Vernetzung von Kindertageseinrichtungen mit psychosozialen Diensten - ein vernachlässigter Aufgabenbereich von Jugendämtern?

Martin R. Textor

 

In den letzten Jahrzehnten erfolgten eine Expansion und Ausdifferenzierung von Jugendhilfeeinrichtungen und anderen psychosozialen Diensten, die für Familien relevant sind. Auch vergrößerte sich die Zahl von Selbsthilfegruppen und -organisationen. Zugleich entstanden viele neue Arbeitsformen für den Umgang mit Klient/innen und ihren Problemen. Das entstandene System ganz unterschiedlicher Hilfsangebote und Akteure ist sowohl für potentielle Klient/innen als auch für Fachleute unüberschaubar geworden. Diese Situation ist kaum noch zu verantworten. So gibt es erste Versuche, der Problematik abzuhelfen: Zum einen werden beispielsweise Beratungsführer für Hilfesuchende erstellt oder Bürgerbüros als zentrale Anlaufstellen eingerichtet. Zum anderen wird versucht, Jugendhilfeeinrichtungen und andere psychosoziale Dienste miteinander zu vernetzen, so dass die Mitarbeiter/innen wissen, was die Kolleg/innen in anderen Institutionen für Aufgaben haben und welche (sozial-/ heil-) pädagogischen, psychologischen oder sonstigen Arbeitsformen sie einsetzen. Auf diese Weise soll auch sichergestellt werden, dass Hilfesuchende direkt an die richtige Stelle vermittelt werden.

Für Vernetzungsaktivitäten gibt es noch eine ganze Reihe weiterer Gründe bzw. Ziele: die aus der Lebenswelt- und Gemeinwesenorientierung der sozialen Arbeit resultierende Notwendigkeit einer umfassenden Sichtweise (Verknüpfung verschiedener Perspektiven), die Komplexität der Notlagen vieler Klient/innen mit der Folge der Indikation verschiedener Maßnahmen durch mehrere psychosoziale Dienste, das Bestreben nach wechselseitiger Ergänzung der Tätigkeit verschiedener Organisationen, das Erzielen von Synergieeffekten, die ressortübergreifende soziale Planung, der Wunsch Betroffener nach Partizipation und Mitbestimmung, die Schaffung strategischer Bündnisse in einer Zeit abnehmender Bedeutung von Jugendhilfe- und Familienpolitik sowie immer knapper werdender Mittel, das Streben nach Einmischung in andere Politikbereiche im Sinne des § 1 Abs. 3 Nr. 4 SGB VIII, die effizientere Mittelverwendung, die gemeinsame Nutzung von Ressourcen, die Sicherstellung eines Qualitätsstandards u.v.a.m. (vgl. Langnickel 1997). All dies bedingt die Notwendigkeit einer intensiveren Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Jugendhilfeeinrichtungen und psychosozialen Diensten, zwischen freien und öffentlichen Trägern.

Eine solche Vernetzung umfasst ganz unterschiedliche Aktivitäten, Sie können bilateral erfolgen - entweder aus der Initiative einzelner Mitarbeiter/innen oder der Leiter/innen zweier psychosozialer Dienste heraus. Sie können aber auch mehrere Einrichtungen einbeziehen. Hierzu werden in der Regel Arbeitsgruppen oder ständige (Fach-, Mitarbeiter-, Stadtteil-, überregionale) Konferenzen gegründet. Die entstandene Vernetzung kann aktualisiert oder latent sein - im ersten Fall erfolgt eine (kontinuierliche) Zusammenarbeit, im zweiten Fall kommt diese erst bei (einem erneuten) Bedarf zustande.

Eine besondere Verantwortung für die Vernetzung kommt laut dem Kinder- und Jugendhilfegesetz den Jugendämtern zu. Dies lässt sich z.B. aus den §§ 79 (Gesamtverantwortung der Träger der öffentlichen Jugendhilfe) und 81 SGB VIII (Zusammenarbeit der Träger der öffentlichen Jugendhilfe mit Schulen, Einrichtungen des öffentlichen Gesundheitsdienstes, der Polizei, der Justizvollzugsbehörden usw.) folgern. Besonders relevant ist § 78 SGB VIII: "Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe sollen die Bildung von Arbeitsgemeinschaften anstreben, in denen neben ihnen die anerkannten Träger der freien Jugendhilfe sowie die Träger geförderter Maßnahmen vertreten sind. In den Arbeitsgemeinschaften soll darauf hingewirkt werden, dass die geplanten Maßnahmen aufeinander abgestimmt werden und sich gegenseitig ergänzen." Auch dem Jugendhilfeausschuss (§ 71 SGB VIII) kommen Vernetzungsfunktionen zu.

Inzwischen gibt es vielerorts psychosoziale Arbeitskreise, Stadtteilkonferenzen und andere Arbeitsgemeinschaften, die der Vernetzung von Jugendhilfeeinrichtungen und anderen psychosozialen Diensten dienen. Jedoch sind Kindertagesstätten nur selten vertreten, wozu sicherlich ihr "Zwittercharakter" beiträgt - sie sind sowohl Teil des Bildungswesens (Elementarbereich) als auch des Jugendhilfesystems (§§ 22 ff. SGB VIII). Die mangelnde Einbindung von Kindertagesstätten in Vernetzungsaktivitäten bzw. Jugendhilfenetzwerke ist aus mehreren Gründen unverständlich:

  1. Tageseinrichtungen für Kinder bilden den bedeutendsten Bereich der Jugendhilfe: Beispielsweise machten sie am 31.12.1994 genau zwei Drittel aller 70.821 Jugendhilfeeinrichtungen aus, waren zwei Drittel aller 549.293 Beschäftigten der Jugendhilfe in ihnen tätig (Statistisches Bundesamt 1996). Es ist verwunderlich, dass ein so großer Bereich der Jugendhilfe bei Vernetzungsaktivitäten weitgehend unberücksichtigt bleibt.
  2. Kindertagesstätten sind die einzigen Jugendhilfeeinrichtungen, die mit allen Familien in Kontakt kommen, in denen Kinder zwischen drei und sechs Jahren leben, aber auch mit vielen Familien mit jüngeren und älteren Kindern. Damit sind sie prädestiniert für präventive Angebote, also z.B. in den Bereichen des erzieherischen Kinder- und Jugendschutzes (§ 14 SGB VIII), der Familienbildung (§ 16 Abs. 2 Nr. 1 SGB VIII) und der Beratung in allgemeinen Fragen der Erziehung und Entwicklung von Kindern (§ 16 Abs. 2 Nr. 2 SGB VIII).
  3. Erzieher/innen haben ein unbelastetes und sehr positives Verhältnis zu Eltern - im Gegensatz zu Mitarbeiter/innen anderer Jugendhilfeeinrichtungen. Auch genießen ihre Angebote für Eltern eine hohe Wertschätzung. Beispielsweise ergab eine aktuelle Umfrage bei 1.067 "Kindergarteneltern" aus Niederbayern (Textor 1997a), dass diese den Kontakt zu den Erzieher/innen mit der Durchschnittsnote 1,56 beurteilten. Die 46 ausgewerteten Angebote der Elternarbeit wurden nach sieben Kriterien mit der Durchschnittsnote 2,14 bewertet. Man kann somit davon ausgehen, dass Erzieher/innen zum einen in hohem Maße das Vertrauen der Eltern genießen und häufig sehr frühzeitig von deren Problemen und Erziehungsschwierigkeiten erfahren und dass sie zum anderen durch ihre Angebote der Elternarbeit einen großen Einfluss auf die Familienerziehung ausüben können.
  4. Erzieher/innen beraten Eltern in Erziehungsfragen und vermitteln sie an Jugendhilfeeinrichtungen weiter. Beispielsweise ergab eine Pilotstudie (Textor 1992), dass rund die Hälfte der befragten 269 Eltern mit den Fachkräften über Erziehungsfragen sprach; 58% von ihnen erlebten die Gespräche als hilfreich, weitere 38% zumindest als etwas hilfreich. Ferner wurden 13% der Eltern auf Hilfsangebote anderer psychosozialer Dienste aufmerksam gemacht; mehr als 82% von ihnen suchten die jeweilige Einrichtung auf. Hier wird deutlich, dass Kindertagesstätten schon jetzt eine wichtige Rolle als Vermittler von Maßnahmen der Jugendhilfe zukommt. Sie kooperieren allerdings überwiegend mit Erziehungsberatungs- und Frühförderstellen - eine bessere Vernetzung könnte zu einer Ausweitung des Kreises der Kooperationspartner führen.
  5. Nach verschiedenen Untersuchungen und Befragungen (zusammengefasst bei Mayr 1997) sind mindestens 13% der Kinder in Kindertageseinrichtungen verhaltensauffällig, leiden 10% unter Teilleistungsschwächen und weisen mindestens 15% Sprech- und Sprachstörungen auf. Da viele dieser Auffälligkeiten im Kleinkindalter noch nicht verfestigt sind, können sie mit einem weitaus geringeren Aufwand als bei älteren Kindern behoben werden. Eine bessere Vernetzung von Kindertagesstätten mit Jugendhilfeeinrichtungen würde frühzeitige Interventionen erleichtern.

Es sollte somit unbedingt eine stärkere Einbindung von Kindertagesstätten in das gesamte Jugendhilfesystem erfolgen; ihnen sollte ein zentraler Platz im Netzwerk der Jugendhilfeeinrichtungen zukommen. Dies hätte nicht nur positive Konsequenzen für Familien und Kinder wie z.B. eine bessere Prävention, eine frühzeitige Intervention und die Erschließung von Ressourcen in der Gemeinde, sondern auch für Erzieher/innen, die sich bei Problemen mit Kindern und Eltern leichter entlasten könnten. Jugendhilfeeinrichtungen und andere psychosoziale Dienste würden auf direkterem Wege ihre Klientel erhalten und könnten wahrscheinlich mit geringeren Kosten arbeiten, wenn dies sehr früh geschieht - also Verhaltensauffälligkeiten und Entwicklungsverzögerungen von Kindern oder Familienprobleme noch nicht chronisch (also leichter zu beheben) sind.

Ergebnisse einer Jugendamtsleiterbefragung

Da Jugendämter die Gesamtverantwortung für die Jugendhilfe und damit auch für die Einbindung von Kindertagesstätten in diesen Bereich tragen, wurde 1997 zu Beginn des von mir verantworteten Projekts "Vernetzung von Kindertageseinrichtungen mit psychosozialen Diensten" (Textor 1997b) eine Umfrage bei allen 96 bayerischen Kreis- und Stadtjugendämtern durchgeführt. Es antworteten 66 Jugendämter; dies entspricht einer Rücklaufquote von 69%. Nur 5% beurteilten den Stand der Vernetzung der Kindertagesstätten mit anderen Jugendhilfeeinrichtungen - wobei das Jugendamt ausgenommen wurde - in ihrem Jugendamtsbezirk als "gut" und weitere 40% als "befriedigend"; 20% antworteten mit "ausreichend" und 9% mit "mangelhaft". Überraschend ist, dass weitere 26% keine Bewertung vornahmen, weil der Stand der Vernetzung nur schwer zu beurteilen sei - was m.E. in Widerspruch zu ihrer Gesamtverantwortung für die Jugendhilfe steht (§ 79 SGB VIII). Bei 62% der Jugendämter waren Mitarbeiter/innen von Kindertageseinrichtungen nicht als Mitglieder im Jugendhilfeausschuss vertreten - obwohl sie die weitaus größte Gruppe unter den Jugendhilfefachkräften bilden (s.o.).

Bei dieser Umfrage interessierte besonders die Vernetzung der Jugendämter mit Kindertageseinrichtungen. Zunächst ist auffallend, dass diese von den Jugendämtern viel positiver beurteilt wurde als diejenige der Kindertagesstätten mit anderen Jugendhilfeeinrichtungen. So antworteten 23% der Jugendamtsleiter/innen auf die entsprechende Frage mit "gut" und 36% mit "befriedigend", immerhin aber auch 30% mit "ausreichend" und 8% mit "mangelhaft" (3% wählten die Vorgabe "kann ich schwer beurteilen").

Eine genauere Betrachtung der Vernetzung ergibt aber, dass sich diese überwiegend auf die "klassischen" Aufgaben der Jugendämter beschränkt, nämlich auf Aufsicht und finanzielle Förderung von Kindertageseinrichtungen. So beurteilten Jugendamtsleiter/innen den allgemeinen Kontakt ihres Amtes zu Kindertageseinrichtungen in den letzten 12 Monaten auf einer Fünf-Punkte-Skala (1 = nie, 5 = sehr oft) wie folgt:

  • im Rahmen der Aufsicht: 3,59 Punkte,
  • wegen Fragen der Förderung/ Finanzierung: 3,39 Punkte,
  • durch Zusendung von Informationsmaterial: 2,86 Punkte,
  • durch Dienstbesprechungen (mit mehreren Kindertageseinrichtungen): 2,59 Punkte,
  • wegen besonderer Aktionen des Jugendamtes (z.B. Jugendschutz, Medienerziehung, Suchtprävention): 2,34 Punkte,
  • im Rahmen der Jugendhilfeplanung: 2,27 Punkte,
  • durch Fortbildungsveranstaltungen für Erzieher/innen: 2,11 Punkte,
  • durch Teilnahme an Arbeitskreisen/ -gemeinschaften: 2,06 Punkte,
  • im Rahmen von Elternveranstaltungen: 1,74 Punkte,
  • wegen Supervision: 1,20 Punkte sowie
  • durch Erstellen von Beiträgen zu Elternbriefen u.Ä.: 1,17 Punkte.

Dies zeigt deutlich, dass sich der allgemeine Kontakt von Jugendämtern zu Kindertageseinrichtungen auf drei bis vier Bereiche beschränkt; ansonsten wurden Punktwerte erzielt, die für "nie/ selten" stehen. Das wird noch deutlicher, wenn man die Antworten auf die Frage "Bitte schätzen Sie: In welchem Umfang haben in den letzten 12 Monaten Vertreter/innen Ihres Jugendamtes - über Einzelfälle hinaus - allgemeine Besprechungen mit Mitarbeiter/innen von Kindertageseinrichtungen geführt?" betrachtet:

  • wegen pädagogischer Fragen: 2,19 Punkte,
  • generell wegen Umgang mit "Problemkindern": 2,06 Punkte,
  • generell wegen Umgang mit "Problemfamilien": 2,00 Punkte,
  • zur Weiterqualifizierung des Personals: 1,89 Punkte,
  • wegen Konzeptionserstellung: 1,88 Punkte sowie
  • wegen Teamkonflikten/ -problemen: 1,50 Punkte.

Dies zeigt, dass es nie oder nur selten zu intensiveren Interaktionen zwischen Jugendamtsmitarbeiter/innen und Erzieher/innen kam, bei denen es um die pädagogische, heilpädagogische, beratende und hilfevermittelnde Tätigkeit von Kindertageseinrichtungen ging. Wie wenig Einfluss auf die Weiterqualifizierung des Personals genommen wird, ergibt sich auch aus dem Fehlen von "Supervision" und dem seltenen Angebot von Fortbildungsveranstaltungen für Erzieher/innen (s.o.). Dies dürfte vor allem ein Problem für kommunale Kindertagesstätten sein, die sich nicht wie solche in freier Trägerschaft von den Fachberater/innen der Verbände beraten lassen können und die nur selten an deren Fortbildungsveranstaltungen teilnehmen dürfen (oft nur, wenn noch freie Plätze vorhanden sind). Allerdings gaben mit 45% überraschend viele der befragten Jugendämter an, dass sie in den letzten 12 Monaten Fortbildungsveranstaltungen durchgeführt hätten, an denen sowohl ihre Mitarbeiter/innen als auch Erzieher/innen von Kindertageseinrichtungen teilnehmen konnten - eine gute Möglichkeit für "indirekte" Vernetzung.

Schließlich wurden die Jugendamtsleiter/innen noch nach der Häufigkeit einzelfallbezogener Kontakte mit Kindertageseinrichtungen in den letzten 12 Monaten gefragt. Im Durchschnitt ergaben sich folgende Skalenwerte bei Kontakten

  • wegen Verhaltensauffälligkeit eines Kita-Kind: 3,02 Punkte,
  • wegen Vernachlässigung eines Kita-Kindes: 2,66 Punkte,
  • wegen Entwicklungsverzögerung eines Kita-Kindes: 2,59 Punkte,
  • wegen Erziehungsschwierigkeiten der Eltern: 2,55 Punkte,
  • wegen der sozialen Lage der Familie eines Kita-Kindes: 2,39 Punkte,
  • wegen körperlicher Misshandlung eines Kita-Kindes: 2,25 Punkte,
  • wegen Behinderung eines Kita-Kindes: 2,17 Punkte,
  • wegen sexuellem Missbrauchs eines Kita-Kindes: 2,14 Punkte,
  • wegen sonstiger Belastungen der Familie: 1,98 Punkte sowie
  • wegen Erziehungsschwierigkeiten der Erzieher/innen: 2,55 Punkte.

Hier sind die Skalenwerte etwas höher als bei den vorgenannten Fragen - sieht man einmal von Kontakten im Rahmen der Aufsicht und wegen Finanzierungsfragen ab. Einzelfallbezogene Kontakte waren von "mittlerer" Häufigkeit bei Verhaltensauffälligkeiten, Vernachlässigung und Entwicklungsverzögerungen von Kindern in Kindertageseinrichtungen sowie wegen Erziehungsschwierigkeiten der Eltern, ansonsten gab es sie nie oder nur selten.

Offen bleibt natürlich bei all diesen Skalenwerten, wie oft es wirklich einzelfallbezogene oder allgemeine Kontakte bzw. Besprechungen zwischen Jugendamtsmitarbeiter/innen und Erzieher/innen gegeben hat - ermittelt wurden nur Einschätzungen der Jugendamtsleiter/innen. Das Vorherrschen von Durchschnittswerten, die für fehlende oder seltene Kontakte stehen, spricht aber dafür, dass der Stand der Vernetzung noch nicht so positiv ist, wie die Jugendamtsleiter/innen bei der allgemeinen Beurteilung desselben meinten (s.o.).

Hinzu kommt, dass die detaillierte Auswertung der Umfrage - die an dieser Stelle nicht wiedergegeben werden kann - zum einen große Unterschiede zwischen den Jugendämtern und zum anderen bedeutende Stadt-Land-Unterschiede ergab. Hierzu einige Beispiele: Hinsichtlich einzelfallbezogener Kontakte wegen Verhaltensauffälligkeit eines Kita-Kindes wurden von 20 Jugendamtsleiter/innen die Skalenwerte 1 und 2, aber von 19 die Werte 4 und 5 angekreuzt; der Durchschnittswert für Kreisjugendämter (insgesamt 49 Befragte) betrug 2,87, für Stadtjugendämter (16 Befragte) 3,47. Bezüglich des allgemeinen Kontakts im Rahmen der Aufsicht wählten 11 Jugendamtsleiter/innen die Skalenpunkte 1 und 2, aber 36 die Punkte 4 und 5; hinsichtlich allgemeiner Kontakte wegen Fragen der Förderung/ Finanzierung standen 16 Nennungen 33 Nennungen gegenüber (In einigen Fällen war eine andere kommunale Behörde als das Jugendamt für Kindertageseinrichtungen zuständig, was diese Unterschiede zum Teil erklären dürfte). Die Durchschnittswerte für allgemeine Kontakte durch Dienstbesprechungen betrugen 2,48 für Kreis- und 2,88 für Stadtjugendämter, hinsichtlich der Kontakte durch Arbeitskreise/ -gemeinschaften 1,96 bzw. 2,40. Die hier deutlich werdende Tendenz - höhere Werte bei Stadtjugendämtern als bei Kreisjugendämtern - trat bei vielen Antwortvorgaben auf.

Sofern man die Unterschiede zwischen den Jugendamtsleiter/innen nicht auf die Subjektivität der Einschätzungen zurückführen will, ergibt sich eine durchaus nennenswerte Diskrepanz in der Praxis der Vernetzung mit Kindertageseinrichtungen, die wahrscheinlich auch mit einem unterschiedlichen Aufgabenverständnis zusammenhängt. Andere Bedingungsfaktoren dürften z.B. der jeweilige Prozentsatz kommunaler Kindertageseinrichtungen sein, für die Jugendämter in besonderem Maße zuständig sind, sowie Stellung und Qualifikation der verantwortlichen Mitarbeiter/innen - Fachberater/innen und Sozialpädagog/innen dürften ein etwas anderes Verständnis von ihren Aufgaben als Sachbearbeiter/innen bzw. Verwaltungsfachkräfte haben.

Möglichkeiten der Vernetzung von Jugendämtern mit Kindertageseinrichtungen

Aufgrund der Bedeutung von Kindertageseinrichtungen im System der Jugendhilfe (s.o.) und der vorgenannten Befragungsergebnisse dürfte es für Jugendämter empfehlenswert sein, die Zusammenarbeit mit ihnen zu intensivieren (vgl. Textor 1990). Hierfür gibt es ganz unterschiedliche Wege:

  • Besprechungen/ Gesprächsrunden

    a) mit (ausgewählten) Kindertageseinrichtungen zur Diskussion eines bestimmten Themas oder als lockere Gesprächsrunde

    b) mit anderen sozialen Diensten über deren Kooperation mit Kindertagesstätten

    c) mit (ausgewählten) Kindertageseinrichtungen und anderen sozialen Diensten über deren Zusammenarbeit

    d) intern zwischen verschiedenen Abteilungen des Jugendamts (z.B. zwischen den Kindergartensachbearbeiter/innen und dem ASD)

  • Vorstellung des Jugendamtes und/ oder anderer psychosozialer Dienste

    a) bei Veranstaltungen mit Erzieher/innen, in Arbeitsgruppen oder Kita-Teams

    b) durch Beratungsführer für Kindertageseinrichtungen oder anderes schriftliches Material

  • Einbeziehung von Erzieher/innen in Jugendhilfeausschuss, Psychosozialen Arbeitskreis, Stadtteilkonferenz usw.
  • experimentelle/ vorbildliche Kooperation zwischen Jugendamt und einzelnen Kindertageseinrichtungen (z.B. zur Erstellung eines Leitfadens über den Umgang mit sexuellem Missbrauch bei Kindergartenkindern)
  • Gründung von Arbeitskreisen/ -gruppen

    a) für Erzieher/innen (unter Mitwirkung der Jugendamtes) zur Diskussion eines bestimmten Themas oder als lockere Gesprächsrunde

    b) gemischte Gruppen (Erzieher/innen und Mitarbeiter/innen von relevanten Jugendhilfeeinrichtungen und psychosozialen Diensten)

  • Angebot von Fachtagungen oder Fortbildungsveranstaltungen für Erzieher/innen
  • Förderung von Projekten

    a) gemeinsame Aktionen (z.B. zur Prävention sexuellen Missbrauchs, zur Medienerziehung)

    b) Beratung/ Unterstützung des Projekts einer Kindertagesstätte (z.B. zur Suchtprävention)

  • Beteiligung an Elternveranstaltungen (durch Stellung des Referenten/ Sachverständigen)
  • Angebot von Einzel-/ Teamberatung oder Supervision für Erzieher/innen
  • direkte/ indirekte fallbezogene Kooperation (Fallbesprechung, Vermittlung, Hilfeplanung, Beratung, Hinweis auf Kindesmisshandlung usw.)
  • Angebot von Materialien (z.B. für Präventionsprogramme, zum Auslegen in der Kindertageseinrichtung, zur Weitergabe an Eltern)
  • Informationsdienst für Kindertageseinrichtungen (über Jugendhilfethemen, Richtlinienänderungen, soziale Dienste usw.)
  • Beiträge für Elternbriefe, Kindergartenzeitung u.Ä.

Eine erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Jugendämtern, Kindertagesstätten und Familien ist nur möglich, wenn ein Vertrauensverhältnis zwischen den Beteiligten besteht. Dies sollte möglichst langfristig angebahnt werden. Wie bereits erwähnt, gibt es in der Regel eine positive Beziehung zwischen Familien und Erzieher/innen. Gelingt es Jugendämtern - die in der Öffentlichkeit noch als Eingriffsbehörden wahrgenommen werden und ein Negativimage haben -, mit Erzieher/innen ein Vertrauensverhältnis aufzubauen, kann dies zwei positive Konsequenzen haben: Zum einen gewinnen sie diese als Multiplikator/innen, die das zeitgemäßere Bild vom Jugendamt als Beratungseinrichtung in der Gesellschaft verbreiten. Zum anderen werden Erzieher/innen noch mehr als bisher ihre positive Beziehung zu Eltern nutzen, um ihnen Vertrauen in das Jugendamt "einzuflößen", wenn sie diese aufgrund besonderer Problemlagen an dasselbe weitervermitteln wollen.

Genauso wichtig ist es aber für Jugendämter, die Vernetzung von Kindertageseinrichtungen mit anderen Jugendhilfeeinrichtungen und psychosozialen Diensten zu fördern. Aus der Sicht von Erzieher/innen sind hier folgende Möglichkeiten relevant (vgl. Textor 1991, 1996):

allgemeine Vernetzung

  • allgemeine, informative Gespräche/ Telefonate mit psychosozialen Diensten
  • wechselseitige Besuche
  • Hospitation von Erzieher/innen im psychosozialen Dienst bzw. von Mitarbeiter/innen des psychosozialen Dienstes in der Kindertageseinrichtung (nicht fallbezogen)
  • Einladung von Mitarbeiter/innen des psychosozialen Dienstes zu Teambesprechungen
  • Initiieren einer Fortbildung durch Mitarbeiter/innen psychosozialer Dienste
  • (heilpädagogische) Weiterqualifizierung einer Mitarbeiterin durch Hospitation bei Behandlungen in der Kindertageseinrichtung
  • allgemeine oder themenzentrierte Beratung
  • Einzel-/ Gruppensupervision
  • Beobachtung einer Erzieherin in einer Kindertageseinrichtung zwecks Beratung
  • Teamsupervision/ Beratung bei Teamkonflikten
  • Auslegen/ Aushängen von Informationsmaterial psychosozialer Dienste in Kindertageseinrichtungen
  • Beiträge von Mitarbeiter/innen psychosozialer Dienste zu Elternbriefen u.Ä.
  • Einladung von Mitarbeiter/innen psychosozialer Dienste zu Elternabenden/ Gesprächsabenden (Referententätigkeit)
  • Offene Sprechstunde für Eltern in der Kindertageseinrichtung
  • Eltern-/ Mütter-/ Alleinerziehendengesprächskreis unter Leitung von Mitarbeiter/innen psychosozialer Dienste in der Kindertageseinrichtung
  • Initiieren eines Gesprächskreises für "Kindergarteneltern" (-mütter) im psychosozialen Dienst

fallbezogene Vernetzung

  • Teilnahme von Mitarbeiter/innen psychosozialer Dienste an Elterngesprächen
  • Vermittlung eines Kindes/ einer Familie durch Empfehlung, Telefonat oder Begleitung, eventuell Übernahmeabsprachen
  • Fallbesprechungen, Austausch von Informationen über das Kind/ die Familie, Einzelfallsupervision
  • Einbeziehung der Erzieherin in die Diagnoseerstellung und Hilfeplanung bei einem Kind/ einer Familie
  • Beobachtung eines Kindes in der Kindertageseinrichtung (auch der Erzieherin-Kind-Beziehung, des Gruppengeschehens)
  • gemeinsame Hausbesuche
  • Bitte um Informationen über Behandlungsverlauf/ -ergebnissen
  • Teilnahme der Erzieherin an einem Behandlungstermin im psychosozialen Dienst
  • Behandlung eines Kindes in der Kindertageseinrichtung
  • Einbeziehung der Erzieherin in die Behandlung eines Kindes
  • Erstgespräche/ Einzelberatung von Eltern in der Kindertageseinrichtung

Das Jugendamt kann derartige Vernetzungsaktivitäten unterstützen, indem es den Gesprächsaustausch zwischen Kindertagesstätten und relevanten Jugendhilfeeinrichtungen bzw. psychosozialen Diensten fördert (s.o.) sowie seinen Einfluss auf zögernde oder den Prozess hemmende Partner geltend macht - wobei letzteres oftmals ein hohes Maß an Diplomatie und Verhandlungsgeschick verlangt. Wichtig sind klare Ziele und entsprechende Umsetzungsstrategien. So sollte z.B. möglichst frühzeitig festgelegt werden, welche Einrichtungen mit Kindertagesstätten vernetzt werden sollen und auf welche der vorgenannten Felder bzw. Arbeitsformen sich die Kooperation beziehen soll.

Immer muss aber bedacht werden, dass sich für alle Beteiligten der Aufwand in einem akzeptablen Rahmen halten muss. Auch sollten Vernetzungsaktivitäten regelmäßig dahingehend evaluiert werden, zu welchem quantitativ messbaren (z.B. Kostenersparnis, mehr Überweisungen) und qualitativen Nutzen (z.B. Kompetenzzuwachs bei Mitarbeiter/innen, Erfahrung von Entlastung) sie geführt haben.

Quelle

Aus: Zentralblatt für Jugendrecht 1998, 85, S. 313-317

Literatur

Langnickel, H.: Patentrezept Vernetzung? Zwischen Sparzwängen und Qualitätsansprüchen. In: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.): Qualitätssicherung durch Zusammenarbeit. Materialien zur Qualitätssicherung in der Kinder- und Jugendhilfe, Heft 10. Bonn: Selbstverlag 1997, S. 7-20

Mayr, T.: Problemkinder im Kindergarten - ein neues Aufgabenfeld für die Frühförderung. Epidemiologische Grundlagen. Frühförderung interdisziplinär 1997, 16, S. 145-159

Statistisches Bundesamt: Statistik der Jugendhilfe, Teil III.3. Einrichtungen und tätige Personen 1994. Wiesbaden: Selbstverlag 1996

Textor, M.R.: Kindergarten - Jugendamt - Familie. Chancen und Probleme der Kooperation. Unsere Jugend 1990, 42, S. 425-428

Textor, M.R.: Familienunterstützende Maßnahmen im Kindergarten. Kindergarten heute 1991, 21 (6), S. 46-51

Textor, M.R.: Forschungsergebnisse. In: Textor, M.R. (Red.): Familienunterstützende Maßnahmen im Kontext des Kindergartens. Abschlußbericht zum Projekt 24/89/1a/MT. München: Bayerisches Staatsministerium für Arbeit, Familie und Sozialordnung 1992, S. 57-79

Textor, M.R. (Hrsg.): Problemkinder? Auffällige Kinder in Kindergarten und Hort. Jahrbuch der Frühpädagogik und Kindheitsforschung, Band 1. Weinheim, Basel: Beltz 1996

Textor, M.R.: Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitung. In: Textor, M.R. (Red.): Intensivierung der Elternarbeit. Abschlußbericht zum Modellversuch in der Diözese Passau. München: Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Gesundheit 1997a, S. 21-35

Textor, M.R.: Vernetzung von Kindertageseinrichtungen mit psychosozialen Diensten. Bildung, Erziehung, Betreuung 1997b, Nr. 1, S. 29-30