Ingeborg Becker-Textor, Elke Schubert, Rainer Strick (Hrsg.): Ohne Spielzeug. "Spielzeugfreier Kindergarten" - ein Konzept stellt sich vor. Freiburg, Basel, Wien: Herder, 2. Aufl. 1999, 174 Seiten

 

Der Ursprung dieses Projektes findet sich im Suchtarbeitskreis Weilheim-Schongau. Hier entwickelte in der Unterarbeitsgruppe Kindergarten eine Mitarbeiterin des örtlichen Gesundheitsamtes, Elke Schubert, und ein Mitarbeiter des örtlichen Jugendamtes, Rainer Strick, 1992 das Konzept "Spielzeugfreier Kindergarten" in Zusammenarbeit mit dem Städtischen Kindergarten Penzberg.

Die dritte Herausgeberin dieses Sammelbandes, Ingeborg Becker-Textor, lernte die beiden Initiatoren in der Kooperation mit der Aktion Jugendschutz Bayern kennen und konnte so die Entwicklung des Projektes "hautnah"  verfolgen. Sie überzeugte das Konzept eines suchtpräventiven Projektes für den Kindergarten, das an der Lebenskompetenzförderung ansetzt. Studien aus der Präventionsforschung zeigten auf, dass diejenigen Maßnahmen am wirksamsten sind, die Lebenskompetenzen zu stärken versuchen. Wo könnte das wohl besser erfolgen als im Kindergarten? Hier sind die Kinder nicht an einen Lehrplan gebunden; sie können ihre Aktivitäten und ihre Themen frei wählen. Sie leben in einem  Erfahrungsraum, den sie selbst gestalten können und in dem sie in ihren Fähigkeiten gefördert werden.

In dem Sammelband beschreiben die drei Herausgeber/innen gemeinsam mit Wegbegleiter/innen ihre Gedanken, Zielsetzungen und Erfahrungen aus den verschiedensten Blickwinkeln. Das Thema "Spielzeugfreier Kindergarten" hat in der Folgezeit heftige Wellen geschlagen: Erzieher/innen meinten, dass Kinder sich langweilen könnten, so ohne das herkömmliche Spielmaterial. Eltern hatten Angst, ihre Kinder könnten nicht genug lernen und würden nur unzureichend auf die Schule vorbereitet. Die Spielzeugindustrie befürchtete wirtschaftliche Einbrüche, sollte sich die Idee flächendeckend durchsetzen. Das eigentliche Konzept, die Lebenskompetenz der Kinder als Prävention gegen Konsum und Sucht zu stärken, wurde von den pädagogischen Mitarbeiter/innen in Kitas, Lehrer/innen, Eltern und Dozent/innen in der Ausbildung nur unzureichend verstanden. Es wurde an anderer Stelle folgendermaßen dargestellt:

"Die Projektinitiatoren setzten sich, im Sinne einer ursachenorientierten Prävention, mit der Lebenswelt von Kindern und den sie umgebenden Konsumgütern auseinander. Eines der beliebtesten Konsumgüter von Kindern ist das Spielzeug. Spielzeug regt Kinder zu vielem an, aber wir wissen alle, dass Spielzeug heutzutage oftmals im Überfluss vorhanden ist und sich mit dem Kauf von Spielzeug Frustrationen und unbefriedigte Bedürfnisse verdrängen lassen können. Bezogen auf die Fülle der Angebote, die teilweise aufkommende Langeweile trotz oder gerade wegen des Überflusses ging es darum, wieder Spielraum zu schaffen für Phantasie und Kreativität und damit auch für Selbstbestätigung und Selbstbewusstsein. Wenn Spielen immer weniger von kindlichen Bedürfnissen und Phantasien und immer mehr von Fertigprodukten geprägt wird, die das Spiel schon vorgeben, ist es wichtig, Kindern wieder den Freiraum zu verschaffen, 'zu sich selbst zu kommen', für einen begrenzten Zeitraum eine 'Gegenerfahrung' zu machen. Dass sich viele Kinder diesen Freiraum nicht nehmen lassen, ist klar, aber primärpräventive Ansätze wenden sich bewusst nicht nur an eine Gruppe von im engeren Sinne Gefährdeten, sondern an alle Kinder, um auch die zu erreichen, die zunächst vielleicht nicht die Möglichkeit haben, die o.g. Kompetenzen zu entwickeln“ (http://www.spielzeugfreierkindergarten.de/fr_konzept.html)

Der Sammelband verfolgt dieses ganz besondere Konzept. Es lässt alle Betroffenen zu Wort kommen: das Kind, die Eltern, die Erzieher/innen und die Wissenschaft. Jede/r Autor/in setzt andere Schwerpunkte und regt zur Reflexion an. Die Publikation ist heute aktueller denn je. Stellen wir uns die Frage: Was brauchen unsere Kinder für die Zukunft? Welche Fähigkeiten und Fertigkeiten machen sie fit für die Zukunft? Wie können wir sie vorbereiten auf ein Leben, das höchste Flexibilität, Kreativität und Ideenreichtum von ihnen verlangen wird? Die Antworten könnten lauten:

  • Förderung der Lebenskompetenz
  • Strategien zur Alltags- und Lebensbewältigung
  • Selbständigkeit und Fähigkeit zur Selbstentscheidung
  • kreative Denkstrukturen und Ideenreichtum
  • Gestaltungsfreiräume und hohes Verantwortungsbewusstsein
  • Einsatzbereitschaft und Fähigkeit des „Querdenkens“
  • Erkennen und Erfassen von Zusammenhängen als Weg zu Lösungen
  • Kommunikation, Dialogfähigkeit und Partnerschaft
  • Durchhaltevermögen, Einsatz- und Durchsetzungskraft etc.

Das Projekt startete im Jahr 1992; das Buch erschien in erster Auflage 1997 und ist inzwischen vergriffen. Aber die Website der Aktion Jugendschutz mit Hinweisen über die Entstehung des Projekts und mit den Konzeptbausteinen ist bis zum heutigen Tag gefragt. Hier heißt es noch ergänzend:

"1999 wurde dem 'Network for Mental Health Promotion for Children up to 6 years' das Projekt 'Spielzeugfreier Kindergarten' in Brüssel präsentiert. Dieses Netzwerk von Experten und nationalen Ländervertretern im Bereich der europäischen Gesundheitsförderung erstellte in den vergangenen zwei Jahren eine Sammlung von Projekten im Bereich der Gesundheitsförderung für Kinder bis 6 Jahre. Bei dem erstellten 'Directory of Projects in the European Union' wurde das Projekt 'Spielzeugfreier Kindergarten' bei über zweihundert eingereichten Projekten aus ganz Europa in die ausgewählte Liste der 'effektiven Modellprojekte' ausgewählt und aufgenommen" (http://www.spielzeugfreierkindergarten.de/fr_konzept.html).

Deshalb: Das Konzept "Spielzeugfreier Kindergarten" ist wohl schon ein alter, aber auch für die Zukunft bedeutsamer pädagogischer Ansatz!

Inhalt

Ingeborg Becker-Textor: Einleitung

Elisabeth Seifert: Kinder stark machen - Suchtvorbeugung im Kindergarten

Anna Winner: Zum Begriff Lebenskompetenzen

Rainer Strick: Kindheit ist kein Kinderspiel - Kindheit heute

Rainer Strick: "Spielzeugfreier Kindergarten" - von der Analyse zum Konzept

Praxisberichte aus dem Kindergarten

  • Ingeborg Heigl: Neue Wege
  • Gudula Brunner: "Spielzeugfreier Kindergarten" - Projekt im Kindergarten Hochstand
  • Iris Hepp, Dagmar Köhler, Maria Schlögel: Spielzeugfreie Zeit im Städtischen Kindergarten Penzberg
  • Regula Schenker: Die Reise über die sieben Berge - ein Erlebnisbericht
  • Wilfried Heuser: Natu(e)rliches Spielen - der Intuition eine Chance
  • Dietmar Ahl: "Spielzeugfreier Kindergarten" - Erfahrungsbericht eines Vaters
  • Nannette und Norbert Meyer-Sand: Elternbericht "Spielzeugfreier Kindergarten" - unsere Erlebnisse
  • Natalie Dunkl: Natalie, 8 Jahre, blickt zurück; "Spielzeugfreier Kindergarten 1995"
  • Mirjam Kaiser: Spielzeugfreie Krabbelstube Weihenstephan
  • Ingrid Steinmüller: "Spielzeugfreier Hort", eine Zielgruppe nach dem Kindergarten
  • Edith Bieri: "Spielzeugfreier Kindergarten" - Erfahrungsbericht aus der Schweiz
  • Ingeborg Becker-Textor: Spiele aus dem Nichts - Beispiele eines Elternabends und einer Familienfreizeit

Anna Winner: Ergebnisse der Begleitstudie: Der "Spielzeugfreie Kindergarten" - ein Projekt zur Förderung von Lebenskompetenzen bei Kindern?

Elke Schubert: "Spielzeugfreier Kindergarten" - ein Projekt zur Suchtprävention und Lebenskompetenzförderung sowie der Gegensätze. Resümee und Ausblick

Ingeborg Becker-Textor: Nachwort - oder Impulse für die Zukunft

Elisabeth Seifert: Zusammenstellung von weiterführendem Material

Anhang: Autorinnen und Autoren