Die unbekannten Eltern. Adoptierte auf der Suche nach ihren Wurzeln

Martin R. Textor

 

Vielerorts wird noch die Adoption als Dienstleistung für kinderlose Ehepaare und "elternlose" Kinder gesehen. Sie soll nichtehelich geborenen unversorgten Kindern einen neuen Anfang ermöglichen. Deshalb wird es als sinnvoll erachtet, jede Verbindung mit der Vergangenheit abzubrechen. So erhält das Kind einen neuen Namen, werden in vielen Ländern die Angaben über die Geburtsumstände (z. B. Namen der leiblichen Eltern, Nichtehelichkeit, unbekannter Vater) geheim gehalten oder sogar vernichtet. Auf diese Weise sollen auch eine mögliche Gefährdung oder Schädigung der Identitätsentwicklung des Kindes verhindert werden.

Zudem wird das Vermittlungsverfahren in der Regel unter Wahrung der Anonymität der (abgebenden und) annehmenden Eltern durchgeführt. Das Inkognito soll eine ungestörte Entwicklung des Kindes in der Adoptivfamilie gewährleisten. Es soll verhindern, dass die leiblichen Eltern das Kind in seinen gefühlsmäßigen Bindungen an die Adoptiveltern verunsichern oder sich in sein Familienleben einmischen können. Die Wahrung der Anonymität der Betroffenen und die Änderung des Namens des Adoptivkindes werden aber auch im Sinne der leiblichen Eltern gesehen: So soll ihnen das Vergessen des Kindes erleichtert werden, da alle Möglichkeiten eines späteren Kontaktes unterbunden werden. Durch das Inkognito soll ihre Stigmatisierung verhindert, ihre Privatsphäre geschützt und peinliche Enthüllungen vermieden werden. Die leiblichen Eltern konnten früher davon ausgehen, dass sie nach der Freigabe eines Kindes zur Adoption nie wieder mit dieser Tatsache konfrontiert werden würden.

Da bei Inkognito-Adoptionen die leiblichen Eltern keine Rolle mehr spielen, nachdem sie ihr Kind zur Adoption freigegeben haben, werden oft nur wenig Informationen über sie in den Akten festgehalten oder an die Adoptiveltern weitergegeben. In diesen Fällen bemühen sich Amtspfleger, Adoptionsvermittler und andere Amtspersonen in der Regel auch nicht, den leiblichen Vater eines nichtehelich geborenen Kindes zu ermitteln, falls die Mutter seinen Namen verschweigt oder mit mehreren Partnern zum Zeitpunkt der Empfängnis verkehrte. So bleibt er in vielen Fällen unbekannt, da weder ein materielles noch ein ideelles Interesse des Kindes (oder der Öffentlichkeit) an seiner Ermittlung gesehen wird. Aus der Bundesrepublik Deutschland ist nur ein Gerichtsurteil bekannt (Entscheidung des OLG Celle vom 8.7.1980), in dem nach einer Adoption die Fortsetzung des Verfahrens zur Vaterschaftsfeststellung angeordnet wurde. Dabei ging es aber nicht darum, ein natürliches Recht oder Interesse des Kindes auf Feststellung seiner Abstammung zu gewährleisten, sondern vielmehr um die Zahlung rückständigen Unterhalts. Die nachträgliche Vaterschaftsfeststellung wurde von dem Gericht aber auch für sinnvoll gehalten, da nach vollzogener Adoption rechtliche Restbeziehungen zu den leiblichen Eltern weiterbestehen: "So lebe im Falle einer Aufhebung der Adoption das ursprüngliche Verwandtschaftsverhältnis mit unterhalts- und erbrechtlichen Folgen wieder auf (§1764 III BGB). Auch das Ehehindernis der Verwandtschaft werde durch die Adoption nicht tangiert (§4 I EheG). Schließlich beziehe sich das Zeugnisverweigerungsrecht der §§383 I Nr. 3 ZPO und 52 I Nr. 3 StPO ausdrücklich auch auf leibliche Verwandte des Adoptivkindes" (Frank 1988, S. 117).

Die zuvor skizzierte, in den 1920-er Jahren dieses Jahrhunderts entstandene Auffassung der Adoption wird seit mehr als zwei Jahrzehnten zunehmend in Frage gestellt. Zum einen werden immer häufiger "offene" Adoptionen gefordert, bei denen mehr oder minder viel Kontakt zwischen leiblichen Eltern und Adoptivfamilie besteht. Es wird erwartet, dass diese Adoptionsformen u.a. Identitätskonflikte bei Adoptivkindern verhindern und leiblichen Eltern die Verarbeitung der Freigabeentscheidung erleichtern (Textor 1988, 1989). Die Tendenz hin zu mehr Offenheit wurde aber auch dadurch gefördert, dass immer mehr ältere und ausländische Kinder adoptiert werden, bei denen sich die Tatsache der Adoption nicht mehr geheim halten lässt. Zum anderen bestehen immer mehr erwachsene Adoptierte auf ihrem Recht, umfassende Informationen über ihre Herkunft zu erhalten und unter Umständen ihre leiblichen Eltern kennenzulernen. Motiviert durch die "Civil-Rights"-Bewegung und das zunehmende Interesse an genealogischer Forschung schlossen sich z. B. ab den 1950-er Jahren viele adoptierte Amerikaner zusammen, um ihr "Grundrecht" auf Kenntnis der eigenen Herkunft durchzusetzen und Zugang zu den versiegelten Originalgeburtsurkunden zu erlangen. Sie fühlten sich minderwertig, als Bürger zweiter Klasse und in ihrer Identitätsentwicklung behindert (Triseliotis 1980, Feigelman/Silverman 1983).

Diese Bewegung breitete sich auch auf andere Staaten aus. Sie führte zu einer Reflexion der Adoptionspraxis und zu einer Reihe wissenschaftlicher Untersuchungen (s. u.). Es wurde deutlich, dass das Wissen um die Herkunft für die psychische Entwicklung von Adoptierten wichtig ist. Auch gewann man ein besseres Verständnis von ihren Bedürfnissen und Wünschen. Dieses schlug sich in der UN-Erklärung über "soziale und rechtliche Grundsätze betreffend Schutz und Wohlfahrt von Kindern mit besonderer Berücksichtigung von Familienpflege und Adoption, national und international" vom 3. 12. 1986 nieder. Art. 9 lautet: "Das Bedürfnis eines Pflege- oder Adoptivkindes nach Information über seine Herkunft soll von den für Pflege und Erziehung eines Kindes Verantwortlichen anerkannt werden, es sei denn, dieses steht im Widerspruch zum Wohl des Kindes" (zitiert nach Baer 1987). Folglich wurde z. B. in England, Neuseeland und vielen Staaten der USA durch Gesetzesänderungen der Zugang zu den Originalgeburtsurkunden ermöglicht. Dabei waren oft große Widerstände zu überwinden: Adoptierten wurde ein "natürliches Recht" auf Kenntnis ihrer Herkunft abgesprochen; es wurde befürchtet, dass sie ihre Adoptiveltern verlassen bzw. eine enge Beziehung zu den leiblichen Eltern entwickeln würden oder dass sie an der Blutsverwandtschaft leiden und diese verachten könnten; man nahm an, dass viele biologische Eltern ihre Kinder nicht mehr zur Adoption freigeben würden, wenn ihre Anonymität nicht mehr gewährleistet sei; es wurde für unfair und ungerecht gehalten, dass leiblichen Eltern im Gegensatz zu Adoptierten nicht auch die Möglichkeit eingeräumt wurde, ihre Kinder wiederzusehen. Auch hielt man es für einen Vertragsbruch, Adoptierten durch die Freigabe identifizierender Informationen die Kontaktaufnahme mit den leiblichen Eltern zu ermöglichen, denen lebenslang Anonymität zugesichert worden sei - worauf Adoptierte entgegneten, dass sie bei der Einigung über die Inkognitoadoption keine Vertragspartei gewesen seien und deshalb an eine derartige Vereinbarung nicht gebunden seien (Triseliotis 1980, Feigelman/Silverman 1983, Frank 1988, Hassenstein 1988).

In der Bundesrepublik Deutschland können Adoptierte ab dem 16. Lebensjahr eine Abstammungsurkunde mit den Namen der leiblichen Eltern beantragen, sofern sie diese nicht von ihren Adoptiveltern erfahren haben. Ab dem 18. Lebensjahr können sie ferner Einblick in ihre Adoptionsakte beim Vormundschaftsgericht nehmen. Auch können sie sich zwecks der Ermittlung weiterer Informationen an die Adoptionsvermittlungsstelle wenden, die ihre Adoption durchgeführt hat. Die auf diese Weise gewonnenen Kenntnisse reichen in der Regel aus, um mit etwas Spürsinn die gegenwärtigen Adressen der leiblichen Eltern ausfindig zu machen und unter Umständen mit ihnen Kontakt aufzunehmen.

Das Interesse an den eigenen Wurzeln

Die meisten Adoptierten besitzen nur wenige Informationen über ihre leiblichen Eltern - und so gut wie keine über Großeltern, Geschwister und andere Verwandte. Die Adoptiveltern haben in der Regel von den Adoptionsvermittlern nur wenige Angaben über die Herkunft ihrer Kinder bei deren Übergabe erhalten und diese zum Teil aufgrund des mit der Platzierung verbundenen Stresses oder im Verlauf der Zeit vergessen. Oft betreiben sie auch eine gewisse Informationspolitik, so dass ihre Aussagen gegenüber dem Adoptivkind variieren oder Informationen aus anderen Quellen widersprechen mögen. In vielen Familien sind auch die Themen "Adoption" und "leibliche Eltern" tabuisiert (Kirk 1981, Hoffmann-Riem 1984, Knoll/Rehn 1984/85). So beschäftigen sich zum einen viele Adoptierte in ihrer Phantasie intensiv mit ihrer Herkunft. Zum anderen nimmt ein kleiner Teil von ihnen Kontakt zu Jugendämtern und anderen Behörden auf, um Informationen über ihre leiblichen Verwandten und die Umstände ihrer Adoption einzuholen. Wie groß dieser Anteil ist, lässt sich für die Bundesrepublik Deutschland derzeit nicht bestimmen. In Großbritannien wird nach verlässlichen Hochrechnungen von 7 bis 15% aller Adoptierten ausgegangen (Triseliotis 1984).

Adoptierte stellen aus einer Vielzahl von Gründen Nachforschungen nach ihren leiblichen Verwandten an: Manche sind an medizinischen und erbbiologischen Informationen interessiert, andere wollen sich ein Bild von dem Aussehen und der Persönlichkeit der leiblichen Eltern machen oder die Umstände ihrer Adoption (insbesondere die Freigabegründe) erfahren. Einige sind nur an bestimmten Fakten interessiert, andere möchten Eltern und/oder Geschwister persönlich kennenlernen. Tiefer liegende Gründe für die Nachforschungen können in den Identitätskonflikten vieler Adoptierter liegen. Sie möchten einerseits zu einer festen persönlichen Identität gelangen und andererseits sich sozial platzieren. Dazu ist notwendig, dass sie Lücken in ihrem Wissen um die eigene Herkunft schließen, Kontinuität zwischen Gegenwart und Vergangenheit herstellen sowie ein Gefühl der genealogischen Zugehörigkeit gewinnen (Picton 1982, Haimes/Timms 1985, Kowal/Schilling 1985).

Obwohl das Interesse an der eigenen Herkunft schon in der Kindheit erwacht und in der Jugend besonders stark ausgeprägt ist(s. z. B. Hoffmann-Riem 1984, Ebertz 1987, Keller-Thoma 1987), beginnen Adoptierte mit ihren Nachforschungen zumeist erst im Erwachsenenalter. In Großbritannien, wo alle Anfragen zentral bearbeitet werden, sind die meisten Antragsteller zwischen 25 und 35 Jahre alt und bereits verheiratet; ähnliche Angaben liegen auch aus den USA vor (Day 1983, Leeding 1983, Kowal/Schilling 1985). Nach verschiedenen Forschungsergebnissen wurde ein großer Teil von ihnen sehr spät, auf traumatische Weise oder durch Dritte über ihren Status als Adoptivkinder aufgeklärt (Triseliotis 1973, Day 1983, Kowal/Schilling 1985). Auch haben die meisten (Vergleichs-) Untersuchungen ergeben, dass die Beziehung zwischen "suchenden" Adoptierten und ihren Eltern relativ schlecht ist und erstere den Adoptionserfolg weniger positiv beurteilen als andere Adoptierte (Sobol/Cardiff 1983, Aumend/Barrett 1984). Häufig wird auch von einem negativen Selbstbild, starken Identitätskonflikten und Problemen in der Kindheit aufgrund des Adoptivstatus berichtet (a.a.O., Triseliotis 1973, 1984).

Nur wenige Adoptiveltern unterstützen aktiv die Nachforschungen ihrer jugendlichen oder erwachsenen Kinder. Die meisten reagieren auf deren Interesse an der eigenen Herkunft mit Angst, Wut, Ablehnung und Kritik. So informieren viele Adoptierte ihre Eltern nicht über ihre Nachforschungen oder warten, bis diese verstorben sind. Sie sind in der Regel aber auch bereit, auf die leiblichen Eltern Rücksicht zu nehmen. So wollen die wenigsten sie mit einem unangemeldeten Besuch "überraschen" (Sorosky/Baran/Pannor 1982, Haimes/Timms 1985).

Anzumerken ist, dass auch manche leiblichen Eltern ihr ganzes Leben lang ein Bedürfnis nach Informationen über ihr zur Adoption freigegebenes Kind verspüren. Selbst lange nach der Menopause haben sie es noch nicht vergessen und möchten wissen, was aus ihm geworden ist. Viele möchten ihm gerne sagen, dass sie immer an es gedacht und sich um sein Wohl gesorgt haben. Bei manchen ist der Wunsch nach Kontakt so stark, dass sie aktiv nach dem Kind suchen und trotz großer Enttäuschungen und Frustrationen jahrelang bei ihren Nachforschungen beharren. Jedoch betrachten nahezu alle "suchenden" leiblichen Eltern die Adoptiveltern als die eigentlichen Eltern, sind ihnen dankbar, wollen ihr Leben nicht stören und sie nicht unglücklich machen. So halten sie es auch für unwahrscheinlich, dass mehr als eine freundschaftliche Beziehung zwischen ihnen und dem Kind entstehen könnte (Baran/Pannor/Sorosky 1974, Pannor/Baran/Sorosky 1978, Deykin/Campbell/Patti 1984, Lindsay/McGarry 1984).

Lernen Adoptierte ihre leiblichen Eltern kennen, so bleibt es zumeist bei ein bis zwei Treffen. In vielen Fällen wird aber auch ein lockerer Kontakt zwischen beiden Seiten aufrechterhalten; nur sehr selten kommt es zur Ausbildung einer engen Beziehung. Die Adoptierten erleben ein Zusammentreffen in der Regel positiv, sind anschließend glücklicher und leiden weniger unter Identitätskonflikten. Auch verbessert sich zumeist die Beziehung zu den Adoptiveltern, da die Adoptierten sich der Tiefe ihrer emotionalen Bande bewusst werden. Nur in Einzelfällen wird sie nachhaltig geschädigt (Triseliotis 1973, 1980, 1984, Sorosky/Baran/Pannor 1982, Depp 1983, Haimes/Timms 1985).

Konsequenzen für die Sozialarbeit

Als Konsequenz aus den genannten Forschungsergebnissen ergibt sich, dass Adoptionsvermittler auch "suchende" Adoptierte als ihre Klienten betrachten sollten. Nach britischen Erfahrungen ist für Adoptierte, die nur Informationen über ihre Herkunft (aber keine Kontaktaufnahme) wünschen, in der Regel mehr als ein Gespräch von 30 bis 60 Minuten Länge anzusetzen. Es bietet sich an, zunächst danach zu fragen, welche Informationen die Adoptierten bereits besitzen. Dann kann abgeklärt werden, welche Auskünfte sie haben wollen und ob sie die möglichen Folgen durchdacht haben, die diese auf ihr Leben haben könnten (was sie nach britischen Erfahrungen in der Regel getan haben). Es sollten nur die gewünschten Fakten gegeben werden - es ist nicht sinnvoll, die Adoptierten mit zusätzlichen Daten zu überschütten, da sie Zeit zum Verarbeiten der bereits erhaltenen benötigen. Besser ist, ihnen einen weiteren Gesprächstermin anzubieten (Triseliotis 1980, Haimes/Timms 1985).

Generell sollten keine Informationen zurückgehalten werden, da die meisten Adoptierten die ganze Wahrheit wissen wollen und diese auch ertragen können. Dennoch ist es laut einer Befragung von zuständigen Sozialarbeitern an 110 britischen Gebietskörperschaften belastend und schwer zu entscheiden, welche und wie viel Informationen aus der Adoptionsakte gegeben werden sollen, insbesondere wenn sie das Selbstwertgefühl der Adoptierten verletzen oder die leiblichen Eltern schädigen könnten (z. B. Angaben über Verwahrlosung, Misshandlung, Inzest, Prostitution). Einige Sozialarbeiter sprechen auch den biologischen Eltern ein Recht auf Schutz der Privatsphäre zu. So behalten sie bestimmte Fakten für sich (Haimes/Timms 1985).

Wenn aufgrund der Aktenlage möglich, können durch detaillierte Informationen die leiblichen Eltern zum Leben erweckt werden. Oft benötigen Adoptierte Hilfe beim Verarbeiten der durch manche dieser Fakten hervorgerufenen Gefühle. So verbinden einige erst jetzt Adoption mit Nichtehelichkeit und schämen sich ihrer Herkunft. Für andere ist schwer zu verarbeiten, dass sie ehelich geboren wurden. Insbesondere wenn sie eigene Kinder haben, ist es für sie kaum zu verstehen, dass verheiratete Eitern ein Kind zur Adoption freigeben. Sie fühlen sich unerwünscht und ungeliebt. Manche Adoptierte sind auch sehr enttäuscht, wenn sie feststellen, dass die leiblichen Eltern nicht die gut aussehenden, gebildeten oder gar adligen Personen ihrer Phantasie sind, und schämen sich vor ihrem Ehepartner und anderen Familienmitgliedern. In derartigen und ähnlichen Fällen ist es notwendig, den Adoptierten die Gelegenheit zum Ausdruck von Gefühlen und Ängsten zu bieten, ihnen die Freigabegründe und Motive der leiblichen Eltern zu verdeutlichen, Verständnis für sie zu wecken und auch allgemein über Adoption zu informieren. Dasselbe gilt, wenn Adoptierte unter starken Schuldgefühlen gegenüber ihren Adoptiveltern leiden, weil sie ihre Nachforschungen als disloyal erleben. In derartigen Fällen sind vielfach weitere Beratungsgespräche angezeigt (Triseliotis 1980, Haimes/Timms 1985, HMSO 1987).

Adoptierte, die mit ihren leiblichen Eltern zusammentreffen wollen, benötigen in der Regel eine intensivere Unterstützung. Zunächst ist sinnvoll, nach ihren Motiven zu fragen und diese zu besprechen. Dann kann gemeinsam über die möglichen Ergebnisse und Folgen der Suche diskutiert werden, wobei auch das voraussichtliche Verhalten der Adoptierten gegenüber den leiblichen Eltern ermittelt werden sollte, um diese notfalls vor psychisch gestörten oder rachsüchtigen Personen bewahren zu können - ihr Schutz ist letztlich jedoch nicht zu gewährleisten, da einerseits in der kurzen Zeit die Persönlichkeit der Adoptierten nicht angemessen erfasst werden kann und andererseits diese nicht auf die Hilfe des Adoptionsvermittlers angewiesen sind. Immerhin können den Betroffenen in derartigen Fällen aber weitere Beratungsgespräche angeboten werden (a.a.O.).

Laut einer Befragung bei 110 britischen Gebietskörperschaften helfen die meisten Sozialarbeiter suchenden Adoptierten, indem sie alle offiziellen Urkunden besorgen. Einige sind weniger hilfsbereit und betonen das Recht der leiblichen Eltern auf Schutz und Privatsphäre. Eine dritte (kleine) Gruppe unterstützt die Nachforschungen besonders aktiv, wobei sie vereinzelt Schwierigkeiten mit Vorgesetzten aufgrund des benötigen Zeitaufwandes erlebt (Haimes/Timms 1985). Es dürfte jedoch nicht sinnvoll sein, wenn Adoptionsvermittler den Adoptierten die ganze Suche abnehmen, da es deren Angelegenheit und eine Frage der Stärke ihrer Motivation ist. Die Adoptierten sollten auch über ihre Nachforschungen die Kontrolle behalten und sie jederzeit abbrechen können. Dieses Recht muss manchmal gegenüber Dritten (Ehepartnern, Adoptiveltern) betont werden (a.a.O., Stafford 1985).

Die Suche nach den leiblichen Eltern bedeutet, von minimalen Informationen auszugehen, die mindestens 16 Jahre alt sind. So ist es sinnvoll, den Adoptierten zu raten, zwecks Vermeidens von doppelter Arbeit über ihre Nachforschungen Buch zu führen. Adoptierte können bei der Suche nach der gegenwärtigen Anschrift ihrer leiblichen Eltern wie alle Bürger bei jedem Einwohnermeldeamt eine einfache Meldeauskunft (bestehend aus Familienname, Vorname. akademische Grade, Adresse und - falls verzogen - neue Anschrift) erhalten. Gibt es jedoch mehrere Personen mit demselben Namen. so ist eine Auskunft nur möglich, wenn die jeweilige Person genau bezeichnet werden kann - was Adoptierten schwerfallen könnte. Eine erweiterte Meldeauskunft, die mehr Daten enthält, wird ihnen in der Regel nicht gegeben. da sie die Voraussetzungen (Glaubhaftmachen eines rechtlichen oder berechtigten Interesses nicht erfüllen dürften. Adoptionsvermittler, die bei einer Behörde angestellt sind, können jedoch Auskunft über alle im Melderegister gespeicherten Daten sowie über die von den Standesämtern geführten Personenstandsurkunden erhalten, sofern sie den Zweck angeben und im Rahmen ihrer Zuständigkeit handeln (Stafford 1985, Palm 1989).

Führen diese Wege nicht zum Erfolg, so stehen als Hilfsmittel für die Suche beispielsweise Adressbücher, Telefonbücher oder Mitgliederlisten von Berufsverbänden zur Verfügung. Wohnen noch Personen in der Straße, die früher Nachbarn der leiblichen Eltern waren, kann man bei ihnen nachfragen, wohin diese verzogen sind. Lebten die biologischen Eltern in einer Sozialwohnung, kann im Einzelfall das Wohnungsamt die neue Anschrift haben. Falls trotz aller Bemühungen der Verbleib der leiblichen Eltern nicht festgestellt werden kann, können die Nachforschungen auf deren Geschwister oder auf Neffen und Nichten ausgedehnt werden (Triseliotis 1980, Stafford 1985).

Wurde die gegenwärtige Anschrift der leiblichen Eltern ermittelt, so werden Adoptionsvermittler (oder Dritte) vielfach von den Adoptierten um Herstellung des ersten Kontakts gebeten, da diese ihre Verwandten nicht überraschen, erschrecken oder verletzen wollen. Es handelt sich hier um eine schwere Aufgabe, die oft Angst hervorruft und sehr viel Taktgefühl verlangt. Nach einer bereits mehrfach erwähnten Studie (Haimes/Timms 1985) schreiben die meisten Vermittler einen Brief an die leiblichen Eltern. Dieser wird vielfach so abgefasst, dass dritten Personen der Inhalt unklar bleibt - für den Fall, dass der Elternteil seine Familienmitglieder über die Freigabe eines Kindes zur Adoption nicht informiert hat. Bei einer schriftlichen Anfrage haben die leiblichen Eltern auch mehr Zeit, sich von einem eventuellen Schock zu erholen und sich vor unerwünschten Folgen zu schützen (z. B. durch Vereinbarung eines geheimen Treffens mit den Adoptierten). Vereinzelt werden Adoptionsvermittler auch gebeten, beim ersten Kontakt dabei zu sein. Nach dem Zusammentreffen benötigen dann manche Adoptierte und leibliche Eltern Hilfe beim Verarbeiten ihrer Gefühle. Oft sind sie auch enttäuscht, wenn sich Erwartungen nicht erfüllt haben oder die Beziehung wieder abgebrochen wird. Verweigern die leiblichen Eltern ein persönliches Kennenlernen, so muss vielfach dem Adoptierten geholfen werden, deren Motive zu verstehen und Gefühle der Wut, Enttäuschung und Zurückweisung zu verarbeiten (a.a.O., Lindsay/McGarry 1984, Baer 1988).

Vereinzelt sind auch Beratungsgespräche mit den Adoptiveltern sinnvoll. Dann können ihre Ängste und Befürchtungen abgeklärt, die intensiven Bedürfnisse suchender Adoptierter verdeutlicht und zu erwartende positive Konsequenzen für den Adoptierten und die Adoptiveltern herausgestellt werden (Baran/Pannor/Sorosky, 1974, Sorosky/Baran/Pannor 1982). DiGuilio (1979) entwickelte einen Kurs, der generell allen Adoptiveltern offen stand. In fünf Gruppentreffen wurde allgemein über suchende Adoptierte, die Bedeutung der Nachforschungen, die Rolle der leiblichen Eltern und die Gefühle der Adoptiveltern diskutiert. Bei einem Treffen referierte eine Adoptierte über ihre Suche, bei einem anderen wurde ein von einer leiblichen Mutter besprochenes Tonband abgespielt. Nach Beendigung des Seminars hatten die Adoptiveltern mehr Verständnis für das Interesse der Adoptivkinder an ihrer Herkunft.

Zum Schluss noch einige Worte zum Umgang mit leiblichen Eltern, die ihr vor langer Zeit zur Adoption freigegebenes Kind wiedersehen wollen: Entsprechend dem Offenbarungs- und Ausforschungsverbot des §1758 BGB ist seitens aller amtlichen Stellen ihnen gegenüber die Anonymität der Annehmenden und des Kindes zu wahren. Somit ist ihnen der Zugang zu identifizierenden Angaben über die Adoptivfamilie und zu den ihr Kind betreffenden Adoptionsakten, Gerichtsakten und Personenstandsurkunden verwehrt - es sei denn, die Adoptiveltern und ggf. das Kind sind damit einverstanden, da bei ihnen allein das Verfügungsrecht über die Adoptionsumstände ruht. Auf dem Rechtsweg ist ein Durchbrechen der Anonymität gegen den Willen der Annehmenden nur in sehr seltenen Fällen möglich, wenn besondere Gründe des öffentlichen Interesses dies erfordern (Happe 1985). Werden also Adoptionsvermittler von suchenden leiblichen Eltern um identifizierende Informationen gebeten, müssen sie entweder das Einverständnis der Adoptiveltern und ggf. des Adoptierten einholen oder den Wunsch zur Akte nehmen, so dass er dem Adoptierten zu einem späteren Zeitpunkt (wenn dieser z. B. volljährig ist oder selbst Nachforschungen anstellt) mitgeteilt werden kann (Lindsay/McGarry 1984). Es ist sinnvoll, in diesen Fällen den leiblichen Eltern eine Beratung anzubieten, da sie oft unter psychischen Problemen leiden (Textor o. J.).

Quelle

Aus: Zentralblatt für Jugendrecht 1990, 77, S. 10-14

Literatur

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