Eheberatung

Martin R. Textor

 

Ehen befinden sich in einem fortwährenden Wandel. Es gibt Zeiten, in denen die Beziehungen relativ statisch und stabil sind, und andere, in denen sie sich verändern und sich in einem Disäquilibrium (Ungleichgewicht) befinden.

In einer Ehe müssen die Partner ihre eigene Entwicklung (Lebenszyklus) mit der des Partners abstimmen und gleichzeitig die Paarbeziehung gemeinsam weiterentwickeln. Dieser Prozess wird von ganz unterschiedlichen Faktoren beeinflusst. Dazu gehören beispielsweise

  • das Unbewusste: verdrängte frühkindliche Erfahrungen, unbewusste Erwartungen, Bedürfnisse usw.
  • Emotionen: Stimmungen, Liebe, Intimität, beziehungsrelevante positive/ negative Gefühle, Grad der Zufriedenheit mit der Lebenssituation etc.
  • Sexualität: Grad des Verlangens und der Befriedigung
  • Einstellungen: (Rollen-) Leitbilder, Ehekonzepte, gesellschaftliche Normen
  • (Erfahrungs-) Wissen über Beziehungen und deren Gestaltung: Einsichten in die Ursachen des eigenen Verhaltens und die des Partners, in Interaktionsmuster und systemische Prozesse
  • Verhalten des Einzelnen: kommunikative Kompetenzen, Problem- und Konfliktlösefertigkeiten, Kooperationsbereitschaft/ -fähigkeit, Frustrationstoleranz
  • Individuation: Grad der Loslösung des Einzelnen von seinen Eltern und aus früheren Paarbeziehungen, Selbständigkeit, Autonomie, Grad der (gerade angestrebten) Distanz vom Partner
  • Bindung: Paaridentität, gemeinsames Beziehungskonzept, Zusammenhalt, Grad der (gerade angestrebten) Nähe
  • aktuelle Lebensaufgaben: Beruf, Haushaltsführung, Geburt eines Kindes, Erziehung von Kindern, besondere Belastungen

Das Zusammenspiel der beiden Partner verändert somit kontinuierlich die Ehebeziehung. Deren Qualität hängt weitgehend davon ab, inwieweit die Partner eine Balance zwischen der unterschiedlichen individuellen und der gemeinsamen Entwicklung finden. Auch müssen sie Polaritäten leben können: "Beide Partner müssen die eheliche Beziehung sowohl stimulieren als auch stabilisieren können; sich nah sein können, aber auch die notwendige Distanz aufrechterhalten können; Bedürfnisse befriedigen lassen können und auch deren Versagungen aushalten können, dem Partner Befriedigung geben und auch die Befriedigung versagen können; die Verschiedenheit des Partners akzeptieren und den Augenblick in die Dauer mit hinein nehmen können" (Metzner 1984, S. 46). Auch sollten sie gute und schlechte Zeiten (z.B. Krankheiten, beruflicher Stress, Arbeitslosigkeit) gemeinsam ertragen.

Offensichtlich ist, dass aufgrund der vielen Faktoren, die tagaus, tagein auf die Ehe einwirken, Konflikte und Probleme unvermeidbar sind. In Streitgesprächen werden unterschiedliche Positionen verdeutlicht und voneinander abgegrenzt, sodass sie bearbeitet werden können. Gelingt es den Partnern über eine längere Zeit hinweg nicht, ihre Konflikte und Probleme zu lösen, verschlechtert sich die Beziehungsqualität. Der Streit wird chronisch oder die Partner gehen ihm aus dem Weg bzw. verdrängen ihn. Die wechselseitige emotionale Distanzierung und Entfremdung nehmen zu, Bedürfnisse werden nicht mehr befriedigt, die aus der Enttäuschung über den Partner und aus der Desillusionierung über die Ehe resultierende Trauer wächst.

Das Beratungsangebot

In dieser Situation kann eine Eheberatung helfen. Klann und Hahlweg (1995) berichten, dass sie im Durchschnitt 13 Sitzungen von rund 75 Min. Länge umfasst. Die von den Paaren genannten vorwiegenden Eheprobleme sind mangelnde Zuwendung des Partners, unbefriedigende Sexualität, schlechte Kommunikation, störende Persönlichkeitszüge und fehlende Akzeptanz bzw. Unterstützung des Partners. Seltener geht es um Haushaltsführung, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die Einteilung des Einkommens oder außereheliche Beziehungen.

Im Gespräch mit dem Paar ermitteln die Eheberater/innen die Ursachen für die vorherrschenden Probleme und Konflikte (Diagnose). Zur Verbesserung der Ehebeziehung erforschen sie z.B. verdeckte Erwartungen, klarifizieren Einstellungen und ermutigen zum Ausdruck verdrängter Gefühle. Sie sprechen mit den Partnern über Probleme im Intimbereich und beheben sexuelle Störungen. Ferner versuchen sie, die Kommunikation zwischen den Partnern zu verbessern. Negative Interaktionszyklen werden aufgebrochen, problematische (Beziehungs-, Rollen-) Erwartungen hinterfragt, unbewusste Faktoren wie in der Kindheit verdrängte Ängste und Bedürfnisse, Übertragungen und Projektionen bewusst gemacht.

Ferner hilft der Berater dem Paar, mit Konfliktsituationen fertig zu werden. Das kann beispielsweise in folgenden fünf Schritten geschehen:

  1. Der Eheberater unterbindet Einmischung und Konfliktvermeidung, aktualisiert Konflikte und enthüllt Geheimnisse.
  2. Er identifiziert das Problem und verlangt eine klare Definition der unterschiedlichen Standpunkte.
  3. Dann stellt er Verhaltensregeln für ein offenes Gespräch auf und gewährleistet ihre Befolgung.
  4. Er leitet die Verhandlung und fördert ein tieferes Erforschen des Problems und seines Kontextes.
  5. Er lehrt Problemlösungstechniken, hilft bei der Suche nach Lösungen und strebt Kompromisse an.

Dabei werden oft Kommunikationsfertigkeiten geschult. So macht der Eheberater inkongruente Botschaften bewusst, interpretiert nonverbale Verhaltensweisen, hilft beim Decodieren von Botschaften und lehrt Zuhören und Feedback-Geben. Oft müssen die Partner bis zur nächsten Sitzung bestimmte "Hausaufgaben" erledigen.

Wichtig ist, dass die Partner den eigenen Anteil an den Beziehungsproblemen erkennen, da viele dazu neigen, ihre Probleme beim Partner zu sehen bzw. als Folge der ehelichen Beziehung zu betrachten. Den Partnern wird geholfen, einander besser zu verstehen und einander zu akzeptieren. Die emotionale Bande wird gestärkt; positive Gefühle werden zum Ausdruck gebracht.

Laut einer Studie von Klann und Hahlweg (1995) kommen bei der Eheberatung unterschiedliche Therapieansätze zum Einsatz: "Als therapeutische Schwerpunkte im Beratungsprozess wurden genannt (Mehrfachnennung war möglich): systemische Therapie/ Kommunikationstherapie (41%), integratives Vorgehen (34%), Gestalttherapie (28%), Gesprächspsychotherapie (21%), Psychoanalyse (17%), Psychodrama (14%) und Verhaltenstherapie (10%)" (S. 69). Nach amerikanischen Untersuchungen liegt die Erfolgsquote der Eheberatung bei rund 50%, werden knapp 40% der Ehen innerhalb von vier Jahren nach der Eheberatung geschieden (z.B. laut Jacobson/ Addis 1993). Die Erfolgswahrscheinlichkeit ist geringer, wenn nur ein Partner die Ehe "retten" möchte, je weniger Kinder im Haushalt leben oder wenn es zusätzlich individuelle Probleme und Erziehungsschwierigkeiten gibt (z.B. laut Bischoff/ Sprenkle 1993). Größere Unterschiede bei den Erfolgsquoten in Abhängigkeit von dem jeweiligen therapeutischen Ansatz wurden nicht ermittelt.

Wo erhalte ich Eheberatung?

Weitestgehend kostenlos ist eine Ehe- bzw. Familienberatung bei den so genannten Ehe- und Familienberatungsstellen, die von den Kirchen, aber auch von Ländern und Gemeinden finanziert werden. Frei praktizierende Psychotherapeut/innen und Psycholog/innen verlangen hingegen in der Regel ein Honorar. Bei einer anstehenden oder bereits erfolgten Trennung von Partnern können auch Mediation oder Scheidungsberatung Hilfe bieten. Alle Berater/innen sind zur Verschwiegenheit verpflichtet.

Literatur

Bischoff, R.J./ Sprenkle, D.H.: Dropping out of marriage and family therapy: a critical review of research. Family Process 1993, 32, S. 353-375

Jacobson, N.S./Addis, M.E.: Research on couples and couple therapy: What do we know? Where are we going? Journal of Consulting and Clinical Psychology 1993, 61, S. 85-93

Klann, N./ Hahlweg, K.: Erhebung über die Wirksamkeit von Eheberatung. System Familie 1995, 8, S. 66-74

Metzner, G.: Selbsterfahrungsgruppen mit Ehepaaren zur Förderung der Partnerbeziehung in der Ehe. Schwalbacher Blätter 1984, 35, S. 43-58