Erfolgreiche Familienbildung - nur in Kooperation mit anderen!

Martin R. Textor

 

Es gibt nichts so intim Menschliches wie die Beziehung zwischen einer Mutter und ihrem Baby bzw. Kleinkind. Die Ehe bzw. Partnerschaft und die Familie sind immer noch die vorherrschenden menschlichen Lebensformen; ihnen kommt seitens der Gesellschaft und der Politik eine hohe Wertschätzung zu. Als Familienbildner aus Mitmenschlichkeit, Nächstenliebe und Solidarität in dieses Beziehungsgeflecht bildend, beratend und unterstützend einzuwirken, ist humanitäres Handeln "in Reinkultur" - insbesondere wenn dabei die prinzipielle Gleichheit aller Menschen jeder Herkunft, jeden Geschlechtes und jeder Religion und damit auch die prinzipielle Gleichheit aller Formen des Zusammenlebens bzw. der Familie berücksichtigt werden.

In diesem Artikel möchte ich vor dem Hintergrund der PISA-Studien "neue" Herausforderungen für die Familienbildung aufzeigen, nämlich die Stärkung der Bildungsfunktion von Familien, das Erreichen sozial benachteiligter Familien und die Vernetzung von Familienbildungsstätten mit Kindergärten, Schulen, Jugendämtern, Erziehungsberatungsstellen und anderen Institutionen.

Die Bildungsmacht der Familie

In Tausenden von empirischen Studien und Grundsatzartikeln haben Psycholog/innen, Erziehungswissenschaftler/innen und - in jüngerer Zeit - Hirnforscher/innen nachgewiesen, wie wichtig die ersten Lebensjahre für die weitere Entwicklung eines Kindes sind. Dieser Zeitabschnitt wird in erster Linie von der Familie geprägt, seit einigen Jahrzehnten auch zunehmend durch Kindertageseinrichtungen.

Während in der Öffentlichkeit weiterhin der Eindruck vorherrscht, dass die Schule die erste und die wichtigste Bildungseinrichtung sei, ist seit langem wissenschaftlich nachgewiesen, dass die Familie stärker die Bildungslaufbahn eines Kindes prägt als die Schule. Schon in den 1960er Jahren wurden in den Aufsehen erregenden Büchern "Equality of Educational Opportunity" von Coleman et al. (1966) und "Children and Their Primary Schools" von Plowden (1967) anhand von Untersuchungen aufgezeigt, dass der Anteil der Schule am Schulerfolg von Kindern nur etwa halb so groß wie der Anteil der Familie ist. Seitdem wurden Hunderte von empirischen Studien veröffentlicht, in denen ganz unterschiedliche Merkmale von Familien und Schulen in Bezug zur Schulleistung von Kindern erforscht wurden. Metaanalysen zeigten, dass bei den weitaus meisten Untersuchungen die Effektstärken der Lernbedingungen in der Familie größer waren als die Effektstärken von Schul-, Lehrer-, Unterrichts- und Methodenmerkmalen (Fraser et al. 1987).

Die kindliche Entwicklung wird in den ersten Lebensjahren auf eine so intensive Weise durch die Familie geprägt, dass die Kinder selbst bei gleicher Intelligenzausstattung und Begabung mit unterschiedlichen Voraussetzungen in die Grundschule kommen. Den Lehrer/innen gelingt es dann nicht, die "benachteiligten" Kinder so zu fördern, dass sie mit den Gleichaltrigen aus "bildungsmächtigen" Familien mithalten können. Vielmehr öffnet sich die "Leistungsschere" zwischen den Schüler/innen mit der Zahl der Schuljahre immer mehr (Krumm 1995): Im Jugendalter sind die Unterschiede im Wissen und Können zwischen Gymnasiast/innen und Hauptschüler/innen bereits sehr stark ausgeprägt.

Allgemein bekannt dürfte inzwischen der Zusammenhang zwischen der "Bildungsschwäche" von Familien und ihrem sozioökonomischen Status sein. Beispielsweise haben die PISA-Studien ergeben, dass Kinder aus Akademikerfamilien eine viermal größere Abiturchance als Kinder aus Facharbeiterfamilien haben. Selbst Unterschichtkinder mit besten Leistungen bleiben in der Hauptschule. Ausländerkinder haben in Deutschland schlechtere Bildungschancen als in anderen Industrienationen mit einem ähnlichen Ausländeranteil.

Konsequenzen für die Politik

In einer durch Globalisierung gekennzeichneten Wissensgesellschaft kann Deutschland nur wettbewerbsfähig bleiben, wenn die kognitiven Ressourcen der erwerbstätigen Generation voll ausgeschöpft werden. Zugleich müssen die Begabungen der nachwachsenden Generation erschlossen werden, müssen die Kinder bestmöglich gefördert werden. Aus den skizzierten wissenschaftlichen Erkenntnissen über die große Bedeutung der Familie ergeben sich in diesem Zusammenhang zwei Konsequenzen:

  1. Insbesondere während der ersten Lebensjahre der Kinder sollten "bildungsmächtige" Familien gestärkt werden.
  2. "Bildungsschwache" Familien müssen besonders intensiv unterstützt werden: Einerseits sollten die Eltern Kompetenzen erwerben, die es ihnen ermöglichen, die Entwicklung ihrer Kinder besser zu fördern. Andererseits sollten für die Kinder kompensatorische Maßnahmen angeboten werden, durch die Entwicklungsverzögerungen frühstmöglich abgebaut werden und eine mangelnde Stimulierung ausgeglichen wird.

Bisher haben sich m.E. Bildungs- und Familienpolitik noch nicht in wünschenswertem Maße mit diesen Herausforderungen befasst und entsprechende politische Ziele formuliert. Aber auch die Kommunalpolitik ist gefragt, da Familien auf der lokalen Ebene am besten erreicht werden können. Generell sollte angestrebt werden, dass seitens Politik, Verwaltung und Wissenschaft flächendeckende Programme entwickelt werden, die der Förderung der Bildungsfunktion von Familien dienen. Diese könnten dann von Familienbildungseinrichtungen, Volkshochschulen, Jugendämtern, Kindertagesstätten, Schulen, Kirchen, Verbänden usw. umgesetzt werden.

Derzeit setzt die Politik jedoch auf einen Ausbau der Kindertagesbetreuung: Einerseits sollen mehr Angebote für Unterdreijährige gemacht werden, andererseits sollen die Öffnungszeiten der Kindertageseinrichtungen verlängert und Schulkinder bei Bedarf nachmittags betreut werden, sodass ihre Eltern ganztags erwerbstätig sein können. Die Tendenz geht also in die Richtung, dass Kinder weniger Zeit in der "Bildungseinrichtung" Familie und mehr Zeit in Fremdbetreuung verbringen. Beispielsweise findet sich auf der Website des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2006) folgende Aussage: "Die Ausdehnung der Arbeitszeit im Übergang vom männlichen Alleinverdienermodell zum individual-adult-worker-Modell (Männer und Frauen sind potentielle Arbeitnehmer) ist enorm. So arbeitete ein Mann Anfang der 60er Jahre zwar noch 48 Stunden in der Woche, heute verbringen Mann und Frau zusammen aber durchschnittlich mehr als 70 Stunden im Beruf". Im Umkehrschluss bedeutet das, dass die Eltern heute 22 Stunden weniger an Zeit zur Verfügung haben, um ihren familiären Verpflichtungen nachkommen zu können.

Unerforscht ist bisher geblieben, wie sich diese Verschiebung von der familialen Bildung und Erziehung hin zur öffentlichen Kindertagesbetreuung auf die allgemeine Entwicklung und auf die Schulleistungen der Kinder auswirkt. Zu vermuten ist, dass erzieherische und bildende Einwirkungen auf das einzelne Kind z.B. in einer Kindergartengruppe mit bis zu 28 Kindern nicht so intensiv sind wie entsprechende Einwirkungen in einer Familie mit zwei oder drei Kindern. So zeigte eine Studie von Tietze, Roßbach und Grenner (2005) auf, dass der Einfluss des Kindergartens auf die Entwicklung und die späteren Schulleistungen von Kindern bei weitem nicht so stark ist wie der Einfluss der Familie. Ähnliches dürfte auch für die Schülernachmittagsbetreuung gelten, zumal sie oft von pädagogisch nicht qualifiziertem Personal durchgeführt wird.

Bildung in der Familie - eine Herausforderung für die Familienbildung

Derzeit finden Eltern, die ihr pädagogisches Wissen erweitern und ihre Erziehungskompetenzen verbessern wollen - ohne einen Beratungsbedarf zu haben -, relevante Angebote vor allem im Bereich der Familienbildung. Als deren allgemeines Ziel kann die Unterstützung von Familien durch überwiegend bildende Angebote bezeichnet werden. Diese sollen ein partnerschaftliches Miteinander, ein erfolgreiches Erfüllen der Familienfunktionen und ein möglichst problemloses Durchlaufen des Familienzyklus mit seinen Entwicklungsaufgaben ermöglichen (Textor 1996). Unterschieden werden die institutionelle Familienbildung, die überwiegend durch Kurse und Vorträge in Erwachsenenbildungseinrichtungen erfolgt, die informelle Familienbildung, die sich ohne Beteiligung von "Fachleuten" z.B. in Elterninitiativen, Mütterzentren und Selbsthilfegruppen vollzieht, sowie die mediale Familienbildung in der Form von Elternzeitschriften, Erziehungsratgebern und entsprechenden Websites (z.B. www.familienhandbuch.de).

Als Leistung der Kinder- und Jugendhilfe ist die Familienbildung in § 16 SGB VIII gesetzlich verankert:

(1) Müttern, Vätern, anderen Erziehungsberechtigten und jungen Menschen sollen Leistungen der allgemeinen Förderung der Erziehung in der Familie angeboten werden. Sie sollen dazu beitragen, dass Mütter, Väter und andere Erziehungsberechtigte ihre Erziehungsverantwortung besser wahrnehmen können. Sie sollen auch Wege aufzeigen, wie Konfliktsituationen in der Familie gewaltfrei gelöst werden können.

(2) Leistungen zur Förderung der Erziehung in der Familie sind insbesondere

  1. Angebote der Familienbildung, die auf Bedürfnisse und Interessen sowie auf Erfahrungen von Familien in unterschiedlichen Lebenslagen und Erziehungssituationen eingehen, die Familie zur Mitarbeit in Erziehungseinrichtungen und in Formen der Selbst- und Nachbarschaftshilfe besser befähigen sowie junge Menschen auf Ehe, Partnerschaft und das Zusammenleben mit Kindern vorbereiten, ...

Liest man diesen Paragraphen, fällt zum einen auf, dass die derzeitigen Angebote der Familienbildung weit über die hier genannten Aufgaben hinausgehen, sich also z.B. auch auf die Haushalts-, die Gesunderhaltungs- und die Freizeitfunktion von Familien beziehen. Zum anderen wird überhaupt nicht auf die Bildungsfunktion eingegangen; die Familienerziehung steht eindeutig im Vordergrund. Dieses Manko ist von den Trägern der Familienbildung bisher kaum wahrgenommen worden, und so finden Eltern nur selten Angebote, die sich speziell auf die Förderung der sprachlichen und kognitiven Entwicklung von Kindern, die Weckung von Lesefreude, die Vermittlung lernmethodischer Kompetenz, die Stärkung von Leistungsmotivation und Frustrationstoleranz oder die Kooperation mit Kindergarten und Schule beziehen.

So sollte sich die Familienbildung in Zukunft verstärkt auf die Bildungsfunktion von Familien konzentrieren. Es gilt, vor allem folgende bildungsrelevante Merkmale zu fördern:

  1. eine qualitativ gute Kommunikation zwischen Eltern und Kindern (also auch bezogen auf Wortschatz, Begriffsverständnis, Komplexität von Sätzen usw.),
  2. Unterstützung des (Klein-) Kindes bei der Erkundung der Welt und bei der Aufnahme sozialer Beziehungen,
  3. bildende Aktivitäten in der Familie, z.B. Beschäftigung mit Lernspielen, Vorlesen, Experimentieren, Gespräche über Fernsehfilme, Bücher, naturwissenschaftliche Themen oder politische Ereignisse,
  4. eine positive Einstellung zu Lernen und Leistung, zu Kindertageseinrichtung, Schule und Berufsausbildung bzw. Studium,
  5. positive Interaktionen über das, was in der Schule und im Unterricht passiert, Unterstützung bei den Hausaufgaben, ein hohes Anspruchsniveau hinsichtlich Schulleistung und -abschluss,
  6. ein enger Kontakt zwischen Eltern und Erzieher/innen bzw. Lehrer/innen, damit erstere wissen, wie sie außerfamiliale Bildungs- und Erziehungsbemühungen zu Hause unterstützen können.

Anbieter von Familienbildung sollten also besondere Kursprogramme entwickeln, die der Stärkung der Bildungsfunktion von Familien dienen. Besonders wichtig sind Angebote, die in den ersten sechs Lebensjahren von Kindern greifen, da dieser Zeitabschnitt für deren weitere (schulische) Entwicklung von größter Bedeutung ist. Zudem sind junge Eltern motivierter, sich mit pädagogischen und kinderpsychologischen Themen zu befassen und sich intensiv ihren Kindern zu widmen. Insbesondere während des Erziehungsurlaubs können sie zudem relativ leicht tagsüber an Angeboten der Familienbildung teilnehmen.

Neue Zielgruppen erreichen

Die Angebote der Familienbildung werden nach verschiedenen Untersuchungen überwiegend von Müttern und Mittelschichtfamilien genutzt (z.B. Schiersmann et al. 1998). Junge Erwachsene sowie "bildungsschwache", sozial benachteiligte und ausländische Eltern werden hingegen nur selten erreicht. So sind seitens der Anbieter von Familienbildung noch größere Anstrengungen als bisher notwendig, um insbesondere die letztgenannten Zielgruppen zu erreichen. Gerade bei ihnen sind Maßnahmen zur Verbesserung der Bildungsfunktion besonders wichtig, da nach den vorliegenden Untersuchungen viele Kinder aus diesen Familien unzureichend in ihrer Entwicklung gefördert und während ihrer Schullaufbahn unterstützt werden.

Bei Migrantenfamilien reicht es aber nicht, nur auf die Bildungsfunktion positiv einzuwirken. Hier muss auch Interesse am Erlernen und am Verwenden der deutschen Sprache geweckt werden. Den Eltern ist bewusst zu machen, dass ihre Kinder in Deutschland - oder (bei einer Rückkehroption) in ihrem Herkunftsland - nur Erfolg haben werden, wenn sie das Bildungssystem erfolgreich durchlaufen. Zugleich sollten sie motiviert werden, selbst Sprachkurse zu besuchen.

Die Notwendigkeit von Vernetzung und Kooperation

In den letzten Jahren sind - oft im Rahmen von Modellversuchen - neue Methoden entwickelt worden, um diese Eltern anzusprechen. Dabei wurde in der Regel die Zusammenarbeit mit anderen Einrichtungen gesucht. Vier Projekte sollen im Folgenden exemplarisch vorgestellt werden.

1. Beispiel: Hammer Elternschule

Die Stadt Hamm (2003) finanziert eine Geschäftsstelle Elternschule, die ein Netzwerk aus rund 30 für Familien relevanten Einrichtungen und Trägern der Jugendhilfe geschaffen hat. Neben der Koordination und Abstimmung von Maßnahmen geht es um die Entwicklung neuer Angebote für Eltern, wobei aufsuchende und stadtteilorientierte Arbeitsformen im Vordergrund stehen: So sucht eine Familienhebamme des Gesundheitsamtes schwangere Frauen - insbesondere aus sozial benachteiligten Bevölkerungskreisen - in ihren Wohnungen auf, um einem eventuell gegebenen gesundheitlichen Risikoverhalten entgegenzuwirken. Sie begleitet die Mütter nach der Entbindung und hilft, Unerfahrenheit und Informationsdefizite auszugleichen. Für Familien mit Kindern unter drei Jahren gründete das Diakonische Werk eine "Aufsuchende Elternhilfe": Besonders geschulte Laien besuchen junge Eltern und alleinerziehende Mütter, um sie zu beraten, zu unterstützen und über weitergehende Hilfen zu informieren. Dabei geht es auch um Fragen der Säuglingspflege und der Erziehung von Kleinkindern. Ferner wurden mehr als 40 Personen als Leiter/innen des Kurses "Starke Eltern - starke Kinder" ausgebildet und führen dieses Programm nun mit interessierten Eltern durch. Dazu gehören auch Multiplikator/innen mit Migrationshintergrund.

2. Beispiel: Maßnahmen zur Behebung der lokalen Erziehungskrise in Gütersloh

Die Stadt Gütersloh (2002) nahm zunächst eine Bestandsaufnahme der Erziehungsprobleme und der relevanten Hilfsangebote vor Ort vor, und zwar durch statistische Analysen und eine Befragung aller Kindertagesstätten, Schulen, Jugendeinrichtungen, Beratungsstellen und sozialen Dienste. Dabei wurden auch deren Handlungsempfehlungen erfasst. Auf dieser Grundlage wurden verschiedene Maßnahmen geplant und realisiert. Dazu gehören ein flächendeckendes Angebot von Elternschulen an allen Kindertagesstätten, die Verbesserung der Elternarbeit in Kindertageseinrichtungen und Schulen - auch durch Qualitätskontrolle -, und eine kampagnenartige "Erziehungsoffensive" in der Öffentlichkeit. An weiterführenden Schulen wurde für die Schüler/innen ein fächerübergreifendes Angebot "Elternschaft und Erziehung" geschaffen.

3. Beispiel: Ausbau von Kindertageseinrichtungen zu Familienzentren in Nordrhein-Westfalen

Innerhalb von einem Jahr wurden bereits 261 Kindertagesstätten zu Familienzentren ausgebaut und mit einem Gütesiegel "Familienzentrum NRW" ausgezeichnet. Fast 1.000 weitere Kindertageseinrichtungen haben sich auf den Weg zum Familienzentrum gemacht. Bis 2012 soll es rund 3.000 dieser Einrichtungen in Nordhrein-Westfalen geben. Sie sollen neben der Kindertagesbetreuung Familienbildung und Beratung für Eltern anbieten und Familien "passgenau" unterstützen. So kooperieren sie z.B. mit Familienberatungsstellen, die regelmäßig in das Familienzentrum kommen, um das pädagogische Personal zu unterstützen sowie um Eltern bei Elternabenden oder in Kursen über Erziehungsfragen zu informieren und zu beraten. Aber auch mit Familienbildungsstätten und anderen Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe wird kooperiert. Ziel von Minister Armin Laschet ist es, dass Kindern und Eltern bei der Überwindung von Alltagskonflikten frühzeitiger geholfen werden kann: "Durch die Bündelung der vorhandenen Angebote werden die Möglichkeiten des präventiven Handelns verbessert. Es wird frühzeitige Hilfe und Beratung für alle Familien angeboten. Dazu zählen auch Familien mit Zuwanderungsgeschichte und aus sozial benachteiligten und bildungsfernen Schichten. Die Kindertageseinrichtungen sind der ideale Ort für die Familienzentren, denn Eltern vertrauen diesen Einrichtungen, in denen sie ihre Kinder stundenweise betreut werden. Deshalb ist das der beste Ort für Beratung" (Pressemitteilung des MGFFI vom 11.05.2006). Ob Familienzentren aber die genannten Ziele erreichen werden, ist angesichts unzureichender Finanzierung noch offen.

4. Beispiel: Niedersächsische Kooperations- und Bildungsprojekte an schulischen Standorten (NiKo)

Das vor wenigen Wochen begonnene NiKo-Programm soll die Kooperation zwischen Schule und Jugendhilfe, Bildungsträgern und Familien fördern. Angezielt wird, die Entwicklungsmöglichkeiten aller Kinder und Jugendlichen, insbesondere aber gefährdeter junger Menschen in sozialen Brennpunkten, zu verbessern und damit ihre gesellschaftliche Integration zu fördern. Dazu sollen Erziehungs- und Bildungspartnerschaften zwischen Familie, Jugendhilfe und Schule entwickelt werden.

An 77 Standorten mit jeweils mindestens zwei Schulen sollen als Projektmitarbeiter eingestellte Sozialarbeiter/innen anhand lokaler Konzepte konkrete Netzwerke auf- bzw. ausbauen, deren Mitglieder einen Beitrag zur Förderung von Bildung und Erziehung, zur Stärkung der erzieherischen Kompetenzen von Eltern und zum Abbau von Bildungsbenachteiligungen leisten können. So sollen zielgruppenspezifische sozialpädagogische Angebote für Familien mit einem besonderen Beratungs- und Unterstützungsbedarf entstehen.

Diese und ähnliche Projekte verdeutlichen, dass "bildungsschwache", sozial benachteiligte und Migrantenfamilien am besten durch aufsuchende und stadtteilorientierte Arbeitsformen, offene Angebote und die Einbindung von Fachkräften bzw. Multiplikator/innen mit Migrationshintergrund erreicht werden können. Allerdings dienen auch hier die meisten Maßnahmen in erster Linie der Verbesserung der Erziehungsfunktion von Familien. Ein bewusster Versuch, auch bildungsrelevante Familienfaktoren positiv zu beeinflussen, unterbleibt zumeist. Ferner wird deutlich, dass die meisten skizzierten Maßnahmen sehr zeit- und arbeitsaufwendig sind; sie können nur in einem Verbund verschiedener Institutionen und (Wohlfahrts-) Verbände geleistet werden.

Viele Fachleute haben erkannt, dass man alle Familien nur über die Kindertageseinrichtungen und später über die Schulen erreichen kann. So haben viele Familienbildungsstätten Elternkurse und ähnliche Veranstaltungen an Kindergärten initiiert. Familienbildner/innen können aber auch Erzieher/innen weiterqualifizieren, z.B. hinsichtlich der Elternarbeit (mit besonderen Zielgruppen) oder der Gesprächsführung.

Schlusswort

Wenn Bildungs-, Familien- und Kommunalpolitik die Begabungsressourcen der nachwachsenden Generation ausschöpfen wollen, damit Deutschland auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig bleiben und Herausforderungen wie z.B. die Überalterung der Bevölkerung meistern kann, müssen sie die "Bildungsmacht" der Familien stärken. Dies geht nur, wenn mehr Mittel für die Entwicklung von Programmen bereitgestellt werden, mit denen eine Verbesserung bildungsrelevanter Familienfaktoren erreicht werden kann. Anbieter von Familienbildung sind am besten qualifiziert, solche Programme in Kooperation mit Wissenschaftler/innen zu konzipieren.

Konnte der Erfolg dieser Maßnahmen nachgewiesen werden, müsste seitens der Politik die flächendeckende Umsetzung finanziert werden. Da die Durchführung der Programme eine bestimmte Qualifikation der Referent/innen verlangt und zumeist in Kursform erfolgen dürfte, sollte diese Aufgabe vor allem Trägern der Familienbildung übertragen werden. Die Angebote müssten aber zu einem großen Teil außerhalb von Erwachsenenbildungseinrichtungen erfolgen, also z.B. in Kindertageseinrichtungen und Schulen. Nur so können alle Familien erreicht werden.

Literatur

Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Familien und Familienpolitik im europäischen Vergleich (25.04.2006). http://www.bmfsfj.de/bmfsfj/generator/Politikbereiche/familie,did=75122.html (abgerufen am 23.10.2007; Mitte 2018 nicht mehr aufrufbar)

Coleman, J.S. et al.: Equality of Educational Opportunity. Washington 1966

Fraser, B.J. et al.: Syntheses of Educational Productivity Research. International Journal of Educational Research 1987, 11, S. 147-251

Helmke, A./Weinert, F.E.: Bedingungsfaktoren schulischer Leistungen. In: F.E. Weinert (Hrsg.): Psychologie des Unterrichts und der Schule. Enzyklopädie der Psychologie, Themenbereich D, Serie I, Bd. 3. Göttingen 1997, S. 71-176

Krumm, V.: Über die Vernachlässigung der Eltern durch Lehrer und Erziehungswissenschaft. Plädoyer für eine veränderte Rolle der Lehrer bei der Erziehung der Kinder. Manuskript. Salzburg 1995 (später erschienen in: Zeitschrift für Pädagogik 1996, Sonderheft 34, S. 119-140)

Plowden, B. (Hrsg.): Children and Their Primary Schools. London 1967

Schiersmann, C. et al.: Innovationen in Einrichtungen der Familienbildung. Eine bundesweite empirische Institutionenanalyse. Opladen 1998

Stadt Gütersloh (Hrsg.): Über die Qualität der Erziehung von Kindern und Jugendlichen in der Stadt Gütersloh. Beobachtungen und Maßnahmen zur lokalen Erziehungskrise in Gütersloh. Bearbeitet von Heike Vieregge und Ansgar Wimmer. Gütersloh: Selbstverlag 2002

Stadt Hamm: Grundsatzbeschluss zur Einführung der "Hammer Elternschule". Beschlussvorlage Nr. 2848/02 der Verwaltung vom 17.02.2003

Textor, M.R.: Allgemeine Förderung der Erziehung in der Familie. § 16 SGB VIII. Stuttgart 1996

Tietze, W./Roßbach, H.-G./Grenner, K.: Kinder von 4 bis 8 Jahren. Zur Qualität der Erziehung und Bildung in Kindergarten, Grundschule und Familie. Weinheim 2005