Literacy-Erziehung in der Familie

Martin R. Textor

 

Mit dem Begriff "Literacy" ist zum einen die Fähigkeit gemeint, lesen und schreiben zu können - und zwar in einem Ausmaß, das die Teilhabe an der (Wissens-) Gesellschaft ermöglicht. Das heißt, es sollten sowohl komplexere, abstrakte Texte verstanden werden als auch eigene Gedanken, Kenntnisse und Pläne flüssig niedergeschrieben werden können. Zum anderen umfasst Literacy die Literalität, die Literaturkompetenz. Das heißt, es sollte eine gewisse Vertrautheit mit der Literatur und der literarischen Sprache bestehen. In der heutigen Gesellschaft impliziert Literacy auch die Computer-Kompetenz, also die Fähigkeit, am Bildschirm Texte erstellen und bearbeiten sowie im Internet recherchieren zu können.

Untersuchungen haben belegt, dass Literacy bereits in der frühen Kindheit grundgelegt wird: Diejenigen Kleinkinder zeigen in der Schule später bessere Sprach-, Lese- und Schreibkompetenzen, deren Eltern

Der Eintritt in die Schule ist gleichzeitig die Einführung des Kindes in die Schriftkultur seiner Gesellschaft. Schon Kleinkinder ahnen, wie wichtig dieser Übergang für ihr weiteres Leben ist. Dies bedingt ihr Interesse an allem Schriftlichen bzw. am Schreiben - was bei manchem Kleinkind sogar dazu führt, dass es sich selbst das Lesen und Schreiben beibringt, ohne Unterstützung durch Erwachsene. Die übrigen Kinder lernen dann im Grundschulalter das Lesen und Schreiben (sieht man einmal von den lern- und geistigbehinderten Kindern ab). Allerdings weisen 2,7% der achtjährigen Kinder eine Lese-Rechtschreibschwäche auf. Die Rückstände verfestigen sich bei ihnen - aber auch bei vielen Migrantenkindern mit sehr geringen Deutschkenntnissen - im weiteren Verlauf der Schulzeit so, dass bei 5-10% der Jugendlichen und jungen Erwachsenen eine Lese-Rechtschreibschwäche besteht. (Linderkamp/ Grünke 2007, S. 19 f.). Wer aber schlecht liest und schreibt, versagt zumeist auch in natur-, sozial- und geisteswissenschaftlichen Fächern und verlässt die Haupt- oder Förderschule mit einem schlechten oder gar keinem Abschluss. Nur wenige junge Menschen holen die am Ende der Schulzeit bestehenden Defizite wieder auf.

Deshalb ist es wichtig, Kinder vor allem während der Grundschulzeit intensiv beim Erlernen des Lesens und Schreibens zu unterstützen:

Und schließlich bedingt die frühe literarische Sozialisation, ob Literatur zu einem Wegbegleiter durch das Leben wird: Sie kann für den jungen Menschen eine Hilfe auf der Suche nach der eigenen Identität sein, seine Fantasie und Mündigkeit fördern, sein Denken und seine Emotionalität anregen, das Einfühlen in andere Menschen erleichtern oder dem ästhetischen Genuss dienen.

Je wichtiger dem Kind das Lesen geworden ist und je mehr es für sich selbst davon profitiert, umso leichter kann es die am Ende der Kindheit häufig auftretende Lesekrise selbst überwinden. Bei den anderen Kindern ist es eine wesentliche Aufgabe von Lehrer/innen und Eltern, die Lesemotivation zu erhalten...

Literatur

Linderkamp, F./Grünke, M.: Lern- und Verhaltensstörungen: Klassifikation, Prävalenz & Prognostik. In: Linderkamp, F./Grünke, M. (Hrsg.): Lern- und Verhaltensstörungen. Genese - Diagnostik - Intervention. Weinheim, Basel: BeltzPVU 2007, S. 14-28