Pflege- und Adoptivfamilien

Martin R. Textor

 

Bei Familienpflege und Adoption übernehmen Erwachsene die "soziale Elternschaft" für von ihnen nicht gezeugte Kinder - im ersten Fall für eher kurze Zeit oder (rechtlich) bis zur Volljährigkeit (bzw. auf Antrag spätestens bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres), im zweiten Fall auf Lebenszeit wie bei leiblichen Kindern. In der Regel handelt es sich um Kinder, die von ihren biologischen Eltern aus einer Vielzahl möglicher Gründe nicht selbst erzogen werden konnten (z.B. wegen Tod/ Krankheit, Erziehungsunfähigkeit, Überforderung, fehlender Beziehung zum Kind, sozialer Notlagen u.v.a.m.), die verlassen oder verstoßen wurden bzw. die wegen Vernachlässigung, Misshandlung, sexuellem Missbrauch oder anderen zwingenden Gründen aus ihren Herkunftsfamilien herausgenommen werden mussten.

Die Familienpflege ist eine Jugendhilfemaßnahme; sie wird dementsprechend weitgehend im Kinder- und Jugendhilfegesetz (SGB VIII) geregelt. Bei der Adoption handelt es sich hingegen um eine Form der Familiengründung; die rechtlichen Grundlagen finden sich überwiegend im Adoptionsgesetz des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Das Kind wird von den Erwachsenen als (gemeinschaftliches) eheliches Kind angenommen; seine Rechtsstellung entspricht derjenigen eines leiblichen Kindes (Volladoption). Mit Vollzug der Adoption durch das Vormundschaftsgericht (Dekretsystem) erlöschen alle verwandtschaftlichen Beziehungen zu den leiblichen Eltern und anderen Angehörigen sowie die sich daraus ergebenden Rechte und Pflichten. Bei der vorherrschenden Inkognitoadoption - im Gegensatz zu offenen Formen der Adoption (vgl. Paulitz 1997; Textor 1991) - bestehen keinerlei Kontakte zur Herkunftsfamilie fort.

Unter sozialpädagogischen Gesichtspunkten hat es sich bewährt, folgende "Gruppen" von Adoptionen zu unterscheiden (Textor 1996):

Jedes Jahr werden nur noch etwa 3.500 Fremdadoptionen vollzogen. Im Vergleich hierzu werden pro Jahr rund 11.000 Kinder und Jugendliche in Pflegefamilien platziert, wobei es sich aber in circa 2.000 Fällen um Verwandtenpflege handelt. Generell lassen sich folgende Formen der Familienpflege unterscheiden:

Im Folgenden werde ich mich auf die Dauerpflege beschränken. Sie kann je nach den Erfordernissen des Einzelfalles gemäß § 33 Satz 1 SGB VIII eine "zeitlich befristete Erziehungshilfe" oder "eine auf Dauer angelegte Lebensform" sein. Im ersten Fall spricht man auch von der Pflegefamilie als "Ergänzungsfamilie", im zweiten Fall von ihr als "Ersatzfamilie". Nach vielen empirischen Forschungsergebnissen (zusammengefasst z.B. in Textor 1993b, 1995a) kann man davon ausgehen, dass die letztgenannte Form überwiegt. Hier haben die Pflegekinder keinen oder kaum Kontakt zu den leiblichen Eltern, ist die Rückkehroption nicht gegeben. Problematisch ist, dass zum Zeitpunkt der Inpflegegabe nur schwer deren voraussichtliche Dauer abgeschätzt werden kann. Dazu müssen z.B. Qualität und Intensität der Eltern-Kind-Beziehung und Möglichkeiten zur Verbesserung der Situation in der Herkunftsfamilie genau untersucht werden. Deutlich wird, dass der Prognose und der Erstellung eines Hilfeplans eine große Bedeutung zukommt (siehe hierzu Heindl 1995).

Probleme von Pflegefamilien

Vielen Pflegefamilien fällt es nicht leicht, ein akzeptables Selbstverständnis von ihrer Funktion und Rolle zu entwickeln. Auf der einen Seite haben die meisten Pflegeeltern das Bedürfnis, "sich als ganz normale Familie zu verstehen und ihr Pflegekind als quasi eigenes Kind zu betrachten" (Goldbeck 1984, S. 313). In ihrem Erleben gehört das Pflegekind - einige Zeit nach seiner Platzierung - zur Familie, nehmen sie die Vater- und Mutterrolle ihm gegenüber wahr. Auf der anderen Seite sind sie rechtlich gesehen nicht die Eltern des Pflegekindes; die Elternrechte verbleiben in der Regel bei den leiblichen Eltern oder liegen bei einem Vormund. Hinzu kommt, dass die Pflegeelternschaft immer zeitlich begrenzt und oft von unbestimmter Dauer ist - selbst seit vielen Jahren bestehende Pflegeverhältnisse werden manchmal von Jugendamtsmitarbeiter/innen für die Pflegeeltern überraschend und unverständlich aufgelöst. Außerdem sind Pflegepersonen nach § 37 Abs. 1 SGB VIII verpflichtet, mit den leiblichen Eltern zum Wohle des Kindes oder des Jugendlichen zusammenzuarbeiten, was natürlich ebenfalls die Vorstellung, eine ganz normale Familie zu sein, infrage stellt. Schließlich haben viele Pflegekinder Kontakt zu den leiblichen Eltern. Sie erleben sich als Mitglied zweier Familiensysteme (doppelte Elternschaft).

Voller Widersprüche ist aber auch das Verhältnis der Pflegeeltern zum Jugendamt: Einerseits führen erstere die Jugendhilfemaßnahme "Vollzeitpflege" (§ 33 SGB VIII) durch, sind Pflegefamilien also eine Institution der Jugendhilfe und damit Partner des Jugendamtes. Andererseits wird ihnen im Gegensatz zu anderen Trägern der Jugendhilfe eine Beratungs- und Unterstützungsbedürftigkeit unterstellt (vgl. § 37 Abs. 2 SGB VIII), unterliegen sie in höherem Maße der Kontrolle durch das Jugendamt (siehe § 37 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII). So schreibt Heitkamp (1989): "Mit jedem Hausbesuch in der Pflegefamilie wird zugleich auch deren Doppelrolle innerhalb der Jugendhilfe offenbart: sie ist Teil des Jugendhilfeangebots und gleichzeitig auch Klient derselben" (S. 108).

Oft ist das Verhältnis zwischen Pflegeeltern und Jugendamt von Anfang an problematisch. So werden viele Pflegekinder in einer akuten Krisensituation aus der Herkunftsfamilie herausgenommen. Dementsprechend plötzlich erfolgt die Inpflegegabe - und trifft die Pflegeeltern unvorbereitet. Es fehlt die Zeit für eine langsame Kontaktanbahnung und eine bewusste Entscheidung für das Kind. Problematisch ist aber auch, wenn die Pflegeeltern nur wenige Informationen über die Vorgeschichte des Kindes (traumatische Ereignisse), seinen Entwicklungsstand (Verhaltensauffälligkeiten), seine Beziehung zu den leiblichen Eltern und seine Familienverhältnisse erhalten. Dadurch wird es ihnen unnötig erschwert, das Verhalten und Erleben ihres Pflegekindes zu verstehen. Hinzu kommt, dass häufig Pflegeeltern und Pflegekind über die voraussichtliche Dauer des Pflegeverhältnisses und die Wahrscheinlichkeit der Rückführung in die Herkunftsfamilie im Unklaren gelassen werden (oft wegen mangelhafter Hilfeplanung bzw. fehlender Einbindung in dieselbe; vgl. § 36 SGB VIII). Dies erschwert den Pflegeeltern die Beziehungsaufnahme und Erziehung, während das Pflegekind existenziell verunsichert ist, weil es nicht weiß, zu welcher Familie es nun gehört und wie verlässlich das Beziehungsangebot der Pflegepersonen ist. Insbesondere bei Kindern, die schon zuvor fremdplatziert wurden und sich als Spielball unbekannter Mächte (Jugendamtsmitarbeiter/innen, Vormundschaftsrichter/innen usw.) erlebt haben, kann hierdurch eine bereits bestehende Bindungsunsicherheit verstärkt werden. Wurden sie von den leiblichen Eltern misshandelt oder sexuell missbraucht, bleibt die Angst vor ihnen, da sie immer mit einer Rückführung in die Herkunftsfamilie rechnen.

Aufgrund der plötzlichen Inpflegegabe, der abrupten Trennung von Geschwistern und anderen Verwandten, der unsicheren Lebensperspektive und insbesondere früherer Beziehungsabbrüche und Traumata, die oft beim Pflegekind große psychische Probleme und Verhaltensauffälligkeiten auslösten, ist die Eingewöhnungszeit in der Regel eine Phase der Erziehungsschwierigkeiten und Umstrukturierungen. Die Pflegefamilien werden mit "Problemkindern" konfrontiert, die andere Wertorientierungen, Verhaltensmuster und Umgangsformen mitbringen, die einen anderen Lebens- und Erziehungsstil gewöhnt sind. Diese Unterschiede werden oft dadurch mitbedingt, dass die meisten Kinder bei der Inpflegegabe aus Unterschicht- in Mittelschichtfamilien wechseln. So werden häufig große Anpassungsprobleme erlebt. Hinzu kommt, dass sich die Pflegefamilien umstrukturieren müssen, um das Pflegekind als neues Mitglied - mit Sonderstatus - zu integrieren. Die leiblichen Kinder oder andere Pflegekinder in der Familie müssen nun die Eltern mit einer anderen Person teilen, die zunächst deren Zeit und Energie im Übermaße beansprucht. "Geschwisterrivalität" und damit verbundene Konflikte treten folglich häufig auf.

Generell werden drei Phasen der Integration von Pflegekindern unterschieden (Heinze 1995; Nienstedt/ Westermann 1989):

  1. In der Orientierungsphase halten sich die Kinder aus Angst und Unsicherheit zurück. Sie passen sich oberflächlich an, ordnen sich unter und sind gehorsam.
  2. In der Aktionsphase testen sie die Festigkeit der Beziehung zu den Pflegeeltern, indem sie diese beschimpfen, aggressiv sind, Wutausbrüche haben usw. Auf diese Weise prüfen sie, ob sie von den "neuen Eltern" wirklich geliebt werden oder ob diese sie dann auch loswerden wollen. Oft werden dabei frühere familiale Beziehungsformen in der Übertragungsbeziehung zu den Pflegeeltern wiederholt, werden alte Ängste und Traumata wiederbelebt sowie verdrängte Gefühle und abgewehrte Bedürfnisse freigesetzt. Die Pflegeeltern benötigen in dieser Phase ein großes Einfühlungsvermögen und gute Nerven. Können sie mit der Übertragung umgehen, können die Kinder ihre Vergangenheit verarbeiten, machen sie korrigierende Erfahrungen.
  3. In der Regressionsphase zeigen Pflegekinder ein für frühere Entwicklungsstufen typisches Verhalten. "In dieser Phase zeigt das Kind deutlich sein Bedürfnis, Kind der Eltern zu werden. Es geht dabei immer weiter in die Regression zurück, bis es ihm möglich ist, eine 'rituelle' oder 'soziale Geburt' zu vollziehen" (Heinze 1995, S. 61). Hier wirkt sich positiv aus, wenn die Pflegeeltern das regressive Verhalten annehmen können.

Durchlaufen Pflegekinder diese drei Phasen erfolgreich, entstehen enge Bindungen an die Pflegeeltern. Das Leben in der Pflegefamilie wird zum zweiten Anlauf: "Insofern ist die Sozialisation in der Ersatzfamilie nicht nur ein neues Kapitel in der Lebensgeschichte, sondern so etwas wie der Versuch, die Lebensgeschichte noch einmal neu zu schreiben" (Nienstedt/ Westermann 1988, S. 123).

Offensichtlich ist, dass damit eine für viele leibliche Eltern schwer zu ertragende Situation entsteht: Sie fühlen sich durch die Pflegeeltern aus dem Leben ihres Kindes herausgedrängt und haben Angst, dieses endgültig zu verlieren. Da es in ihrem Erleben ihr Kind bleibt, können sie nicht verstehen, wieso es die Pflegepersonen mehr liebt als sie und weshalb es nach einer längeren Zeit in der Pflegefamilie nicht zu ihnen zurück will, wenn sie seine Rückführung beantragen. Manche Herkunftsfamilien kämpfen dann um ihr Kind (auch mit juristischen Mitteln), werben um seine Gunst (indem sie es z.B. bei Besuchen mit Geschenken überschütten) oder versuchen, es gegen die Pflegeeltern aufzuwiegeln und es damit für sich zu gewinnen. Hier wird deutlich, dass für die leiblichen Eltern mit der Inpflegegabe eine widersprüchliche Situation entsteht: Sie bleiben Eltern, während andere Menschen ihre Elternfunktionen übernehmen. Das bedeutet auch: "Es gibt keine eindeutigen Rollenzuweisungen für abgebende Eltern. Ob sie ihr Kind festhalten oder loslassen - beides kann falsch sein" (Wiemann 1994, S. 17).

Mit zunehmender Integration in die Pflegefamilie wird es auch für die Kinder immer schwerer, die Bindung an die leiblichen Eltern aufrechtzuerhalten oder gar auszubauen. Dies gilt umso mehr, je jünger die Kinder zum Zeitpunkt der Inpflegegabe waren. Nach Goldstein, Freud und Solnit (1982) sind die Beziehungen zu den leiblichen Eltern kaum noch von Bedeutung, wenn ein Kind unter drei Jahren etwa ein Jahr bzw. ein älteres Kind circa zwei Jahre lang in einer Pflegefamilie lebte. Ältere Kinder mit häufigem Kontakt zu den leiblichen Eltern werden jedoch vielfach in Loyalitätskonflikte gestürzt, wenn sie sich zwischen Pflege- und Herkunftsfamilie entscheiden sollen oder wenn beide Seiten um sie konkurrieren und einander schlecht machen. Letzteres ist vor allem ein Problem bei Pflegeeltern, die sich als die weitaus "besseren" Eltern sehen und nicht verstehen können, was die leiblichen Eltern ihren Kindern angetan haben. Sie verhalten sich dann oft auch überheblich gegenüber den leiblichen Eltern, was deren Unsicherheit und Gefühl, versagt zu haben, verstärken oder zu aggressiven Reaktionen führen kann. Mit der Abwertung seiner Herkunft fühlt sich jedoch zugleich das Pflegekind herabgesetzt. Dies kann sich negativ auf sein Selbstbild und Selbstbewusstsein auswirken, aber auch dazu führen, dass es seine leiblichen Eltern in Schutz nimmt, was von den Pflegeeltern als Distanzierung erlebt wird.

Für die psychische und emotionale Entwicklung von Pflegekindern ist positiv, wenn Herkunfts- und Pflegefamilie einander tolerieren oder gar zusammenarbeiten. Viele Pflegekinder erleben Besuche bei den leiblichen Eltern positiv; ältere Kinder halten auch von sich aus Kontakt (vielfach zugleich zu anderen Verwandten und Bekannten aus dem Herkunftsmilieu). Werden durch die Besuche alte Konflikte wieder aufgebrochen, kann den Kindern bei deren Verarbeitung besser geholfen werden, wenn die Pflegeeltern mit den leiblichen Eltern kooperieren. Eine gute Beziehung zwischen den Erwachsenen wirkt sich außerdem dann positiv aus, wenn Pflegekinder versuchen, beide Seiten gegeneinander auszuspielen.

Hier wird deutlich, dass es auch nach der Eingewöhnungsphase in vielen Pflegefamilien große Probleme gibt. Dazu gehören zum Teil erhebliche Erziehungsschwierigkeiten, die durch die großen Vorbelastungen der Pflegekinder mitbedingt werden - insbesondere von solchen, die zum Zeitpunkt der Inpflegegabe schon älter waren. Viele Pflegekinder kennen keine Grenzen, wollen sofortige Bedürfnisbefriedigung, sind aggressiv, provozieren und verletzen ihre Pflegeeltern oder kapseln sich ab und wirken unerreichbar. Einige lügen, stehlen, schwänzen die Schule, sind gewalttätig oder missbrauchen Suchtmittel. Persönlichkeitsstörungen und Verhaltensauffälligkeiten wie motorische Unruhe, Nervosität, Autoaggressionen, Überangepasstheit u.Ä. treten häufig auf. Hinzu kommen ein negatives Selbstbild und Zweifel am eigenen Wert: "Viele Pflegekinder sehen sich als Kinder zweiter Klasse, weil sie einerseits Kind von schlecht angesehenen Eltern und andererseits auch kein 'richtiges Kind' ihrer Pflegeeltern sind. Gegenüber den leiblichen Kindern in der Pflegefamilie fühlen sie sich weniger wertvoll" (Wiemann 1994, S. 22). Daraus resultieren Geschwisterrivalität und -konflikte.

Aufgrund der Erziehungsschwierigkeiten und Verhaltensauffälligkeiten konsultieren viele Pflegefamilien Beratungsstellen und frei praktizierende Psycholog/innen. In vielen Fällen scheitern dann aber auch Pflegeverhältnisse, insbesondere im ersten Jahr oder wenn die Pflegekinder in die Pubertät bzw. Adoleszenz gekommen sind und besonders viele Konflikte hervorrufen. So werden zwischen 22% und 40% der jeweils erfassten Pflegeverhältnisse nach verschiedenen Untersuchungen abgebrochen (zusammengefasst bei Textor 1993b, 1995a). Generell treten Pflegestellenabbrüche häufiger auf, wenn die Kinder bei der Inpflegegabe relativ alt waren, zuvor mehrfach fremdplatziert wurden, bindungsschwach oder stark verhaltensgestört sind, den Grund für die Inpflegegabe nicht verstehen und auf diese nicht vorbereitet wurden. Negativ wirkt sich auch aus, wenn die Pflegeeltern sehr jung, sehr alt oder kinderlos sind, über zu wenig erzieherische Kompetenzen verfügen, auf ihre Tätigkeit nicht vorbereitet wurden und wenig Unterstützung (Beratung, Nachbetreuung) erfahren.

Trotz all dieser Probleme überwiegen aber die erfolgreichen Pflegeverhältnisse, in denen Pflegekinder wie leibliche Kinder angesehen werden. Laut wissenschaftlicher Untersuchungen sind sie gut in der Pflegefamilie integriert, fühlen sich in ihr wohl und lieben ihre Pflegeeltern, mit denen sie nach eigenem Bekunden fast alles besprechen können (vgl. Textor 1993b, 1995a). Viele weisen am Ende des Pflegeverhältnisses keine Verhaltensauffälligkeiten mehr auf und führen anschließend ein "normales" Leben (Fanshel/ Finch/ Grundy 1990). Generell steigt die Erfolgswahrscheinlichkeit der Dauerpflege, je seltener die Kinder zuvor fremdplatziert waren, wenn die Pflegeeltern gut auf ihre Tätigkeit vorbereitet wurden und fachlich betreut werden, wenn sie bereits zuvor andere Pflegekinder betreut haben und wenn sie mit den leiblichen Eltern zurechtkommen.

Zur sozialpädagogischen Betreuung und Beratung von Pflegefamilien

In den beiden letzten Absätzen wurde schon angedeutet, wie wichtig eine gute Vorbereitung und Nachbetreuung von Pflegefamilien sind. Dem entspricht die Regelung des § 37 Abs. 2 SGB VIII, nach der Pflegepersonen einen Rechtsanspruch auf Beratung und Unterstützung durch das Jugendamt haben. Viele Befragungen zeigen jedoch, dass Vorbereitung und Betreuung von Pflegeeltern zu wünschen übrig lassen (zusammengefasst bei Textor 1995a, siehe auch Textor 1995c) - mitbedingt durch die zu große Zahl von Fällen, die von den einzelnen Jugendamtsmitarbeiter/innen zu verantworten sind, aber auch durch deren oft unzureichende Qualifikation. So ist es berechtigt, eine "doppelte" Professionalisierung im Pflegekinderwesen zu fordern - auf Seiten der Fachkräfte und der Pflegeeltern (Textor 1995b).

Sozialpädagog/innen sollten Bewerber/innen um ein Pflegekind bzw. Pflegeeltern grundsätzlich als kompetente Personen betrachten und als Partner behandeln: Diese sind Maßnahmeträger der Jugendhilfe, nicht aber Klient/innen. Zur Vorbereitung auf ihre schwierige und verantwortungsvolle Tätigkeit sollten für Bewerber/innen Seminare veranstaltet werden, die auch die Form einer Pflegeelternschule oder eines präventiven Elterntrainings annehmen können (Masur 1995). Relevante Inhalte sind u.a.: Pflegeformen, Vermittlungsverfahren, rechtliche und finanzielle Fragen, Herkunft und Entwicklung von Pflegekindern, häufige Probleme in der Eingewöhnungsphase, typische Konfliktsituationen, der Umgang mit Verhaltensauffälligkeiten und Entwicklungsverzögerungen (unter Umständen auch mit Behinderungen und chronischen Krankheiten), die Bedeutung der Herkunftsfamilie für das Kind und die Problematik der "doppelten Elternschaft". Auch ist es wichtig, die Selbstreflexion der Teilnehmer/innen zu fördern - beispielsweise hinsichtlich ihrer Motive für die Aufnahme eines Pflegekindes, ihrer Bedürfnisse und Erwartungen. Sehr sinnvoll ist der Austausch mit erfahrenen Pflegeeltern.

Solche Vorbereitungsseminare können auch von freien Trägern der Jugendhilfe oder freiberuflich tätigen Fachleuten (Heinze 1995) angeboten werden. Dann lässt sich oft der Umgang mit dem Jugendamt leichter thematisieren - z.B. dass Bewerber/innen darauf bestehen sollten, als gleichberechtigte Partner behandelt und in die Hilfeplanung einbezogen zu werden.

Steht ein Kind für eine Inpflegegabe an, sollten nicht nur seine Eltern und das (ältere) Kind selbst angemessen an der Entscheidung und Hilfeplanung beteiligt werden, sondern auch die in Frage kommenden Pflegepersonen (§ 36 SGB VIII; vgl. Heindl 1995). Auf diese Weise erhalten die Pflegeeltern schon viele Informationen über das Kind und seine Familienverhältnisse. Oft kann bereits zu diesem Zeitpunkt mit beiden Seiten festgelegt werden, wo die soziale Zugehörigkeit des Kindes langfristig liegen soll. Ist z.B. abzusehen, dass dies die Pflegefamilie sein wird, sollte schon bei der Hilfeplangestaltung den leiblichen Eltern verdeutlicht werden, dass eine Rückführung ihres Kindes nach mehreren Jahren in der Regel unmöglich ist, da dies dem Kindeswohl widersprechen würde.

Generell soll der Hilfeplan laut § 36 Abs. 2 SGB VIII regelmäßig überprüft werden. Ist eine nachhaltige Verbesserung der Erziehungsbedingungen in der Herkunftsfamilie innerhalb eines im Hinblick auf die Entwicklung des Kindes oder Jugendlichen vertretbaren Zeitraumes nicht möglich - als angemessen gelten bis zu zwei Jahre (Lakies 1991) -, so soll mit den beteiligten Personen eine auf Dauer angelegte Lebensperspektive für das Kind erarbeitet werden (§ 37 Abs. 1 SGB VIII). Das bedeutet in der Regel, dass das Kind in seiner Pflegefamilie verbleibt, sofern es dort gut integriert ist und sich positiv entwickelt, die Pflegeeltern einverstanden sind und das Kindeswohl gewahrt wird. Die weitaus meisten Fachleute sind der Meinung, dass ein Kind nicht mehr aus der Pflegefamilie herausgenommen werden soll, wenn es dort länger als zwei Jahre lebt und diese zur Ersatzfamilie geworden ist (siehe z.B. Goldstein/ Freud/ Solnit 1982; Nienstedt/ Westermann 1989; Wiemann 1994). Hier wird deutlich, dass der Inpflegegabe eine einzigartige Bedeutung zukommt: "Familienunterbringung kann nicht einfach gleichgesetzt werden mit anderen Jugendhilfemaßnahmen, z.B. einer Unterbringung im Heim. In einer Pflegefamilie zu leben, bedeutet für das kleine Kind, dass es sich festlegt, sich bindet wie an Vater und Mutter" (Wiemann 1997, S. 232). Die leiblichen Eltern sollten dann durch Beratung motiviert werden, es freizugeben, ihm ausdrücklich zu sagen, dass es in der Pflegefamilie auf Dauer bleiben darf. Damit werden dem Kind Loyalitätskonflikte und Schuldgefühle erspart. Allerdings kommt es noch immer vereinzelt vor, dass Kinder nach mehreren Jahren in der Ersatzfamilie rückgeführt werden, da der rechtliche Schutz vor einer willkürlichen Herausnahme aus der Pflegefamilie noch unbefriedigend ist (siehe hierzu Lakies 1991).

Wird ein Kind in Pflege gegeben, benötigen die Pflegeeltern (vorab) alle verfügbaren Informationen über seine Familienverhältnisse, Vorerfahrungen, Entwicklung, Verhaltensauffälligkeiten usw., über die Person der leiblichen Eltern, deren Beziehung und Erziehungsstil. Es ist sinnvoll, wenn sich Pflegeeltern und Herkunftsfamilie möglichst frühzeitig kennen lernen, sodass sich erstere einen persönlichen Eindruck von letzteren verschaffen können und auch schon über Besuchskontakte u.Ä. gesprochen werden kann. Viele Vorinformationen und eigene Erfahrungen mit den leiblichen Eltern erleichtern es den Pflegeeltern, das Verhalten des Kindes, insbesondere während der oft konfliktreichen Eingewöhnungsphase (s.o.), zu verstehen. Auch können Trennungserfahrungen, Traumata und Übertragungen leichter aufgearbeitet werden. "Tatsächlich gelingt den Pflegekindern häufig die Integration in die Pflegefamilie und die Aufnahme neuer Bindungen umso leichter, je offener und verständnisvoller die Pflegeeltern mit ihnen über ihre Herkunftseltern und die Gründe der Inpflegegabe sprechen und je mehr sie Kontakte zwischen Herkunftseltern und Pflegekindern zulassen und fördern - ohne die Kinder allerdings zu solchen Kontakten zu zwingen" (Deutsches Jugendinstitut 1987, S. 361).

Falls möglich, sollte ein Kind nicht plötzlich in die Pflegefamilie platziert werden - unter Umständen kann eine Bereitschaftspflege oder ein kurzer Heimaufenthalt dazwischengeschaltet werden, wenn es unverzüglich aus der Herkunftsfamilie herausgenommen werden muss. Dann ist eine behutsame Kontaktanbahnung möglich, kann das Kind, eventuell in Begleitung einer vertrauten Bezugsperson, die Pflegeeltern beim Spiel oder einer gemeinsamen Unternehmung kennen lernen. Die ersten Beziehungserfahrungen können mit beiden Seiten reflektiert werden; sind sie negativ, kann noch eine andere Pflegefamilie gesucht werden.

In der Eingewöhnungsphase ist eine intensive Betreuung der Pflegefamilie nahezu unverzichtbar. Zum einen benötigen die Pflegeeltern Unterstützung, wenn das Kind ausagiert, die Beziehung zu den "neuen Eltern" testet oder regrediert. Es muss ihnen geholfen werden, wenn sie Persönlichkeitszüge und Verhaltensweisen nicht verstehen oder nicht wissen, wie sie mit Entwicklungsverzögerungen und Verhaltensauffälligkeiten umgehen sollen. Zum anderen sollten die Fachkräfte versuchen, eine möglichst konfliktfreie Beziehung zwischen Pflege- und Herkunftsfamilie herzustellen. Ferner kann eingegriffen werden, wenn es Probleme mit leiblichen Kindern gibt (z.B. Geschwisterrivalität oder Enttäuschung, weil das Pflegekind nicht der versprochene gute Spielkamerad ist, weil es viel kaputtmacht oder häufig Streit anfängt). "Pflegeeltern haben es schwer, dann keine enge Koalition mit dem leiblichen Kind einzugehen und damit beim Pflegekind das Gefühl noch zu verstärken, nicht dazu zu gehören. Das Pflegekind bekommt in der Familie nur einen Platz, wenn Pflegeeltern das leibliche Kind ein Stück loslassen, ihm beispielsweise zutrauen, mit dem schwierigen Sozialverhalten des Pflegekindes leben zu lernen und die Konflikte auszutragen" (Wiemann 1994, S. 22). Auch kann der Sonderstatus des Pflegekindes betont werden: Es muss nicht genauso wie leibliche Kinder behandelt werden; die realen Unterschiede zwischen ihnen sollten nicht vertuscht werden.

Da in sehr vielen Fällen Probleme auch nach der Eingewöhnungsphase fortbestehen oder neu bzw. verstärkt auftreten, ist eine als langfristig und dynamisch konzipierte Nachbetreuung von Pflegefamilien unerlässlich. Sie sollte auf einem partnerschaftlichen Verständnis beruhen - auch Pflegeeltern sind "Experten" - und zugleich dazu dienen, die zuvor geschaffene Vertrauensbasis auf Dauer zu erhalten. Folgende Formen der Nachbetreuung haben sich bewährt (Büch 1995):

Der Schwerpunkt der Nachbetreuung liegt in der Regel beim persönlichen Gespräch mit den Pflegeeltern über die Beziehung des Pflegekindes zu ihnen und den leiblichen Eltern, über dessen Entwicklung und Schulleistungen, über auftretende Verhaltensauffälligkeiten und andere Probleme. Die Pflegeeltern werden beraten, wie sie z.B. mit traumatischen Vorerfahrungen des Kindes oder Konflikten mit der Herkunftsfamilie umgehen könnten. Bei Verhaltensstörungen, Behinderungen oder Entwicklungsverzögerungen müssen oftmals auch Psychologen, Psychotherapeuten, Ärzte, Logopäden, Heilpädagogen oder andere Fachleute eingeschaltet werden (Textor 1995c). Bei gestörten Familienstrukturen und -prozessen ist oftmals eine Familientherapie oder -beratung indiziert (Kaiser 1995).

Viel Wert sollte auch auf die Arbeit mit dem (älteren) Pflegekind gelegt werden. So benötigt es z.B. Unterstützung bei der Verarbeitung von Vorerfahrungen in der Herkunftsfamilie, im Umgang mit der doppelten Elternschaft (Vermeidung von Loyalitätskonflikten) und beim Aufbau einer positiven Identität. Die Fachkraft sollte immer wieder Einzelgespräche mit dem Pflegekind führen, dabei eine offene Atmosphäre schaffen und auf Wunsch bestimmte Gesprächsinhalte vertraulich behandeln. Manchmal ist es auch sinnvoll, eine Pflegekindergruppe zu gründen. Da "Pflegekinder" nach der Volljährigkeit bzw. dem Ausscheiden aus der Pflegefamilie oftmals große Probleme mit der Berufsausbildung bzw. -aufnahme, der Wohnungssuche und -einrichtung, der Haushaltsführung und dem Umgang mit Geld haben, sollten sie in diesen Fällen auch als Heranwachsende weiterbetreut werden.

Eine wichtige Aufgabe der Fachkraft ist ferner, die Zusammenarbeit zwischen Pflegeeltern und leiblichen Eltern zu fördern (§ 37 Abs. 1 SGB VIII). Häufig ist es recht schwer, ihnen zu verdeutlichen, dass das jeweilige Kind beide Elternpaare liebt und emotionale Bindungen an sie ausgebildet hat, dass sie deshalb einander tolerieren und gemeinsam die Verantwortung für das Wohl des Kindes übernehmen sollten. So sind vielfach zunächst Konflikte zwischen beiden Seiten zu lösen, Eifersuchtsgefühle und Konkurrenzverhalten abzubauen sowie Sabotageversuche zu unterbinden. Dazu sollten Gespräche möglichst mit allen Beteiligten gemeinsam geführt werden. Ferner müssen Häufigkeit, Ort und Ablauf von Besuchskontakten geklärt werden. In diesem Kontext sollte angesprochen werden, dass in der Herkunfts- und in der Pflegefamilie durchaus unterschiedliche Lebensstile und Verhaltensregeln gelten dürfen und dass sich das Kind entsprechend verhalten muss. Dann fällt es ihm z.B. schwerer, die beiden Seiten gegeneinander auszuspielen. Generell sollten die Pflegeeltern auch emotional damit einverstanden sein, dass das Kind seine leiblichen Eltern trifft: "Ein zentrales Beratungsziel ist, dass Pflegeeltern ihre innere Einstellung zu jenen Menschen ändern lernen, die aus einem sozial, ökonomisch und psychisch krisenhaften Leben nicht haben mehr machen können" (Wiemann 1994, S. 30). Oftmals muss ihnen verdeutlicht werden, dass ein Kontaktabbruch für das Pflegekind nicht gut sei, da ihm dann ein Teil seiner Lebensrealität genommen würde. Dadurch würden Verdrängung, Fantasien über die Herkunftsfamilie sowie eine Glorifizierung bzw. Verteufelung der leiblichen Eltern gefördert. Regelmäßige Kontakte ermöglichen es hingegen dem Kind, alte und neue Erfahrungen mit seiner Herkunftsfamilie zu verarbeiten. Bei der Gefahr von Misshandlung oder sexuellem Missbrauch, bei süchtigen Eltern usw. muss das Kind aber von einer Fachkraft bei Besuchen begleitet werden.

Kommt es zu einem Kontaktabbruch, muss dem Pflegekind geholfen werden, diese Situation zu akzeptieren und Gefühle des Verlustes bzw. der Trauer zu verarbeiten. Manchmal können auch Kontakte zu Großeltern oder anderen Verwandten erhalten werden. Zu vermeiden ist, dass das Pflegekind dann seine Herkunft verleugnet und z.B. den Namen der Pflegeeltern tragen will. In diesem Fall sollten diese das Kind ermutigen, zu seiner Herkunft zu stehen und auf seinen "eigenen" Namen stolz zu sein.

Generell ist die Häufigkeit der Besuchskontakte davon abhängig, ob das Pflegekind rückgeführt werden soll oder nicht. Wird dieses angestrebt, sollten die Pflegeeltern emotional akzeptieren, dass sie nur für begrenzte Zeit eine Ergänzungsfamilie sind: "So weit das möglich ist, sollen sie Beziehungen zu der Herkunftsfamilie des Kindes entwickeln, sie in ihre erzieherischen Bemühungen um das Kind einbeziehen, die Erziehung des Kindes zunehmend mehr untereinander aufteilen bis hin zu dem Punkt, an dem die leiblichen Eltern die Erziehung ihres Kindes wieder selbst übernehmen können. Dieses Ziel ist nur erreichbar, wenn Pflegeeltern und leibliche Eltern zu einem partnerschaftlichen Verhältnis zueinander finden. Dies verlangt von den Pflegeeltern ein hohes Maß an psychischer Kraft, Toleranz und Verständnis für die Situation der leiblichen Eltern" (Deutscher Städtetag 1986, S. 17). Es ist offensichtlich, dass sie hierbei der intensiven Unterstützung durch die Fachkräfte des Pflegekinderdienstes bedürfen.

In solchen Fällen ist es aber auch außerordentlich wichtig, dass intensiv mit den leiblichen Eltern an der Verbesserung der Erziehungsbedingungen in ihrer Familie gearbeitet wird (§ 37 Abs. 1 SGB VIII; vgl. Andriopoulos 1995). Dies kann durch die Mitarbeiter/innen des Pflegekinderdienstes geschehen. Werden sie jedoch z.B. von den leiblichen Eltern für die Fremdplatzierung des Kindes verantwortlich gemacht und immer wieder verbal attackiert, sollten andere Fachkräfte diese Aufgabe übernehmen - sofern dies sowieso nicht schon der Fall ist. Dann ist die Zusammenarbeit zwischen den Sozialpädagog/innen sicherzustellen. Neben der Stabilisierung und Verbesserung der Familiensituation, wodurch unter Umständen dann die Gründe für die Inpflegegabe hinfällig werden und eine Rückführung des Pflegekindes möglich wird, geht es bei der Arbeit mit der Herkunftsfamilie um Unterstützung bei der Verarbeitung der Trennung vom Kind, von Schuld-, Trauer- und Ohnmachtsgefühlen. Die Fachkraft sollte bei den leiblichen Eltern die Bereitschaft wecken, die (teilweise) Ablösung ihres Kindes zu tolerieren und dessen neue Bindungen in der Pflegefamilie zu achten. Zeigt sich im Verlauf der Zeit, dass eine Rückführung des Kindes nicht zu vertreten ist, sollte den Eltern geholfen werden, diese Entscheidung zu verstehen und ihre Kinder für die Ersatzfamilie freizugeben.

Zu einer Rückführung sollte es nur kommen, wenn sich die Erziehungsbedingungen in der Herkunftsfamilie nachhaltig verbessert haben (§ 37 Abs. 1 SGB VIII). Die leiblichen Eltern sollten ihr Fehlverhalten eingesehen haben und darüber mit dem Kind sprechen können (kein Verleugnen oder Verdrängen). Auch muss das Wohl des Kindes sichergestellt sein, darf z.B. die Gefahr von Misshandlung oder Vernachlässigung nicht mehr bestehen. Wichtig ist, dass das Pflegekind gefragt wird, wo es sich emotional und sozial zugehörig fühlt bzw. ob es in die Herkunftsfamilie zurückkehren möchte. Wie bereits erwähnt, sollte bei Kleinkindern die Rückführung möglichst im ersten Jahr der Inpflegegabe, bei älteren Kindern innerhalb der ersten beiden Jahre erfolgen, sofern nicht sehr enge Beziehungen zu den leiblichen Eltern bestehen bzw. aufrechterhalten werden konnten. Sonst sind sie in der Regel bereits zu sehr in der Pflegefamilie verwurzelt, als dass eine Rückführung dem Kindeswohl entsprechen würde.

Generell sollte der Übergang "weich" gestaltet werden: Parallel zur Intensivierung der Kontakte zu den leiblichen Eltern ziehen sich die Pflegeeltern langsam aus dem Leben des Kindes zurück; Besuche bei ihnen sollten aber auch später noch möglich sein. Die Herkunftsfamilie sollte weiterbetreut werden, da das Kind aufgrund seiner Vorerfahrungen oft seinen Eltern gegenüber misstrauisch ist und die Beziehung zu ihnen testet: "Viele rückgeführte Kinder provozieren einen erneuten Beziehungsabbruch. Ihre Eltern, selbst meist früh seelisch verletzte Menschen, haben oft nicht die Ausdauer und sind schnell gekränkt, wenn das Wiederzusammenleben konfliktreich wird. Leibliche Eltern benötigen vor, während und nach der Rückführung ihres Kindes in ihre Familie intensive Begleitung und fachliche Hilfe, damit das neue Zusammenleben nicht wieder scheitert" (Wiemann 1997, S. 236).

Wie erwähnt, kann ein Pflegeverhältnis auch mit einem Pflegestellenabbruch enden. In diesem Fall sollten die Gründe hierfür genau ermittelt werden, sodass eine Fehlplatzierung vermieden wird. Beispielsweise ist manchmal eine Unterbringung in einem heilpädagogischen oder therapeutischen Heim notwendig, wenn die Verhaltensstörungen des Pflegekindes außerordentlich belastend (geworden) sind. Pflegeeltern und Pflegekind benötigen Unterstützung beim Verarbeiten der Erfahrung des Scheiterns und der Trennung.

Deutlich wird, dass die Tätigkeit einer Fachkraft im Pflegekinderdienst sehr vielseitig und anspruchsvoll ist. Sie muss mit dem Pflegekind, seiner Herkunftsfamilie, der Pflegefamilie, anderen psychosozialen Diensten, dem Vormundschaftsgericht und anderen Stellen zusammenarbeiten, deren Verhältnis zueinander oft konflikthaft ist. Sie kann in diesem komplexen Beziehungsgefüge nur bestehen, wenn sie es auf der Grundlage einer umfassenden (systemischen) Theorie analysieren kann sowie über vielfältige sozialpädagogische (und therapeutische) Kompetenzen verfügt.

Zur Situation von Adoptivfamilien

Neben humanitären, sozialen und christlichen Motiven ist heute die Infertilität eines oder beider Ehepartner der zumeist ausschlaggebende Grund für die Adoption eines Kindes. Schätzungsweise 7 bis 15% aller verheirateten Paare sind heute ungewollt kinderlos (Fränznick/ Wieners 1996). Viele von ihnen leiden unter dieser Situation, insbesondere wenn sie sich isoliert und ausgegrenzt fühlen, weil ihre Freunde und Bekannte Kinder bekommen haben und sich nun auf diese konzentrieren. Oder sie ziehen sich zurück, um bohrenden Fragen aus dem Wege zu gehen oder wenn ihr Problem von anderen nicht verstanden wird. Insbesondere Frauen leiden darunter, dass das Thema "Infertilität" in unserer Gesellschaft tabuisiert wird. "Folglich kommt weder der Leidensdruck der Frau zur Sprache, noch können aufkommende Gefühle wie Neid auf Schwangere und Mütter, Wut auf den eigenen Körper, der sich 'verweigert', besprochen werden oder das Gefühl, als Frau minderwertig und unvollständig zu sein" (a.a.O., S. 18). Hier wirkt sich aus, dass ein Kind nach wie vor als wesentlicher Bestandteil des weiblichen Lebensentwurfes gilt. Männer setzen sich hingegen weniger mit der ausbleibenden Schwangerschaft auseinander, lassen sich selbst seltener ärztlich untersuchen oder behandeln. So kommt es zu einer "Feminisierung der Unfruchtbarkeit": Überwiegend die betroffenen Frauen befassen sich mit der einschlägigen Literatur, lassen sich untersuchen und unterziehen sich hormonellen Behandlungen, einer künstlichen Befruchtung, der In-vitro-Fertilisation oder mikrochirurgischen Eingriffen. Das Vertrauen in die medizinische Lösbarkeit des Problems schwindet aber mit zunehmender Dauer der Behandlungen, da die Reproduktionsmedizin nur in einem Teil der Fälle zum Erfolg führt (z.B. bekommen nur 10 bis 15% der Frauen - nach mehreren Versuchen - ein Kind via In-vitro-Fertilisation). Der Leidensdruck bleibt aber und lässt die Frauen bzw. Paare mit der Zeit nach Alternativen suchen: naturheilkundliche Behandlung, Psychotherapie und Mitgliedschaft in einer Selbsthilfegruppe, aber auch Familienpflege und Adoption.

Entscheiden sich Ehepaare für den letztgenannten Weg, müssen sie sich nach den langen medizinischen Behandlungsversuchen nun einem langwierigen Adoptionsverfahren unterziehen. Viele erleben die Überprüfung ihrer Adoptionseignung (bzw. "Elternwürdigkeit") und das damit verbundene Eindringen in ihre Privatsphäre als belastend und peinlich. Dann müssen sie noch relativ lange auf ein Kind warten, da immer weniger Kinder zur Adoption freigegeben werden. Einige kommen dann auf die Idee, selbst ein Kind aus der "Dritten Welt" zu holen - was aber auch nicht schnell geht, egal ob legale oder illegale Wege eingeschlagen werden (vgl. Bach 1988). Ähnlich wie bei der Familienpflege trifft die Platzierung eines Adoptivkindes das Ehepaar meist plötzlich und unvorbereitet. Obwohl den Ehepartnern die Adoptionseignung bescheinigt wurde, erhalten sie es in der Regel zunächst für rund ein Jahr in "Adoptionspflege". Für manche Paare ist diese Situation verunsichernd, andere erleben die damit verbundenen Überprüfungen als neue "Kratzer" an ihrem Selbstbild.

Die Eingewöhnungszeit verläuft bei Säuglingen in der Regel ohne Probleme; sie werden sehr schnell wie leibliche Kinder erlebt. Bei der Adoption eines älteren Kindes gibt es hingegen häufig dieselben Eingewöhnungs- bzw. Erziehungsschwierigkeiten wie bei Pflegekindern (s.o.). Sie waren in ihren Herkunftsfamilien oft Deprivationen ausgesetzt und konnten kein Urvertrauen entwickeln. Nach der Freigabe zur Adoption fühlen sie sich nun ausgestoßen bzw. verstoßen. Diese Vorerfahrungen wirken nicht nur in der Eingewöhnungsphase nach, sondern auch später: "Nun sind ja einmal erlebte Traumata nicht vorüber. Sie bleiben unterschwellig wirksam und zeigen sich immer wieder, in allen Lebenskrisen. Unbewusst gespeichert ist: Ich bin nicht gewollt. Ich bin weggegeben worden. Das Kind bezieht, was ihm widerfährt, immer auf sich. Es denkt, bewusst oder unbewusst: Ich bin schuld - etwas ist mit mir nicht in Ordnung" (Scholz 1995, S. 56). In diesen Fällen verläuft die Eingewöhnungsphase problematisch, dauert es oft länger als ein halbes Jahr, bis das Kind in der Adoptivfamilie integriert ist, und noch länger, bis die Folgen von Deprivationen und Traumata bewältigt sind. Häufig ist heilpädagogische oder psychotherapeutische Hilfe indiziert, wenn das Kind stark verhaltensauffällig ist. Bei der Adoption älterer Kinder aus der "Dritten Welt" ist vielfach auch eine medizinische Behandlung oder gar ein Krankenhausaufenthalt notwendig, da sie oft krank, unterernährt oder behindert sind (Hoksbergen 1993; Textor 1993c). Hinzu kommt, dass sie zusätzlich durch den Kulturwechsel und die plötzliche "Sprachlosigkeit" verunsichert sind - sie können sich ja in ihrer Heimatsprache nicht mehr verständigen. Aber auch hier gelingt in der Regel die Integration in die Adoptivfamilie; nur maximal 6% der Kinder werden später irgendwann in ein Heim platziert (a.a.O.).

Ein interessantes Phänomen in der Entwicklung von Eltern-Kind-Beziehungen ist die "Konstruktion von Ähnlichkeit" (Hoffmann-Riem 1984). Die Adoptiveltern suchen nach Gemeinsamkeiten in Aussehen, Wesensart, Verhalten usw. zwischen sich und dem Adoptivkind. Entdeckte Ähnlichkeiten erleichtern es ihnen, das Kind zur Familie zu rechnen und sich mit ihm verbunden zu fühlen. Bei schlechten Eltern-Kind-Beziehungen wird hingegen häufig die biogenetische Fremdheit betont, da dies eine gewisse Distanzierung erleichtert. Auch ist dann die Gefahr größer, "dass sie das Wissen, das sie über die Herkunft des Kindes haben, auf dieses Kind projizieren; das Kind einer verwahrlosten Mutter z.B. sei selbst in Gefahr zu verwahrlosen, ein Kind eines brutalen Vaters neige zu Wutausbrüchen und vieles mehr..." (Baethge 1993, S. 53). Ein Kind kann jedoch seine Andersartigkeit auch zur Beschleunigung seiner Ablösung betonen oder für die Identitätsfindung nutzen. Problematisch kann ferner sein, nimmt es "die Spaltung in eine gute und böse Mutter vor. Die gute Mutter ist die leibliche Mutter, die böse ist die Mutter, die das Kind adoptiert hat, mit der all die unerquicklichen Auseinandersetzungen im Alltag stattfinden" (a.a.O., S. 52).

Auf die Entwicklung von Adoptivkindern und das Zusammenleben in der Familie wirkt sich positiv aus, wenn die Adoptiveltern den Sonderstatus ihrer Familienform akzeptieren, also deren besondere Charakteristika wahrnehmen und nach einer "Normalisierung eigener Art" streben (Hoffmann-Riem 1984; vgl. Kirk 1981). Dann wird das Kind weniger als "Besitz" denn als eigenständiges Wesen gesehen, kann die Adoption jederzeit thematisiert werden. Hingegen ist problematisch, wenn die Adoptiveltern eine "ganz normale Familie" haben wollen. Einige verschweigen dann die Adoption, vernichten Unterlagen über die Herkunftsfamilie (Fotos, Briefe usw.), klären ihre Kinder nicht über die Adoption auf. Jedoch erspüren Kinder derartige "Familiengeheimnisse", suchen heimlich nach Papieren oder sind schockiert, wenn sie durch Zufall oder spätestens beim Beantragen einer Abstammungsurkunde (vor der eigenen Hochzeit) von der Adoption erfahren. Dasselbe gilt für eine sehr späte Aufklärung. Problematisch ist aber auch, wenn das Kind relativ früh über die Adoption informiert wird und danach keine weiteren Gespräche über dieses (tabuisierte) Thema möglich sind, wenn es belogen wird ("Deine leiblichen Eltern sind tot", obwohl sie noch leben) oder wenn verschwiegen wird, dass sich die biologischen Eltern oder Geschwister um eine Kontaktaufnahme mit dem adoptierten Kind, Jugendlichen bzw. Heranwachsenden bemühen oder bemüht haben (Scholz 1995).

Manchen Adoptiveltern fällt auch die Sexualerziehung schwer, da sie die eigene Infertilität und die damit verbundenen Probleme (Gefühle mangelnder sexueller Kompetenz, Verunsicherung, narzisstische Kränkung usw.) noch nicht verarbeitet haben. So kann die aufbrechende Sexualität des pubertierenden Adoptivkindes die eigenen Minderwertigkeitsgefühle wieder schüren und an die "potenteren" leiblichen Eltern erinnern (Baethge 1993). Hinzu kommt das niedrigere Inzesttabu - der gegengeschlechtliche Adoptivelternteil mag sich z.B. aufgrund der sexuellen Anziehungskraft des Jugendlichen zurückziehen, der andere Elternteil mag befürchten, den Partner an das Adoptivkind zu verlieren (a.a.O.). Oft haben die Adoptiveltern auch Angst, das Kind könnte wie die leibliche Mutter sexuell ausagieren - wobei dieses Verhalten der Mutter oft unterstellt wird. Hier wirkt sich negativ aus, dass viele Adoptiveltern aufgrund der wenigen vorhandenen Informationen über die Herkunft des Kindes dazu tendieren, diese in ihrer Fantasie zu rekonstruieren. Dann werden die leiblichen Eltern häufig sehr negativ gesehen. Da die daraus resultierende Abwertung derselben (unbewusst) in die Interaktion mit dem Adoptivkind einfließt, werden diesem die Bewältigung der "doppelten Elternschaft" und die Entwicklung einer positiven Identität erschwert.

Der Erziehungsstil der Adoptiveltern ist oft durch Überbehütung und Verwöhnung oder durch Strenge und große Kontrolle gekennzeichnet; aus hohen (Leistungs-) Erwartungen kann eine Überforderung des Adoptivkindes resultieren (vgl. Textor 1993a). Wie andere Eltern auch werden Adoptiveltern immer wieder mit Erziehungsschwierigkeiten und Ablösungsproblemen konfrontiert, die aber durch Spezifika der Adoption eine besondere Qualität bekommen können. Dies gilt vor allem für die Entwicklungsphasen der Pubertät und Adoleszenz: "Unsere Beratungstätigkeit in Adoptivfamilien belegt, dass die Pubertät für viele Adoptierte eine Zeit heftigster Krisen ist, in der die eigene Identität für die Betroffenen kaum fühlbar oder zumindest stark verunsichert ist. Die für den Ablösungsprozess notwendige kritische Distanz und Abgrenzung zu den sozialen Eltern fällt zusammen mit der Unsicherheit bezüglich der eigenen biologischen Wurzeln und der Unbegreiflichkeit der Adoptionsfreigabe. Der Schmerz und die Kränkung des Kindes ... äußern sich bei manchen Adoptierten (erneut) sehr vehement und führen unter Umständen zu ernsthaften seelischen Störungen" (Bartsch 1995, S. 89f.). Andere reagieren auf die Adoptionsproblematik mit offener Rebellion, Auszug aus der Familie u.Ä., wieder andere mit der Flucht nach innen bzw. in psychosomatische Krankheiten (Scholz 1995). Manche Adoptierte beginnen auch in der Adoleszenz oder einige Zeit später mit der Suche nach den leiblichen Eltern, wobei sie dies oft den Adoptiveltern gegenüber verheimlichen. Geschieht dies nicht, kommt es häufig zu Konflikten und werden Ängste aufseiten der Adoptiveltern vor dem Verlust des Kindes an die Herkunftsfamilie (wieder-) belebt. Hier wird erneut deutlich, wie intensiv sich Adoptierte mit ihrem Ursprung beschäftigen. Sie versuchen, ihre Vorgeschichte zu rekonstruieren, haben Fantasien über ihre leiblichen Eltern, idealisieren diese oder sehen sie negativ. All dies hat Konsequenzen für ihr Selbstbild und ihre Selbstwertgefühle (vgl. Textor 1993a). Bei ausländischen Adoptierten kommen zur "normalen" Identitätskrise noch der Aufbau einer ethnokulturellen Identität und der Umgang mit Diskriminierungserfahrungen als zusätzliche Probleme hinzu.

Trotz aller (adoptionsspezifischen) Schwierigkeiten entwickeln sich die meisten Adoptierten positiv, insbesondere wenn sie zum Zeitpunkt der Platzierung noch sehr jung waren, frühzeitig über die Adoption aufgeklärt wurden und offen über ihre Vorgeschichte reden konnten sowie wenn die Adoptiveltern ihre Infertilität verarbeitet hatten und psychisch gesund waren. Trotz vieler Untersuchungen lässt sich nicht sagen, ob sie häufiger Verhaltensauffälligkeiten und psychische Probleme aufweisen als andere Kinder (Hoksbergen 1993; Jungmann 1980a, b; Textor 1993a, c). Die weitaus meisten Adoptiveltern bezeichnen die Adoption als einen Erfolg. Die Adoptierten fühlen sich in ihrer Familie wohl und erleben die Adoptiveltern als die "eigentlichen" Eltern. In der Regel ist die Eltern-Kind-Beziehung genauso belastbar und stabil wie in biologischen Familien.

Betreuung und Beratung von Adoptivfamilien

Adoptivfamilien haben laut dem Adoptionsvermittlungsgesetz einen Anspruch auf Beratung und Unterstützung durch die Adoptionsvermittlungsstelle, insbesondere bevor ein Kind in Adoptionspflege genommen wird und während der Eingewöhnungszeit (§ 9 Ad VermiG). Besonders wichtig ist, dass den Adoptionsbewerbern bzw. Adoptiveltern geholfen wird, die Erfahrung der eigenen Infertilität und die damit verbundenen Gefühle aufzuarbeiten. So sollten die Fachkräfte mit ihnen ihren "Leidensweg" (Diagnose der Infertilität, medizinische Behandlungen usw.) reflektieren, insbesondere aber psychische Konsequenzen wie die Wut auf den eigenen Körper, den Zweifel an der eigenen Männlichkeit bzw. Weiblichkeit, sexuelle Minderwertigkeitsgefühle u.Ä. (vgl. Fränznick/ Wieners 1996). Auch gilt es, Konflikte mit dem Partner und Schwierigkeiten mit dem sozialen Umfeld zu thematisieren. Das Ziel der Beratung ist, die Partner zur bewussten Akzeptanz der unfreiwilligen Kinderlosigkeit zu führen und sie die Trauerarbeit abschließen zu lassen.

Bei der Auswahl der Adoptionsbewerber/innen ist davon auszugehen, dass sich die Fähigkeit zur Elternschaft und damit auch die Adoptionseignung im Voraus nicht bestimmen lassen. Trotzdem kann auf ein Auswahlverfahren nicht verzichtet werden (siehe hierzu Gauly/ Knobbe 1993; Paulitz 1997). In unserem Kontext ist es aber wichtiger, die Notwendigkeit einer gründlichen Vorbereitung auf die Adoption zu betonen, die auf der Grundlage eines partnerschaftlichen Verhältnisses zwischen Adoptionsvermittler/in und Bewerberpaar erfolgen bzw. diese schaffen sollte (Achter Jugendbericht 1990). Dabei sollte den Bewerber/innen vor allem vermittelt werden, dass Adoptivfamilien eine besondere Familienform sind und deshalb eine "Normalisierung eigener Art" (s.o.) anzustreben sei. In diesem Kontext ist wichtig, die psychologischen Besonderheiten sozialer Elternschaft durchzusprechen, eine positive Haltung gegenüber der Herkunft von Adoptivkindern zu vermitteln und auf deren intensive Beschäftigung mit der "doppelten Elternschaft" hinzuweisen. Dabei sollte auch auf die verschiedenen Formen der offenen Adoption eingegangen werden (Textor 1991):

  1. einmaliges Zusammentreffen von leiblichen Eltern und Adoptiveltern, etwa zum Zeitpunkt der Übergabe des Kindes (unter Umständen bei Wahrung des Inkognitos);
  2. fortlaufende wechselseitige Information von leiblichen Eltern und Adoptiveltern über ihr Leben via die Adoptionsvermittlungsstelle, wobei die Anonymität der Adoptiveltern gewährleistet werden kann;
  3. regelmäßiger Austausch von Briefen, Fotos und/oder Videotapes zwischen den leiblichen Eltern und der Adoptivfamilie, der entweder direkt oder über die Adoptionsvermittlungsstelle (unter Wahrung des Inkognitos) erfolgen kann;
  4. fortlaufender persönlicher Kontakt zwischen leiblichen Eltern und Adoptivfamilie, der sich nach dem Grad der Intensität weiter differenzieren ließe.

Insbesondere die zuletzt genannten Formen der offenen Adoption verhindern deren Tabuisierung und erleichtern den Adoptierten eine positive Identitätsentwicklung, da sie nun anstatt auf Fantasien auf Informationen über die leiblichen Eltern und/oder persönliche Erfahrungen mit ihnen zurückgreifen können. Außerdem sollte im Rahmen der Vorbereitung von Adoptionsbewerbern über deren Erfahrungen in ihren Herkunftsfamilien, über ihre Partnerbeziehung und ihre Vorstellungen zur Kindererziehung gesprochen werden. All dies kann auch in Gesprächskreisen oder Seminaren erfolgen, an denen erfahrene Adoptiveltern beteiligt werden können.

Analog zu dem zuvor zur Vorbereitung der Inpflegegabe Gesagten sollten "werdende" Adoptiveltern so ausführlich wie möglich über die Herkunft des zu vermittelnden Kindes, seine Eltern und Verwandten, die Freigabegründe, seinen Gesundheitszustand, seine bisherige Entwicklung usw. informiert werden. Während bei Säuglingsadoptionen eher selten ein größerer Beratungsbedarf während der Eingewöhnungsphase auftritt, ist bei der Adoption älterer Kinder eine vergleichbar intensive Nachbetreuung und Unterstützung wie bei Pflegekindern notwendig (s.o.). Die Fachkräfte sollten während dieser Zeit nicht als Kontrolleure auftreten, werden aber häufig als solche wahrgenommen. Deshalb sollten sie die Ziele der Gespräche und Hausbesuche offen darlegen: Sie wollen als Berater/innen wirken und bei Problemen helfen. Allerdings darf nicht verschwiegen werden, dass sie auch für das Vormundschaftsgericht ein Gutachten darüber erstellen müssen, ob sich gegen Ende der Eingewöhnungszeit eine Eltern-Kind-Beziehung ausgebildet hat. Unnötige Ängste können aber dadurch genommen werden, dass darauf hingewiesen wird, dass in weniger als 2% aller Fälle Adoptionspflegeverhältnisse abgebrochen werden (Textor 1993b, 1996).

Nach Vollzug der Adoption ist nur in wenigen Fällen - zumeist bei älteren (ausländischen), verhaltensauffälligen oder behinderten Kindern - eine Einzelbetreuung notwendig, eventuell unter Einbindung von Fachdiensten. In den meisten Fällen reicht es, einen lockeren Kontakt zu halten (z.B. durch Telefonate, Zusenden von Informationsmaterial). Sehr sinnvoll ist es, regelmäßig Einzelveranstaltungen, Gruppentreffen, Stammtische, Wochenendseminare u.Ä. für Adoptiveltern, Adoptivfamilien oder adoptierte Jugendliche anzubieten (Jänsch-Kraus 1993; Textor 1996). Auch kann der Kontakt zu Adoptivelternverbänden und Selbsthilfegruppen vermittelt werden. Auf diese Weise kann darauf hingewirkt werden, dass die Adoptivfamilien ihren Sonderstatus akzeptieren, das Thema "Adoption" nicht tabuisieren, offen über die leiblichen Eltern und ihre diesbezüglichen Fantasien sprechen etc. Da die Vertrauensbasis erhalten bleibt, erfahren die Fachkräfte auch frühzeitig von Erziehungsschwierigkeiten und Problemen, sodass notwendige Interventionen rechtzeitig erfolgen können.

Insbesondere bei Adoptierten, die bei der Adoption schon älter waren und von ihren leiblichen Eltern vernachlässigt, misshandelt oder sexuell missbraucht wurden, ist oftmals eine längere Beratung oder therapeutische Behandlung durch Psycholog/innen notwendig (Bartsch 1995). Adoptierte Jugendliche und Heranwachsende benötigen Hilfe bei der Identitätsfindung, manchmal auch bei der Suche nach den leiblichen Eltern (ein Leitfaden hierfür befindet sich in Domnick/ Thomsen 1995). Im letztgenannten Fall ist manchmal eine begleitende Beratung der Adoptiveltern notwendig, wenn diese das Verhalten ihres Kindes nicht verstehen.

Quelle

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