen kaum noch kontrolliert werden können. Häufig beanspruchen sie besondere Rechte für sich selbst (z.B. Steuererleichterung), vor allem in Entwicklungsländern. Auch die Finanzmärkte entziehen sich weitgehend der Überwachung durch Regierungen. Gleichzeitig schwindet die Macht der Gewerkschaften und Arbeitnehmervertretungen, da sie nur lokal bzw. national tätig sind und der Organisationsgrad der Beschäftigten abnimmt. Außerdem müssen sie sich damit abfinden, dass die Unternehmen zunehmend Marktrisiken auf die Belegschaften abschieben. So wird das Machtungleichgewicht zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern bzw. zwischen den multinationalen Konzernen und den Staaten immer größer.

Der intensiver werdende Wettbewerb auf den Weltmärkten, die zunehmende Produktion von Informationen in der Wissensgesellschaft und der sich beschleunigende technologische Wandel bedingen, dass sich nur schnell reagierende, kreative und innovationsfähige Unternehmen behaupten können. Diese benötigen hoch qualifizierte Mitarbeiter, die nur von einem guten Bildungssystem zur Verfügung gestellt werden können. So ist es nicht verwunderlich, dass eine internationale Wirtschaftsorganisation wie die OECD die Schulsysteme ihrer Mitgliedsländer evaluiert. Beispielsweise schnitten bei der PISA-Studie von 2012 die Schüler in Shanghai, Hongkong, Singapur, Japan und Finnland am besten in den Naturwissenschaften ab. Die deutschen Schüler erbrachten überdurchschnittliche, die US-amerikanischen durchschnittliche sowie die russischen und brasilianischen Schüler unterdurchschnittliche Leistungen. In Mathematik waren chinesische, koreanische und japanische Schüler besonders gut. Deutsche Schüler wiesen überdurchschnittliche, US-amerikanische, russische und brasilianische unterdurchschnittliche Leistungen auf. Außerdem benötigen Unternehmen Rahmenbedingungen, die ihre Wettbewerbsfähigkeit fördern. Beim World Competitiveness Ranking 2012 der Schweizer Business School IMD nahmen in dieser Hinsicht Hongkong, die USA, Schweiz, Singapur und Schweden die ersten Plätze ein. Deutschland folgte auf dem 9., China auf dem 23., Japan auf dem 27., Brasilien auf dem 46. und Russland auf dem 48. Platz.

Diese Rangordnungen zeigen, dass Länder - bzw. die in ihnen tätigen Unternehmen - mehr oder weniger gute Chancen auf dem Weltmarkt haben. Zu diesen tragen natürlich noch viele weitere Faktoren bei wie z.B. die Produktivität der Erwerbstätigen (Besonders hoch in den USA und in Norwegen), die Ausgaben für Forschung und Entwicklung (am höchsten in den USA und in China), die Offenheit des Beschäftigungssystems (besonders groß in den USA und in vielen Schwellenländern), die Verfügbarkeit von (Risiko-) Kapital (sehr gut in den USA) und die Energiepreise (niedrig in den USA und in vielen Schwellenländern).

Outsourcing, die Verlagerung von Arbeitsplätzen, die zunehmende Konkurrenz auf den Weltmärkten und der daraus resultierende Rationalisierungsdruck haben neben anderen Faktoren dazu beigetragen, dass die Reallöhne in vielen Industrieländern stagnieren oder sogar gesunken sind, dass besondere Leistungen für Arbeitnehmer (z.B. Betriebsrenten) gestrichen oder verringert wurden und dass die Arbeitslosenquoten gestiegen sind. Die in den USA entstandene Finanzkrise und die darauf folgenden Bankenrettungsaktionen haben in vielen Ländern zu einer enormen Zunahme der Staatsschulden geführt, sodass z.B. Steuern erhöht oder Sozialleistungen reduziert werden mussten. Während große Bevölkerungsgruppen unter einem sinkenden Lebensstandard leiden, fahren manche Unternehmen enorme Gewinne ein, steigen die Einkommen der Spitzenverdiener stark an.

In den Schwellenländern - und teilweise auch in Entwicklungsländern - hat die Globalisierung zu einem mancherorts rasanten Wirtschaftswachstum, höheren Einkommen und einer größeren Mittelschicht geführt. In Folge der Finanz- und Schuldenkrisen und der darauf folgenden Rezession, bedingt durch den in den letzten Jahren zu beobachtenden Rückfluss von Investitionen in Industrieländer und durch schlechtere Wechselkurse sowie aufgrund hausgemachter Probleme ist jedoch der wirtschaftliche Aufschwung in vielen dieser Länder ins Stocken geraten. Zu dem Folgen gehören soziale und politische Konflikte.

Ob die Globalisierung doch noch zu einer Win-win-Situation für alle werden wird, dürfte von dem Wirtschaftsentwicklung der nächsten Jahre abhängen. Die Weltbank prognostiziert für 2014 ein globales Wachstum von 3,2%, für 2015 von 3,4% und für 2016 von 3,5%. Für die Schwellen- und Entwicklungsländer erwartet sie für den Drei-Jahreszeitraum einen Anstieg von 4,8 auf 5,7%, für die USA von 2,8 auf 3,0% und für die Eurozone von 1,1 auf 1,5%. Bei niedrigeren Wachstumsraten oder gar bei neuen Finanz- bzw. Wirtschaftskrisen könnten die Widerstände gegen die Globalisierung zunehmen. Insbesondere bei mangelnder Wettbewerbsfähigkeit der eigenen Wirtschaft, aber auch bei Konflikten mit Nachbarländern, könnte es dann wieder zu mehr Protektionismus kommen.

Zudem wird es in den kommenden Jahren gegenläufige Tendenzen zur Globalisierung geben: Beispielsweise steigen die Arbeitskosten in den Schwellenländern an, sodass es für viele Unternehmen attraktiver wird, wieder in Industrieländern zu produzieren - zumal dank Automatisierung die Personalkosten an Bedeutung verlieren und die Transportkosten wegfallen. Auch kann schneller auf Marktveränderungen reagiert werden, erfolgt die Qualitätskontrolle vor Ort, können Produktionsverfahren, Patente und Geschmacksmuster leichter geschützt werden.

Das Internet trägt in hohem Maße zur Globalisierung bei. Zum einen ermöglicht es Unternehmen, immer besser mit Standorten in anderen Ländern, mit Rohstofflieferanten und Zulieferern, mit Dienstleistern und Konsultanten, mit Abnehmern und Kunden zu kommunizieren. Zum anderen schafft das Internet zusammen mit den Massenmedien eine Weltkultur (oder eine kleine Anzahl von Weltkulturen): Immer mehr Menschen kleiden sich ähnlich, kaufen dieselben Produkte, schauen sich die gleichen Filme an, hören international bekannte Musikstücke, essen dieselben Speisen, haben vergleichbare Lebensstile. Zugleich breiten sich Weltsprachen wie Englisch, Spanisch und Chinesisch aus - wer sie beherrscht, kann mit den meisten Menschen dieser Erde kommunizieren.

Die Globalisierung zeigt sich aber auch in einem weltweiten Werte- und Gefahrenbewusstsein. Beispielsweise setzt sich der Demokratiegedanke durch, treten mehr Menschen in autoritär regierten Ländern für deren Demokratisierung ein. Auch große Unterschiede zwischen Arm und Reich innerhalb eines Landes bzw. zwischen armen und reichen Ländern werden zunehmend kritisch gesehen; viele Menschen fordern soziale Gerechtigkeit und einen höheren Lebensstandard für sich selbst.

Ferner wird in immer mehr Ländern für die Gleichberechtigung von Frauen gekämpft. Erfolge zeigen sich z.B. in der zunehmenden Erwerbstätigkeit (und finanziellen Unabhängigkeit) von Frauen, in der häufiger praktizierten Geburtenkontrolle und in dem größer werdenden Einfluss von Frauen in Gesellschaft und Politik. In nahezu allen Ländern verdienen sie aber weniger als Männer in derselben Position, sind ihre Aufstiegschancen schlechter. Schließlich sind sich immer mehr Menschen weltweiter Gefahren wie dem Klimawandel, der zunehmenden Umweltzerstörung, der Staatsschuldenkrise und den Risiken der Globalisierung bewusst (z.B. Gefahr weiterer Finanz- und Wirtschaftskrisen, erhöhte Kapitalmobilität und dadurch bedingte Volatilität lokaler Märkte, schlechtere Voraussehbarkeit ökonomischer Entwicklungen usw.).

Auf dem Weg zu einer multipolaren Welt

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Welt durch den Ost-West-Konflikt geprägt. Seit dem Zerfall der Sowjetunion beanspruchen die USA die alleinige Führungsrolle. Mitbedingt durch die Finanzkrise, die nachfolgende Rezession, die wachsende Staatsverschuldung, die wenig erfolgreichen militärischen Interventionen im Irak und in Afghanistan, den teilweise mit illegalen Mitteln geführten Krieg gegen den Terrorismus, das selbst politische Freunde erfassende Spionagesystem etc. wird aber der Machtanspruch der USA - und damit auch des Westens - zunehmend in Frage gestellt. Hinzu kommt, dass die Volksrepublik China in den letzten Jahren sehr schnell an wirtschaftlichem, militärischem und politischem Einfluss gewonnen hat und nun die entsprechenden Mitbestimmungsrechte auf der "Weltbühne" einfordert. Zudem bemüht sich Russland verstärkt, seinen Einflussbereich wieder auszudehnen.

Schwellenländer wie Mexiko, Brasilien, Argentinien, Indonesien, die Philippinen, Nigeria, die Republik Südafrika oder die Türkei haben in den letzten Jahren einen großen wirtschaftlichen Aufschwung erlebt und sich zu regionalen Machtzentren entwickelt. Dies trifft auch auf Indien zu, das mit über 1,2 Mrd. Einwohnern das bevölkerungsreichste Land nach China ist und als größte Demokratie der Welt gilt. Allerdings verlangsamt sich die wirtschaftliche Entwicklung in allen Schwellenländern. Zudem treten immer mehr Probleme wie z.B. große Außenhandelsdefizite, hohe Schulden, Inflation, unzureichende Infrastruktur, schlechtes Bildungswesen, extreme soziale Ungleichheit, Demokratiedefizite, Bürokratisierung und Korruption in den Vordergrund, die die nächsten Jahre prägen werden und zu immer mehr (gewalttätigen) Protesten führen.

So wird davon ausgegangen, dass die kommenden Jahrzehnte durch mehrere Weltmächte geprägt werden, die mehr oder minder stark miteinander konkurrieren werden. Die meisten Fachleute erwarten, dass diese Staaten friedlich koexistieren werden. In den folgenden Kapiteln wird auf die einzelnen Weltmächte etwas detaillierter eingegangen.

Vereinigte Staaten von Amerika

In den USA leben 4,5% der Weltbevölkerung, die aber 22% des weltweiten Bruttoinlandsprodukts erwirtschaften. Allerdings litt die amerikanische Wirtschaft stark unter der Finanzkrise. In der Folgezeit gingen rund 8,4 Mio. Arbeitsplätze verloren. Derzeit sind nur drei von fünf Amerikanern im erwerbsfähigen Alter berufstätig.

In den letzten Jahren wurden immer mehr Erdöl- und Schiefergasvorkommen mit Hilfe des Fracking, einer neuen Fördermethode, erschlossen. So werden die USA laut der Internationalen Energieagentur wahrscheinlich schon 2015 der größte Gas- und 2020 der größte Ölproduzent der Welt werden; gegen 2035 werden sie ihren Energiebedarf fast vollständig aus eigenen Ressourcen abdecken können.

In der Erdölindustrie entstanden innerhalb weniger Jahre rund 600.000 neue Arbeitsplätze. Aber auch andere Wirtschaftsbereiche profitieren von den nun sehr niedrigen Energiepreisen (z.B. sanken die Erdgaspreise zwischen 2005 und 2012 um rund zwei Drittel). So kommt es in den USA zu einer Reindustrialisierung: Im Jahr 2012 wurden industrielle Güter im Wert von 1,9 Billionen US $ produziert - 27% mehr als im Jahr 2009. Zudem führen viele amerikanische Unternehmen outgesourcte Fabriken zurück, da sie in den USA inzwischen billiger produzieren können als z.B. in China, wo die Herstellungskosten stark gestiegen sind. So könnten bis 2020 rund 3 Mio. neue Arbeitsplätze entstehen. Im gleichen Zeitraum werden die neuen Energiequellen das Bruttoinlandsprodukt wahrscheinlich um zusätzliche 2 bis 3% wachsen lassen. Zudem wird eine Halbierung des Handels- und Leistungsbilanzdefizits wegen der stark gesunkenen Erdölimporte erwartet.

Ein großes Risiko für die wirtschaftliche Entwicklung in den USA ist der niedrige Bildungsstand junger Amerikaner: Mindestens 18% verlassen die Schule ohne Abschluss; drei Viertel erwerben weder einen College- noch einen Universitätsabschluss. So sind die meisten jungen Menschen für Arbeitsplätze mit höheren Anforderungen unzureichend qualifiziert. Aus diesem Grunde sind derzeit rund 7 Mio. Fachkraftstellen unbesetzt. Ihre Zahl könnte bis 2020 auf bis zu 24 Mio. ansteigen, da in den kommenden Jahren die sogenannten Babyboomer (Amerikaner, die bis Mitte der 1960er Jahre geboren wurden) aus dem Berufsleben ausscheiden werden und es für viele ihrer Stellen keine geeigneten Bewerber geben wird.

Für ein hoch technisiertes Land ist auch problematisch, dass nur wenige einheimische Studenten Studiengänge in den Bereichen Naturwissenschaften, Mathematik und Technik wählen. So studieren vor allem Ausländer diese Fächer. Viele von ihnen bleiben nach dem Studienabschluss in den USA: Rund 25% der Wissenschaftler und Ingenieure - und fast die Hälfte derjenigen mit Promotion - sind inzwischen Immigranten. Sie zeichnen auch für immer mehr Patente verantwortlich, z.B. für 65% der von Merck, 64% der von General Electric und 60% der von Cisco eingereichten Patente. Allerdings sehen vor allem chinesische und indische Absolventen amerikanischer Universitäten inzwischen bessere berufliche Chancen in ihren Herkunftsländern; immer mehr kehren in ihre Heimat zurück. Da viele Schwellenländer ihre Hochschulsysteme rasant ausbauen und die Qualität der Studiengänge verbessern, bleiben auch immer mehr Studenten in ihren Heimatländern. Alleine in China und Indien gibt es mehr als doppelt so viele College-Absolventen wie in den USA. Inzwischen leben die meisten Naturwissenschaftler und Ingenieure in Asien; sie werden zu einer immer größeren Konkurrenz für die Amerikaner. Beispielsweise werden in China bereits mehr Patente eingereicht als in den USA.

In den USA sind mit 77% bei weitem mehr Arbeitnehmer im Dienstleistungssektor tätig als in anderen Ländern (z.B. 68% in Japan, 64% in Deutschland, 35% in Indien, 33% in China). Die meisten dieser (Teilzeit-) Stellen sind eher schlecht bezahlt - und werden relativ oft gewechselt. Mehr Menschen als in anderen Ländern werden dann in einem ganz anderen Arbeitsfeld tätig (im Durchschnitt beginnen Amerikaner etwa alle 10 Jahre eine neue Karriere) oder gründen ein eigenes Unternehmen (das oft von zu Hause aus geführt wird, z.B. von Frauen während der Familienphase). Aufgrund der gestiegenen Anforderungen, aber auch aufgrund der Kombination von mehreren Teilzeitjobs, verbringen Erwerbstätige rund 10% mehr Zeit an ihrem Arbeitsplatz als in den 1990er Jahren. Beruflicher Stress und andere Faktoren haben dazu geführt, dass immer mehr Amerikaner unter psychischen Problemen leiden; jeder Achte nimmt inzwischen Psychopharmaka wie z.B. Antidepressiva ein.

Aufgrund von Arbeitslosigkeit bzw. wegen der geringen Bezahlung vieler (Teilzeit-) Jobs leben 48 Mio. Amerikaner in Armut (darunter jedes 5. Kind); nahezu 50 Mio. erhalten Lebensmittelmarken. Davon sind vor allem hispanische und afro-amerikanische Haushalte betroffen. Sie haben auch ein bei weitem geringeres Vermögen als weiße Haushalte (2009: 6.325 $ bzw. 5.677 $ vs. 113.149 $). Laut CIA ist der Gini-Index, ein statistisches Maß zur Messung der Ungleichverteilung des Einkommens, in den USA von knapp 41 im Jahr 1997 auf 45 im Jahr 2007 angestiegen und liegt damit viel höher als der Weltdurchschnitt (ca. 39 im Jahr 2007), der EU-Durchschnitt (knapp 31 im Jahr 2011) oder der Wert für Deutschland (27 im Jahr 2006).

In den kommenden Jahren werden die sozialen Unterschiede wahrscheinlich noch größer werden, weil in der Wissensgesellschaft hoch qualifizierte Erwerbstätige im Vergleich zu niedrig oder falsch qualifizierten Arbeitnehmern immer mehr verdienen und die Vermögen reicher Amerikaner weiter wachsen dürften. Auch werden immer mehr Senioren nicht von ihrer Rente leben können, weil viele Arbeitgeber nicht mehr wie früher Betriebsrenten zahlen und da für das eigene Alter angelegte Sparguthaben niedrigere Renditen als vor einigen Jahren erbringen. So rechnen fast 80% der Babyboomer damit, dass sie nach Erreichen des Rentenalters noch einen (Teilzeit-) Job ausüben werden.

Hinzu kommt, dass der Staat in den kommenden Jahren immer weniger Mittel für Sozialleistungen haben wird. Beispielsweise ist aufgrund der Bevölkerungsalterung schon in Kürze mit Defiziten bei der staatlichen Rentenversicherung (Social Security) und bei der Krankenversicherung für ältere oder behinderte Bürger (Medicare) zu rechnen. Auch wird das Haushaltsdefizit vermutlich groß bleiben, werden die Staatsschulden weiter zunehmen (von knapp 100% des Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2011 auf voraussichtlich 115% im Jahr 2016), da sich im US-Kongress Republikaner und Demokraten gegenseitig blockieren und somit weder größere Einsparungen noch Steuererhöhungen durchzusetzen sind. Durch den wachsenden Schuldenberg werden die zukünftigen Handlungsspielräume bei Sozialausgaben immer geringer werden. Außerdem wird die öffentliche Hand immer mehr Geld für Bedienstete in Rente aufbringen müssen, da sie zu wenig Rückstellungen vorgenommen hat bzw. diese nicht mehr die erwarteten 6 bis 8% Rendite erbringen. So ist es nicht verwunderlich, dass laut dem Pew Research Center das Vertrauen der Amerikaner in die US-Regierung von 75% in den 1960er Jahren auf 25% im Jahr 2010 gesunken ist.

Russland

In den kommenden Jahren wird Russland als Nuklear- und Militärmacht weiterhin eine große Rolle in der Weltpolitik spielen. Zudem ist das Land reich an Rohstoffen. Beispielsweise ist es der größte Erdgas- und Erdöllieferant der EU-28-Länder. Allerdings nimmt die Abhängigkeit von Deutschland und anderen westlichen Ländern ab, da zunehmend Erdöl und Erdgas aus anderen Ländern importiert werden, mehr Kohle (aus den USA) zur Stromerzeugung verwendet wird und verstärkt erneuerbare Energien genutzt werden. So will Russland in der nahen Zukunft vor allem den Export nach Ostasien intensivieren.

Dennoch wird die EU auf absehbare Zeit der wichtigste Handelspartner bleiben: Derzeit gehen 55% der russischen Exporte in die EU; für diese ist Russland mit einem Umsatz von rund 400 Mrd. US $ ein genauso wichtiger Handelspartner wie die USA oder China. Auch kommen drei Viertel aller Direktinvestitionen in Russland aus der EU. Allerdings werden sie seit 2010 wieder reduziert. Das mag auch daran liegen, dass nur geringe Erfolge bei der Diversifizierung der russischen Wirtschaft erzielt wurden. So ist der Staatshaushalt zu 50% (2012) von Einnahmen aus dem Öl- und Gassektor abhängig. Allerdings weist Russland einen Leistungsbilanzüberschuss auf, besitzt Devisenreserven in Höhe von rund 400 Mrd. US $ und hat verhältnismäßig geringe Auslandsschulden (31% des Bruttoinlandsprodukts).

In den nächsten Jahren wird die russische Wirtschaft wahrscheinlich nur wenig wachsen. Sie wird vor allem durch einige riesige, vom Staat oder von Oligarchen kontrollierte Konzerne geprägt. Kleine und mittlere Unternehmen sind eher selten; das Unternehmertum wird zu wenig gefördert. Auch mangelt es an Investitionen in Infrastruktur, Logistik, Telekommunikation und Bildung sowie an Rechtssicherheit.

Außerdem wird die politische Macht in naher Zukunft weiterhin von einem kleinen Führungszirkel ausgeübt werden, der einen autoritären Regierungsstil pflegt und "strategische" Wirtschaftssektoren beherrscht. Mangelnde Achtung der Menschen- und Bürgerrechte, Einschränkung der Medienfreiheit, politische Kontrolle des Rechtswesens, Wahlmanipulationen, Korruption und die Behinderung der Arbeit von Nichtregierungsorganisationen werden weiterhin die Gesellschaft prägen.

Die nach dem Zerfall der Sowjetunion bestehenden Chancen für eine friedliche und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Russland und dem Westen (NATO, EU, USA) wurden aufgrund des noch aus der Zeit des Kalten Krieges bestehenden Misstrauens zu wenig genutzt. Die kommenden Jahre werden weiterhin durch die machtpolitische Rivalität zwischen beiden Seiten geprägt sein, wie sie sich derzeit z.B. in den Konflikten um Syrien, die Ukraine und das Raketenabwehrsystem der NATO äußert. Vor diesem Hintergrund ist zu erwarten, dass Russland verstärkt nach einem Schulterschluss mit China streben wird.

Volksrepublik China

Hier kommt Russland entgegen, dass das Verhältnis zwischen China und den USA konfliktreicher wird - es geht um die Vormachtstellung im pazifischen Raum. Dabei nimmt die militärische Macht der Chinesen immer mehr zu: Derzeit stehen 2,3 Mio. Soldaten unter Waffen, die dank steigender Rüstungsausgaben immer besser ausgerüstet sind (z.B. mit Atomwaffen, Drohnen und Flugzeugträgern). Außerdem hat China die Internetspionage perfektioniert: Im Kriegsfall könnte es vermutlich viele amerikanische Waffen lahmlegen. In den kommenden Jahren könnte es auch zu Konflikten zwischen China und Indien, Japan, Vietnam oder anderen (süd-) ostasiatischen Ländern kommen, mit denen es schon seit langem Grenzstreitigkeiten gibt.

China ist mit 1,35 Mrd. Einwohnern der bevölkerungsreichste Staat der Erde; von der Fläche her ist es das drittgrößte Land. Seit 2013 ist die Volksrepublik die führende Handelsnation; die Im- und Exporte erreichten einen Gesamtwert von 4,16 Billionen US $. China hat mit mehr als 11% den zweitgrößten Anteil am weltweiten Bruttoinlandsprodukt. Aufgrund des schnelleren Wirtschaftswachstums erwarten viele Fachleute, dass die Volksrepublik um das Jahr 2030 herum ein höheres Bruttoinlandsprodukt als die USA haben wird. Bis dahin wird der Renminbi zu einer von dann drei Leitwährungen werden.

Die wirtschaftliche Macht Chinas zeigt sich in den gigantischen Devisenreserven von 2,5 Billionen Euro. Das Land investierte im Jahr 2012 bereits mehr Geld in EU-Ländern (mehr als 11 Mrd. Euro, davon 1,6 Mrd. in Deutschland) als europäische Unternehmen in China (rund 7 Mrd. Euro). Für die Bundesrepublik ist China das fünftwichtigste Exportland; es nimmt sogar rund die Hälfte der deutschen Maschinenexporte auf.

Derzeit befindet sich die chinesische Wirtschaft im Umbruch: Der eine Trend geht weg von Billigprodukten und hin zu hochwertigen Waren. Da die Löhne in den letzten Jahren stark gestiegen sind (zwischen 2005 und 2010 um rund 19%), verlagern viele Unternehmen die Produktion von billigen Gütern ins chinesische Hinterland oder in andere Länder (zudem gibt es strengere Auflagen zur Eindämmung der vielerorts bereits extrem hohen Luftverschmutzung). Zur Produktion qualitativ hochwertiger Waren soll auch die Erhöhung der Ausgaben für Forschung und Entwicklung beitragen, die bis 2020 eine Quote von 2,5% des Bruttoinlandsprodukts erreichen sollen. Auch werden immer mehr Wissenschaftler und Ingenieure ausgebildet, deren Leistungen sich inzwischen sehen lassen: Beispielsweise publizieren sie fast so viele Forschungsergebnisse pro Jahr wie die Amerikaner.

Der andere Trend geht weg vom Export und hin zum Inlandskonsum: So soll zum einen die Abhängigkeit von der wirtschaftlichen Entwicklung in anderen Ländern reduziert und zum anderen der Nachholbedarf großer Bevölkerungsgruppen (z.B. der Wanderarbeiter und der Landbevölkerung) bei Konsumgütern befriedigt werden. Inzwischen werden mehr chinesische Waren gekauft, die qualitativ besser geworden sind, weniger kosten als importierte Güter, eher dem Geschmack der Chinesen entsprechen und oft mit einem besseren Kundendienst verbunden sind. Auch werden immer mehr teure Artikel gekauft: Beispielsweise stieg die Zahl privater PKW von 4,7 Mio. im Jahr 2001 auf 53 Mio. im Jahr 2012; für 2020 wird mit 150 Mio. PKW gerechnet. Auch werden immer mehr Auslandsreisen gemacht: Im Jahr 2012 gaben chinesische Touristen mit 90 Mrd. US $ weltweit das meiste Geld aus; die Deutschen lagen an zweiter Stelle mit 82 Mrd. $.

Während die Staatsverschuldung mit rund 50% des Bruttoinlandsprodukts relativ niedrig ist, sind die Schulden der Kommunen, Provinzverwaltungen, Staatsbetriebe, Banken und Unternehmen enorm gestiegen. Aufgrund vieler fauler Kredite könnte es in den nächsten Jahren durchaus zu einer Finanzkrise kommen, wie sie schon 2013 aufgrund von Liquiditätsengpässen bei einigen chinesischen Banken befürchtet wurde. Weitere Risiken für die wirtschaftliche Entwicklung Chinas liegen z.B. in der grassierenden Korruption, den geschönten Bilanzen vieler Staatsbetriebe und im Bausektor (mangels Alternativen werden teure Wohnungen als Geldanlage bzw. zur Altersvorsorge gekauft, die aber nicht vermietet werden können: 2012 soll der Leerstand schon bis zu 64 Mio. Wohnungen betragen haben). Ferner könnte es in China aufgrund der wachsenden sozialen Ungleichheit zu Unruhen kommen (laut CIA lag der Gini-Index im Jahr 2012 bei 47,4). Zudem werden Vetternwirtschaft, Umweltverschmutzung, die begrenzte Meinungsfreiheit sowie die Missachtung von Menschen- und Bürgerrechten seitens der Bevölkerung immer weniger toleriert.

Europäische Union

Die EU hat ein mit den USA vergleichbares Bruttoinlandsprodukt, aber eine um rund 190 Mio. Menschen höhere Einwohnerzahl. Auch haben die Mitgliedsländer mehr Soldaten unter Waffen als die USA. Dennoch spielt die EU in der Weltpolitik eine viel kleinere Rolle, da die Mitglieder oft eigenen Interessen folgen und unterschiedliche Positionen vertreten. Selbst wenn die USA in den kommenden Jahren an Macht verlieren sollten, wird die EU dies wohl kaum ausgleichen können.

Hinzu kommt, dass die Finanzkrise und die darauf folgende Staatsschuldenkrise die EU-Länder stark geschwächt haben. Im Jahr 2013 hatten die Europäischen Banken noch 1 Billion Euro an faulen Krediten in sogenannten Bad Banks - weiterhin ein großes Risiko für das Finanzsystem. Die Staatsschulden der EU-28-Länder summierten sich im gleichen Jahr auf mehr als 11 Billionen Euro. Sie waren am höchsten in Griechenland mit 161% des Bruttoinlandsprodukts, gefolgt von Italien (130%), Portugal (127%) und Irland (125%). Am niedrigsten waren sie in Estland (10%), Bulgarien (18%) und Luxemburg (22%). Neben eigenen Staatsschulden in Höhe von mehr als 2 Billionen Euro garantiert Deutschland inzwischen rund 400 Mrd. Euro an EZB-und IWF-Krediten sowie im Rahmen des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM).

Selbst bei den derzeit niedrigen Zinsen schränkt die Zinslast bereits in hohem Maße die Handlungsfähigkeit der EU-Länder ein: Viele staatliche Leistungen wurden reduziert oder gar gestrichen. Dies hat in den südeuropäischen Ländern schon zu sozialen Spannungen und politischen Umwälzungen geführt. Diese könnten sich ausbreiten, wenn die EU-Länder ihre Schulden in größerem Maße abbauen müssten: Dies wäre nur auf dem Wege eines Schuldenschnitts, eines Gläubigerverzichts, einer Vermögensabgabe oder einer hohen Inflationsrate möglich. Selbst wenn die erstgenannten Maßnahmen vor allem reichere EU-Bürger träfen, würden alle Menschen unter der wahrscheinlich folgenden Rezession leiden. Letzteres dürfte auch für eine hohe Inflationsrate gelten.

Während sich z.B. die Wirtschaft in Deutschland, Großbritannien, Schweden und Irland von der Finanz- und Schuldenkrise relativ schnell erholte, versanken Griechenland, Zypern, Italien, Spanien und Portugal in die Rezession. Ursachen hierfür sind beispielsweise ein seit Jahren schrumpfender Industriesektor, die geringe Wettbewerbsfähigkeit vieler Unternehmen, ein unflexibler Arbeitsmarkt, zu hohe Sozialleistungen und ein aufgeblähter Staat. Erst für 2014 wird wieder mit etwas Wirtschaftswachstum in Südeuropa gerechnet, was aber nicht ausreichen dürfte, um z.B. die hohe Jugendarbeitslosigkeit zu mildern (Griechenland: 60%, Spanien: 56%, Italien: 39%). So werden sich die Verhältnisse in den südlichen EU-Ländern in den nächsten Jahren nur langsam verbessern.

Aber auch die Wirtschaft in den anderen EU-Ländern wird nicht in dem Maße wachsen wie z.B. die US-amerikanische oder chinesische. Das liegt zum Teil an den hohen Arbeitskosten, die im Jahr 2012 z.B. in Schweden 42 Euro, in Dänemark 40 Euro, in Frankreich 35 Euro, in Deutschland 31 Euro und in Großbritannien 22 Euro betrugen. Auch die Lohnnebenkosten sind verhältnismäßig hoch: Berechnet auf 100 Euro Bruttoverdienst betrugen sie beispielsweise 51 Euro in Schweden, 50 Euro in Frankreich, 40 Euro in Italien, 37 Euro in Spanien, 27 Euro in Deutschland und 17 Euro in Großbritannien (2012).

Ausblick

Selbst wenn sich die Kräfteverhältnisse in den kommenden Jahren ein wenig verschieben sollten, so wird die neue Weltordnung doch weitgehend der alten entsprechen. Die Politiker der Großmächte und Schwellenländer werden weiterhin in außen- und sicherheitspolitischen Kategorien wie "Einflusssphäre" und "Macht" sowie in wirtschaftspolitischen Rubriken wie "Kapitalismus" bzw. "Planwirtschaft", "hoher Beschäftigungsstand", "niedrige Inflation" und "Wirtschaftswachstum" denken; für die Unternehmer und Manager werden "Marktanteil", "Innovation", "Produktivität", "Umsatzsteigerung" und "Gewinnmaximierung" wichtig bleiben.

Das Bevölkerungswachstum und der zunehmende Konsum werden in den nächsten Jahrzehnten aber immer mehr an Grenzen stoßen: Irgendwann sind die natürlichen Ressourcen erschöpft, werden Umweltverschmutzung und Klimawandel zu einer immer größeren Bedrohung. Dann werden die Menschen in den reicheren Ländern nicht mehr durch "Brot und Spiele" (sozialstaatliche Leistungen und Massenunterhaltung) ruhig gestellt werden können. Schon jetzt zeigen Umfragen, dass sie pessimistischer als früher sind und die Zukunft ihrer Kinder recht negativ sehen.

Die große Herausforderung für alle Länder dieser Erde ist somit, ob in der nahen Zukunft ein Umdenken erfolgt: vom Egoismus hin zum Gemeinschaftssinn, von der Selbstzentriertheit hin zum Mitgefühl, vom Konsumdenken hin zum bewussten Verzicht, von der Wohlstandsmehrung hin zu mehr Wohlbefinden (Glück), vom Wirtschaftswachstum hin zum Schutz natürlicher Ressourcen, vom Vertrauen in den freien Markt hin zu mehr staatlicher Kontrolle, von der Wegwerf- hin zur Recycling-Gesellschaft, von der Überbelastung vieler Arbeitnehmer hin zu einer gerechten Verteilung der Arbeit, von der gesellschaftlichen Ungleichheit hin zu mehr Gerechtigkeit, von dem Ignorieren der Armut in den Entwicklungsländern hin zu mehr finanzieller Unterstützung...