Bevölkerungsentwicklung: Konsequenzen für Gesellschaft und Politik

Martin R. Textor

 

Seit den 1970-er Jahren lässt sich aus der Geburtenentwicklung in der Bundesrepublik Deutschland und der ehemaligen DDR ablesen, dass nach dem Jahr 2000 die Bevölkerung stark schrumpfen und gleichzeitig schnell altern wird. Diese Entwicklung fand bisher in Gesellschaft und Politik nicht genügend Aufmerksamkeit, insbesondere weil die hohe Zuwanderung von Aussiedlern, ausländischen Arbeitnehmern und ihren Familien sowie von Asylanten in den letzten 20 Jahren die kurzfristigen Folgen überdeckte und verschleierte. Hans-Ulrich Klose (1993) meint aber zu Recht: "Die mittelfristigen und erst recht die langfristigen Effekte des demographischen Wandels werden dieses Land und die Menschen nachhaltiger und einschneidender verändern als viele andere Prozesse, einschneidender selbst als die deutsche Einheit. In den nächsten 10 Jahren stehen wir, was die Altersschichtung angeht, vor einer täuschend spannungsfreien Periode. 'Die demographisch goldenen 90er' (Edzard Reuter) könnten leicht dazu führen, dass politisch unangenehmen Entscheidungen aus dem Wege gegangen wird" (S. 9).

Bevölkerungsentwicklung seit der Wiedervereinigung

In den letzten Jahren sind die Zahl der Eheschließungen und die Zahl der Lebendgeborenen zurückgegangen, wie Tabelle 1 verdeutlicht. Vor allem in den neuen Bundesländern werden immer weniger Kinder geboren: Der Rückgang gegenüber dem jeweiligen Vorjahr machte 1990 10,3% aus, 1991 39,6%, 1992 18,1%, 1993 8,8% und 1994 3,3%; eine Trendwende ist also noch nicht erfolgt. Die Zahl der Lebendgeborenen in Gesamtdeutschland reicht bei weitem nicht aus, um die Bevölkerung auf Dauer konstant zu halten. Hierzu wäre eine Nettoreproduktionsrate von 1 nötig; 1994 betrug sie aber nur 0,59. In diesem Jahr starben 115 058 Menschen mehr, als geboren wurden. Der Zuwachs der Bevölkerung in den letzten Jahren ist somit nur durch Zuwanderungsüberschüsse zu erklären.

Tabelle 1: Bevölkerungsentwicklung in Deutschland seit 1989

  Eheschließungen Lebendgeborene Gestorbene
1989 529 597 880 459 903 441
1990 516 388 905 675 921 445
1991 454 291 830 019 911 245
1992 453 428 809 114 885 443
1993 442 605 798 447 897 270
1995 440 127 769 603 884 661

Interessant ist, dass der Rückgang der Heiratsneigung und der Kinderzahl umso ausgeprägter ist, je jünger der jeweils untersuchte Geburtsjahrgang ist. Der Bevölkerungswissenschaftler Dobritz (1993/94) schätzt, dass in den alten Bundesländern nur noch 69,5% der Frauen des Geburtsjahrgangs 1965 und 60,2% der gleichaltrigen Männer heiraten werden. Mit dem jeweils jüngeren Frauenjahrgang geht auch die Kinderzahl zurück; für den Geburtsjahrgang 1964 wird sogar nur noch mit einer durchschnittlichen Kinderzahl von 1,4 gerechnet. Hier spielt eine große Rolle, dass immer mehr Frauen kinderlos bleiben. Waren es beim Geburtsjahrgang 1940 nur 10%, so werden es beim Jahrgang 1960 bereits 23,2% (früheres Bundesgebiet) sein (Dobritz 1993/94). Auch werden immer seltener drei und mehr Kinder geboren: Traf dies in den alten Bundesländern noch auf 35,2% der Frauen des Geburtsjahrgangs 1935 zu, ist dies wahrscheinlich nur noch für 15,5% der Frauen des Jahrgangs 1958 zutreffend (Deutscher Bundestag 1994b).

Für den Rückgang der Kinderzahl gibt es eine Vielzahl von Erklärungen. Einige sind eher materialistisch: So habe der Mensch als homo oeconomicus erkannt, dass in unserer Gesellschaft der wirtschaftliche Nutzen von Kindern erheblich abgenommen hat (im Gegensatz zu früher sind sie beispielsweise nicht mehr als billige Arbeitskräfte für die Familie von Bedeutung oder müssen einmal ihre alten Eltern finanziell unterhalten). Gleichzeitig sind die Kinderkosten, auch mitbedingt durch die langen Ausbildungszeiten, beträchtlich gestiegen. Gerade in unserer Konsumgesellschaft gibt es viele attraktive Alternativen, wie sich das durch den Verzicht auf Kinder oder die Reduzierung der Kinderzahl "eingesparte" Geld einsetzen lässt: Erwerb von Wohneigentum, Fernreisen, Autokauf usw. Hinzu kommt, dass Kinder indirekte Kosten verursachen, wenn ein Elternteil auf Dauer oder für längere Zeit auf die Berufsausübung bzw. Aufstiegsmöglichkeiten verzichtet, um sich den Kindern (besser) widmen zu können. Diese sogenannten Opportunitätskosten sind umso höher, je besser qualifiziert der Elternteil ist und je größer somit sein Einkommensverzicht ist. Schließlich verursachen Kinder noch immaterielle Kosten. Dazu gehören Zeitkosten - Zeit für ihre Versorgung und Erziehung, die auch anderweitig verwendet werden könnte (z.B. zur Regeneration oder Selbstverwirklichung) - sowie der psychische und physische Aufwand.

Andere Ursachen für den Geburtenrückgang sind eher soziokultureller Art: So sind Ehe und Elternschaft zunehmend der freien Entscheidung des einzelnen anheimgestellt - nichteheliche Lebensgemeinschaften, das Leben als Single oder der bewusste Verzicht auf Kinder werden von der Gesellschaft immer mehr akzeptiert. Und im Falle der Familiengründung gelten ein bis zwei Kinder als Norm. Im Kontext von Säkularisierung und Wertewandel haben kirchliche Vorschriften (Gebot der Fruchtbarkeit, Verbot der Empfängnisverhütung usw.) an Bedeutung verloren, werden nun Selbstentfaltung, Lebensgenuss, Unabhängigkeit und Selbstbestimmung betont. Der Individualismus mit der extremen Betonung der Interessen des einzelnen hat zu einer verstärkten Zuwendung zum eigenen Ich geführt. Dies bedingt u.a. eine größere Unsicherheit von Partnerbeziehungen (Partner können - von der Gesellschaft sanktioniert - gewechselt und Ehen geschieden werden, wenn die eigenen Bedürfnisse nicht mehr befriedigt werden), einen Rückgang der Bereitschaft zu Festlegungen im Lebenslauf (wie z.B. durch die Übernahme von Elternverantwortung) sowie eine Beschränkung der Kinderzahl, damit die Ich-Entfaltung nicht zu sehr durch die Erziehungsaufgabe behindert wird. Immer mehr setzt sich die Einstellung durch, dass es kinderlose Erwachsene bzw. Paare besser haben. Im Zusammenhang mit der Emanzipationsbewegung hat sich bei Frauen auch immer mehr die Haltung ausgeprägt, dass Selbstverwirklichung am besten im Beruf möglich sei, dass sie ihre (finanzielle) Unabhängigkeit nur durch Erwerbstätigkeit wahren können und dass Kinder ein Hemmschuh für die eigene berufliche Karriere sind. Zusammen mit den verlängerten Ausbildungszeiten und dem späten Heiratsalter hat dies zum Herausschieben der Realisierung von Kinderwünschen und damit zu einer Verkürzung der üblichen Zeugungsphase geführt. Mit zunehmendem Alter beider Partner steigt aber auch die Wahrscheinlichkeit von Infertilität; inzwischen gelten 10 bis 15% aller Paare als unfruchtbar.

Weitere Ursachen für die niedrigen Kinderzahlen liegen in Rahmenbedingungen wie dem leichten Zugang zu Verhütungsmitteln, der Möglichkeit des Schwangerschaftsabbruchs, der geringen materiellen Förderung von Familien durch den Familienleistungsausgleich, der schwierigen Vereinbarkeit von Familie und Beruf, dem problematischen Wiedereintritt in die Arbeitswelt nach einer längeren Familienphase, den unzureichenden Betreuungsangeboten für Kleinst- und Schulkinder, den zu kurzen und wenig flexiblen Öffnungszeiten von Kindertageseinrichtungen oder dem Fehlen familiengerechter, preisgünstiger Wohnungen. Hinzu kommen im Einzelfall Faktoren wie (drohende) Arbeitslosigkeit, niedriges Einkommen, instabile Ehebeziehung, Alleinerzieherschaft, Angst vor der Übernahme von Erziehungsverantwortung oder Überlastung durch ein bereits vorhandenes Kind. Der extrem starke Geburtenrückgang in den neuen Bundesländern wurde auch durch eine negative Sicht der (persönlichen) Zukunft, den Verlust von Arbeitsplätzen, den zunehmenden beruflichen Stress, die Verschlechterung des Kinderbetreuungsangebots, das Nachholen von Konsumwünschen, die Abwanderung junger Menschen in den Westen und den Wegfall von mit einer Familiengründung verbundenen Vorteilen (wie bevorzugte Wohnungszuteilung oder Darlehen) mitbedingt.

Bevölkerungsvorausberechnungen

Aufgrund der niedrigen Geburtenzahl in den letzten Jahrzehnten ist im kommenden Jahrhundert mit einem starken Bevölkerungsrückgang zu rechnen. Es wird sich hier um einen kontinuierlichen Prozess handeln, da einerseits zahlenmäßig immer kleinere Jahrgänge in das zeugungsfähige Alter kommen und andererseits Personen aus sehr kleinen Herkunftsfamilien (Einzelkinder) dazu tendieren, selbst wieder Kleinstfamilien zu gründen. Außerdem werden immer mehr Mitglieder geburtenstarker Jahrgänge sterben, so dass die Differenz zwischen der Zahl der Lebendgeborenen und der Gestorbenen automatisch größer werden wird.

Bevölkerungsvorausberechnungen sind jedoch wie alle Prognosen mit einem Unsicherheitsfaktor behaftet, der umso größer wird, je weiter in die Zukunft geschaut wird. Zum einen ist das Zeugungsverhalten künftiger Generationen letztlich nicht voraussagbar. Zum anderen - und dies ist der größere Unsicherheitsfaktor - ist ungewiss, wie hoch die Zuwanderungsgewinne in den kommenden Jahrzehnten ausfallen werden. Deshalb werden in der Regel verschiedene Varianten berechnet. Bei der vom Statistischen Bundesamt koordinierten achten Bevölkerungsvorausberechnung der statistischen Ämter der Bundesländer für den Zeitraum 1993 bis 2040 (Sommer 1994) wird davon ausgegangen, dass die derzeitige Geburtenhäufigkeit von 1,4 in Westdeutschland bleiben und in den neuen Ländern spätestens im Jahr 2010 wieder erreicht werden wird. Auch wird mit einem leichten Anstieg der Lebenserwartung gerechnet. Die Zahl der jährlich zuwandernden Aussiedler wird bis Ende des Jahrzehnts bei rund 220 000 liegen und dann stark abnehmen. Für die Zahl der zuwandernden Ausländer werden drei Varianten berechnet: Sie könnte auf 100 000 (Variante 1), 200 000 (Variante 2) oder 300 000 (Variante 3) pro Jahr bis zum Jahr 2000 zurückgehen und dann konstant bleiben. Dies bedeutet, dass im Zeitraum von 1993 bis 2040 zwischen 7,9 Mio. und 16,7 Mio. Ausländer mehr zuwandern als fortziehen würden. Tabelle 2 zeigt, wie sich die Bevölkerung unter den genannten Voraussetzungen entwickeln würde.

Tabelle 2: Entwicklung der Bevölkerung laut der achten koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung (Sommer 1994)

Jahresende Variante 1 Variante 2 Variante 3
1992 80 974 600 80 974 600 80 974 600
2000 83 347 400 83 740 500 84 133 400
2010 81 960 300 83 433 000 84 894 800
2020 78 581 000 81 183 400 83 748 000
2030 73 677 300 77 413 500 81 072 100
2040 67 580 200 72 413 000 77 115 400

Deutlich wird, dass es bei jeder Variante spätestens nach dem Jahr 2010 zu einem mehr oder minder rasanten Bevölkerungsschwund kommen wird. Der Rückgang wird voraussichtlich in dünn besiedelten Gebieten und in Städten besonders groß sein, während für die Umlandregionen größerer Städte aufgrund von Binnenwanderungen mit annähernder Konstanz gerechnet wird. Da sich das Verhältnis zwischen Einpersonen- und Mehrpersonenhaushalten auch in Zukunft zugunsten ersterer verschieben wird, dürfte die Gesamtzahl der Privathaushalte bis zum Jahr 2010 noch ansteigen und dann langsamer zurückgehen als die Bevölkerungszahlen. Das bedeutet z.B. für den Wohnungsmarkt, dass es voraussichtlich nicht vor dem Jahr 2020 zu einem größeren Überangebot an Wohnungen kommen wird. Auf den Marktwert von Wohnungseigentum und die Mieten könnte sich die Entwicklung aber schon früher auswirken (Deutscher Bundestag 1994a; Umbach 1989).

Bedeutsamer als der Rückgang der Bevölkerung ist ihre Alterung. Vergleicht man den Altersaufbau Ende 1992 mit dem voraussichtlichen Altersaufbau im Jahr 2040, werden die geburtenstarken Jahrgänge um 1965 und vor 1990 zu Ausbuchtungen bei den Altersgruppen der 70- bis 75-Jährigen und der 50- bis 60-Jährigen führen. Die jüngeren Altersgruppen werden dann immer schwächer besetzt sein.

Dieser Altersstrukturwandel wird zu einer Neubewertung des Altseins führen. Es muss nicht nur zwischen "jungen Alten" und Hochbetagten unterschieden werden, sondern auch zwischen ganz verschiedenen Lebensstilen und Bedürfnislagen. Singularisierung (Fehlen eines Partners), Isolierung aufgrund mangelnder verwandtschaftlicher Verflechtungen (Kinder-, Geschwisterlosigkeit), chronische Erkrankung und Pflegebedürftigkeit mit Angewiesensein auf fremde Hilfe werden häufiger werden. Der skizzierte Alterungsprozess der Bevölkerung bedeutet aber auch, dass etwa im Jahr 2030 rund die Hälfte der Wähler älter als 55 Jahre sein wird. Dann könnten die Interessen der älteren Bürger/innen die Politik bestimmen. Die Wirtschaftswissenschaftler Miegel und Wahl (1993) befürchten, dass dies die Handlungsfähigkeit des Staates und letztlich sogar die Demokratie gefährden könnte, denn: "Der Durchsetzung dieser Interessen, die nicht zuletzt hohe Sozialleistungen umfassen dürften, dürfte sich die andere Hälfte der Wähler, die diese Leistungen zu erbringen hätte, mehr oder minder entschlossen entgegenstellen" (S. 114). Der Soziologieprofessor Gronemeyer (1992) rechnet dann sogar mit der Gefahr eines Generationenkrieges.

Berechnet man das Verhältnis zwischen der jüngeren bzw. der älteren Generation und der mittleren Generation (20- bis unter 60-Jährige), so erhält man den Jugend- und den Altenquotienten. Diese stellen Indikatoren für die "Belastung" der im erwerbsfähigen Alter stehenden Bevölkerung dar. Tabelle 3 zeigt die Jugend- und Altenquotienten für 1992 und die prognostizierten Werte für die Jahre 2000 bis 2040. So kamen 1992 37 Personen im Alter unter 20 Jahren und 35 Personen im Alter von 60 Jahren und darüber auf 100 Personen im Erwerbsalter. Nach allen drei Varianten wird der Jugendquotient auf rund 32 im Jahr 2040 sinken, während der Altenquotient bis zum Jahr 2030 stark ansteigen und bis 2040 mit Werten zwischen 65 und 71 relativ konstant bleiben wird. Im Jahr 2020 wird bereits eine ältere Person auf zwei Personen im Erwerbsalter kommen.

Tabelle 3: Jugend- und Altenquotienten laut der achten koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung (Sommer 1994)

Jahr Variante 1 Variante 2 Variante 3
  Jugend-
quotient
Alten-
quotient
Jugend-
quotient
Alten-
quotient
Jugend-
quotient
Alten-
quotient
1992 37,0 35,0 37,0 35,0 37,0 35,0
2000 38,1 41,6 38,1 41,4 38,0 41,2
2010 32,9 44,9 32,9 44,1 32,9 43,4
2020 31,4 53,3 31,4 51,7 31,3 50,2
2030 34,3 71,1 33,9 67,8 33,5 65,0
2040 32,4 71,2 32,2 67,8 31,8 65,0

Die Alterung der Bevölkerung ist ein nicht umkehrbarer Prozess. Er kann selbst durch eine verstärkte Zuwanderung nicht nennenswert aufgehalten werden, wie der Vergleich zwischen den Varianten 1 (Zuwanderungsüberschuss von 7,9 Mio. Personen zwischen 1993 und 2040) und 3 (Zuwanderungsüberschuss von 16,7 Mio. Personen) zeigt. Hier fällt zudem ins Gewicht, dass immer mehr Zuwanderer in den nächsten Jahrzehnten in das Seniorenalter kommen werden und dass auch bei der ausländischen Bevölkerung bereits jetzt das Geburtenniveau unter der für die Bestandserhaltung erforderlichen Größenordnung liegt. Zu einer drastischen Verringerung des Alterungsprozesses käme es nur, wenn pro Jahr ausschließlich 500 000 Jugendliche zuwandern würden (Klauder 1993) - was natürlich utopisch ist.

Alten- und Jugendquotient geben natürlich nur sehr unvollkommen die "Belastung" der im Erwerbsalter stehenden Generation wieder. Zum einen befinden sich viele Menschen im Alter von 20 bis 30 Jahren noch in der Ausbildung und fallen somit als Erwerbspersonen aus. Zum anderen soll nach dem Rentenreformgesetz von 1992 die Regelaltersgrenze schrittweise bis zum Jahr 2017 auf 65 Jahre angehoben werden. So bietet es sich an, in Zukunft den Altenquotienten erst für die 65-Jährigen und älteren zu berechnen. Der "modifizierte Altenquotient" würde 2040 je nach Variante zwischen 47 und 52 liegen (anstatt zwischen 65 und 71). Aber auch dann käme noch eine Person im Rentenalter auf zwei Personen der mittleren Generation.

Konsequenzen für die Wirtschaft

Die skizzierte Bevölkerungsentwicklung ist für die Wirtschaft von großer Bedeutung: Während der Bevölkerungsrückgang zu sinkender Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen führen wird, dürfte die Alterung eine Umstrukturierung der Nachfrage mit sich bringen. Es ist anzunehmen, dass der Absatz von Nahrungsmitteln und (langlebigen) Konsumgütern zurückgehen wird. Viele Fabrikanlagen werden nicht mehr voll ausgelastet sein. Immer weniger Wohnungen, öffentliche Gebäude und Straßen werden gebaut werden. Der Anteil von Erweiterungsinvestitionen wird zugunsten von Ersatz- und Rationalisierungsinvestitionen abnehmen. Sofern diese Entwicklung nicht durch steigende Exporte aufgefangen oder gebremst werden kann, werden Teile der deutschen Volkswirtschaft schrumpfen. Im Zusammenhang mit pessimistischen Zukunftserwartungen aufgrund des sich fortsetzenden Bevölkerungsrückgangs könnte dies zu abnehmenden Investitionen und damit zu einer kaum noch wachsenden Arbeitsproduktivität, zu verringertem technischen Fortschritt und zum Verlust der internationalen Wettbewerbsfähigkeit (in Verbindung mit den hohen Soziallasten) führen. Auch könnten vermehrt Unternehmen in das Ausland abwandern (Buttler 1993).

Der Altersstrukturwandel führt hingegen dazu, dass sich die Nachfrage zu Gütern und Dienstleistungen hin verlagern wird, die für ältere Menschen von Bedeutung sind. Dazu gehören z.B. medizinische Dienste, Geräte und Hilfsmittel, Alten- und Pflegeheime, Essens-, Reinigungs- und Betreuungsdienste, Bildungs-, Freizeit- und Urlaubsangebote für Senioren. Auch muss die Versorgung von (älteren) Menschen in besonders bevölkerungsarmen Regionen sichergestellt werden, wozu (neue) Betriebs- und Vertriebsformen - wie die Bündelung verschiedener Serviceleistungen, Kioske, mobile Verkaufswagen, Bringdienste oder Kleinstmärkte - entwickelt werden müssen (Deutscher Bundestag 1994a).

Rückgang und Alterung der Bevölkerung werden auch Konsequenzen für den Arbeitsmarkt haben: Ersteres spielt jedoch zunächst keine größere Rolle: Zumindest bis zum Jahr 2010 ist noch mit einer Zunahme des Erwerbspersonenpotentials und gleichbleibend hoher Arbeitslosigkeit zu rechnen. Ab wann dann der Bevölkerungsschwund zur Arbeitskräfteknappheit führen wird, hängt von mehreren Faktoren ab. So ist von Bedeutung,

  • wie die wirtschaftliche Entwicklung verlaufen und was für Folgen dies für den Arbeitskräftebedarf haben wird,
  • wie schnell die Arbeitsproduktivität zunehmen wird, also weniger Arbeitskräfte dieselbe Leistung erbringen können,
  • ob Wochen- und Jahresarbeitszeit verlängert werden,
  • ob die Erhöhung der Regelaltersgrenzen bei der Rentenversicherung zu höheren Erwerbsquoten bei 55- bis 65-Jährigen führen wird,
  • ob die Frauenerwerbsquote weiterhin steigen wird und
  • wie hoch die Zuwanderungsgewinne ausfallen werden.

Die Prognos AG (1995) rechnet selbst im Jahr 2040 noch mit rund 1,5 Mio. Arbeitslosen.

Wichtig ist auch, inwieweit die Qualifikationen der Arbeitskräfte dem Bedarf entsprechen. So ist in den nächsten Jahrzehnten damit zu rechnen, dass sich die Tendenz fortsetzen wird, dass immer weniger un- und angelernte Arbeitnehmer, aber immer mehr hochqualifizierte Fachkräfte und Hochschulabsolventen benötigt werden. Diese sind aber z.B. unter ausländischen Zuwanderern nicht zu finden - zumal diese in Zukunft kaum noch aus den Ländern der Europäischen Union kommen werden, da in ihnen die Bevölkerungsentwicklung ähnlich wie in Deutschland (nur zeitlich etwas verzögert) verläuft (Textor 1994b).

Ferner ist in den nächsten Jahrzehnten mit einer altersspezifischen Segmentierung des Arbeitsmarktes zu rechnen: Die Konkurrenz der Arbeitgeber um die immer weniger werdenden Berufsanfänger wird größer werden, was sich wahrscheinlich auch auf die Anfangslöhne und -gehälter auswirken und zu einer Verringerung des Abstands zum Endeinkommen führen wird. Die mittleren Jahrgänge werden weniger Aufstiegschancen vorfinden, da höhere Positionen immer länger von älteren Arbeitnehmern blockiert werden dürften. Diese werden weiterhin in besonderem Maße von Arbeitsmarktrisiken betroffen sein.

Die Alterung des Erwerbspersonenpotentials wird die Arbeitgeber zu einer Änderung ihrer bisher stark jugendzentrierten Personalpolitik zwingen und sie sehr viel seltener als bisher von der Möglichkeit der Frühverrentung Gebrauch machen lassen. Je mehr das Durchschnittsalter der Arbeitnehmer ansteigen und je weniger jüngere Arbeitssuchende auf dem Arbeitsmarkt vorzufinden sein werden, um so wichtiger werden Fort- und Weiterbildung werden - schließlich müssen dann Innovation und Erhöhung der Arbeitsproduktivität vermehrt von älteren Arbeitnehmern geleistet werden. Dies bedeutet, dass sich die Wirtschaft auch von Vorurteilen hinsichtlich der Leistungsfähigkeit älterer Arbeitskräfte trennen muss. So ist nach wissenschaftlichen Erkenntnissen davon auszugehen, dass "es keinen generell vom Alter abhängigen Abbau des Leistungsvermögens gibt. Es treten Änderungen in der Struktur des Leistungsvermögens auf, in dem einzelne Fähigkeiten (Kraft, Beweglichkeit, physisch-psychische Belastbarkeit, Flexibilität) abnehmen, andere wie Urteilsvermögen und Erfahrung zunehmen, weitere unverändert bleiben..." (Skarpelis-Sperk 1993, S. 77).

Neben einer verstärkten Fort- und Weiterbildung müssen in Zukunft die Arbeitsplätze besser an die Fähigkeiten älterer Arbeitnehmer angepasst oder ihnen neue Tätigkeitsfelder im Unternehmen eröffnet werden. Durch einen besseren Arbeitsschutz muss das höhere arbeitsbedingte Krankheitsrisiko, das häufig zu Frühinvalidität führt, reduziert werden. Auch dürften kompensatorische Maßnahmen gegen altersbedingte Funktionsverschlechterungen (z.B. Bewegungsförderung, technische Hilfen, Verringerung von Stress) sinnvoll sein. In den Jahren vor der Verrentung kann älteren Arbeitnehmern der gleitende Übergang in den Ruhestand ermöglicht werden. Schließlich werden mehr Wiedereingliederungsangebote für gekündigte ältere Arbeitnehmer und Weiterqualifizierungsmaßnahmen der in Deutschland lebenden Ausländer der zweiten und dritten Generation nötig sein.

Konsequenzen für den Bildungs- und Sozialbereich

Der Bevölkerungsrückgang bedeutet für den Bildungsbereich, dass nach dem Jahr 2000 der Bedarf an Kindergartenplätzen zurückgehen wird. Falls gleichzeitig bisher unzureichende Betreuungsangebote für Kinder unter drei Jahren und Schulkinder ausgebaut werden, müssen Erzieher/innen nicht um ihren Arbeitsplatz fürchten. Der Rückgang der Schülerzahlen wird zunächst die Grundschulen und später die Haupt- und weiterführenden Schulen betreffen. Dann könnte es zur Aufgabe von Schulstandorten (mit der Folge längerer Schulwege) und zum Abbau von Mehrzügigkeit kommen. In bevölkerungsärmeren Regionen wird voraussichtlich das Bildungsangebot reduziert und die Zahl der Spezialisierungsmöglichkeiten verringert werden, was zu weiteren Abwanderungen führen könnte. Auch wird es z.B. an vielen Berufsschulen notwendig sein, Auszubildende in verschiedenen Berufen zu einer Klasse zusammenzufassen. Inwieweit solche Entwicklungen durch qualitative Verbesserungen wie die Reduzierung der Klassenstärken gebremst werden, wird von politischen Entscheidungen abhängen.

Selbst wenn der Prozentsatz eines Jahrgangs, der sich für ein Studium entscheidet, gleichbleiben und damit die Zahl der Studenten sinken wird, dürfte der Hochschulbereich in den nächsten Jahrzehnten kaum vom Bevölkerungsrückgang betroffen sein - hier ist von Bedeutung, dass derzeit bei weitem mehr Studenten unterrichtet werden, als Studienplätze vorhanden sind. Zudem muss die Leistung der Hochschulen verbessert werden, wenn die Bundesrepublik auf dem Weltmarkt wettbewerbsfähig bleiben soll. Auch wird es sich Deutschland auf Dauer nicht leisten können, dass rund ein Drittel aller Studenten das Studium abbricht und die Studienzeiten sehr viel länger als in anderen Ländern sind. Die Erwachsenenbildung - mit Ausnahme der beruflichen Fort- und Weiterbildung - dürfte hingegen mehr vom Bevölkerungsrückgang betroffen sein, sofern nicht sehr viel mehr Senioren als Teilnehmer gewonnen werden können. Auch kulturelle Einrichtungen, außerschulische Bildungsstätten, Sport- und Erholungsanlagen dürften in Mitleidenschaft gezogen werden. Da hier weniger Besucher bzw. Teilnehmer weniger Einnahmen bedeuten, werden die Kosten eher zu- als abnehmen. Für den gesamten Bildungsbereich ist also generell nur mit einem leichten Rückgang der Ausgaben zu rechnen.

Auch bei den Kommunen werden voraussichtlich die Ausgaben nicht entsprechend dem Bevölkerungsrückgang abnehmen. Einerseits muss eine flächendeckende Versorgung aufrechterhalten werden, andererseits sind die meisten Einrichtungen "unteilbar" bzw. benötigen ein Stammpersonal. Beispielsweise ist in Bereichen wie Öffentliche Sicherheit, Verkehr, Straßenerhalt, Entsorgung und Abfallbeseitigung kaum mit Einsparungen zu rechnen - wohl aber z.B. bei den Sozialhilfeausgaben. Da gleichzeitig die Einnahmen, insbesondere durch den Rückgang des örtlichen Einkommensteueraufkommens aufgrund der abnehmenden Zahl der Erwerbstätigen, sinken werden, wird der kommunale Zuschussbedarf weiterhin hoch bleiben (Miera 1994). Die Kommunen könnten aber zur Haushaltskonsolidierung beitragen durch Erhöhung des Gebührenaufkommens (nur begrenzt möglich), Rationalisierung, die Einführung von Controlling-Systemen, Privatisierung und Zusammenarbeit mit anderen Kommunen.

Die Alterung der Gesellschaft wird zu einem rasch wachsenden Bedarf an sozialen Einrichtungen und Diensten für ältere und hochbetagte Menschen führen. Dazu gehören Begegnungs-, Freizeit-, Kultur-, Service- und Beratungsstellen für Senioren. Vor allem kranke und pflegebedürftige Senioren werden zunehmend auf öffentliche Unterstützung angewiesen sein, da immer häufiger Partner oder erwachsene Kinder fehlen werden, die bisher überwiegend diese Aufgabe übernahmen. So werden mehr geriatrische und gerontopsychiatrische Abteilungen und Pflegebetten in Krankenhäusern, mehr Alten- und Pflegeheime, mehr Tages- und Kurzzeitpflegeplätze sowie mehr Sozialstationen, pflegerische, hauswirtschaftliche und Mahlzeitendienste benötigt werden. Ambulante Dienste werden sich zugleich umorientieren müssen, da sie als familienergänzend konzipiert wurden, in Zukunft aber vermehrt familienersetzend wirken müssen (wenn Partner und Kinder fehlen oder letztere weit entfernt wohnen und erwerbstätig sind). Die Ausgaben für soziale und medizinische Einrichtungen und Dienstleistungen für Senioren werden also noch erheblich zunehmen. Damit wird sich beispielsweise vermehrt die Frage gestellt, ob alles, was ärztlich machbar ist, auch finanzierbar ist. Eine neue Sterbeethik wird unvermeidlich sein, die Sterbende vor der Abhängigkeit von Maschinen, unnötigen Leiden und Entwürdigung schützt.

Konsequenzen für die Sozialversicherungen

Da die Kosten für die Versorgung (chronisch) kranker, behinderter und pflegebedürftiger Senioren überwiegend von der Kranken- und der Pflegeversicherung übernommen werden, ist hier mit stark ansteigenden Kosten und damit auch höheren Beiträgen zu rechnen. Die Prognos AG (1995) berechnete zwei Szenarien (s.u.), nach denen der Beitragssatz in der gesetzlichen Pflegeversicherung bis 2040 auf 2,3 bzw. 2,6 Prozentpunkte und in der gesetzlichen Krankenversicherung auf 16,0 bzw. 16,1 Prozentpunkte zunehmen wird. Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (1994) nimmt sogar an, dass bis 2030 der Beitragssatz für die Pflegeversicherung auf rund 3,5% und für die Krankenversicherung auf etwa 17% ansteigen wird. Es ist zu erwarten, dass in Zukunft immer mehr Eigenmittel für die medizinische Versorgung und Pflege benötigt werden, da die schon jetzt bestehende Selbstbeteiligung an den Kosten für Arzneimittel und medizinische Leistungen eher aus- als abgebaut werden dürfte und die Pflegeversicherung so konzipiert wurde, dass nur ein Teil der Pflegekosten ersetzt werden soll. Auch könnte es durchaus zu Leistungskürzungen kommen.

Noch problematischer ist die Entwicklung bei der gesetzlichen Rentenversicherung. Tabelle 4 zeigt, wie sich voraussichtlich im Zeitraum von 1994 bis 2040 das Verhältnis zwischen Beitragszahlern auf der einen sowie Rentnern, Rentenfällen und Eckrentnern auf der anderen Seite verändern wird - die Anzahl der Eckrentner ergibt sich, indem das Rentenvolumen eines Jahres durch die jeweilige Standardrente geteilt wird. Danach ist anzunehmen, dass im Jahr 2033 auf 100 potentielle Beitragszahler ebenso viele Rentner kommen werden. Nur wenn die wirtschaftliche Entwicklung positiv verläuft und sehr viel mehr Erwerbstätige bis zu ihrem 65. Lebensjahr arbeiten werden, dürfte diese Entwicklung gebremst werden. Nach den Berechnungen von Barth, Hain und Müller (1994) würde dann der Eckrentnerquotient z.B. im Jahr 2030 "nur" 58,9% im Gegensatz zu 73,26% betragen.

Tabelle 4: Zahl der Rentner, Rentenfälle und Eckrentner auf 100 Beitragszahler
laut der Vorausberechnung von Barth, Hain und Müller (1994)

Jahr Rentner Rentenfälle Eckrentner
1994 45,60 54,74 32,73
2000 51,66 62,26 38,32
2010 61,61 74,72 46,64
2020 73,58 88,94 56,10
2030 95,76 115,50 73,26
2040 101,76 124,07 77,40

Dass diese Entwicklung zu stark ansteigenden Beitragssätzen führen muss, ist offensichtlich. Mit dem Rentenreformgesetz 1992 wurde der erste "Bremsversuch" unternommen: So bewirkt die Nettoanpassungsformel, dass die Renten nicht - wie zuvor - schneller als die Nettoarbeitsentgelte ansteigen. Auch werden die vorgezogenen Altersgrenzen von 60 und 63 Jahren stufenweise auf die Regelaltersgrenze von 65 Jahren angehoben, wobei dieser Prozess aber erst im Jahr 2001 beginnen und im Jahr 2017 beendet sein wird. Bei einer vorzeitigen Inanspruchnahme der Rente müssen dann Abschläge in Kauf genommen werden. Schließlich wurden die beitragsfreien Zeiten neu geordnet, verändert sich nun auch die Höhe des Bundeszuschusses mit der Höhe des Beitragssatzes.

Auf dieser Grundlage hat nun die Basler Prognos AG (1995) ein neues Gutachten über die Entwicklung der Beitragssätze zur Rentenversicherung vorgelegt. Es werden ein oberes Szenario (von 1992 bis 2040 Wachstum des Bruttoinlandsprodukts um 2,1% pro Jahr; Anstieg der Produktivität um 2,3% pro Jahr; Zunahme des Bruttolohns/-gehaltes um 5% pro Jahr, hohe Zuwanderung) und ein unteres Szenario (Wachstum des Bruttoinlandsprodukts nur um 1,2% pro Jahr; Produktivitätsanstieg um 1,9%; Lohnzuwachs von 3,9%, niedrigere Zuwanderungsgewinne) berechnet. Beispielsweise werden für 2030 Beitragssätze von 26,3 bzw. 28,5% und für 2040 von 26,3 bzw. 28,7% erwartet.

Ob sich so hohe Beitragssätze politisch durchsetzen lassen, erscheint fraglich - zumal sie sich zusammen mit den Beiträgen für Kranken- und Pflegeversicherung und dem voraussichtlich auf 4 bzw. 5,3 Prozentpunkte sinkenden Beitrag zur Arbeitslosenversicherung auf 48,6 oder 52,7 Prozentpunkte (je nach Szenario) summieren würden (wozu dann noch die Steuern kämen). Einerseits ist wohl folgende Aussage des Vorsitzenden des DGB-Landesbezirks Bayern Schösser (1993) zu bedenken: "Eine steigende Abgabenbelastung wird solange mehr oder weniger akzeptabel erscheinen, wie die Erhöhung des Nettoeinkommens je Erwerbstätigen oberhalb der Preissteigerungsrate und des Abgabenanstiegs liegt. Solange also das Realeinkommen gesichert ist" (S. 500). Dies wird vor allem von der wirtschaftlichen Entwicklung (insbesondere der Zunahme der Arbeitsproduktivität) abhängen, zumal bei einer Pro-Kopf-Berechnung Wirtschaftswachstum bei schrumpfender Bevölkerung eine wesentlich stärkere Besserstellung des einzelnen Bürgers bedeutet. Andererseits ist jedoch zu befürchten, dass die Erwerbstätigen eine Umverteilung auf ihre Kosten in noch größerem Maße als bisher nicht akzeptieren werden. Sie könnten reale Einkommenszuwächse fordern, frustriert ihren Arbeitseinsatz reduzieren oder in die Schattenwirtschaft ausweichen. Von noch größerer Bedeutung ist, dass die hohen Soziallasten schon jetzt zu den weltweit höchsten Arbeitskosten geführt haben und damit den Wirtschaftsstandort Deutschland gefährden. Nahezu jede weitere der zu erwartenden Erhöhungen der Personalzusatzkosten würde die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft auf dem Weltmarkt weiter schwächen.

So werden auch im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung Einsparungen unvermeidlich sein. Beispielsweise könnten versicherungsfremde Leistungen reduziert werden, die 25 bis 30% der Rentenausgaben ausmachen (Ruland 1994). Auf jeden Fall sollte der hierfür geleistete Bundeszuschuss erhöht werden, der zurzeit nur rund 20% der Rentenausgaben abdeckt. Auch müsste das Recht der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit reformiert werden, da hier Arbeitsmarktrisiken auf die Rentenversicherung abgewälzt werden. Besonders wichtig ist die Erhöhung der Erwerbsquoten bei 55- bis 65-Jährigen - waren z.B. 1960 noch 66% der 60- bis 65-Jährigen erwerbstätig, sind es heute nur noch 33% (Ruland 1994). "Nach Berechnungen des Sozialbeirats führt eine Verschiebung des durchschnittlichen Rentenzugangsalters aller Versichertenrenten um nur ein Jahr ab dem Jahr 2000 zu einer finanziellen Entlastung der Rentenversicherungsträger in einer Größenordnung von knapp 1,5 Beitragsprozentpunkten" (Müller 1993, S. 510). Mit der Rentenreform 1992 wurde ein großer Schritt in diese Richtung unternommen. Aber es wird auch von der Arbeitsmarktlage abhängen, ob die Frühverrentung abgebaut werden kann. Schließlich wird immer wieder die Diskussion aufflackern, ob das bisherige Rentenversicherungssystem nicht durch eine gesetzliche Grundsicherung für alle Bürger abgelöst werden sollte, die leichter zu finanzieren sei. Dann würde die private Vorsorge durch Vermögensbildung noch wichtiger werden, zu der etwa zwei Drittel der Bevölkerung durchaus in der Lage sei. "Aber auch das verbleibende Drittel würde durch diese Veränderungen nicht anders gestellt als es heute steht. Im bestehenden System der gesetzlichen Alterssicherung erwirbt dieses Drittel nämlich ebenfalls nur Rentenansprüche, die dem Existenzminimum entsprechen" (Miegel und Wahl 1993, S. 135).

Ähnliche Probleme wie bei der gesetzlichen Rentenversicherung dürfte es in Zukunft auch bei der beamtenrechtlichen Versorgung geben. Aufgrund des Personalzuwachses in den 1960-er und 1970-er Jahren wird die Zahl der Pensionäre bis zum Jahr 2020 um über 50% zunehmen. Bleiben Zahl und Struktur der öffentlichen Bediensteten bis zum Jahr 2030 unverändert gegenüber dem Vergleichsjahr 1986, ist nach Färber (1991) davon auszugehen, dass die Kosten von 45% der Steuereinnahmen von 1986 auf fast 70% ansteigen werden. Auch hier ist fraglich, ob Arbeitnehmer und Arbeitgeber in den kommenden Jahrzehnten Steuererhöhungen zur Finanzierung von Beamtenpensionen akzeptieren werden.

Generell werden in Zukunft neben Betriebsrenten Einkünfte aus Vermögen, Lebensversicherungen und Mieteinnahmen für Rentner immer wichtiger werden. Im Jahr 2000 wird schon ein Viertel des Geld- und Grundvermögens den über 65-Jährigen gehören (Deutscher Bundestag 1994a). Später wird die Zahl der Erblasser die der Erben übersteigen, so dass immer mehr Haushalte über (immer mehr) Eigentum verfügen werden. Allerdings ist die Sicherheit privater Altersvorsorge ebenfalls von der Wirtschaftsentwicklung abhängig, vor allem hinsichtlich der Vermögenserträge, des Realwerterhalts und der Liquidierbarkeit von Kapitalanlagen. Insbesondere bei Pflegebedürftigkeit und Hochaltrigkeit wird aber auch der Vermögensverzehr zunehmen, da in Zukunft voraussichtlich viele Betreuungsleistungen bezahlt werden müssen. Schließlich wird der Reichtum nicht gleichmäßig verteilt sein. So wird es auch in den kommenden Jahrzehnten Altersarmut geben, insbesondere bei Personen, die lange Zeit arbeitslos waren oder nur ein niedriges Erwerbseinkommen erzielten, sowie bei Teilzeitbeschäftigten, alleinerziehenden Frauen, Frühinvaliden, Behinderten und Migranten, die in fortgeschrittenem Alter nach Deutschland kamen (Deutscher Bundestag 1994a),

Weitere Handlungsmöglichkeiten

Neben den bereits erwähnten Vorschlägen zur Milderung der Konsequenzen von Bevölkerungsrückgang und -alterung werden noch weitere Möglichkeiten diskutiert. Dazu gehört die Erhöhung der Zuwanderung. Diese ist aber bis 2010 - solange die derzeitige hohe Arbeitslosigkeit anhält - eher eine soziale und ökonomische Belastung. Zudem besteht die Gefahr, dass bei steigendem Ausländeranteil und zunehmender Alterung der deutschen Bevölkerung die Integrationsbereitschaft weiter sinkt und es zu mehr Ausschreitungen kommt. Schließlich müssten die Zuwanderungen selbst bei leicht ansteigender Fertilität zum Ausgleich des Bevölkerungsrückgangs ein solches Ausmaß annehmen, dass im Jahr 2050 der Ausländeranteil bei mehr als 45% liegen würde (Birg, nach Deutscher Bundestag 1994a).

Eine andere Handlungsmöglichkeit ist die Verbesserung familienpolitischer Leistungen zur Erhöhung der Geburten- bzw. Kinderzahl. Durch höhere Kindergeldzahlungen und weitere Steuererleichterungen könnte z.B. ein größerer Teil der Kinderkosten erstattet werden. Auch könnten die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die Kinderbetreuungsangebote und die Wohnbedingungen von Familien verbessert werden. Jedoch haben selbst umfangreiche und kostspielige Maßnahmen in anderen europäischen Ländern den Geburtenrückgang nur leicht bremsen können (Kaufmann 1990). Auch dürfte nach den bisherigen Erfahrungen eine stärkere Umverteilung zugunsten von Familien politisch nicht durchsetzbar sein.

Schließlich könnte der Staat die in den kommenden Jahren zu erwartenden Belastungen reduzieren, indem z.B. der öffentliche Schuldenberg von über 1,9 Billionen DM (1995) abgebaut wird. Durch eine gute Wirtschaftspolitik kann die Wirtschaft für die Herausforderungen der kommenden Jahrzehnte gerüstet werden. Dazu dürfte auch ein Abbau des überbordenden Sozialsystems beitragen; die Pro-Kopf-Sozialausgaben, die zwischen 1970 und 1993 um 340% zunahmen (die Löhne und Gehälter stiegen hingegen nur um 250%) und 1992 bei 12 400 DM pro Person lagen, müssten auf ein die Arbeitgeber und -nehmer weniger belastendes Maß zurückgeführt werden (Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände 1994; Müller 1993). Da der demographische Wandel auch alle anderen Länder der Europäischen Union betrifft, sollte schließlich eine gemeinsame europäische Bevölkerungspolitik entwickelt werden.

Quelle

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