Österreich: Die Familie der Zukunft

Martin R. Textor

 

In den letzten Jahrzehnten hat ein komplexer und weitreichender Familienwandel stattgefunden. Offensichtlich ist, dass sich diese Entwicklung auch in den kommenden Jahren fortsetzen wird. So möchte ich nun 20 Thesen zur Zukunft der Familie in Österreich präsentieren, die ich auf folgende Weise gewonnen habe: Zum einen habe ich für meine Prognosen Trends in die Zukunft hinein verlängert, die sich aus dem Vergleich aktueller mit älteren Elternbefragungen und familiensoziologischen Studien ergeben. Zum anderen habe ich seit einigen Jahren viel diskutierte politische, gesellschaftliche, wirtschaftliche und technische Entwicklungstendenzen berücksichtigt. Mit diesen möchte ich beginnen - und zwar mit dem Klimawandel in Österreich.

Nach einer Studie des Meteorologischen Instituts an der Universität für Bodenkultur Wien wird die Jahresmitteltemperatur bis 2040 im Vergleich zu 1948 je nach Bundesland um 2 bis 4 °C steigen; es wird dann bei weitem mehr Tage mit Temperaturen über 30 °C geben als heute. Ferner wird mehr Niederschlag im Winter und weniger im Sommer erwartet; allerdings wird es auch zu einer Zunahme von Starkniederschlägen kommen. Gletscher werden sich weiter zurückziehen; Fichtenwälder werden allmählich durch Mischwälder ersetzt werden; einige landwirtschaftliche Flächen müssen bewässert werden. Familien werden vom Klimawandel kaum betroffen sein.

1. These: Familien können in den kommenden drei Jahrzehnten immer häufiger warme und niederschlagsarme Sommer genießen. Wintersportler werden viel Schnee vorfinden, aber zunehmend nur in höheren Lagen und für eine kürzer werdende Saison.

Eine größere Bedeutung für Familien wird die Bevölkerungsentwicklung haben: Nach Prognosen von Statistik Austria wird die Bevölkerung bis 2030 auf 9 Mio. und bis 2050 auf 9,5 Mio. Menschen anwachsen. Die Altersstruktur wird sich deutlich hin zu den älteren Menschen verschieben: Stehen derzeit 23% der Bevölkerung im Alter von 60 und mehr Jahren, so werden es 2020 rund 26% und ab 2030 sogar mehr als 30% sein. Jeder neunte Bürger wird dann älter als 75 Jahre sein. Die Kosten für die Versorgung der Senioren werden rasant ansteigen.

2. These: Der Anteil von Familien mit Kindern an der Gesamtbevölkerung wird zurückgehen. Die Eltern werden einen immer größeren Anteil ihres Erwerbseinkommens für Sozialversicherungsbeiträge benötigen, da die zunehmende Zahl älterer Menschen nicht nur höhere Pensionslasten bedingt, sondern auch mehr Kosten für Gesundheit und Pflege.

Der Staat wird die Sozialversicherung kaum noch durch Zuschüsse aus dem allgemeinen Steueraufkommen unterstützen können, da die finanziellen Spielräume immer kleiner werden. So betragen die Staatsschulden in Österreich derzeit mehr als 210 Mrd. Euro bzw. 28.379 Euro je Staatsbürger (www.staatsschulden.at). Laut Finanzminister Josef Pröll wird die Schuldenquote im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt bis 2013 auf den historischen Höchststand von 78,5 Prozent steigen.

Neben der offiziell ausgewiesenen Staatsverschuldung gibt es aber noch Zusatzverbindlichkeiten, die so genannten "impliziten Schulden", die sich insbesondere aus den Leistungsversprechen der Sozialversicherung ergeben und die nicht durch entsprechende künftige Einnahmen mit den heutigen Steuer- und Abgabensätzen gedeckt werden können. Laut der Broschüre "Österreich nach der Wirtschaftskrise" der Industriellen Vereinigung ergibt sich danach für Österreich eine effektive öffentliche Gesamtverschuldung, die sich je nach Annahmen zu Zinssatz- und Bevölkerungswachstums in einer Bandbreite zwischen 258 Prozent bis zu über 300 Prozent des Bruttoinlandsprodukts bewegt. Danach würden die Schulden pro Staatsbürger mindestens 94.000 Euro betragen - egal ob Säugling, Erwerbstätiger oder Rentner.

Der Schuldenstand der privaten Haushalte belief sich laut der Österreichischen Nationalbank am Ende des dritten Quartals 2009 auf 145,5 Mrd. Euro. So summieren sich die öffentlichen und privaten Schulden auf rund 113.000 Euro pro Person. In den kommenden Jahrzehnten wird es nicht nur weniger Erwerbstätige geben, die Staatsschulden über ihre Steuerbeiträge zurückzahlen können, sondern auch mehr Pensionisten, die das dem Staat geliehene Geld zurück haben möchten, weil sie ihre Pensionen aufstocken möchten.

3. These: Eltern werden in den kommenden Jahrzehnten mehr Steuern zahlen müssen. Der Staat wird weniger Geld für familienpolitische Leistungen, Kindertageseinrichtungen und Schulen zur Verfügung haben.

Die wissenschaftlich-technische Entwicklung wird sich in den kommenden zwei Jahrzehnten weiter beschleunigen. Bald wird es viele PKW mit Elektromotor, Brennstoffzelle oder Wasserstoffantrieb geben, die zumindest auf bestimmten Strecken automatisch fahren können. Ein hoher Anteil des Treibstoffs und des Stroms wird aus alternativen Quellen stammen bzw. von Fusionsreaktoren erzeugt werden. Haushaltsgeräte, Heizung und Klimaanlage werden in vielen Wohnungen zentral gesteuert werden; die Stromkosten werden aufgrund intelligenter Stromnetze und dank mit Hilfe von Solarzellen selbst erzeugter und in Brennstoffzellen gespeicherter Elektrizität sinken. Ultra HDTV wird 4mal so große Fernseher wie heutige HDTV-Geräte ermöglichen; E-Books werden immer häufiger genutzt werden.

4. These: Das Leben von Familienmitgliedern wird immer mehr von der Technik geprägt und durch dieselbe erleichtert werden.

Schon jetzt kann man in Österreich Roboter kaufen, die Staub saugen oder den Rasen mähen können. In Japan und Südkorea werden bei weitem mehr Roboter eingesetzt - in ganz verschiedenen Lebensbereichen. Die Regierungen verfolgen das Ziel, dass 2015 bzw. 2020 jeder Privathaushalt einen Roboter besitzen wird.

5. These: Die Hausarbeit wird zunehmend von Robotern erledigt werden. Diese werden vermutlich auch Betreuungs- und Pflegefunktionen übernehmen.

Die wissenschaftliche und technische Entwicklung auf Gebieten wie Biologie, Hirnforschung und Medizin wird sich weiter beschleunigen. Beispielsweise wird es mehr gentechnisch veränderte Pflanzen geben, also z.B. hitzetolerante Sorten von Raps, Baumwolle, Reis und Mais. Die Hirnforschung wird vermutlich bis 2030 die meisten Geheimnisse des Gehirns entschlüsselt haben; dann wird ein "Reverse Engineering" des Gehirns möglich werden. Biosensoren werden kontinuierlich den Gesundheitszustand von Menschen überprüfen. Es wird Medikamente gegen Krebs und andere bisher unheilbare Krankheiten, künstliche Gliedmaßen und innere Organe, synthetisches Blut und vielleicht sogar Nanoroboter geben, die in den Adern z.B. Plaque entfernen oder Viren vernichten.

6. These: Nahezu alle Familienmitglieder werden gesund sein; Behinderungen werden kaum noch eine Rolle spielen. Die meisten Säuglinge von heute, die das mittlere Erwachsenenalter erreichen, werden 100 Jahre und älter werden.

Familie und Beruf

In der sich anbahnenden Wissensgesellschaft werden hoch qualifizierte Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt stark nachgefragt sein. Sie werden somit zwischen verschiedenen Stellenangeboten wählen können. Minder oder falsch qualifizierte Arbeitnehmer werden hingegen große Schwierigkeiten haben, einen sicheren Arbeitsplatz zu finden, da einfache Tätigkeiten immer mehr von Robotern und anderen Maschinen übernommen werden. So wird in den kommenden Jahren die Zahl der Langzeitarbeitslosen, Kurzarbeiter, Leiharbeiter, befristet Beschäftigten, "Langzeit- und Mehrfach"-Praktikanten, geringfügig Beschäftigten, Scheinselbständigen usw. weiter zunehmen.

7. These: Die Einkommensunterschiede werden größer werden: Die Zahl der Oberschichtfamilien wird zunehmen, die Zahl der Mittelschichtfamilien wird schrumpfen, und die Zahl der Unterschichtfamilien wird wachsen.

Diejenigen Menschen, die hohe Qualifikationen besitzen oder Spezialisten sind, werden immer besser verdienen. Für sie werden neue Konsumwelten und Erlebnisindustrien geschaffen werden. Allerdings werden Leistungsdruck und dadurch bedingter Stress weiter zunehmen. Und selbst diese Arbeitnehmer werden sich nicht sicher fühlen: Zum einen werden in Unternehmen immer mehr Managementebenen und damit auch Managerstellen abgebaut. Zum anderen werden auch Forschung und Entwicklung in den kommenden Jahren zunehmend nach Asien verlagert werden, da dort immer mehr hochqualifizierte Spezialisten zur Verfügung stehen.

Die Position von Frauen wird sich auf dem Arbeitsmarkt relativ zu Männern leicht verbessern. Jüngere Frauen haben laut Statistik Austria bereits seit dem 1980er Jahren ein höheres Bildungsniveau als ihre männlichen Altersgenossen. Immer mehr Frauen bekleiden wichtige Positionen, können also andere Frauen auf der Karriereleiter "nachziehen".

8. These: Da die Aufstiegschancen für gebildete Frauen besser werden, wird die Karriereorientierung weiter zunehmen: Frauen werden den Eindruck haben, Leistung lohne sich. Spaß an der Arbeit und Freude am eigenen Erfolg werden zur Sinnerfüllung beitragen.

Schlechter qualifizierte Frauen werden hingegen erwerbstätig sein müssen, da aufgrund der steigenden Belastung der Einkommen durch Steuern und Sozialversicherungsbeiträge und der hohen Lebenshaltungskosten ein Verdiener pro Familie zu wenig ist. So werden in allen Bevölkerungsschichten Haushalt und Familienerziehung weiter an Bedeutung verlieren.

9. These: Die Erwerbstätigkeit wird für Frauen einen immer höheren Stellenwert im Vergleich zur Familienarbeit bekommen. Aufgrund der Ausweitung der Kinderbetreuungsangebote werden immer mehr Mütter nach der Geburt ihrer Kinder immer früher und von der Stundenzahl her länger berufstätig sein.

Beruflich erfolgreiche Frauen und Männer werden immer seltener "Normalarbeitszeit"-Stellen haben; sie werden immer häufiger am Abend und am Wochenende arbeiten müssen. Dank Smartphone und Internet sind sie jederzeit zu erreichen. Immer mehr Arbeitnehmer werden auch bereit sein, eine Stelle an einem weiter entfernten Ort anzutreten. So werden die Wegezeiten länger werden; aber auch die Zahl der Wochenendehen wird steigen.

Weniger gut qualifizierte Arbeitnehmer werden zunehmend im Schichtbetrieb arbeiten müssen, da - zumindest in den größeren Städten - immer mehr Dienstleistungen bis in den Abend hinein und zum Teil schon rund um die Uhr angeboten werden. Immer häufiger werden Partner zu unterschiedlichen Zeiten berufstätig sein.

Ein zu geringes Einkommen, die Unsicherheit aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung und die Angst um den eigenen Arbeitsplatz wird vermutlich viele junge Menschen die Realisierung ihres Kinderwunsches (weiter) herausschieben lassen. Aber auch die Schwierigkeit, am gleichen Ort zwei Arbeitsplätze zu finden, wird zum immer häufiger werdenden "Living apart together" beitragen und damit eine Familiengründung verhindern. Erwachsene werden wahrscheinlich noch später als heute heiraten bzw. in einem noch höheren Lebensalter Kinder bekommen. Viele Paare werden ihren Kinderwunsch nicht (vollständig) realisieren, weil sie sich schließlich "zu alt für ein Kind" fühlen oder infertil geworden sind. Mehr Kinder werden aber auch mit Hilfe der Reproduktionsmedizin "gezeugt" werden.

Familienbeziehungen

Die starke berufliche Belastung, die unterschiedlichen Arbeitszeiten von Partnern und die langen Wegezeiten werden sich auch auf die Familienbeziehungen auswirken.

10. These: Erwerbstätige Eltern werden immer weniger Zeit für die Pflege der Paarbeziehung, den Haushalt, die Kindererziehung und (gemeinsame) Freizeitaktivitäten haben. So werden einerseits Entfremdung, Stress und Konflikte die Ehen noch labiler machen; wird es häufiger zu Trennung, Scheidung und Alleinerzieherschaft kommen. Andererseits werden die Bedürfnisse von immer mehr Kindern mangels Zeit vernachlässigt werden - auch dann, wenn diese in relativem Wohlstand aufwachsen. So könnte die Zahl von Kindern mit psychischen Problemen und Verhaltensauffälligkeiten weiter zunehmen.

Derzeit brauchen etwa 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Österreich aufgrund von Entwicklungsverzögerungen, psychischen Störungen und Verhaltensauffälligkeiten eine therapeutische Unterstützung. Dieser Bedarf wird laut der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde und der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie schon heute nicht gedeckt.

Arbeitslose Eltern werden viel Zeit für ihre Kinder haben - was natürlich nicht bedeutet, dass sie diese auch entsprechend nutzen werden. Da aufgrund der hohen Staatsverschuldung die finanzielle Unterstützung von Arbeitslosen zurückgehen dürfte, wird vermutlich die Zahl armutsgefährdeter Familien wachsen. Derzeit sind laut Statistik Austria mehr als 100.000 Kinder und Jugendliche arm.

Je weniger Zeit Eltern für ihre Kinder haben, umso schneller wird die enge Bindungsbeziehung zum Säugling locker werden, oder sie entsteht erst gar nicht. Konflikte werden häufiger, Eltern und Kind leben sich rasch auseinander.

11. These: Die Eltern-Kind-Beziehung wird lockerer. So müssen Kinder frühzeitig selbständig werden und für sich selbst sorgen.

Die Erwartungen an die kognitiven bzw. Schulleistungen der Kinder werden weiter steigen. Zum einen wirkt sich hier die zunehmende Angst vor einem sozialen Abstieg aus: Eltern wollen ihren Kindern die besten Entwicklungschancen bieten, damit diese später den immer größer werdenden Leistungserwartungen der globalen Wissensgesellschaft entsprechen und ein gutes Einkommen erzielen können. Zum anderen greifen sie die durch die Medien weit verbreiteten Erkenntnisse der Hirnforschung, der Lern- und der Entwicklungspsychologie auf. Dementsprechend werden Kinder frühzeitig in Kindertageseinrichtungen, Sportvereinen, Musik- und Sprachschulen angemeldet.

12. These: Der Leistungsdruck auf Kinder wird eher noch zunehmen. Sie werden gleichzeitig dafür verantwortlich gemacht, dass sie den Anforderungen entsprechen. So werden von ihnen eine hohe Lernmotivation, ein großer Arbeitseinsatz, viel Selbsttätigkeit und Durchhaltevermögen verlangt.

Allerdings werden auch in den kommenden Jahren viele Eltern Probleme damit haben, wie sie ihre Erziehungsziele umsetzen können. So ist weiterhin mit einer großen Erziehungsunsicherheit zu rechnen. Die Gefahr, dass Eltern Erziehungsschwierigkeiten erleben oder problematische Erziehungsstile entwickeln, wird groß bleiben.

Die zunehmende Erwerbstätigkeit von Frauen wird sich vor allem auf die Mutterrolle auswirken. So werden immer mehr Mütter Erziehungsaufgaben delegieren: Viele Kleinkinder werden das Krabbeln, Laufen und Sprechen nicht mehr zu Hause, sondern bei Tagesmüttern und in Kindertageseinrichtungen lernen. Pädagoginnen werden immer häufiger die Sauberkeitserziehung übernehmen und Kleinkindern beibringen, wie man sich an- bzw. auszieht und wie man ordentlich isst. Auch das Lernen für die Schule wird zunehmend von Dritten angeleitet und überwacht: Fast jeder vierte Schüler in Österreich erhält Nachhilfeunterricht; die Eltern geben dafür pro Jahr 140 Mio. Euro aus.

13. These: Die "neue" Mutterrolle ähnelt immer mehr der "alten" Vaterrolle. So wie Männer (früher) die Erziehung der Kinder ihren Frauen überließen, delegieren Mütter die Erziehung zunehmend an "Fachleute" wie Kindergartenpädagoginnen und Lehrer. Wie bei den Männern steht immer mehr die Berufsrolle im Vordergrund: Die moderne Frau definiert sich vor allem über ihre Erwerbstätigkeit - und dies unabhängig davon, ob sie aus finanziellen Zwängen, aus Freude an ihrem Job oder zwecks Selbstverwirklichung arbeitet.

Die Vaterrolle wird sich vermutlich weniger verändern.

14. These: Die Zahl der "neuen" Väter wird vermutlich klein bleiben; die anderen Väter werden aufgrund der zunehmenden Belastung durch den Beruf und längere Arbeitszeiten eher weniger Zeit als heute für ihre Kinder haben. Aufgrund der großen Labilität von Paarbeziehungen werden viele Väter getrennt von ihren Kindern wohnen.

Die in der Gesellschaft immer weniger werdenden Kinder werden aber mehr "Eltern" und Großeltern - bedingt durch Trennung, Scheidung, Wiederheirat, Spendersamen, Leihmütter, die höhere Scheidungsquote bei Patchwork-Familien usw. - sowie Urgroßeltern - bedingt durch steigende Lebenserwartung - haben. So könnte es sein, dass diese die mangelnde Zeit der Eltern zumindest teilweise kompensieren und auch Erziehungsaufgaben übernehmen werden. Allerdings werden immer mehr Großmütter und Großväter noch erwerbstätig sein oder wegen der weiter zunehmenden Mobilität an entfernten Orten leben.

15. These: Kinder werden immer mehr (leibliche und soziale) Eltern und Großeltern haben. Vertikale Beziehungen innerhalb von Vier- und Fünfgenerationenfamilien werden an Bedeutung gewinnen. Ausmaß und Qualität der Beziehungen werden immer mehr von räumlichen und emotionalen Faktoren abhängen ("Wahlverwandtschaft"). In manchen Fällen wird die "Sandwich"-Generation drei weitere Generationen unterstützen müssen (z.B. bei Krankheit oder Pflegebedürftigkeit).

Haushaltsführung und Freizeitverhalten

Aufgrund der längeren Arbeitszeiten werden sich viele Mütter immer weniger um den Haushalt kümmern können. Schon jetzt bestehen Mahlzeiten häufig aus Tiefkühlkost und Junkfood, werden sie vom Pizzaservice oder anderen Lieferdiensten gebracht. Außerdem essen die Eltern an fünf Tagen der Woche an ihrem Arbeitsplatz bzw. in dessen Nähe. Die Kinder werden ihre Mahlzeiten immer häufiger in der Kindertageseinrichtung bzw. Schule einnehmen.

Wenn Mütter (Vollzeit) erwerbstätig sind, reicht das Geld oft für eine Putzfrau. So können Frauen auch das Reinigen der Wohnung delegieren.

16. These: Es wird nicht nur immer weniger Hausfrauen geben, sondern auch immer weniger Haushaltstätigkeiten werden noch in den Familien ausgeübt werden.

Je weniger Wertschätzung die Hausarbeit erfährt und je weniger Zeit für sie zur Verfügung steht, desto weniger ansprechend und gemütlich werden die Wohnungen gestaltet sein. Eine eher kühle, zweckmäßige und pflegeleichte Ausstattung wird sich durchsetzen. Das Haus wird weniger ein Heim als ein (weiterer) Aufenthaltsort bzw. eine Schlafstätte sein. Die Familienmitglieder werden zu unterschiedlichen Zeiten nach Hause kommen und sich nach der "Selbstversorgung" in ihre Zimmer zwecks Mediennutzung, Erledigen von Hausaufgaben oder Gesprächen mit Freunden zurückziehen. Mahlzeiten im Familienkreis oder gemeinsame Haushaltsaktivitäten werden immer seltener werden.

In allen Schichten wird das Familienleben zunehmend multimedial geprägt. Hier ist mit eher geringen Unterschieden zwischen den verschiedenen Milieus zu rechnen, da die neuen Medien in allen Schichten nur selten privat zur Wissensaneignung genutzt werden. Vielmehr stehen zumeist Entertainment und Kommunikation im Vordergrund. Durch immer mehr Fernsehkanäle, durch Fernsehen über das Internet mit der Möglichkeit des Timeshifting, durch Online-Videotheken usw. wird der Medienkonsum eher noch zunehmen.

Immer mehr Zeit wird mit Computer- und Konsolenspielen sowie mit Online-Rollenspielen verbracht werden. In wenigen Jahren wird auch das vollständige Eintauchen in virtuelle Welten Realität werden. Immer mehr Menschen werden dort Rollen übernehmen und weitere Identitäten ausbilden. Reisen in künstlich geschaffene vergangene oder zukünftige Welten werden "lebensecht" wirken. Ferner werden die Familienmitglieder zunehmend mit anderen Menschen auf sozialen Websites, in Chatrooms, per Instant Messenger, Internet-Telefonie oder Handy kommunizieren.

17. These: Das Freizeitverhalten der Familienmitglieder wird in den kommenden Jahren immer mehr durch Fernsehen, Internet, Konsolen- und Computerspiele oder Rollenspiele in virtuellen Welten geprägt werden.

Für Kinder und Jugendliche werden in den kommenden Jahren aber auch reale Kontakte zu Freunden, das miteinander Spielen und der Sport wichtige Freizeitaktivitäten bleiben. Die erwachsenen Familienmitglieder werden neben der Mediennutzung ebenfalls weitere Freizeitaktivitäten praktizieren. Wohl ist damit zu rechnen, dass das Engagement in Sportvereinen weiter nachlassen wird - der nicht organisierte Sport und die Nutzung von Fitnesscentern wird aber zunehmen. Die Menschen werden eher noch mehr Wert auf eine gesunde Lebensführung legen und viel Geld für Anti-Aging-, Entspannungs- und Wellness-Angebote ausgeben. Aber auch Besuche von besonderen Events wie Festivals, Open-Air-Konzerten, Festen, Sportveranstaltungen, Erlebniswelten, besonderen Ausstellungen, Kabaretts usw. werden wichtige Freizeitaktivitäten sein.

Die Institutionalisierung der Kindheit

Die Betreuung, Erziehung und Bildung von 1- bis 5-Jährigen werden in den kommenden Jahren zunehmend von Kindergartenpädagoginnen und Tagesmüttern übernommen werden. Aufgrund des Drucks seitens Eltern und Politik werden die Öffnungszeiten von Kindertageseinrichtungen weit flexibilisiert werden - auf Dauer kann nicht weiter ignoriert werden, dass immer mehr Eltern auch am Abend oder am Wochenende arbeiten müssen.

18. These: Kleinkinder werden immer früher und länger Kindertageseinrichtungen besuchen. Sie werden während ihrer - flexibel gestalteten - Betreuungszeit nicht mehr nur von zwei, sondern in der Regel von mehreren Personen betreut werden. Dies dürfte das Entstehen von Bindungen bzw. von engen Beziehungen erschweren, aber auch das Erfassen, Beurteilen und Fördern der individuellen Entwicklung.

Ferner werden die Kinder nicht so leicht Freundschaften pflegen können, da sich die Zusammensetzung ihrer Gruppe während der Woche immer wieder ändert.

Die meisten Eltern, die solche Kindertagesstätten nutzen, werden hohe Erwartungen an das Bildungsangebot und die individuelle Förderung ihrer Kinder haben. So ist die Bedeutung der frühen Kindheit für den späteren Schulerfolg inzwischen allgemein bekannt - und damit wächst der Druck auf Kindertageseinrichtungen, eine qualitativ hochwertige frühkindliche Bildung zu leisten. Der Bundesländerübergreifender BildungsRahmenPlan für elementare Bildungseinrichtungen in Österreich, die Bildungspläne der Bundesländer sowie Medienberichte über besondere Modelleinrichtungen oder über "ausgefallene Angebote" einzelner Kindertagesstätten zeigen Eltern, was sie ihres Erachtens auch von ihrer Einrichtung erwarten können.

Damit bei Kleinkindern wirklich nichts verpasst wird, werden sie von ihren Eltern zusätzlich bei Einrichtungen wie z.B. Computer-, Musik- und Ballettschulen oder Sportvereinen angemeldet. Die Kinder haben oft einen Wochenplan, der nur wenig Raum für "Freizeit" lässt. Das wird auch in den kommenden Jahren so bleiben.

19. These: Kleinkindheit spielt sich immer mehr in Institutionen und an anderen "pädagogisch besetzten" Orten ab. Aber auch für ältere Kinder sind Abenteuer in der freien Natur, Treffen mit Freunden auf der Straße, Herumtollen und unbeaufsichtigtes Spielen selten geworden.

Kinder aus armen Familien, mit seit langem arbeitslosen Eltern oder aus sozialen Brennpunkten werden sich immer häufiger in einzelnen Regeleinrichtungen ballen. So werden ihre Eltern nicht die vermutlich höheren Beiträge für Kindertagesstätten mit privatgewerblichen Trägern, mit einem besonderen Bildungsangebot oder mit hohen Qualitätsstandards bezahlen wollen, können sie mangels Arbeitsplatz betriebliche Einrichtungen nicht nutzen. Auch werden Mittelschichtfamilien zunehmend Tagesstätten mit Kindern aus problematischen Verhältnissen meiden.

In den kommenden Jahren ist damit zu rechnen, dass die Aufenthaltsdauer von Kindern in Volks- und weiterführenden Schulen ausgeweitet wird. Jüngere Schulkinder werden am Nachmittag betreut werden, sodass ihre Eltern einer (Vollzeit-) Erwerbstätigkeit nachgehen können. Sie werden dann vielerorts auch sozialpädagogische Angebote nutzen können. Ältere Schulkinder werden zunehmend am Nachmittag Unterricht haben. Der Leistungsdruck wird weiter zunehmen - auch aufgrund von Forderungen seitens der Wirtschaft, die Schüler/innen für die Wissensgesellschaft zu qualifizieren.

20. These: Kinder und Jugendliche werden immer mehr Zeit in der Schule verbringen, die neben Bildung und Unterricht zunehmend Betreuungs- und Erziehungsaufgaben übernehmen wird.

Schlusswort

In den kommenden Jahren werden Familien intensiven Einflüssen durch Wirtschaft, Gesellschaft, Politik und Medien unterliegen, die große Veränderungen hinsichtlich der finanziellen Situation, der Kindererziehung und der Gestaltung des Familienlebens mit sich bringen werden. Insbesondere die Eltern sind gefordert, sich mit diesen Einwirkungen bewusst auseinanderzusetzen und Konsequenzen daraus für ihr Verhalten in der Paarbeziehung und gegenüber ihren Kindern zu ziehen.

Anmerkung

Einen aktuelleren, umfassenderen und mit Literaturangaben bzw. Links versehenen Artikel über die Zukunft der Familie in Österreich finden Sie unter www.ipzf.de/Oesterreich.pdf://www.ipzf.de/Oesterreich.pdf