Scheidungszyklus und Scheidungsberatung: Ein Handbuch - Teil 1

Martin R. Textor

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1991 - Online-Buch

 

Inhalt

Teil 1

Einleitung

Der Scheidungszyklus

1. Die Vorscheidungsphase

Verschlechterung der Ehebeziehung
Entscheidungskonflikte

2. Die Scheidungsphase

Die Trennung und die Zeit danach
Beziehung zwischen getrenntlebenden Ehegatten
Eltern-Kind-Beziehung
Reaktionen der Kinder
Exkurs: Das Scheidungsrecht (Stand: 1990)
Gerichtliche Scheidung

3. Die Nachscheidungsphase

Eltern-Kind-Beziehung
Entwicklung der Kinder

Teil 2

Scheidungsberatung (ab hier neue Datei: Teil 2)

1. Beratung in der Vorscheidungsphase

Allgemeines
Hilfe bei Entscheidungskonflikten
Strukturierte Trennung
Aufklärung der Kinder

2. Beratung in der Scheidungsphase

Unterstützung getrenntlebender Erwachsener
Verbesserung der Beziehung getrenntlebender Ehepartner
Beziehung zwischen Eltern
Sorge- und Umgangsrechtsregelungen
Exkurs: Vermittlung
Verbesserung der Eltern-Kind-Beziehung
Hilfe für Kinder

3. Beratung in der Nachscheidungsphase

Diagnose
Beratung geschiedener Erwachsener
Verbesserung der Eltern-Kind-Beziehung
Behandlung von Kindern

Statt eines Nachworts

Literatur

 

Einleitung

Nachdem die Scheidungsrate bereits nach dem Ersten und nach dem Zweiten Weltkrieg relativ hoch war, steigt sie seit den 60er Jahren kontinuierlich an, wobei in den letzten Jahren jedoch ein Abflachen dieses Trends feststellbar ist. Im Jahr 1987 fanden in der Bundesrepublik Deutschland 129.850 Ehescheidungen statt (87,6 auf 10.000 bestehende Ehen), wobei in 74.684 Fällen die Antragstellung durch die Frau, in 43.407 Fällen durch den Mann und in 11.759 Fällen durch beide Ehepartner erfolgte. In 42.863 Fällen war ein Kind, in 19.562 Fällen waren zwei Kinder und in 4.234 Fällen drei und mehr Kinder von der Scheidung ihrer Eltern betroffen. Da die meisten Ehen zwischen dem dritten und siebten Ehejahr geschieden werden, sind überdurchschnittlich viele Kinder zu diesem Zeitpunkt unter sechs Jahren alt. Im Gegensatz zur Scheidungsrate ist die Zahl der von der Trennung ihrer Eltern betroffenen Kinder in den letzten Jahrzehnten kaum gestiegen.

Scheidungsfamilien sind also in unserer Gesellschaft weit verbreitet. In den USA wurden seit Ende der 60er Jahre die Scheidung und die aus ihr entstehenden Familienformen immer differenzierter erforscht. Auch entstanden im psychosozialen und im Bildungsbereich viele Beratungsangebote - einen Überblick bietet beispielsweise "The Divorce and Divorce Therapy Handbook" (vgl. Textor 1989a). In Deutschland begann diese Entwicklung jedoch erst vor wenigen Jahren. So liegen kaum wissenschaftliche Forschungsergebnisse über deutsche Scheidungsfamilien vor. Vor allem aber mangelt es an Beratungs- und Hilfsangeboten, es gibt fast keine auf Scheidungsprobleme spezialisierten Beratungsstellen. Auch werden Ehe- und Familienberater nur unzureichend auf diesem Gebiet ausgebildet.

In diesem Buch sollen einerseits wissenschaftliche und klinische Erkenntnisse über Scheidungsfamilien sowie andererseits Formen der Scheidungsberatung dargestellt werden. Dabei wird meine Vorgehensweise durch drei Eigenschaften gekennzeichnet sein: Sie ist prozessorientiert, das heißt, Trennung und Scheidung werden als ein mehrere Jahre umfassender Prozess (Scheidungszyklus) verstanden. Dieser durchläuft eine Reihe nur grob voneinander unterscheidbarer Phasen. Dementsprechend muss auch die Beratung derartiger Familien prozessorientiert sein und immer beachten, in welcher Phase des Scheidungszyklus sich die jeweiligen Klienten befinden.

Meine Vorgehensweise ist zweitens integrativ: Zum einen werden sozialwissenschaftliche und klinische Erkenntnisse über Scheidungsfamilien miteinander verknüpft. Zum anderen wird der Beratungsansatz nicht auf der Grundlage einer bestimmten Psychotherapietheorie (wie Psychoanalyse, Verhaltenstherapie oder klientenzentrierte Psychotherapie) entwickelt, sondern auf der Basis einer umfassenden Integration der Konzepte, Hypothesen und Techniken von Scheidungsberatern, wie sie aus allen der im Literaturverzeichnis aufgeführten Veröffentlichungen ersichtlich sind. Während die Verknüpfung wissenschaftlicher und klinischer Erkenntnisse eine allgemein akzeptierte Vorgehensweise ist, gilt dieses für die Integration verschiedener Beratungs- und Therapieansätze weniger. So spielt im therapeutischen Bereich noch das "Schulen-Denken" eine große Rolle: Viele Psychologen und Berater rechnen sich Schulen der Psychotherapie wie der psychoanalytischen, der verhaltenstherapeutischen, der gesprächspsychotherapeutischen, der transaktionsanalytischen oder der gestalttherapeutischen zu. In der Literatur werden mehrere hundert Psychotherapietheorien beschrieben, die entweder eigene Schulen oder Subsysteme größerer Schulen bilden. Die Vertreter einer Schule verabsolutieren zumeist ihren Therapieansatz, vertreten ihn auf dogmatische Weise und halten ihn für nicht vereinbar mit anderen Auffassungen.

Meines Erachtens macht aber schon die Vielzahl von Psychotherapietheorien deutlich, dass keine die Realität angemessen erfasst und widerspiegelt. Vielmehr wählt jede Schule der Psychotherapie bestimmte Erkenntnisobjekte beziehungsweise Vorgänge aus, denen sie in erster Linie ihr Augenmerk widmet. So konzentrieren sich zum Beispiel die Psychoanalyse auf das Unbewusste, die Verhaltenstherapie auf Verhalten und Kognition sowie die Gesprächspsychotherapie auf das Erleben. Bei den in Veröffentlichungen beschriebenen Therapieansätzen, die jeweils einer dieser Schulen zugerechnet werden, wird dieser Auswahlprozess noch fortgeführt: So konzentrieren sich ihre Vertreter auf einzelne Aspekte des ausgewählten Erkenntnisobjekts oder Vorganges und kommen auf diese Weise zu etwas unterschiedlichen Konzepten, Hypothesen und Techniken. Das erklärt, wieso oft innerhalb einer Schule große Auseinandersetzungen um die "reine Lehre" geführt werden. Ja, man kann sogar noch einen Schritt weitergehen und sagen, dass jeder Berater und Psychotherapeut für sich diesen Auswahlprozess fortsetzt und einen eigenen Behandlungsansatz entwickelt, der seiner Lebensgeschichte, seiner Persönlichkeit, seinem Menschenbild, seinen Werten und Einstellungen, seiner Ausbildung und Arbeitssituation entspricht. Somit ist jeder Therapieansatz letztendlich eine "persönliche Theorie", die mit anderen nicht identisch ist.

Diese Beschränkung auf einzelne Aspekte der Behandlungssituation und des Lebens von Klienten ist für Berater und Psychotherapeuten "lebensnotwendig". Während eines Beratungsgesprächs strömen eine Unmenge an Eindrücken, Wahrnehmungen und Informationen auf sie ein, werden sie mit verbalen und nonverbalen Verhaltensweisen, intrapsychischen und interpersonalen Prozessen konfrontiert. Diese können nicht in ihrer Gesamtheit erfasst, geordnet, bewertet und hinsichtlich notwendiger Interventionen durchdacht werden. So sind Berater und Therapeuten gezwungen, eine sinnvolle und handhabbare Anzahl von Variablen auszuwählen und sich auf diese in ihrem Wahrnehmen, Denken und Handeln zu beschränken. Die auf solche Weise entstehenden Behandlungsansätze dienen letztlich als "Leitfaden" durch eine sehr komplexe Situation. Für Berater ist wichtiger, dass diese ein effektives Arbeiten und einen raschen Erfolg ermöglichen, als dass sie möglichst alle beobachtbaren und erschließbaren Vorgänge im Behandlungszimmer umfassen und wissenschaftlichen Kriterien genügen. Dabei nehmen sie in Kauf, dass die Einseitigkeit und übergroße Vereinfachung ihrer Behandlungsansätze im Widerspruch zur Komplexität der Wirklichkeit stehen, ihren Wahrnehmungs- und Aktionsradius beschränken und sie häufig in der praktischen Arbeit auf Grenzen stoßen lassen.

Konzentrieren sich Therapie- und Beratungsansätze auf verschiedene Erkenntnisobjekte beziehungsweise Aspekte derselben, so spiegeln sie unterschiedliche "Teile" der Wirklichkeit wider - sie sind alle "richtig", sofern sie die ausgewählten Aspekte realitätsgetreu abbilden. Auch kann in der Regel davon ausgegangen werden, dass die zur Veränderung pathologischer beziehungsweise pathogener Aspekte entwickelten Methoden und Techniken zumindest erfahrungsgemäß ihren Zweck erfüllen. Somit lassen sich die Konzepte, Hypothesen und Techniken dieser Behandlungsansätze in eine umfassende Theorie integrieren, die eher die Realität widerspiegelt, da mehr Erkenntnisobjekte und Aspekte derselben erfasst werden. Zugleich wird die Vielfalt möglicher Interventionen deutlich. So werde ich in diesem Buch verschiedene Ansätze der Scheidungsberatung zu einem "Ganzen" verknüpfen (eine genauere Darstellung der integrativen Methode findet sich in Textor 1985).

Drittens ist meine Vorgehensweise dadurch gekennzeichnet, dass der Scheidungszyklus als ein "normaler" Prozess des Familienwandels betrachtet wird. Bis in die 80er Jahre hinein wurde die Scheidung als pathologisch, als persönliches Scheitern der Ehegatten und als Katastrophe für die betroffenen Kinder gesehen. Dementsprechend wurden Geschiedene und alleinerziehende Elternteile diskriminiert, wurden ihre Kinder bedauert und mit negativen Erwartungen bedacht, die sicherlich oft zu sich selbst erfüllenden Prophezeiungen wurden. Forscher konzentrierten sich auf die negativen Folgen der Ehescheidung für Erwachsene und Kinder; Eheberater sahen die Scheidung ihrer Klienten als Misserfolg an. Bis in die 70er Jahre hinein wurde die Ehescheidung durch den Gesetzgeber erschwert.

Heute wird jedoch die Scheidung als Ausweg aus einer nicht länger tolerierbaren Ehesituation immer mehr akzeptiert - was sicherlich auch durch die Häufigkeit und damit "Normalität" dieses Ereignisses mitbedingt wurde. Sie gilt als gerechtfertigt, wenn die Ehe nicht mehr die Erwartungen der Partner erfüllt und ihre Bedürfnisse nicht länger befriedigt, wenn die Liebe als Voraussetzung und Grundlage der Ehe geschwunden ist und die Ehegatten unglücklich sind. So wird die Scheidung mehr und mehr analog zur Eheschließung gesehen und wie diese als Statuspassage definiert. Dementsprechend wurde sie in den letzten Jahren in vielen Ländern erleichtert. Da sie nun als Ausdruck der Entscheidungsfreiheit und Eigenverantwortung des Individuums betrachtet wird, spielt auch die Schuldfrage keine nennenswerte Rolle mehr.

Die Akzeptanz der Ehescheidung als etwas "Normales" hat dazu geführt, dass man nun auch positive Seiten neben den negativen entdeckt hat. So schreibt Granvold (1989): "Die Scheidung kann betrachtet werden als schädigend, aber Wachstum produzierend; als angsterzeugend, aber Selbstsicherheit stimulierend; als Abhängigkeit hervorrufend und zugleich Unabhängigkeit fördernd; als identitätszerstörend, aber Ichdifferenzierung und Individuation anregend; als Erleichterung bringend, aber belastend" (S. 198). Die Ehescheidung kann also auch positive Folgen haben, die bisher zu wenig beachtet wurden. Oft treten sie erst einige Zeit nach der Trennung auf und werden somit leicht übersehen, wenn man nur die durch Stress und größte Belastungen gekennzeichnete Übergangsphase untersucht. Festzuhalten ist, dass viele Familien den Scheidungszyklus mit positiven Ergebnissen und andere mit negativen durchlaufen.

Da sich dieses Buch in erster Linie an Berater, Psychotherapeuten und Sozialarbeiter richtet, wird jedoch auch in ihm ein Schwerpunkt auf dem Pathologischen liegen - die Kenntnis von möglichen negativen Folgen des Lebens in Scheidungsfamilien sowie von deren Ursachen ist Voraussetzung für die Beratungsarbeit. Allerdings soll zumindest im ersten Teil des Buches auf normale Folgen der Scheidung verwiesen werden. Es soll deutlich werden, dass viele Probleme dieser Familien nicht pathologisch sind und gegen Ende der Übergangsphasen wieder verschwinden. Nur in Einzelfällen kommt es zur Ausbildung von andauernden psychischen Störungen und Verhaltensauffälligkeiten.

Im ersten Teil des Buches wird der Scheidungszyklus in seinem Verlauf beschrieben, da er einen für Berater, Psychotherapeuten und Sozialpädagogen hilfreichen Orientierungsmaßstab bietet. Die einzelnen Kapitel beziehen sich auf die Phase vor der Trennung, die Trennungsphase und die Nachscheidungsphase, wobei eine weitere Differenzierung der Phaseneinteilung in Unterkapiteln erfolgt. In einem Exkurs wird auf das Scheidungsrecht eingegangen, da Grundkenntnisse auf diesem Gebiet für Scheidungsberater unerlässlich sind. Wie bereits erwähnt, erfolgt in diesem Teil eine Integration von sozialwissenschaftlichen Forschungsergebnissen und klinischen Erkenntnissen. Allerdings musste ich mich dabei auf in den 80er Jahren publizierte Forschungsergebnisse beschränken; einen Überblick über wissenschaftliche Erkenntnisse aus den 60er und 70er Jahren bietet das Buch von Fthenakis, Niesel und Kunze (1982). Deutsche Untersuchungen werden besonders berücksichtigt werden - da es aber nur wenige gibt, muss immer wieder auf amerikanische zurückgegriffen werden.

Im zweiten Teil des Buches wird ein prozessorientierter, integrativer Beratungsansatz beschrieben. Die einzelnen Kapitel beziehen sich auf den Übergang von der Ehe- zur Scheidungsberatung sowie die Beratung in der Trennungs- und in der Nachscheidungssituation. In einem Exkurs werde ich auf die Vermittlung eingehen - ein vor allem in den USA praktizierter Ansatz, durch den wichtige Scheidungsvereinbarungen ohne Rechtsstreit erreicht werden können. Nicht behandeln werde ich die Erstellung von Sorgerechtsgutachten, da das den Rahmen eines Buches über Scheidungsberatung sprengen würde.

Dieses Buch richtet sich an Berater, Psychotherapeuten und Sozialarbeiter sowie an Studenten aus höheren Semestern, die bereits Grundkenntnisse über Beratung und Psychotherapie erworben haben. Dementsprechend werde ich auf allgemeine Aussagen zu dieser Thematik verzichten - wie beispielsweise über die Qualität und Herstellung der therapeutischen Beziehung oder über den Ablauf des Erstinterviews. Auch werde ich aus Platzgründen nicht auf Therapiegruppen eingehen.

Besonderer Dank gebührt meiner Frau, Ingeborg Becker-Textor, die mich bei der Abfassung dieses Buches unterstützt hat und auf viele Stunden gemeinsam verbrachter Freizeit verzichten musste. Auch möchte ich Frau Helga Kudies danken, die das Manuskript schrieb.

 

Der Scheidungszyklus

Vom juristischen Standpunkt ist die Scheidung ein Ereignis - aus sozialwissenschaftlicher oder therapeutischer Sicht handelt es sich jedoch um einen komplexen, mehrdimensionalen und dynamischen Veränderungsprozess, der zwei Jahre und länger dauert. Dieser Scheidungszyklus umfasst mehrere Phasen, die in den nächsten Kapiteln beschrieben werden. Die Vielzahl der Veränderungen macht es unmöglich, von der Situation in einer Phase auf das Verhalten der Familienmitglieder in der nächsten oder übernächsten zu schließen. Jede Phase bringt neue Probleme und Anforderungen mit sich, deren Bewältigung von den jeweils vorhandenen Ressourcen und Problemlösungsstrategien abhängt. So erleben viele Familienmitglieder die ersten Monate oder gar Jahre nach der Trennung nicht positiver als die vorausgegangene konflikthafte Zeit. Jede Phase des Scheidungszyklus führt zu einer erneuten Reorganisation der Familienstruktur, der Interaktionen und Umweltkontakte, zur Veränderung des Denkens, Fühlens und Handelns sowie der Persönlichkeit der betroffenen Personen.

Beim Lesen der folgenden Kapitel muss zum einen beachtet werden, dass sich die Phasen des Familienzyklus nicht eindeutig voneinander abgrenzen lassen und ein Individuum nicht alle durchlaufen muss: Wird es zum Beispiel überraschend verlassen, so erlebt es nicht die Vorscheidungsphase. Auch können Phasen zusammenfallen: Heiratet beispielsweise eine Person direkt nach der Scheidung, so verschmelzen die Nachscheidungsphase und die Phase der Gründung einer Zweitfamilie. Zum anderen muss berücksichtigt werden, dass Individuen als einzigartige Wesen jede Phase unterschiedlich erfahren und den Scheidungszyklus mit verschiedenem Tempo durchlaufen: Kein Mensch erlebt eine Scheidung auf dieselbe Weise wie ein anderer. Bei den Gefühlen, Gedanken, Verhaltensweisen, Beziehungsmustern und Veränderungsprozessen, die als für eine Phase typisch beschrieben werden, handelt es sich also nur um grobe Verallgemeinerungen. Auch werden Gedanken, Emotionen usw. nicht in einer bestimmten Sequenz erlebt, sondern sie tauchen auf, verschwinden wieder und tauchen erneut auf. Neue Verhaltensweisen werden gelernt und kurz darauf nicht mehr praktiziert. Trotz des hohen Verallgemeinerungsgrades ist die nachfolgende Darstellung des Scheidungszyklus jedoch von heuristischem Wert. Auch verdeutlicht sie, dass Scheidungsberater in jeder Phase mit anderen Problemen, Bedürfnissen, Emotionen usw. konfrontiert werden und deshalb eines prozessorientierten Behandlungsansatzes bedürfen.

Nach demographischen und soziologischen Studien (Kitson, Babri und Roach 1985; Dyer 1986; Rottleuther-Lutter 1989; Wagner 1989) lässt sich festhalten, dass die Wahrscheinlichkeit einer Scheidung für bestimmte Bevölkerungsgruppen größer ist als für andere. Das trifft vor allem auf Ehepaare zu, die in Großstädten oder größeren Städten leben. Aber auch Ehen mit (voll-)erwerbstätiger Ehefrau sind weniger stabil, da die Frauen ökonomisch unabhängig sind und somit leichter aus einer unbefriedigenden Partnerbeziehung ausscheiden können. Ferner nimmt das Scheidungsrisiko mit dem Bildungsniveau der Ehefrauen zu - wobei Ehen besonders häufig zerbrechen, wenn Frauen höher qualifiziert sind als ihre Männer oder mehr verdienen. Ehen, in denen die Ehemänner nur ein geringes Bildungsniveau (Hauptschulabsolventen ohne Berufsausbildung und darunter) erreicht haben, einen Beruf mit einem niedrigen Status ausüben, wenig verdienen, arbeitslos oder von Arbeitslosigkeit bedroht sind, werden ebenfalls überdurchschnittlich häufig geschieden (also bei Unterschichtzugehörigkeit). Hauseigentümer sind hingegen nur selten von einer Ehescheidung betroffen. Auch die Religionszugehörigkeit spielt immer noch eine (schwache) Rolle: So sind Mischehen und Ehen von Protestanten weniger stabil.

Das Scheidungsrisiko ist höher bei Personen, die bereits in ihrer Ursprungsfamilie eine Scheidung erlebt oder sich von einem früheren Ehepartner getrennt haben, also in einer Zweitfamilie leben. Ferner sind Ehen weniger stabil, wenn die Partner zuvor in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft zusammen wohnten (Textor 1990), einander nur für kurze Zeit vor der Heirat kannten oder aufgrund einer vorehelichen Schwangerschaft heirateten. Vor allem aber sind Frühehen gefährdet (Textor 1989b), insbesondere wenn das erste Kind vorehelich gezeugt wurde oder die heirat erst nach dessen Geburt stattfand. Hier kommt es leicht zu einer baldigen Auseinanderentwicklung der Ehepartner, so dass viele dieser Ehen schon in den ersten Jahren geschieden werden. Schließlich ist das Scheidungsrisiko größer, wenn die Ehegatten keine oder besonders viele Kinder haben oder wenn diese bereits älter sind.

Offensichtlich ist also, dass die soziale Lage der Ehepartner, ihre Herkunft, der Zeitpunkt der Heirat oder der Geburt des ersten Kindes und ähnliche Faktoren einen großen Einfluss auf die Ehestabilität haben. Auch sind regional-, zeit- und altersspezifische Opportunitätsstrukturen von Bedeutung: So lässt sich zum Beispiel eine Hausfrau eher scheiden, wenn sie in einer Stadt wohnt (höhere Quote der Frauenerwerbstätigkeit, weniger Diskriminierung geschiedener oder alleinerziehender Frauen usw.), in einer Gegend mit einer positiven wirtschaftlichen Entwicklung lebt (bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt) oder relativ jung ist (bessere Chancen auf Arbeits- und Heiratsmarkt).

 

1. Die Vorscheidungsphase

Der Anfang der Vorscheidungsphase lässt sich in der Regel nicht festlegen und kann oft nur aus der Rückschau grob bestimmt werden. Auch theoretisch lässt er sich nicht eindeutig definieren. Meines Erachtens beginnt die Vorscheidungsphase in dem Zeitraum, in dem die zur Scheidung führenden Prozesse mit einer gewissen Konstanz auftreten. Ihr Ende lässt sich hingegen genau bestimmen: Sie findet ihren Abschluss mit der Trennung der Ehepartner. Da die Vorscheidungsphase - auch vom Begriff her - an die Tatsache der Scheidung, also eines späteren Ereignisses, gebunden ist, enthüllt sich ihre Existenz erst im Nachhinein. Dementsprechend kann sie nur retrospektiv erforscht werden, und so ist nicht verwunderlich, dass am wenigsten über diese Phase des Scheidungszyklus bekannt ist.

In der Regel führen mehrere Ursachen zu einer Verschlechterung der Ehebeziehung; einige können schon kurz nach der Hochzeit auftreten. In vielen Fällen ist die Ehe über einen langen Zeitraum hinweg unbefriedigend und/oder instabil, in anderen kommt ihr Ende plötzlich und schnell. Dementsprechend kann die Vorscheidungsphase zwischen einigen Wochen und fünf oder mehr Jahren dauern. Sie lässt sich grob aufteilen in einen Zeitraum der Verschlechterung der Ehebeziehung und in einen Zeitraum der Entscheidungskonflikte, in dem ein Ehepartner oder beide mit dem Gedanken an eine Trennung spielen, sie aber noch nicht beschlossen haben.

Verschlechterung der Ehebeziehung

Zumeist verschlechtert sich die Ehebeziehung allmählich, in einem sich über Monate und Jahre erstreckenden Prozess. Eine Vielzahl einzelner, an sich unbedeutender Handlungen oder die langsame Abnahme beziehungsstärkender Verhaltensweisen tragen zum Rückgang von positiven Gefühlen wie Liebe, Zuneigung, Vertrauen und Achtung bei. Ehequalität und Ehezufriedenheit schwinden; die Ehegatten sehen ihre Beziehung zunehmend in einem schlechten Licht, insbesondere, wenn sie diese mit den Ehen von Bekannten und Freunden vergleichen. Dieser Prozess wird häufig durch eine selektive Wahrnehmung verstärkt: Viele Partner konzentrieren sich immer mehr auf die negativen Aspekte ihrer Beziehung und übersehen die positiven. Hinzu kommt, dass sie aus ihrer Enttäuschung und Unzufriedenheit heraus oft den Eindruck gewinnen, sie würden zu wenig von der Ehe profitieren oder von ihrem Partner ausgenutzt werden. So versuchen sie, sicherzustellen, dass der eine nicht mehr als der andere bekommt, und wollen immer häufiger nehmen anstatt zu geben.

Die Verschlechterung der Ehebeziehung kann sich auf verschiedene Weise zeigen. In einigen Ehen nimmt die Konflikthaftigkeit zu. Während die Partner zunächst noch rational zu bleiben versuchen und nach Kompromissen trachten, gehen schließlich Problemlösungsfähigkeit, Geduld und Kompromissbereitschaft immer mehr zurück. Aus ihrer zunehmenden Frustration und Verärgerung sowie aus dem Gefühl heraus, abgelehnt und zurückgewiesen zu werden, greifen sie immer häufiger den Partner persönlich an, versuchen ihn zu verletzen oder setzen sogar Gewalt gegen ihn ein. Einige dieser Ehepaare unterbrechen den Teufelskreis eskalidierender Auseinandersetzungen nicht oder leben in einer Atmosphäre, die aufgrund ungelöster und immer wieder hervorbrechender Konflikte konstant spannungsgeladen ist. Andere beginnen hingegen, Auseinandersetzungen zu vermeiden und einander aus dem Weg zu gehen: "Sie haben miteinander gekämpft und verloren, und sie haben beschlossen, nicht mehr zu kämpfen. Sie vermeiden die direkte Kommunikation miteinander aus Angst, die unproduktive und eskalierende Form von Auseinandersetzungen erneut zu erfahren, an die sie sich gewöhnt hatten. Von Zeit zu Zeit kollidieren sie aber miteinander" (Isaacs, Montalvo und Abelsohn 1986, S. 74).

In anderen Fällen zeigt sich die Verschlechterung der Ehebeziehung weniger in Auseinandersetzungen oder Konfliktvermeidung. Hier ziehen sich die Ehepartner langsam voneinander zurück, da sie einander nicht mehr viel zu sagen und zu geben haben. Sie leben nebeneinander her, empfinden immer weniger füreinander und erleben einander als distanziert. Oft konzentrieren sie sich auf ihren Beruf oder auf Hobbys, entwickeln unterschiedliche Interessen und verbringen viel Zeit in einem separaten Freundeskreis. Vielfach wird dieser langsame und subtile Entfremdungsprozess erst spät bemerkt. Wird er von einem Partner angesprochen, kann er von dem anderen leicht verneint oder unterbewertet werden. Auch können die Eheprobleme einfach verdrängt werden.

Zu einer eher abrupten und plötzlichen Verschlechterung der Ehebeziehung kann es kommen, wenn zum Beispiel ein außereheliches Verhältnis entdeckt oder offenbart wurde. Häufig reagiert der Partner mit starken Emotionen wie Ärger, Angst oder Eifersucht und akzeptiert Zeichen der Reue nicht. Versucht er, den Ehegatten beispielsweise mit körperlicher oder psychischer Gewalt, durch einen abrupten Rückzug oder durch das Eingehen außerehelicher Beziehungen (als Rachemaßnahme) zu bestrafen, kann die Ehe daran schnell zerbrechen. Eine rasche Verschlechterung der Ehebeziehung kann natürlich auch durch Krisen wie Arbeitslosigkeit, die Geburt eines behinderten Kindes, die Aufnahme eines pflegebedürftigen Elternteils oder das Auftreten einer chronischen Krankheit hervorgerufen werden. Eine vergleichbare Wirkung können normale Übergangskrisen im Verlauf des Familienzyklus wie die Geburt des ersten Kindes, Ablösung und Auszug des jüngsten Kindes oder der Eintritt in den Ruhestand haben. So mag zum Beispiel der Vater sein neugeborenes Kind als Rivalen um die Aufmerksamkeit und Zuneigung der Mutter erleben, sich vernachlässigt fühlen und sich von seiner Familie abwenden.

Neben den bereits genannten können folgende Gründe zur Verschlechterung der Ehebeziehung beitragen und zu Scheidungsursachen werden: Viele Ehegatten stellen zu hohe und letztlich unerfüllbare Erwartungen an die Ehe und ihren Partner. Er/Sie soll ihr Liebhaber, ihr bester Freund, ihr Gesprächspartner, ihr Beschützer und ähnliches sein, alle ihre Bedürfnisse befriedigen, sie unendlich glücklich und zufrieden machen, sie für eine unglückliche Kindheit entschädigen, und so weiter. Viele dieser unbewussten Erwartungen sind neurotischer Natur und rühren von frühkindlichen Erfahrungen her - wenn sich zum Beispiel der Ehepartner ähnlich wie ein Elternteil verhalten soll. Kann ein Gatte diese hohen Ansprüche nicht befriedigen, so wird oft nach einem "besseren" gesucht. In vielen Ehen werden aber auch realistischere Rollenerwartungen nicht erfüllt. So berichteten beispielsweise 56 % der Frauen, die im Rahmen einer amerikanischen Untersuchung befragt wurden (Spanier und Thompson 1984), dass sich ihre Ehemänner zu wenig an der Hausarbeit beteiligten. Etwa 40 % der Frauen und 20 % der Männer sagten, dass ihre Partner die Elternrolle nicht zufriedenstellend ausgefüllt hätten. Viele Ehegatten hätten auch als Gesprächs-, Freizeit- oder Sexualpartner versagt.

Häufig tragen finanzielle oder berufsbezogene Probleme zur Verschlechterung der Ehebeziehung bei. So berichteten Geschiedene bei der vorgenannten Untersuchung, dass sich viele Konflikte mit dem Partner vor der Trennung um folgende Inhalte drehten: das dem einzelnen zur Verfügung stehende Geld (56 %), die eigenen Arbeitszeiten oder die des Partners (54 %), beruflich bedingte Abwesenheit von daheim (40 %), die Art des eigenen Berufs oder desjenigen des Ehegatten (39 %) sowie die eigenen Kollegen oder diejenigen des Partners (35 %). Viele Erwachsene gehen auch in ihrem Beruf auf und vernachlässigen ihre Familie. Ferner können konflikthafte Situationen in Ehen entstehen, in denen beide Partner in ihrem jeweiligen Beruf Karriere machen wollen. Dann haben sie oft nur noch wenig Zeit füreinander, sind aufgrund der beruflichen Anspannungen ungeduldig miteinander und geraten leicht in Konkurrenz zueinander. Der Ehebeziehung und der eigenen Selbstverwirklichung wird keine größere Bedeutung zugesprochen.

In vielen Fällen verursachen auch unterschiedliche Werte und Ziele Probleme. So mögen die Ehepartner ihre Geschlechtsrollen auf unvereinbare Weise definieren und ausgestalten. Strebt zum Beispiel eine Frau nach Gleichberechtigung und einer gerechten Aufteilung der Hausarbeit, während der Mann auf einer patriarchalischen und traditionellen Familienstruktur beharrt, kommt es zu Machtkämpfen und Unzufriedenheit mit der Ehebeziehung. Wird von einem Ehegatten das Lebensziel der Individuation und Selbstverwirklichung überbetont, so mag er leicht die eigenen Interessen, Bedürfnisse und Wünsche ohne Rücksicht auf die Einbeziehung oder sogar auf Kosten des Partners zu realisieren versuchen. Fühlt er sich in seinem Streben nach Glück, Erfüllung und Befriedigung gehemmt, ist die Versuchung groß, aus der Ehe auszuscheiden.

Ferner kann es zu einer Verschlechterung der Ehebeziehung kommen, wenn sich die Partner auseinanderentwickeln und verschiedene Lebensstile ausbilden. So gaben bei einer zwischen 1980 und 1983 in Norddeutschland durchgeführten Befragung von 100 geschiedenen Müttern und 50 Vätern 49 % als Scheidungsursache den durch eine unterschiedliche Entwicklung bedingten Mangel an Gemeinsamkeit an. Ferner wurden übermäßiger Alkoholkonsum mit Veränderungen im Verhalten und in der Persönlichkeit (30 %) sowie Untreue (21 %) als Gründe für die spätere Trennung genannt (Napp-Peters 1985). Andere Ursachen für die abnehmende Ehezufriedenheit können neurotische Verhaltensweisen und Persönlichkeitsstörungen des Ehepartners, Mangel an Kommunikation (vor allem über Gefühle) und Kommunikationsstörungen, unzureichende Befriedigung emotionaler Bedürfnisse (zu wenig positive Verstärkung), zu große Nähe (Symbiose), die Einmischung von Verwandten in die Ehebeziehung oder die Unzufriedenheit mit der eigenen Lebenssituation (zum Beispiel Hausfrauen-Syndrom), mit dem Lebensstil oder mit den sozialen Kontakten sein. In der Regel wird der Ehepartner für die Abnahme der Ehequalität verantwortlich gemacht. Zumeist sehen Männer die Partnerbeziehung weniger negativ als Frauen und sind sich der Probleme weniger bewusst.

Unabhängig davon, in welchem Bereich der Ehebeziehung destruktive Entwicklungen beginnen, greifen sie mehr oder minder schnell auf andere Bereiche über. Die Gespräche werden oberflächlicher, die Gefühle negativer, das Bild vom Partner schlechter, das Verhalten ihm gegenüber ablehnender. Die Sexualität verliert an Bedeutung oder wird zur Kontrolle beziehungsweise zur Unterwerfung des Ehegatten eingesetzt. In der Regel hat die Verschlechterung der Partnerbeziehung negative Folgen für das Wohlbefinden und die seelische Gesundheit der Erwachsenen. Sie entwickeln psychische und psychosomatische Störungen, erkranken oder beginnen, Alkohol, Drogen oder Medikamente zu missbrauchen. Zudem ändert sich ihr Verhalten anderen Menschen gegenüber.

Meistens werden auch die Kinder in Mitleidenschaft gezogen, da es aufgrund des systemischen Charakters von Familien fast unmöglich ist, lang andauernde Partnerprobleme auf das Ehesubsystem zu beschränken. So leiden sie unter der Unzufriedenheit, den neurotischen Störungen, den Suchtkrankheiten und den Konflikten ihrer Eltern. Oft werden sie vernachlässigt oder misshandelt, in pathogene Beziehungen wie Symbiosen verwickelt oder zu Sündenböcken, Bündnispartnern oder Vermittlern gemacht. Manche Kinder versuchen, durch Ausagieren, Entwicklung von Symptomen oder andere Manöver die Eltern von ihren Konflikten abzulenken, die Familie zusammenzuhalten oder Hilfe von außen herbeizuholen. Die von der Ehebeziehung ausgehenden pathogenen Einflüsse führen häufig zu Verhaltensauffälligkeiten und psychischen Störungen bei Kindern.

Die Unzufriedenheit mit der Ehebeziehung, die Familienkonflikte oder das problematische Verhalten ihrer Kinder lässt viele Ehepartner in dieser Phase nach professioneller Hilfe suchen. Sie konsultieren Ehe- und Familienberater, Ärzte, Psychiater, Priester und Sozialarbeiter. Zumeist erleben sie deren Beratung als hilfreich und sinnvoll. In den uns in diesem Buch interessierenden Fällen gelingt es den Fachleuten aber nicht, die Ehe ihrer Klienten zu retten, da diese zu spät kamen oder zu einer durchgehenden Veränderung ihres Verhaltens nicht (mehr) bereit waren.

Entscheidungskonflikte

Mit den ersten ernsthaften Gedanken an eine Trennung beginnt ein neuer Zeitabschnitt in der Vorscheidungsphase. Manche Ehepartner kommen sehr schnell zur endgültigen Entscheidung - in den meisten Fällen ziehen sich aber die Entscheidungskonflikte über eine lange Zeit hin, oft sogar über mehrere Jahre. Das liegt zum einen daran, dass es sich um eine sehr schwierige und komplexe Entscheidung mit nur schwer abschätzbaren, langfristigen Folgen handelt. Zum anderen haben viele Ehepartner Angst vor einem endgültigen Entschluss und den Konsequenzen. Darum verschieben sie die Entscheidung immer wieder. Sie verdrängen ihre Eheprobleme oder spielen sie herunter, sprechen den Partner von einem Großteil der Schuld frei und machen sich selbst für die unglückliche Ehebeziehung verantwortlich. Generell wird die Zeit der Entscheidungskonflikte als eine Phase der Ambivalenz und inneren Zerrissenheit erlebt, des Schwankens und Zögerns, der Unsicherheit und Anspannung.

Die Ehegatten analysieren immer wieder die Partnerbeziehung, die eigenen Gefühle und das Verhalten des anderen. Sie vergleichen im Entscheidungsprozeß den materiellen und immateriellen Nutzen der Ehe mit den psychischen, finanziellen und symbolischen Kosten für deren Aufrechterhaltung. Dabei dienen die Partnerbeziehungen anderer Personen, die mögliche oder aktuelle Beziehung zu alternativen Partnern und die eigenen Vorstellungen von einer guten Ehe als Vergleichsmaßstab. Ferner werden die Scheidungsbarrieren und Opportunitätsstrukturen durchdacht. So fällt die Entscheidung, sich zu trennen, um so schwerer, je größer die Investitionen in die Familie waren, je negativer die Folgen für die Kinder eingeschätzt werden, je größer die zu erwartenden Einbußen im Lebensstandard sind, je weniger die betroffene Person finanziell unabhängig ist, je geringer die Chancen auf dem Arbeits- und Heiratsmarkt eingeschätzt werden, je unattraktiver das Leben als Single erscheint, je weniger die Scheidung von einem selbst oder der sozialen Umwelt akzeptiert wird (Grad der Religiosität), je mehr Geschiedene und Alleinerziehende am Wohnort diskriminiert werden und je mehr Nutzen die Person noch aus der Ehe zieht.

Problematisch ist, dass sich viele Ehepartner über die emotionalen, sozialen und materiellen Folgen einer Trennung nicht im klaren sind: "Nur wenige Erwachsene sehen voraus, was nach einer Scheidung auf sie zukommt. Fast immer wird das Leben mühsamer und komplizierter, als sie es sich vorgestellt haben" (Wallerstein und Blakeslee 1989, S. 26).

So ist häufig die endgültige Entscheidung wenig durchdacht. Beispielsweise mag sie impulsiv und voreilig erfolgen, wenn der Ehepartner die diesen Zeitraum kennzeichnende Ambivalenz nicht erträgt oder einer streßhaften, angsterzeugenden oder von anderen negativen Gefühlen geprägten Situation entfliehen will. Vielfach werden vor der Entscheidung mögliche Alternativen nicht beachtet, relevante Informationen ignoriert und zu erwartende negative Folgen nicht berücksichtigt. Oft wird die Entscheidung aber auch immer wieder verschoben, da die jeweilige Person zu große Angst vor dem Unbekannten nach der Trennung hat. Der endgültige Entschluss wird zumeist durch ein bestimmte Ereignis ausgelöst (der "Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte"). Viele Personen reagieren auf die feste Entscheidung, sich von ihren Partnern zu trennen, mit Gefühlen der Erleichterung.

Manche Ehegatten ziehen sich in dieser Situation der Entscheidungskonflikte zurück und schränken ihre sozialen Kontakte ein. Andere sprechen hingegen mit gleich- oder gegengeschlechtlichen Freunden und Verwandten über ihre Eheprobleme. Sie erfahren Verständnis, Empathie, Zusprache und Unterstützung, die jedoch häufig die unbefriedigende Lebenssituation erleichtern und zu einem Herausschieben der endgültigen Entscheidung führen. Handelt es sich bei einer dieser Vertrauten um eine gegengeschlechtliche Person, dann kann die Beziehung zu ihr allerdings so intensiv werden, dass sie eine Alternative zur bestehenden Ehe wird und den Entscheidungsprozeß beschleunigt. Generell erleben Personen, die in der Vorscheidungsphase ein eigenes Netzwerk aufbauten, die Zeit nach der Trennung weniger negativ als solche, die ihre sozialen Kontakte einschränkten. Sie können weiterhin mit dem Zuspruch und der Hilfe ihrer Freunde rechnen.

In manchen Fällen beginnen beide Ehegatten etwa zur gleichen Zeit, sich mit Gedankenan eine mögliche Scheidung zu beschäftigen. Spricht einer von ihnen dieses Thema dann an, ist der andere wenig überrascht. Meistens ist dann eine relativ offene und rationale Diskussion möglich. Trägt sich nur ein Ehegatte mit Trennungsabsichten und erwähnt diese zum ersten Mal gegenüber seinem Partner, so mag dieser mit Überraschung, Wut, Hass, Schmerz, Angst, Verzweiflung oder Apathie reagieren. Bei einer amerikanischen Untersuchung über 210 geschiedene Personen kam beispielsweise für 28 % der Frauen und 30 % der Männer der Vorschlag des Partners, sich scheiden zu lassen, ganz unerwartet (Spanier und Thompson 1984). Ziehen sie sich zurück, greifen sie zu Suchtmitteln oder setzen sie physische oder psychische Gewalt ein, dann verschlechtert sich die Ehebeziehung weiter. In anderen Fällen unternehmen sie verzweifelt den Versuch, die Zuneigung des Ehegatten zurückzugewinnen. Ein "klammerndes" Verhalten ist aber vielfach kontraproduktiv. Sieht der Partner allerdings noch positive Aspekte in der Ehebeziehung oder steht der möglichen Trennung recht ambivalent gegenüber, werden oft letzte Versuche zur Rettung der Ehe unternommen. Eventuell kommt es auch nur zu einer versuchsweisen Trennung.

In manchen Fällen trifft ein Partner für sich die Entscheidung, sich zu trennen, ohne mit seinem Ehegatten darüber zu sprechen. Er mag seine Absicht für längere Zeit verheimlichen, um die Trennung vorzubereiten. So beginnen nichterwerbstätige Frauen beispielsweise mit einer Berufsausbildung oder suchen eine Stelle, legen ein eigenes Konto an, sparen einen Teil des Haushaltsgeldes für die Zeit nach der Trennung oder suchen sich eine Wohnung. In diesen Fällen fallen die endgültige Trennung und das erste gemeinsame Gespräch über die geplante Scheidung zusammen oder der Partner wird mit dem Auszug aus der gemeinsamen Wohnung vor vollendete Tatsachen gestellt. Eine derartige Situation wurde von einem Drittel der in vorgenannter Studie befragten Personen beschrieben.

Für Kinder kommt die Entscheidung der Eltern, sich zu trennen, besonders häufig unerwartet - selbst wenn sie um deren Eheprobleme wussten oder häufig in Ehekonflikte einbezogen wurden. Oft werden sie aber auch von ihren Eltern im Dunkeln gehalten, wenn diese ihre Partnerprobleme verheimlichen. Mitchell (1985) interviewte 50 schottische Jugendliche einige Jahre nach der Scheidung ihrer Eltern und berichtet: "Die Hälfte der Kinder konnten sich an keine Konflikte der Eltern vor der Trennung erinnern. Die Mehrheit glaubte, dass ihr Familienleben glücklich war. Einige, die Auseinandersetzungen beschrieben, hielten sie nicht für einen ausreichenden Grund für die Trennung ihrer Eltern" (S. 113).

 

2. Die Scheidungsphase

Die Scheidungsphase beginnt mit der endgültigen Trennung der Ehepartner und endet mit dem Scheidungsurteil. Sie dauert - von einigen Ausnahmen abgesehen - aufgrund gesetzlicher Vorschriften mindestens ein Jahr. In Einzelfällen, auf die nur in dem Exkurs über das Scheidungsrecht hingewiesen wird, kann sie sich auch über (mehr als) drei Jahre erstrecken. Über die Scheidungsphase liegen viel mehr Forschungsergebnisse und klinische Beobachtungen vor als über die Vorscheidungsphase. Bei der Übertragung amerikanischer Erkenntnisse auf die Situation in Deutschland muss beachtet werden, dass diese Phase in den USA aufgrund der anderen Rechtslage kürzer ist. Generell lässt sich die Scheidungsphase in den Zeitraum nach der endgültigen Trennung und in den Zeitraum um die gerichtliche Scheidung unterteilen.

Die Trennung und die Zeit danach

Zumeist wird die Trennung von der Ehefrau initiiert. In der Regel zieht ein Ehepartner aus der gemeinsamen Wohnung aus und lebt vielfach zunächst in einer provisorischen Unterkunft (zum Beispiel bei Verwandten oder Freunden). Manchmal zieht er in der ersten Zeit mehrfach um, bis er sich schließlich auf Dauer in einem Appartement oder Haus einrichtet. Vereinzelt müssen sich auch beide Partner neue Wohnungen suchen - beispielsweise wenn einer allein die alte nicht finanzieren kann. In einigen wenigen Fällen, die vor allem in Regionen mit Wohnungsknappheit und hohen Mieten vorkommen, sind die Ehegatten zur Trennung "unter einem Dach" gezwungen. Dabei entsteht eine höchst unnatürliche, spannungsgeladene und emotional belastende Situation. Die Getrenntlebenden kommunizieren wenig miteinander, sie geraten immer wieder in Konfliktsituationen. Da sie kaum Abstand voneinander gewinnen, ist die Wahrscheinlichkeit gering, dass sich mit der Zeit eine akzeptable Beziehung zwischen ihnen ausbildet. Leben Kinder in diesen Familien, so leiden sie zumeist stark unter der für sie unverständlichen Situation. Auch werden sie leicht in Konflikte hineingezogen.

Eine Trennung bedeutet für die Ehepartner eine Vielzahl von Veränderungen im psychischen, sozialen, finanziellen und beruflichen Bereich. Lebensweise, Gewohnheiten, Rollen, Selbstbild ändern sich; die interpersonale Umwelt verhält sich ihnen gegenüber anders. Jeder Getrenntlebende reagiert auf diese Veränderungen auf ganz individuelle und einzigartige Weise. Wohl sind viele Reaktionen typisch, sie treten beim einzelnen aber in einer unterschiedlichen Sequenz, Stärke und Dauer auf. Generell werden sie stark von der Art der Trennung bestimmt. So ist von großer Bedeutung, ob diese plötzlich und überraschend oder nach langen Diskussionen und Auseinandersetzungen erfolgte, ob sie einseitig oder gemeinsam entschieden wurde, und ob eine dritte Partei (Liebhaber) beteiligt ist oder nicht. Beispielsweise hat der Initiator der Trennung zumeist weniger Probleme, da er sich die neue Situation gewünscht hat, sich auf sie psychisch einstellen und notwendige Vorbereitungen treffen konnte. Rein emotional kann er sich aber als der "verlassene" Partner erleben, wenn zum Beispiel sein Ehegatte ein außereheliches Verhältnis hatte oder sich aus berufsbedingten Gründen kaum um ihn kümmerte. Dann mag er noch starke Bindungen und intensive positive Gefühle empfinden, also in seinen Reaktionen eher einem verlassenen Partner ähneln.

Da Geschlecht, Alter und die jeweilige Phase des Lebens- und Familienzyklus die Folgen einer Trennung entscheidend beeinflussen, sollen diese Faktoren in der nachfolgenden Darstellung besondere Berücksichtigung finden. Von großer Bedeutung ist ferner, ob in der Familie Kinder leben oder nicht. Im letztgenannten Fall treten zumeist weniger Probleme auf, sind die Getrenntlebenden nicht zu einer weiteren Zusammenarbeit und zur Umstrukturierung ihrer Beziehung gezwungen. Die Folgen der Trennung werden außerdem zu einem großen Teil dadurch bestimmt, welcher Schicht die Familie angehört und ob beide Ehepartner (voll-)erwerbstätig sind oder nicht.

Nach der Trennung haben viele Ehegatten Probleme, das Ende ihrer Ehe zu akzeptieren. Dieses gilt vor allem für Personen, die noch positive Gefühle für ihren Partner empfinden, die die letzten Monate als relativ ruhig erlebten, die nur den Gatten oder einen Dritten für die Trennung verantwortlich machen, die sich in der neuen Situation besonders einsam und unsicher fühlen oder die in ihrem Netzwerk auf viel Kritik stoßen. Selbst der Initiator bezweifelt oft, ob er die richtige Entscheidung gefällt hat. Auch mag er starke Schuldgefühle entwickeln, weil er das Auseinanderbrechen seiner Familie verursacht und den anderen Familienmitgliedern so großen Schmerz bereitet hat. Zumeist verspürt er aber Erleichterung, dass er seine Trennungsabsicht in die Tat umgesetzt hat. Er akzeptiert eher die nun entstandene Situation, sieht seine Zukunft relativ positiv und mag sich sogar auf das Leben als Single freuen.

Besonders schwer fällt es dem Partner, der sich als plötzlich verlassen erlebt, das Ende seiner Ehe zu akzeptieren. Er kann die Entscheidung des Ehegatten nicht nachvollziehen, fühlt sich zurückgewiesen und abgelehnt. Oft verneint er zunächst die für ihn unverständliche Situation, durchläuft dann eine Phase des Protests und versinkt schließlich in tiefer Verzweiflung. Manchmal hofft er auch, durch bestimmte Verhaltensweisen die Zuneigung des Partners wieder zu gewinnen. Wenn dieses nicht gelingt, fühlt er sich machtlos und hilflos. Er kann aber auch mit Wut und Hass reagieren, sich dem Ehegatten gegenüber aggressiv verhalten und ihn bestrafen wollen - wobei er vielfach nicht vor Gewalt und, im Einzelfall, auch nicht vor einem Mordversuch zurückschreckt. Natürlich kann auch der Partner brutal reagieren. Wallerstein und Blakeslee (1989) berichten, dass in ihrer Stichprobe mehr als die Hälfte der Kinder Zeugen von Gewalttätigkeiten zwischen ihren Eltern wurden.

Befragt man Erwachsene, welche Gefühle sie nach der Trennung verspürten, so berichten sie von Schmerz, Trauer, emotionaler Erstarrung, Selbstmitleid, Depressivität, Hoffnungslosigkeit, Angst, Unsicherheit, Wut, Hass, Verbitterung, Rachegefühlen, Aggressivität, Minderwertigkeitsgefühlen, Selbstzweifeln, Schuldgefühlen. Zumeist dauern diese Gefühlszustände lange an und wechseln in Art und Intensität. Oft werden auch entgegengesetzte Emotionen erlebt. Die genannten Gefühle führen leicht zu unüberlegtem und irrationalem Verhalten. Die Beschäftigung mit ihnen zieht vielfach die berufliche Leistungsfähigkeit in Mitleidenschaft. Ferner wird häufig von psychischen und psychosomatischen Störungen berichtet. So sagten bei der amerikanischen Untersuchung von Spanier und Thompson (1984) ein Drittel der Frauen und ein Fünftel der Männer, dass sie in der Zeit nach der Trennung unter Symptomen litten. Generell wird von Schlafstörungen, Erschöpfung, Apathie, Nervosität, Reizbarkeit, Kopfschmerzen, Drogen- und Medikamentenmissbrauch, erhöhtem Alkohol- und Nikotingenuss, Depressionen und so weiter berichtet. Nach verschiedenen Untersuchungen sind bei Getrenntlebenden und Geschiedenen erhöhte Selbstmordraten, eine größere psychiatrische Morbidität, eine überdurchschnittlich große Anfälligkeit für Krankheiten und eine höhere Unfallrate festzustellen (vgl. Bojanovsky 1983; Dyer 1986; Mowatt 1987).

Es ist jedoch zu beachten, dass es neben den beschriebenen negativen Gefühlen und Symptomen auch entgegengesetzte Entwicklungen gibt. Das verdeutlicht eine Befragung von 132 geschiedenen Männern und 235 Frauen, die im Rahmen einer für die USA repräsentativen Umfrage bei rund 3.000 Singles erfolgte: Wohl kam es im ersten Jahr bei vielen zu einer Abnahme der Selbstwertgefühle (15 % der Männer, 17 % der Frauen), der Zufriedenheit (33 % der Männer, 32 % der Frauen), der inneren Energie (21 % der Männer, 28 % der Frauen) und des Gefühls einer positiven Weiterentwicklung (11 % der Männer, 12 % der Frauen), zu einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes (19 % der Männer, 21 % der Frauen), zu Schlafstörungen (25 % der Männer, 33 % der Frauen) und zu Depressionen (41 % der Männer, 51 % der Frauen) - bei vielen kam es aber auch zu einer Zunahme des Selbstwertgefühls (49 % der Männer, 64 % der Frauen), der Zufriedenheit (50 % der Männer, 60 % der Frauen), der inneren Energie (35 % der Männer, 53 % der Frauen) und des Gefühls der eigenen positiven Weiterentwicklung (59 % der Männer, 76 % der Frauen), zu einer Verbesserung des Gesundheitszustandes (27 % der Männer, 32 % der Frauen), zu einem Rückgang der Schlafstörungen (16 % der Männer, 33 % der Frauen) und zu einer Abnahme von Depressionen (21 % der Männer, 30 % der Frauen) (Simenauer und Carroll 1982).

Diese Unterschiede lassen sich auf verschiedene Weise erklären. So ist zum Beispiel die subjektive Bewertung der Trennung im Hinblick auf die eigene Gegenwart und Zukunft von großer Bedeutung. Sieht ein Getrenntlebender die Scheidung in erster Linie als Chance des Neubeginns, so wird er relativ schnell über sie hinwegkommen. Betrachtet er sie hingegen als Verstoß gegen Gottes Ordnung, als Folge des eigenen Versagens oder als Zeichen, dass er unattraktiv und nicht liebenswert ist, so wird er lang an der Trennung leiden. Außerdem bewältigt eine Person diese Situation besser, wenn sie ein großes Repertoire an coping-Strategien besitzt, also schon viele kritische Lebensereignisse erfolgreich angegangen ist. Eine große Rolle spielt auch, inwieweit sie die Trennungssituation als Verbesserung gegenüber der Ehe erlebt. So verschwinden vielfach die in der Vorscheidungsphase erlebten psychischen und psychosomatischen Störungen, da Ehekonflikte, Angst vor dem Partner und ähnliche Belastungen nicht mehr von Bedeutung sind. Manche Getrenntlebende finden auch in einer neuen intimen Beziehung Zufriedenheit und Glück. Hingegen leiden Personen eher unter negativen psychischen Folgen der Trennung, wenn sie frühere Verlusterfahrung unzureichend verarbeitet haben, viel in ihre Ehe investierten, einen großen Statuswert erlebten oder mit den Herausforderungen der neuen Situation nicht fertig werden.

Von großer Bedeutung für das Ausmaß des emotionalen Wohlbefindens nach der Trennung sind ferner die Netzwerkkontakte. Verheimlichen Getrenntlebende ihre neue Lebenssituation vor Freunden, Kollegen und Bekannten, so können sie von diesen keine Unterstützung erfahren und sind in ihrem Schmerz allein. Sind sie Einzelgänger oder verlieren sie mit der Trennung die meisten Freunde und Bekannten, da diese eine engere Beziehung zum ehemaligen Partner haben oder dessen Partei ergreifen, werden sie ebenfalls wenig Rückhalt finden und sich einsam fühlen. Inwieweit sie in einem ausdifferenzierten Netzwerk Hilfe finden, hängt zu einem großen Teil davon ab, ob Verwandte, Freunde und Bekannte der Trennung eher zustimmten oder nicht. So berichteten bei der amerikanischen Studie von Spanier und Thompson (1984) nur die Hälfte der Frauen und 35 % der Männer, dass die eigenen Eltern der Trennung zustimmten. Hingegen stieß rund ein Drittel der Befragten auf Kritik und Ablehnung. Unabhängig von ihrer Haltung ergreifen die Mitglieder der Herkunftsfamilie jedoch in der Regel die Partei ihres Blutsverwandten und helfen ihm - sofern vor der Trennung noch engere Kontakte bestanden. Allerdings berichteten bei der vorgenannten Untersuchung auch ein Viertel der Männer und ein Drittel der Frauen von emotionaler Unterstützung durch die Schwiegereltern.

Bei Freunden und Bekannten ist es zumeist weniger wichtig, ob sie der Trennung zustimmen oder nicht. Aber auch sie entscheiden sich in der Regel für einen der beiden Partner, wobei sie sich von der Intensität und Qualität der Beziehungen leiten lassen. Sie bieten Verständnis und Empathie, vermitteln Gefühle der Sicherheit und Geborgenheit, helfen beim Umzug, bei der Arbeitssuche, im Haushalt und bei der Kinderbetreuung, ermöglichen eine befriedigende Freizeitgestaltung und versuchen, neue Partnerschaften zu stiften. Nach der genannten Studie erhielten 85 % der Frauen und 65 % der Männer Dienstleistungen sowie 65 % beziehungsweise 30 % eine finanzielle Unterstützung aus ihrem Netzwerk. Manchmal erleben Getrenntlebende aber auch das Mitleid und die Hilfsbereitschaft von Verwandten und Freunden als übertrieben. Auch fühlen sie sich bald sonderbar in der Gesellschaft von Ehepaaren. So nimmt der Kontakt zu verheirateten Freunden einige Monate nach der Trennung rapide ab (vor allem bei Frauen). Die Getrenntlebenden beginnen, ihr geschrumpftes Netzwerk auszubauen. Sie schließen neue Bekanntschaften, insbesondere mit Singles und Geschiedenen. Dabei ändern sie ihr Selbstkonzept und nehmen sich mehr und mehr als Alleinlebende (beziehungsweise Alleinerziehende) wahr. Zugleich verändern sie ihren Lebensstil, entwickeln neue Lebensziele und -inhalte.

In den ersten ein, zwei Monaten nach der Trennung haben Getrenntlebende in der Regel relativ wenig Kontakt zu Sexualpartnern - sofern nicht ein außereheliches Verhältnis fortgesetzt wird. Sie sind sich oft nicht im klaren, ob die Trennung endgültig ist und ob sie für neue Beziehungen frei sind. Nach der Untersuchung von Spanier und Thompson (1984) über 210 geschiedene Personen begann aber die Mehrheit innerhalb von sechs Monaten nach der Trennung mit der Partnersuche. Ausnahmen sind vor allem Getrenntlebende, die noch starke Bindungen an den Ehegatten verspüren, intensiv mit sich selbst (ihrem Leiden, der Selbsterkenntnis, dem Aufarbeiten der Vergangenheit usw.) beschäftigt sind, in der Beziehung zu ihren Kindern aufgehen, ein starkes Misstrauen gegenüber dem anderen Geschlecht entwickelt haben oder große Angst vor Zurückweisung oder einem erneuten Scheitern haben.

Viele Personen, insbesondere wenn sie lange verheiratet waren, fühlen sich bei der Partnersuche sehr unsicher. Sie wissen oft nicht, wo sie potentielle Partner treffen und wie sie mit ihnen Kontakt aufnehmen können. Auch bezweifeln sie häufig, dass sie auf andere Personen (sexuell) attraktiv wirken. Ihre Ängste, Zweifel und Schuldgefühle äußern sich in neuen Beziehungen vielfach in der Form sexueller Probleme. So wurde bei einer amerikanischen Untersuchung über 367 Geschiedene (Simenauer und Carroll 1982) herausgefunden, dass 20 % der Männer und 45 % der Frauen im ersten Jahr des Alleinlebens einen Mangel an Lust erlebten. Auch berichteten 11 % der Männer von Impotenz und 8 % von vorzeitiger Ejakulation; 20 % der Frauen waren unfähig, einen Orgasmus zu erleben. Etwa ein Viertel der Befragten begann zu masturbieren oder onanierte häufiger als vor der Trennung; 9 % der Männer und 6 % der Frauen berichteten das Gegenteil. Außerdem erwähnten 54 % der Männer und 44 % der Frauen eine Zunahme sowie 27 % beziehungsweise 36 % eine Abnahme von sexuellen Aktivitäten. Schließlich fanden fast zwei Drittel der Befragten, dass ihre sexuelle Attraktivität nach der Trennung wuchs.

Generell lassen sich mehrere Verhaltensmuster bei der Partnersuche beobachten. So erleben viele Getrenntlebende eine "zweite Adoleszenz": Sie wechseln häufig ihre Partner und experimentieren mit verschiedenen Ausdrucksformen von Sexualität. Sie wollen sich selbst bestätigen, dass sie noch begehrenswert sind und mit jüngeren Konkurrenten mithalten können - oft suchen sie sich sehr viel jüngere Partner. Getrenntlebende, die sich als wenig attraktiv und liebenswert erleben oder aufgrund ihrer Vorerfahrungen ein niedrigeres Anspruchsniveau haben, akzeptieren auch Sexualpartner, mit denen sie normalerweise keinen Kontakt aufnehmen würden. Da rasch wechselnde sexuelle Beziehungen das Bedürfnis nach Intimität nicht befriedigen und oft als enttäuschend oder desillusionierend erlebt werden, ändern viele bald wieder ihr Sexualverhalten. Auch steigt mit der Zeit das Anspruchsniveau wieder an. Die Getrenntlebenden suchen dann nach längerfristigen und intensiveren Beziehungen. Manche ändern ihr Verhalten jedoch nicht, weil sie große Bindungsängste haben, keine neuen Verpflichtungen übernehmen wollen oder ihre Kinder allein erziehen möchten.

In anderen Fällen haben die Getrenntlebenden schon vor der Trennung eine enge, intensive und intime Beziehung gefunden oder gehen eine solche so bald wie möglich ein. Sie erfahren in ihr Liebe, Zuneigung, Verständnis und Empathie, können in ihr die gescheiterte Ehe aufarbeiten und vergessen. Viele suchen auch von Anfang an einen neuen Ehepartner, insbesondere wenn sie sich einsam fühlen und mit sich selbst nichts anfangen können, wenn sie materielle Probleme haben oder es als schwierig erleben, Berufstätigkeit und Erziehung miteinander zu vereinbaren. Haben sie Kinder, halten sie nach einem Partner Ausschau, der mit diesen gut auskommt, und integrieren ihn langsam in ihre Familie. Nur selten heiraten sie direkt nach der Scheidung. Auch führt nur in Einzelfällen eine außereheliche Beziehung zur Heirat.

Im folgenden sollen einige alters- und geschlechtsspezifische Unterschiede herausgearbeitet werden. Während Personen, die noch relativ jung sind, nur kurze Zeit verheiratet waren und keine Kinder haben, sehr schnell in den Lebensstil von Singles zurückfallen, wenig Probleme mit der Partnersuche haben und leicht voneinander finanziell unabhängig werden, ergibt sich ein anderes Bild bei Ehepaaren, die lange zusammenlebten. So wurden 1987 beispielsweise in der Bundesrepublik 17.634 Ehen nach 16 bis 20 Ehejahren, 13.132 nach 21 bis 25 Jahren und 10.428 nach 26 und mehr Jahren geschieden (Statistisches Bundesamt 1989a). In diesen Fällen wird die Trennung als ein großes Trauma und als Verlust an Lebenssinn erlebt, da die Partner viel in ihre Ehe investiert haben. Sie können ihren Lebensstil nur unter großen Schwierigkeiten ändern, weil es viele eingefahrene Verhaltensmuster und oft noch eine traditionelle Arbeitsteilung in der Familie gibt. So sind viele Frauen nicht erwerbstätig und haben aufgrund ihres Alters und mangelnder Berufserfahrung wenig Chancen auf dem Arbeitsmarkt - sie müssen von den Unterhaltszahlungen ihrer früheren Ehemänner leben, geraten oft in finanzielle Schwierigkeiten und erleben einen großen Statusverlust. Auch ist es für sie schwierig, ihr geschrumpftes Netzwerk auszuweiten. Beispielsweise berichtete die Hälfte von 204 kanadischen Frauen, die 20 Jahre und länger verheiratet waren, dass sie sich nach der Trennung einsam fühlten (Langelier und Deckert 1980). Ein Drittel verlor viele verheiratete Freunde. Fast alle berichteten aber, dass sie mit der Zeit unabhängiger und durchsetzungskräftiger wurden. Ältere Männer erleben eine Trennung oft als Zeichen persönlichen Versagens. Sie besitzen aber zumeist eine sichere Selbstidentität und bessere coping-Strategien als jüngere Männer. Auch sind sie beruflich etabliert und können auf ausdifferenzierte Netzwerke zurückgreifen.

In der Regel ist es für Getrenntlebende schwer, ihren Kindern zu erklären, wieso sie sich nach mehr als 20 Ehejahren scheiden lassen wollen. Allerdings müssen sie weniger Rücksicht auf ihre Kinder nehmen, da diese selbständig und oft bereits finanziell unabhängig sind. Große Probleme bereiten aber die Beziehungen zu Schwiegereltern und deren Verwandten, da sie häufig im Verlauf der Zeit sehr intensiv geworden sind. Auch gibt es vielfach Schwierigkeiten bei der Aufteilung des Besitzes, weil er recht groß sein kann und an viele Dinge Gefühle und Erinnerungen geknüpft sind. Eine besondere Situation entsteht, wenn die Ehepartner bereits im Ruhestand leben. Dann muss die Rente geteilt werden (finanzielle Probleme), sind die Getrenntlebenden weniger anpassungsfähig, wird die nach dem Eintritt in den Ruhestand eintretende Reduzierung des Netzwerkes noch verstärkt, ist das Unverständnis bei Kindern und Enkeln besonders groß.

Die Trennung ist auch für Männer und Frauen mit unterschiedlichen Folgen verbunden. So haben erstere oft große Schwierigkeiten mit der Haushaltsführung, insbesondere wenn sie in einer Ehe mit traditioneller Arbeitsteilung lebten. Sie sind frustriert und mit sich selbst wütend, wenn sie mit einfachen Hausarbeiten nicht fertig werden. Da ihnen das Kochen Probleme bereitet, verschlechtert sich ihre Ernährung. Auch essen sie unregelmäßig und nehmen häufig Mahlzeiten am Imbissstand oder in Restaurants zu sich. Hinzu kommt, dass sie ihre Wohnung nicht mehr als Heim erleben, weil sie zumeist umziehen mussten, ihre neue Unterkunft als ungemütlich empfinden und sich in ihr einsam fühlen. Deshalb verbringen sie so viel Zeit wie möglich außer Haus, stürzen sich also zum Beispiel in die Arbeit oder in das Nachtleben. Selbstverständlich ändert sich diese Situation, sobald sie die Haushaltsführung beherrschen oder eine Partnerin gefunden haben. Im Gegensatz zu Frauen unterdrücken getrenntlebende Männer eher Gefühle der Trauer und des Schmerzes, aber weniger Emotionen wie Zorn und Hass. Auch sind sie häufig von der Stärke ihrer Abhängigkeitsbedürfnisse überrascht. Zumeist fällt es ihnen schwer, mit anderen über ihr Gefühlsleben zu sprechen, da dieses der männlichen Geschlechtsrolle widerspricht und weil sie oft keine wirklich engen Beziehungen zu gleichgeschlechtlichen Freunden haben. So beginnen sie bald mit der Partnersuche und sind dabei in der Regel erfolgreicher als Frauen, die hingegen leichter vertrauenswürdige Freundinnen finden.

Frauen zeigen nach der Trennung meist Gefühle wie Trauer, Reue und Angst; hingegen verdrängen sie aggressive Impulse. Ältere Frauen, die viel in ihre Familie investiert haben, werden häufig depressiv, da sie ihren bisherigen Lebenssinn verlieren. Sie erleben es oft auch als sehr schwierig, die zuvor von ihren Männern erfüllten Aufgaben zu übernehmen, insbesondere weil in ihren Familien seit langem bestimmte Muster der Arbeitsteilung praktiziert wurden. Sie fühlen sich in ihrer Rolle als Getrenntlebende lange unsicher, da sie von dem Mangel an Normen und Regeln über das Leben nach Trennung und Scheidung besonders betroffen sind (Anomie). Mit der Zeit entwickeln sie aber einen neuen Lebensstil, neue Hobbys und Freizeitaktivitäten. Jüngere Frauen erweitern ihr soziales Netzwerk und beginnen wieder mit der Partnersuche. Sie verändern oft ihr Aussehen, legen beispielsweise mehr Make-up auf, entscheiden sich für modernere Frisuren und kleiden sich entsprechend der neuesten Mode. Viele Frauen vernachlässigen aber auch ihre äußere Erscheinung und nehmen an Gewicht zu.

Heute wird von Frauen erwartet, dass sie sich nach Trennung und Scheidung selbst ernähren, sofern sie nicht Kleinkinder zu versorgen haben. Für ältere Getrenntlebende, die vor der Ehe nur niedrige berufliche Qualifikationen erworben hatten und dann Hausfrauen wurden, ist es jedoch sehr schwer, eine adäquate Stelle zu finden. So erleben sie oft einen starken sozioökonomischen Abstieg. Da sie ihre Position in Abhängigkeit von dem Beruf ihres Mannes definiert haben, bedeutet die Trennung für sie zugleich einen großen Status- und Selbstwertverlust. Aber auch Frauen, die nur schlecht bezahlte Teilzeitarbeit ausüben beziehungsweise finden, müssen große Einbußen in ihrem Lebensstandard verkraften. Sie haben wenig Geld für die Ergänzung der Wohnungseinrichtung, für Freizeitaktivitäten und Urlaubsreisen; oft benötigen sie staatliche Hilfen. Sozialer Abstieg, Arbeitslosigkeit und materielle Probleme verschärfen noch die Folgen der Trennung und führen zu einer schlechteren Anpassung an die neue Situation. Hinzu kommt, dass sich das Los von getrenntlebenden oder geschiedenen Frauen ohne adäquate Berufsausbildung zumeist im Verlauf der Zeit kaum bessert.

Jüngere Frauen haben heute in der Regel eine gute Schulbildung genossen und eine Berufsausbildung abgeschlossen. Sofern sie zum Zeitpunkt der Trennung nicht mehr erwerbstätig sind, finden sie leicht eine neue Stelle. Auch haben sie mehr Möglichkeiten des beruflichen Aufstiegs, so dass sich ihre materielle Situation mit der Zeit verbessert. Allgemein lässt sich sagen, dass erwerbstätige Frauen eine Trennung psychisch besser überstehen, da die gewohnte Berufssphäre Kontinuität bietet, die Arbeit als Quelle von Befriedigungen und positiven Selbstwertgefühlen erlebt wird, finanzielle Notlagen seltener auftreten und Kollegen vielfach verständnisvoll und hilfreich sind. Vor allem ältere erwerbstätige Frauen haben oft nach der Trennung weniger Probleme, da sie im Beruf gelernt haben, ihr Schicksal in die eigene Hand zu nehmen und Entscheidungen zu fällen.

Besonders problematisch ist die materielle und berufliche Situation von Getrenntlebenden, die Kinder haben und diese versorgen müssen. Wie wir bereits in der Einleitung gesehen haben, handelt es sich in etwa 85 % der Fälle um Frauen. Da die Kinder zum Zeitpunkt der Trennung in der Regel noch recht jung sind (die meisten Ehen werden im ersten Ehejahrzehnt geschieden), haben viele Mütter ihre Erwerbstätigkeit aufgegeben oder auf Teilzeitarbeit beschränkt. Im ersten Fall erleben sie es als schwierig, eine mit der Kinderbetreuung zu vereinbarende Stelle zu finden, und sind oft lang arbeitslos. Aber auch im zweiten Fall müssen sie häufig mit der Arbeitssuche beginnen, wenn das Erwerbseinkommen sehr niedrig ist. Die schlechte materielle Situation dieser Teilfamilien wird in einer Studie von Neubauer (1988) verdeutlicht. Die Autorin ermittelte, dass im Jahr 1985 getrenntlebende Mütter mit Kindern unter 18 Jahren den überwiegenden Lebensunterhalt zu 49,8 % aus Erwerbstätigkeit, zu 28,1 % aus Unterhaltszahlungen, zu 13,9 % aus Sozialhilfe und zu 5,5 % aus Arbeitslosengeld beziehungsweise -hilfe bestritten. Waren die Kinder unter drei Jahren alt, lebten nur 32,6 % der Teilfamilien von dem Erwerbseinkommen der Mütter, aber 25,3 % von der Sozialhilfe. Und selbst bei Kindern im Alter von 10 bis unter 15 Jahren wurde der Lebensunterhalt nur in 52,5 % der Fälle überwiegend über die Berufstätigkeit der Mütter finanziert. Hier wird deutlich, dass etwa jede achte Mutter - und ein noch höherer Prozentsatz der Mütter von Kleinkindern - nach der Trennung das Sozialamt aufsuchen muss. Oft erlebt sie diesen Gang als Erniedrigung, Kränkung und Ausdruck des Versagens. Unterhaltszahlungen sind nur in jedem vierten Fall von Bedeutung. Allerdings kommt es immer wieder vor, dass Unterhaltspflichtige ihren Verpflichtungen nicht oder nur teilweise nachkommen. Bei Kindern unter sechs Jahren springt dann unter bestimmten Umständen der Staat ein: So wurde zum 31.12.1987 in 21.207 Fällen Unterhalt nach dem Unterhaltsvorschußgesetz (UVG) an Kinder dauernd getrennt lebender Ehepaare gezahlt (Statistik des BMJFFG).

Erwerbstätige Getrenntlebende mit Kindern haben wohl weniger finanzielle Probleme, sind aber häufig überlastet und am Ende ihrer seelischen und körperlichen Kräfte. Nach einer Studie über 100 geschiedene Mütter und 50 Väter (Napp-Peters 1985) bestand für rund 40 % der Alleinerziehenden die schwierigste Aufgabe nach der Trennung darin, Beruf, Kindererziehung und Haushalt miteinander in Einklang zu bringen. Dieses gilt vor allem für solche Personen, die erst zum Zeitpunkt der Trennung wieder erwerbstätig werden. So macht die Familie zunächst einen desorganisierten Eindruck: Die Wohnung wirkt unordentlich und ungepflegt; die Familienmitglieder essen unregelmäßig und selten gemeinsam; Bettzeiten werden nicht eingehalten; die Kinder kommen zu spät in Kindergarten oder Schule. Besondere Schwierigkeiten macht auch die Betreuung kleinerer Kinder, da es an Plätzen in Kindertagesstätten und Horten mangelt und da die Öffnungszeiten dieser Einrichtungen vielfach zu kurz sind. Grundschüler haben unregelmäßige Schulzeiten; zudem gibt es zu wenig Ferienangebote für sie. Bei der zuvor erwähnten Untersuchung berichteten auch 38 % der Alleinerziehenden, dass sie niemanden haben, der bei ihrer Erkrankung einspringen und die Kinderbetreuung übernehmen könnte.

Erschwerend kommt hinzu, dass viele Mütter nach der Trennung mit ihren Kindern umziehen. Besonders häufig wechseln sie vom Land in die Stadt, da es dort mehr Berufsmöglichkeiten für Frauen gibt, weil die Kinderbetreuungsangebote in der Stadt besser sind und da sie in der dörflichen oder kleinstädtischen Umgebung stärker diskriminiert werden. Aber auch in größeren Städten werden sie mit Vorurteilen konfrontiert und bei der Wohnungssuche benachteiligt. Zumeist dauert es recht lang, bis sie sich von der negativen Haltung ihrer Umwelt distanzieren können. Insbesondere nach einem Umzug, oder wenn sie wegen der Versorgung kleinerer Kinder nur selten die Wohnung verlassen können, fühlen sich Getrenntlebende einsam und isoliert - wobei diese Emotionen besonders stark bei nichterwerbstätigen Elternteilen auftreten. Sie haben wenig Kontakt zu anderen Erwachsenen und wenig Freizeitmöglichkeiten. Hinzu kommt, dass sich Mütter häufig als unattraktiv erleben und deshalb in die Partnersuche wenig Energie investieren.

Eine problematische Situation kann entstehen, wenn Getrenntlebende mit Kindern zu ihren Eltern ziehen. Wohl sind Probleme finanzieller Natur und hinsichtlich der Kinderbetreuung größtenteils gelöst; die neue Situation kann aber viel Konfliktstoff enthalten. So wetteifern Mütter und Großmütter oft miteinander, wer am besten die Kinder erziehen kann. Vielfach kommt es auch zu Auseinandersetzungen, wenn sie unterschiedliche Erziehungsstile praktizieren oder favorisieren. Außerdem lehnen es manche Großmütter ab, ihre Enkel zu bestrafen. Selbst wenn sie zu diesen zuvor ein positives Verhältnis hatten, empfinden sie das Zusammenleben mit ihnen oft bald belastend und überfordernd. Sie haben mehr Arbeit, erleben mehr die negativen Seiten ihrer Enkel und geraten häufiger mit ihnen in Auseinandersetzungen. Schließlich kann sich problematisch auswirken, wenn die Mütter wieder eine Tochterrolle einnehmen und einen großen Teil ihrer Erziehungsfunktion abtreten. Sie werden dann zu "älteren Schwestern" ihrer Kinder, die vielfach Orientierungsprobleme haben, Loyalitätskonflikte empfinden oder den Eindruck gewinnen, dass sie nun auch noch den zweiten Elternteil verloren haben. Natürlich kann sich diese Situation aber auch positiv entwickeln, zum Beispiel wenn die Großeltern einen großen Teil der aus der Trennung resultierenden Probleme auffangen und den Kindern viel Liebe, Verständnis und Empathie entgegenbringen.

Abschließend soll noch kurz auf die Situation von sorgeberechtigten Vätern eingegangen werden, die rund 15 % aller Getrenntlebenden mit Kindern ausmachen. Sie erleben zum einen ähnliche Probleme wie die zuvor beschriebenen. Erschwerend kommt aber zum anderen hinzu, dass sie in der Regel nur schlecht auf ihre Rolle als Haupterzieher der Kinder vorbereitet sind, da in den meisten Familien noch immer die Mütter den größten Teil der Erziehungsfunktion ausüben. So müssen die Väter oft erst die alltäglichen Aufgaben der Versorgung, Pflege und Erziehung von Kindern erlernen. Hinzu kommt, dass sie es schwer haben, ihre Hilfsbedürftigkeit in diesem Bereich vor sich und anderen einzugestehen. Viele Väter, die sich in dieser Situation befinden, suchen besonders intensiv nach einer neuen Partnerin, die ihnen die Last der Kindererziehung und Haushaltsführung abnehmen soll. Bei einem hohen Einkommen lassen sie sich dazu aber mehr Zeit, da sie zum Beispiel eine Kinderfrau einstellen können. Väter, die kleine Kinder versorgen und deshalb ihren Beruf aufgeben müssen, erleben einen besonders starken wirtschaftlichen und sozialen Abstieg. Häufig fühlen sie sich von ihrer Umwelt geächtet.

Beziehung zwischen getrenntlebenden Ehegatten

Von großer Bedeutung für das psychische Wohlbefinden ist auch die Beziehung zum ehemaligen Partner. Sie muss individuell und aktiv bestimmt werden, da diese Rolle gesellschaftlich nicht definiert ist. Erschwerend kommt hinzu, dass das soziale Umfeld Kontakte zwischen früheren Ehegatten negativ sieht. Dennoch gelingt es vielen Personen, nach der Trennung eine wenig belastende Beziehung zum ehemaligen Partner aufzubauen. Das ist besonders häufig der Fall, wenn sie sich gemeinsam für die Scheidung entschieden haben und ohne größere Konflikte auseinandergegangen sind. Sie können in der Regel Beschlüsse über die Aufteilung des Eigentums, die Unterhaltsregelungen und die Erziehung der Kinder (Sorgerecht) auf rationale Weise fassen.

In vielen Fällen spüren Getrenntlebende noch starke positive Gefühle füreinander. Nach einer amerikanischen Studie (Spanier und Thompson 1984) empfanden vor allem Männer noch Liebe für ihre früheren Ehefrauen, die eher von einer Mischung aus Liebe und Hass berichteten. Nach einer anderen Untersuchung (Bloom und Hodges 1981) über 153 Personen, die sich gerade von ihrem Ehegatten getrennt hatten, sprachen 45 % der Befragten mit ihrem früheren Partner über die Möglichkeit einer Versöhnung - wobei das eher auf Eltern als auf kinderlose Paare zutraf. Nach amerikanischen Forschungsergebnissen bleiben enge Beziehungen auch noch nach der Scheidung bestehen, die in den USA kurze Zeit nach der Trennung erfolgen kann (im Gegensatz zu Deutschland). So berichten beispielweise Hetherington, Cox und Cox (1982), die 72 Scheidungsfamilien untersuchten: "Sechs Paare hatten Geschlechtsverkehr in den 2 Monaten nach der Scheidung. Vierunddreißig Mütter und 29 Väter berichteten, dass im Falle einer Krise der frühere Ehegatte die erste Person wäre, die sie anrufen würden. Acht Väter halfen weiterhin der Mutter im Haushalt und vier passten auf die Kinder auf, wenn sie andere Männer traf" (S. 250).

Hier wird deutlich, wie stark die Bindungen an den früheren Partner noch sein können. Vor allem Männer erkennen oft jetzt erst ihre Abhängigkeitsbedürfnisse, derer sie sich vor der Trennung nicht bewusst waren. Auch viele Initiatoren stellen zu ihrer eigenen Überraschung fest, dass sie ihre früheren Partner vermissen und sich allein fühlen. "Es ist sehr einleuchtend, dass der Prozess der Auflösung der Beziehung zu einer primären Bezugsperson das Gefühlsleben und Selbstbild durcheinander bringt. Bedenkt man die zentrale Rolle, die der Bindungsprozess für die eigene Identität hat, ist es auch nicht verwunderlich, dass ein sich trennendes Individuum ein Fortdauern der Bindung trotz einer Abnahme der Liebe erfährt ..." (Granvold 1989, S. 200). Hinzu kommt, dass bestimmte Situationen und Gegenstände immer wieder die Erinnerung an den früheren Partner wecken. Es ist offensichtlich, dass für Personen mit intensiven Bindungen und verbleibenden positiven Gefühlen die Trennungssituation besonders belastend ist.

Das Wohlbefinden von Getrenntlebenden ist fraglos stark beeinträchtigt, wenn es zu häufigen Auseinandersetzungen mit dem früheren Partner kommt. Dabei brechen oft heftige negative Emotionen hervor, mangelt es an Urteilsvermögen, gerät das Verhalten leicht außer Kontrolle, führt jede zu klärende Frage zu einem Machtkampf. Häufig kommt es zu Kommunikationsstörungen (wie Inkongruenz oder Fehlen von Rückmeldung), wird über Dritte kommuniziert, die leicht Botschaften verzerren und eine Eskalation von Konflikten hervorrufen können. Viele Getrenntlebende denken das Schlechteste über ihren ehemaligen Partner, begegnen ihm mit tiefstem Misstrauen und weisen ihm die Schuld für die Trennung und alle von ihnen derzeit erlebten Belastungen zu.

Unter diesen Bedingungen können viele nach der Trennung anstehende Fragen nicht rational geklärt werden. Dennoch müssen vorläufige Regelungen hinsichtlich der Aufteilung des Besitzes, des Ehegatten- beziehungsweise Kindesunterhalts und des Verbleibs der Kinder (Sorge- und Besuchsrecht) getroffen werden. Dieses ist in solchen Fällen oft nur unter Einschaltung von Rechtsanwälten, Gerichten und Jugendämtern möglich. Dabei werden viele Konflikte auf dem Rücken der Kinder ausgetragen: So mag der Elternteil, bei dem die Kinder leben, Besuchs-, Brief- und Telefonkontakte zu dem abwesenden Elternteil zu unterbinden versuchen, weil der ehemalige Partner keinen oder nur einen Teil des Unterhalts zahlt, den Betrag zu spät auf das Konto überwiesen oder die Besuchsregelungen nicht eingehalten hat. Oft handelt er auch so, weil er die Elternrechte des früheren Ehegatten nicht anerkennt, dessen Erziehungs- oder Lebensstil ablehnt oder seiner Wut auf ihn Ausdruck verleihen will. Oder er kann vielfach nicht akzeptieren, dass die Kinder den abwesenden Elternteil lieben, oder befürchtet, dass er sie an ihn verlieren konnte. Dieser mag in solchen Fällen die Kinder aufhetzen, indem er ihnen attraktive Freizeitunternehmungen bei Besuchen in Aussicht stellt und deren Undurchführbarkeit beklagt.

Eltern-Kind-Beziehung

Das Ehe- und das Eltern-Kind-System sind zwei unterschiedliche Subsysteme der Familie. Bei der Trennung lösen die Ehegatten wohl die Partnerbeziehung auf, bleiben aber weiterhin die Eltern ihrer Kinder. Jedoch ändern sich in den folgenden Monaten und Jahren auch die Eltern-Kind-Beziehungen. Sofern ein Kontakt zu beiden Elternteilen besteht, können der mütterliche und der väterliche Haushalt für die Kinder zu Teilen eines "binuklearen Familiensystems" werden (Ahrons und Wallisch 1987b). Die Getrenntlebenden müssen sich weiterhin über die Erziehung ihrer Kinder verständigen. Manchen gelingt es, die Elternrolle von der Partnerrolle zu trennen und die Kinder aus Konflikten mit dem früheren Ehegatten herauszuhalten; andere sind hierzu nicht fähig. In diesem Unterkapitel soll nun die Entwicklung der Eltern-Kind-Beziehungen nach der Trennung beleuchtet werden. Da die meisten Kinder bei der Mutter bleiben (s.o.), werde ich den anwesenden Elternteil als Mutter und den abwesenden als Vater bezeichnen. Für die 15 % der Fälle, in denen die Kinder beim Vater bleiben, gilt zumeist Analoges.

Nach der Trennung haben Mütter plötzlich mehr oder minder die alleinige Verantwortung für ihre Kinder. Jedoch ist diese Situation nicht so neu für sie, da sie schon in der Ehe die Hauptlast der Kindererziehung und Haushaltsführung trugen. Vielmehr geben die vielen Routineaufgaben (und der häufige Verbleib in der Familienwohnung) ihrem Leben Kontinuität und machen Veränderungen im Selbstkonzept weniger dringend. Hinzu kommt, dass Kinder oft eine Quelle von Lebensmut und emotionaler Unterstützung sind. Vor allem eine positive Mutter-Kind-Beziehung lässt die Trennung leichter ertragen und bewältigen. Allerdings besteht in dieser Situation die Gefahr, dass Mütter ihre ganze Liebe auf die Kinder übertragen oder sich auf sie konzentrieren, um die innere Leere zu füllen. Vor allem Mütter, die selbst Trennungen oder Abwesenheiten von Elternteilen in ihrer Kindheit erlebt haben, reagieren oft auf den Partnerverlust mit einem überängstlichen, anklammernden oder überbehütenden Erziehungsverhalten (Langenmayr 1987). So kommt es leicht zur Ausbildung symbiotischer Beziehungen. Manchmal werden Kinder auch zu Ersatzpartnern gemacht und abhängig gehalten, weil sie als Vertraute oder Gesprächspartner benötigt werden.

In anderen Fällen kommt es zur Vernachlässigung der Kinder, zu mangelnder Verhaltenskontrolle oder zur Ausbildung eines inkonsistenten Erziehungsstils. Hierfür kann es viele Ursachen geben:

  1. Die Mutter ist wieder erwerbstätig geworden oder hat eine neue Stelle angetreten. Nun hat sie weniger Zeit für ihre Kinder, musste sie plötzlich in einer Krippe, einer Tagesstätte oder einem Hort unterbringen. Sie ist durch all die Umstellungen überlastet und gestresst, hat weniger Geduld mit ihren Kindern und reagiert häufiger mit körperlicher Züchtigung.
  2. Die Mutter ist so sehr mit sich selbst und den aus der Trennung resultierenden Problemen beschäftigt, dass sie die Bedürfnisse ihrer Kinder nach Zuneigung, Liebe, Ermutigung und so weiter nicht erfüllt. Dieses gilt besonders für den Fall, dass sie depressiv geworden ist oder unter psychischen Störungen leidet. In all diesen Fällen wird oft auch ein älteres Kind parentifiziert: Es übernimmt einen mehr oder minder großen Anteil an der Hausarbeit und der Erziehung jüngerer Geschwister.

Bei einer amerikanischen Studie über 36 Jungen und 36 Mädchen aus Scheidungsfamilien (Hetherington, Cox und Cox 1982) wurde festgestellt, dass ihre Mütter weniger Gespräche mit ihnen in der Zeit nach der Trennung führten, weniger gut mit ihnen kommunizierten, weniger von ihnen verlangten und weniger Zuneigung zeigten als Mütter aus vollständigen Familien (Vergleichsgruppe). Vor allem fielen die hohe Rate und lange Dauer von negativen Interaktionen zwischen Müttern und Söhnen auf. Diese wurden auch häufiger bestraft als Töchter. Mädchen erhielten mehr Zuwendung und Unterstützung, wurden aber auch häufiger als Vertraute überfordert.

Viele Mütter erwarten, dass sich ihre Kinder nach der Trennung normal weiterentwickeln. Sie machen sich wenig Gedanken über deren Gefühlsreaktionen oder "übersehen" sie. So ergab eine Untersuchung über 71 schottische Eltern und ihre Kinder (Mitchell 1985), dass fast zwei Drittel der Kinder unter der Trennung litten - aber dass weniger als ein Drittel der Eltern dies bemerkten. Viele Kinder erfahren in dieser Krisensituation also keine Unterstützung seitens ihrer Mütter. In anderen Fällen machen sich diese aber große Sorgen um ihr Wohlergehen. Dazu trägt die öffentliche Meinung bei, die in den Kindern die Hauptleidtragenden von Trennung und Scheidung sieht. Auch beobachtet die soziale Umwelt Alleinerziehende aufmerksamer, mischen sich Lehrer und Jugendamtsmitarbeiter häufiger in ihre Erziehung ein. So haben manche Mütter starke Schuldgefühle gegenüber ihren Kindern, beobachten sie genau hinsichtlich ihrer Reaktionen auf die Trennung und versuchen, negative Folgen zu kompensieren. Oft möchten sie auch perfekte Eltern sein, um negative Selbstwertgefühle auszugleichen, oder um ihre Stärken gegenüber dem ehemaligen Partner herauszustellen. Für die Mütter ist es jedoch besonders belastend, wenn ihre Kinder verhaltensauffällig werden. Sie fühlen sich dann inkompetent, entwickeln Ängste oder werden depressiv.

Vor allem bei kleineren Kindern wird der Einfluss des abwesenden Elternteils von dem anwesenden bestimmt. Wenn beispielsweise Mütter das Ende ihrer Ehe akzeptieren, die elterlichen Rechte ihrer ehemaligen Partner anerkennen und Besuche ihrer Kinder bei ihnen als Zeiten der Entspannung, der Muße, der Selbstverwirklichung oder der Pflege neuer Beziehungen definieren, fördern sie oft den Kontakt. In anderen Fällen verbieten sie ihren Kindern, Gefühle des Schmerzes über die Abwesenheit des Vaters zu äußern. Sie versuchen, Besuche zu unterbinden, indem sie besonders attraktive Alternativen anbieten oder Fragen stellen wie "Du willst doch nicht wirklich Vater treffen wollen?" Vielfach erwarten sie, dass die Kinder ihre Partei ergreifen, die Trennung gutheißen und den Vater für diese verantwortlich machen. Dabei können sie auf das menschliche Bedürfnis zurückgreifen, bei tiefgreifenden Entscheidungen - wie der Trennung - die Schuldfrage zu klären. Selbst wenn man im Scheidungsrecht vom Schuldprinzip abgerückt ist, gilt nämlich weiterhin die Beobachtung: "Ich bin jedoch noch keinem Mann, keiner Frau und keinem Kind begegnet, die emotional eine Scheidung ohne Schuldzuweisung akzeptiert hätten" (Wallerstein und Blakeslee 1989, S. 29). In vielen Fällen wird auch die Abneigung von (kleineren) Kindern gegenüber dem Vater von der Mutter induziert oder durch psychischen Druck, Drohungen, Lügen, Verleumdungen oder das Zeigen von Missbilligung und Abneigung bei Fragen nach dem Vater erreicht.

Es ist nicht verwunderlich, dass Kinder unter diesen Umständen intensive Loyalitätskonflikte erleben. Sie lieben in der Regel beide Elternteile, wollen es beiden recht machen und die Beziehung zu beiden aufrechterhalten. Nun sollen sie sich unter starkem Druck für einen entscheiden. Einige Kinder können diese psychischen Konflikte offen ausdrücken und mit vertrauten Personen besprechen, während andere sie nicht zeigen dürfen und in ihrem Innern lösen müssen. Jugendliche können sich auch von den Erwartungen ihrer Eltern aufgrund ihrer größeren Selbständigkeit distanzieren: Sie setzen die Beziehung zum Vater gegen den Widerstand der Mutter fort, fällen unabhängig Urteile über das Verhalten ihrer Eltern, widersetzen sich, wenn sie in Konflikte hineingezogen werden sollen, und zeigen offen ihre Wut, wenn ein Elternteil den anderen schlecht macht. Zudem entziehen manche sich ihren Eltern, indem sie sich in Hobbys stürzen, viel mit Gleichaltrigen unternehmen und sich frühzeitig von daheim ablösen.

Während viele Kinder die Beziehung zu beiden Elternteilen fortsetzen (können), entscheiden sich andere aus folgenden Gründen für einen von beiden:

  1. Kleinere Kinder sind noch stark von ihrer Mutter abhängig, können sich weniger ihrer Einflussnahme entziehen und ergreifen deshalb ihre Partei.
  2. Bei jüngeren Kindern wird mit der Trennung der Mythos von den perfekten Eltern zerstört. Oft lenken sie die aus dieser Erfahrung resultierenden Gefühle wie Wut und Enttäuschung auf den abwesenden Elternteil und lehnen ihn ab - vor allem wenn ein derartiges Verhalten von dem Anwesenden gefördert wird.
  3. Manche Kinder solidarisieren sich mit der Mutter, weil sie bei ihr leben, ihre Probleme hautnah erleben und sich gedrängt fühlen, Empathie zu zeigen und emotionale Unterstützung zu geben.
  4. Einige Kinder wählen den schwächeren oder unter größeren Problemen leidenden Elternteil, da dieser eher ihrer Hilfe bedarf.
  5. Jüngere Kinder wenden sich manchmal dem Vater zu, weil dieser sie bei Besuchen verwöhnt, mit Geschenken überschüttet und weniger auf Gehorsam Wert legt. Das tägliche Zusammenleben mit der Mutter wirkt bei weitem weniger attraktiv, da sie Hausarbeiten zuteilt, die Schulaufgaben kontrolliert, auf Ordnung achtet und eher straft.
  6. Ältere Kinder ergreifen für einen Elternteil Partei aus der inneren Notwendigkeit heraus, die Frage nach Recht und Unrecht zu klären. Dabei mag jedoch auch ein Elternteil idealisiert werden. Das daraus resultierende Verhalten wird oft von diesem bestätigt und belohnt.

Viele Kinder übernehmen in der Trennungsphase bestimmte Rollen wie die des Bündnispartners, Vermittlers, Informanten, Nachrichtenkuriers oder Mitwissers von Geheimnissen - sofern sie diese nicht schon vorher innegehabt haben. Sie genießen anfangs die mit der jeweiligen Rolle verbundene Macht, merken vielfach aber auch vorbewusst, dass sie ausgebeutet werden. Rollen wie die des Ersatzpartners oder parentifizierten Kindes können die kindliche Entwicklung beschleunigen, überfordern es jedoch häufig und verhindern die Teilhabe an altersentsprechenden Aktivitäten. Kinder, die vor der Trennung mit dem Vater verbündet waren, werden nun oft zu Sündenböcken gemacht oder erhalten weniger Unterstützung.

Vor allem jüngere Kinder zeigen in der Trennungsphase ein anklammerndes Verhalten. Sie fühlen sich, trotz Versicherung des Gegenteils, vom Vater verlassen. Nun haben sie Angst, dass auch die Mutter sie im Stich lassen könnte - wobei diese Angst oft noch dadurch geschürt wird, dass die Mutter erwerbstätig wird und weniger Zeit als zuvor für ihre Kinder hat. Oft müssen sie auch ihre Liebe und Zuneigung mit Liebhabern oder neuen Interessen teilen. Unter solchen Umständen werden manche Kinder verhaltensauffällig: Sie wollen die Aufmerksamkeit ihrer Mütter auf sich lenken und deren Liebe testen. Dabei erleben sie auch negative Reaktionen als Verstärkung - als Beweis, dass sich diese noch um sie kümmern. Einige Kinder werden in der Trennungsphase ihren Müttern (oder anderen Personen) gegenüber aggressiv, weil sie nur auf diese Weise ihre Wut auf den abwesenden Vater ausdrücken können oder weil sie Angst vor zu großer Nähe haben (wie der Vereinnahmung in einer symbiotischen Beziehung). Manche Kinder regredieren aber auch, um Gratifikationen aus früheren Entwicklungsphasen wiederzuerlangen oder weil sie Angst vor neuen Anforderungen haben. Diese Reaktionen werden oft durch ein überbehütetes und verwöhnendes Verhalten der Mütter gefördert. Haben Kinder Angst um die psychische Gesundheit ihrer Mütter oder befürchten sie, dass diese Selbstmord begehen könnten, bleiben sie manchmal unter fadenscheinigen Gründen daheim - ihr Verhalten erinnert dann an eine Schulphobie.

Besonders stark verändert sich die Beziehung zwischen Kindern und Vätern (den abwesenden Elternteilen). Zumeist treffen sie einander nur am Wochenende. Viele Väter fühlen sich entwurzelt, erleben die Trennung von ihren Kindern als traumatisch, entwickeln Schuldgefühle ihnen gegenüber und glauben, als Väter versagt zu haben. Auch verlieren sie an Selbstachtung, da sie nicht mehr den Status eines verantwortlichen Familienmannes innehaben. Selbst Väter, die sich vor der Trennung kaum um ihre Kinder gekümmert haben, vermissen oft zu ihrer eigenen Überraschung deren tägliche Nähe. Sie bereuen, dass sie bisher so wenig mit ihnen unternommen haben, verspüren starken Schmerz und haben Angst, dass sie bald von ihnen vergessen werden. So beginnen sie plötzlich, sich intensiv ihren Kindern zu widmen. Dabei stellen sie häufig fest, dass sie bei Besuchen wenig mit ihren Kindern anfangen können. Da ihre Wohnung nicht kindgemäß eingerichtet ist, verbringen sie viel Zeit mit ihnen auf Spiel- oder Sportplätzen, in Restaurants, im Kino oder im Zoo. Sie wandern mit ihnen oder nehmen sie auf Ausflügen mit. Zumeist übernehmen sie keine Verantwortung mehr für ihre Erziehung, sind also permissiv und kümmern sich nicht um ihre Schulleistungen.

Andere Väter, die vor der Trennung wenig Erfahrung mit ihren Kindern gesammelt haben, bitten zunächst Großeltern oder Freundinnen um Hilfe. So lernen sie im Verlauf der Zeit, wie man am besten mit Kindern umgeht. Viele Väter reduzieren aber auch Zahl und Dauer der Kontakte, wenn sie merken, dass ihre Kinder bei Besuchen gelangweilt und unzufrieden sind, wenn sie die Treffen als Belastung erleben oder durch sie immer wieder an ihren früheren Partner erinnert werden. Sie sind wenig geneigt, um ihre Kinder zu kämpfen, falls die Mütter Kontakte einzuschränken versuchen. Dieses gilt besonders für Väter sehr junger Kinder, die generell von ihrem Besuchsrecht seltener Gebrauch machen (Lehmkuhl 1988).

Väter, die vor der Trennung viel Zeit mit ihren Kindern verbrachten, erleben besonders starke Verlust- und Einsamkeitsgefühle. "Viele können mit ihrem intensiven Schmerz nur dadurch umgehen, indem sie sich zurückziehen und weniger Besuche zulassen" (Jacobs 1983, S. 1296). So geraten sie in einen Teufelskreis. Andere Väter versuchen jedoch, unter diesen Umständen die enge Beziehung zu ihren Kindern zu wahren. Sie richten in ihrer Wohnung ein Kinderzimmer ein, involvieren ihre Kinder in ihr alltägliches Leben (lassen sie zum Beispiel im Haushalt helfen), kümmern sich um ihre Hausaufgaben und spielen viel mit ihnen. Für sie ist besonders problematisch, wenn ihre ehemalige Partnerinnen Besuchskontakte zu unterbinden versuchen. Dann kämpfen sie mit aller Kraft um das Recht, ihre Kinder weiter erziehen zu dürfen. Väter mit kontinuierlichem Kontakt zu ihren Kindern leiden seltener unter Depressionen (Myers 1988). Sie erleben die Kinder oft als Quelle von emotionaler Unterstützung.

Für Kinder ist die Trennung vom abwesenden Elternteil (zumeist also vom Vater) ein besonders großer Verlust, vor allem wenn sie noch recht jung sind, eine intensive Beziehung zu ihm hatten oder bereits zuvor größere Verluste erlitten (wie den Tod eines geliebten Großelternteils). "Die äußere wie die innere Welt des Kindes ist erschüttert. Der Trauerprozess ist für ein Kind besonders schwierig - und dies unterscheidet ihn von dem der Erwachsenen -, weil das Kind nicht nur eine Person verliert, auf die es alle seine Gefühle gerichtet hatte. Es verliert zugleich auch eine Identifikationsfigur, also eine Person, an der das Kind sein Wertsystem und seine Verhaltensweisen orientiert, ja, jemanden, der ein Teil der eigenen, noch ungefestigten Identität ist" (Tiemann 1986, S. 10). So ist es für Kinder besser, wenn der Kontakt zum Vater erhalten bleibt, möglichst häufig, lange und alltäglich ist - wobei die Qualität der Besuche in der Regel wichtiger als die Quantität ist.

In vielen Fällen kommt es zur Entfremdung zwischen Vätern und Kindern. Vor allem bei stark eingeschränktem Kontakt kann es dann zur Idealisierung des abwesenden Elternteils kommen. Manche Kinder identifizieren sich auch mit ihm und nehmen sogar dessen Eigenarten und Eigenschaften an. Andererseits kann der Vater zum Negativmodell und Sündenbock gemacht werden. Dann werden die mit ihm gemachten positiven Erfahrungen verdrängt, wird er heftig abgelehnt. Manche Kinder haben zudem Angst, Charakterzüge des "bösen" Elternteils geerbt zu haben. Es ist offensichtlich, dass auch in diesen Fällen intensive Bindungen an den Vater fortbestehen. Problematisch ist, dass aufgrund des mangelnden Kontaktes weder das Idealbild und die positiven Phantasien noch die negativen Haltungen und Vorstellungen an der Realität überprüft werden können. Während erstere zu Konflikten mit den anwesenden Elternteilen führen, werden letztere von diesen oft noch gefördert.

Kinder verhalten sich beim Besuch ihrer Väter höchst unterschiedlich. Kleinkinder freuen sich auf das Zusammentreffen, sofern bereits Bindungen bestehen. Sie werden aber oft unruhig, wenn der Besuch länger als einen halben Tag dauert, falls sie nicht an längere Trennungen von ihren Müttern gewöhnt sind. Auch ältere Kinder freuen sich auf die Treffen, vor allem wenn diese interessant und abwechslungsreich verlaufen. Sie genießen es, wenn ihre Väter sich ihnen ausschließlich widmen, mit ihnen ausgehen und sie verwöhnen - manchmal möchten sie dann sogar zu ihnen ziehen und dem eher alltäglichen, entbehrungsreichen und mit mehr Verpflichtungen verbundenen Zusammenleben mit ihren Müttern entfliehen. Ältere Kinder sind oft auch neugierig auf das neue Leben ihrer Väter. Sie suchen vielfach nach Zeichen der Zuneigung und Anerkennung. Manchmal sind sie bestrebt, das Weggehen beim Ende des Besuchs hinauszuzögern oder eine Versöhnung ihrer Eltern herbeizuführen. Schreiben sie ihren Vätern die Schuld für die Trennung zu, sind sie ihnen gegenüber voreingenommen; fühlen sie sich von ihnen abgelehnt, dann sind sie häufig ungehorsam und grob. Ältere Kinder und Jugendliche lehnen in solchen Situationen oft auch einen Kontakt ab, insbesondere wenn Väter gegenüber ihren Müttern gewalttätig waren oder noch sind. Jugendliche freuen sich nur auf Besuche, wenn sie ähnliche Interessen wie ihre Väter haben und gut mit ihnen kommunizieren können. Sie wollen Zeit und Häufigkeit der Kontakte mitbestimmen.

Bei einer Untersuchung über 128 zumeist jüngere Kinder (Lehmkuhl 1988) wurden auch die Erfahrungen mit der Besuchsregelung mindestens sechs Monate nach der Trennung erfasst: "In 9 Familien hat der nichtsorgeberechtigte Elternteil kein Besuchsrecht. 12 sorgeberechtigte Eltern beurteilen die gefundene Regelung positiv, haben aber Verbesserungswünsche und -vorschläge. In 50 Familien reagieren die Kinder zum Teil mit erheblichen Irritationen, die in 18 Fällen als auffangbar eingeschätzt werden. Etwa zwei bis drei Stunden nach Rückkehr in die Familie sind die Kinder wieder unauffällig. In 26 Familien ist der Alltag nachhaltig durch die Besuche beim nichtsorgeberechtigten Elternteil gestört" (S. 131). So sind manche Kinder vor oder nach Besuchen laut den Aussagen ihrer Mütter unkontrollierbar oder verstört und leiden unter psychosomatischen Beschwerden.

Jedoch scheinen viele Eltern negative Effekte von Besuchen zu übertreiben: So sind nach Arntzen (1980) Angaben über psychosomatische Störungen in fast allen Fällen nicht verifizierbar. Hinzu kommt, dass Eltern oft die Reaktionen ihrer Kinder entgegengesetzt interpretieren. Sind die Kinder zum Beispiel am Ende des Besuchs traurig, so mag der Vater diese Gefühle als Zeichen von Trennungsschmerz bezeichnen, während die Mutter aus ihnen schließt, dass der Besuch schrecklich verlaufen ist. Hier wird die Bedeutung negativer Voreinstellungen und die Folgen fortbestehender Partnerkonflikte deutlich. Auch lassen sich viele Verhaltensauffälligkeiten von Kindern, die vor oder nach Besuchen auftreten, aus dem zuvor beschriebenen Verhalten der Mütter erklären (wie Induzieren von Abneigung gegenüber den Vätern; Verbot, über positive Gefühle diesen gegenüber zu sprechen; Zeigen von Schmerz oder Wut, wenn Besuche als schön und abwechslungsreich geschildert werden). So sind nach einer amerikanischen Untersuchung über 72 Kleinkinder (Hetherington, Cox und Cox 1982) negative Reaktionen nach Besuchen beim abwesenden Elternteil sehr selten, wenn der sorgeberechtigte Elternteil nur noch wenige Konflikte mit ihm erlebt, dessen Bedeutung im Leben der Kinder akzeptiert und seinen Erziehungsstil toleriert. In diesen Fällen ist übrigens auch die Beziehung zwischen anwesendem Elternteil und den Kindern besser, wird die Erziehungsaufgabe als weniger anstrengend erlebt.

Abschließend soll noch anhand von zwei empirischen Untersuchungen verdeutlicht werden, dass die in diesem Unterkapitel beschriebenen negativen Entwicklungen nur auf einen kleinen Teil der Fälle zutreffen. So wurde in der Studie von Lehmkuhl (1988) bei 128 Kindern - die Hälfte bis sechs Jahre alt - ermittelt, dass im ersten halben Jahr nach der Trennung die Beziehung zur Mutter bei 44 % der Kinder unverändert blieb und bei 23 % intensiver wurde; 33 % erlebten mehr Spannungen. Das Verhältnis zum Vater blieb in 76 % der Fälle unverändert und wurde bei 12 % besser. Bei einer amerikanischen Untersuchung über 367 Geschiedene (Simenauer und Carroll 1982) berichteten 54 % der Frauen und 39 % der Männer von einer Verbesserung, aber nur 12 % der Frauen und 18 % der Männer von einer Verschlechterung der Eltern-Kind-Beziehung im ersten Jahr nach der Scheidung (in den USA gibt es kein gesetzlich vorgeschriebenes Trennungsjahr).

Reaktionen der Kinder

Kinder erleben eine Trennung anders als Erwachsene. Sie sehen sie nicht als Chance für einen Neubeginn, sondern als Verlust eines Elternteils, als Verlust an Liebe, Zuneigung, Hilfe und Zugehörigkeit. Da die meisten Kinder zum Zeitpunkt der Trennung noch recht jung sind, fällt diese in die für ihre Entwicklung wichtigsten Jahre und prägt dementsprechend ihr Verhalten und Erleben, ihr Selbstbild und ihre Einstellungen. Sie wirkt aber auch stark auf Jugendliche und bereits erwachsene Kinder. Generell sind die Reaktionen von Kindern von ihrem Geschlecht, ihrem Alter, ihrem Verhältnis zu beiden Elternteilen, deren Verhalten, der Qualität der Beziehung zwischen den früheren Ehegatten, den Rahmenbedingungen der Trennung (ob sie zum Beispiel plötzlich oder nach langem Streit erfolgte) und äußeren Faktoren (wie Wohnort- oder Schulwechsel, Anmeldung im Hort oder starkes Absinken des Lebensstandards) abhängig. Auch ist von Bedeutung, wie andere Bezugspersonen der Kinder auf die Trennung reagieren (ob sie diese zum Beispiel als normalen Vorgang oder als Katastrophe für die Betroffenen bezeichnen) und inwieweit sie negative Folgen derselben kompensieren.

Für viele Kinder ist die Trennung ihrer Eltern eine verwirrende und verunsichernde Situation. Zum einen ist sie für diejenigen ein großer Schock, die nur wenige Ehekonflikte miterlebt oder die Beziehung ihrer Eltern als stabil eingeschätzt haben. Zum anderen werden viele Kinder nicht über die Hintergründe und Ursachen der Trennung aufgeklärt und erhalten kaum Informationen über die zu erwartenden Veränderungen in ihrem Leben. Selbst ältere Kinder und Jugendliche werden häufig nur mangelhaft, einseitig oder unvollständig informiert. Sie haben oft kein Mitspracherecht, was zum Beispiel die zukünftigen Lebensverhältnisse und die vorläufigen Sorge- und Besuchsrechtsregelungen betrifft. So müssen viele Kinder für sich ein Erklärungsmodell für die gescheiterte Ehe ihrer Eltern entwerfen. Sie zeichnen in ihrer Phantasie ein negatives Bild von ihrer Zukunft und entwickeln große Ängste - so fürchten sie beispielsweise, dass sie nicht mehr geliebt werden, dass ihre Bedürfnisse nicht mehr befriedigt werden, oder dass sie auch noch den anwesenden Elternteil verlieren werden. Ihre Angst und Unsicherheit werden oft noch durch ihre Eltern verstärkt, die wenig Zeit für sie haben und oft gereizt oder ungeduldig reagieren. Besonders groß ist ihre Verwirrung, wenn die Trennung nicht eindeutig ist oder unter einem Dach erfolgt. Dann wird die neue Realität besonders langsam als dauerhaft akzeptiert.

Wie Erwachsene reagieren viele Kinder auf die Trennung ihrer Eltern mit Trauer. Das bindet innerlich Kraft, die dann in anderen Lebensbereichen und bei der Erfüllung anstehender Entwicklungsaufgaben fehlt. Oft führt sie auch zu Depressivität, insbesondere wenn die Eltern depressiv sind, wenn sich das Kind zurückgewiesen und verlassen fühlt, oder wenn es die Wut auf einen Elternteil gegen sich selbst lenkt, weil es sie nicht zeigen darf. Oft leiden Kinder länger unter ihrem Kummer als ihre Eltern: "Einige klinische Beobachtungen haben beispielsweise zu der Hypothese geführt, dass Kinder typischerweise einen Teil ihrer Trauerarbeit aufschieben müssen, bis die Eltern ihre Reaktionen auf die Trennung/Scheidung verarbeitet haben. Kinder können anscheinend in den meisten Fällen nicht schneller als die Erwachsenen voranschreiten ..." (Nichols 1984, S. 32).

Viele Kinder erleben nach der Trennung Gefühle der Wut und des Zorns. Sie sind ärgerlich, weil sie sich abgelehnt fühlen, da beide Elternteile weniger Zeit für sie haben oder weil sie aufgrund der schlechten materiellen Situation mehr Frustrationen in Kauf nehmen müssen. Sie mögen ihre Wut gegenüber dem abwesenden Elternteil (hat die Familie verlassen), dem anwesenden (hat den anderen vertrieben) oder gegenüber beiden zeigen. Jungen agieren ihren Zorn auch aus, insbesondere wenn ihr Vater gewalttätig ist und sie sich mit ihm identifizieren, wenn sie auf diese Weise ein Gefühl der Macht und Männlichkeit erlangen, oder wenn sie so den Eindruck gewinnen, dass sie eine Situation kontrollieren können, der sie letztlich ohnmächtig gegenüber stehen. Manche Kinder verdrängen auch ihre Wut, verneinen sie oder drücken sie indirekt aus (zum Beispiel in Alpträumen, Tics, Zwängen oder Depressionen).

Nach einer amerikanischen Studie über 126 Kinder von getrenntlebenden Eltern (Kurdek und Siesky 1979) traten bei 21 % der Kinder Schuldgefühle auf. Sie glaubten, dass sie für die Scheidung verantwortlich seien - zum Beispiel, weil sie vor der Trennung verhaltensauffällig oder "böse" waren, weil sie behindert sind, oder weil sie gezeugt wurden, um die Ehe ihrer Eltern zu retten. Jüngere Kinder, die ihre Eltern noch für perfekt halten und deren negativen Seiten nicht sehen wollen, klagen sich selbst an, da sie auf diese Weise eher ein Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit erlangen. Schuldgefühle können aber auch dadurch verursacht werden, dass Kinder Partei für einen Elternteil ergriffen, der Trennung zugestimmt oder feindselige Emotionen gegenüber ihren Eltern erlebt beziehungsweise geäußert haben. Die Aussage "Ich bin schuld" vermittelt den Eindruck der Kontrolle über eine eigentlich unkontrollierbare Situation. Schuldgefühle können dazu führen, dass Kinder eine Sündenbockrolle übernehmen oder durch Verhaltensauffälligkeiten ihre Bestrafung zu erreichen versuchen.

Die Trennung der Eltern führt bei vielen Kindern zur Ausbildung niedriger Selbstwertgefühle. Sie haben erlebt, dass sie von einem Elternteil verlassen wurden, erklären das mit ihrer eigenen Wertlosigkeit, halten sich für nicht liebenswert und entwickeln dementsprechend ein negatives Selbstbild. Niedrige Selbstwertgefühle können aber auch daraus resultieren, dass sie von anderen Personen stigmatisiert werden, dass sie sich plötzlich arm fühlen, oder dass sie sich als Versager erleben, weil sie die Familie nicht zusammenhalten konnten. Ferner kann ein negatives Selbstbild dadurch entstehen, dass Kinder sich einem Elternteil gegenüber illoyal verhalten haben oder die Erfahrung machten, dass sie als Ersatzpartner, Vertraute oder parentifizierte Kinder einen Erwachsenen nicht ersetzen können.

Andere Reaktionen auf die Trennung der Eltern sind Angst vor der Zukunft, Verwirrung, Unglaube und Hoffnung auf eine Versöhnung der Eltern. Für manche Kinder bedeutet die Scheidung eine Entlastung, da sie nun nicht länger in einer konfliktgeladenen (oder sogar gewalttätigen) Atmosphäre leben müssen. Wurden Ehekonflikte vor ihnen verborgen oder verneint und konnten sie diese nur erahnen, so können sie nun wieder ihren eigenen Wahrnehmungen trauen. Einige Kinder nehmen die Trennung ihrer Eltern als unvermeidbar hin und verhalten sich recht passiv. Andere wenden sich nach außen und konzentrieren sich auf Schulleistungen, Sport, Musik, Kunst oder andere Aktivitäten. Viele Kinder wirken nach der Trennung ihrer Eltern überangepasst: Sie verhalten sich wie Erwachsene. Dieses Verhalten wird oft durch den anwesenden Elternteil verstärkt, der das Kind als Ersatzpartner oder Vertrauten gebraucht oder ihm nur wenig Zeit und Energie widmen kann. Überangepasstheit kann ferner daraus resultieren, dass Kinder auf diese Weise Gefühle der Ohnmacht und Hilflosigkeit abwehren oder besonders brav sein wollen, weil sie nicht auch noch von dem ihnen verbleibenden Elternteil verstoßen werden möchten. Besonders problematisch ist, dass ein derartiges Verhalten häufig nicht als auffällig erkannt wird.

Viele Kinder verneinen oder verdrängen ihre gefühlsmäßigen Reaktionen auf die Trennung ihrer Eltern: Ihr Leiden findet im Verborgenen statt und oft in großer Einsamkeit. Manche dieser Kinder glauben, dass ihre Eltern von ihnen erwarten, dass sie ihre Emotionen und Probleme verbergen - andere werden dazu mit Aussagen wie "Sei tapfer" oder "Jungen weinen nicht" ermutigt. Einigen Kindern wird verboten, Gefühle gegenüber dem abwesenden Elternteil zu äußern. Andere wollen ihre problembeladenen und depressiven Eltern nicht auch noch mit ihren eigenen Sorgen belasten. In den meisten dieser Fälle äußern sich aber die verdrängten Gefühle und Probleme indirekt - vielfach auf wenig akzeptable Weise.

So treten bei vielen Kindern nach der Trennung ihrer Eltern Verhaltensauffälligkeiten auf, die je nach Alter (s.u.) und Geschlecht der Kinder unterschiedlich sein können. Beispielsweise reagieren Jungen eher aggressiv, während sich Mädchen eher zurückziehen oder überangepasst sind - ihre Symptome werden dann leichter übersehen. Jedoch wird oft bei einer genaueren Untersuchung festgestellt, dass die Verhaltensauffälligkeiten schon vor der Trennung auftraten. Dieses ist vor allem dann der Fall, wenn Kinder lange Familienkonflikten ausgesetzt waren oder in pathogene Rollen verwickelt wurden. Ansonsten liegen die Ursachen für Verhaltensauffälligkeiten weniger in der Tatsache der Trennung als in der Art und Weise, wie mit dieser Situation umgegangen wird. So ist die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Verhaltensstörungen geringer, wenn während der akuten Trennungszeit (bei jüngeren Kindern) oder bereits in der Kleinkindheit (bei älteren Kindern) eine gute Beziehung zu einer konstanten Bezugsperson bestanden hat (Lehmkuhl 1988), oder wenn die Kinder nach der Trennung in einer strukturierten Umwelt mit klar definierten Regeln, Rollen und Verantwortlichkeiten leben (Hetherington, Cox und Cox 1982). Hingegen ist die Wahrscheinlichkeit von Verhaltensauffälligkeiten größer, wenn es nach der Trennung zu vielen und immer wieder auftretenden Veränderungen kommt. Sie führen zu einem Verlust an Kontinuität und Geborgenheit, wodurch Kindern die Bewältigung von Krisen erschwert wird. Für kleinere Kinder ist der Verlust besonders groß, wenn die Mutter nach der Trennung erwerbstätig wird. Die meisten Verhaltensauffälligkeiten treten aber nur kurzfristig auf - sie sind oft ein unbewusster Versuch, die Eltern in der Sorge um das Wohlergehen ihres Kindes zusammenzuführen. Nur selten bedürfen sie einer therapeutischen Behandlung (Lehmkuhl 1988). Auch ist festzuhalten, dass zum Beispiel bei der Studie von Napp-Peters (1985) über 268 Scheidungskinder in 43 % der Fälle keine unmittelbare Reaktion auf die Trennung von den Eltern beobachtet wurde. Nur bei 7 % traten Verhaltensstörungen auf.

Wie bereits erwähnt, sind bei Kindern auch altersspezifische Reaktionen auf die Trennung ihre Eltern festzustellen. Säuglinge dürften die Abwesenheit des Vaters kaum bemerken. Für sie besteht die größte Gefahr darin, dass die Mütter durch die Trennung, die daraus resultierenden Probleme und ihre psychischen Konflikte so belastet sind, dass sie ihre Kinder nicht mehr angemessen versorgen: "Säuglinge reagieren auf jede Veränderung in ihrer Routine mit Verärgerung oder Kummer. Sie sind empfänglich für die Gefühle und das Verhalten des sie versorgenden Elternteils und tendieren dazu, Befürchtungen, Ängste oder Qualen wahrzunehmen, die ihr Elternteil empfindet" (McNamara und Morrison 1982, S. 74). Sie entwickeln dann manchmal Schlaf- oder Essstörungen, werden reizbar oder lassen sich kaum beruhigen und trösten. Kleinstkinder haben häufig aber auch weniger Schwierigkeiten, sich an eine konstante Betreuungsperson zu gewöhnen oder einen neuen Partner des anwesenden Elternteils als psychologischen Elternteil zu akzeptieren (Robson 1982).

Kinder im Alter von zwei bis sechs Jahren sind sich des Verlustes eines Elternteils bewusst und bemühen sich, die Trennung und ihre Folgen zu verstehen. Aufgrund noch nicht entwickelter kognitiver Fertigkeiten können sie sich aber kein realistisches Bild von Art und Umfang des Verlustes machen. Sie werden von ihren Eltern zumeist unzureichend über die Trennung und deren Konsequenzen informiert, erfassen nicht die Gründe oder verstehen diese nicht: So ist Streit als Scheidungsgrund nicht einleuchtend, da Kinder sich auch mit ihren Spielkameraden und Geschwistern streiten, anschließend aber wieder versöhnen. Weil sie die Ursachen der Trennung ihrer Eltern nicht verstehen, geben sie sich oft selbst die Schuld. Das Verstehen der neuen Situation wird auch dadurch erschwert, dass Kleinkinder nicht über die Konfliktlösungsstrategien und Hilfsmöglichkeiten älterer Kinder verfügen - sie können sich beispielsweise nicht bei anderen aussprechen oder beraten lassen. Erschwerend kommt hinzu, dass sie aufgrund ihres noch nicht ausgebildeten Zeitgefühls und mangelnder Lebenserfahrung noch nicht wissen, dass es sich bei der Trennung um eine vorübergehende Krise handelt.

So machen sich manche Kleinkinder vor, "dass ihr Vater oder ihre Mutter immer noch bei ihnen wohne, oder dass er beziehungsweise sie heimlich zu ihnen komme, wenn sie allein sind" (Napp-Peters 1985, S. 87). Von diesen Phantasien berichten sie oft auch im Kindergarten. Viele Vorschulkinder entwickeln starke Trennungsängste oder allgemeine Angstzustände, die sich in einem anklammernden Verhalten zeigen können. Sie fürchten, dass sie nun auch noch von dem anwesenden Elternteil im Stich gelassen werden könnten. Manche Kinder regredieren unter diesen Umständen, weil sie unbewusst wieder wie Säuglinge umsorgt und geliebt werden möchten. Es kommt zu Enuresis und Enkropesis, Eß- und Schlafstörungen. Diese werden oft dadurch verstärkt, dass die anwesenden Eltern mit Ärger und Strafen reagieren - also nicht die Symptome verstehen und ihren Kindern durch Liebe und Zuneigung zu helfen versuchen. Manche Vorschulkinder sind nach der Trennung ihrer Eltern verwirrt und verstört, aggressiv, irritiert oder trotzig, traurig und depressiv. Einige ziehen sich zurück und kapseln sich ab. Sie haben aus der Trennungserfahrung den unbewussten Schluss gezogen, dass Beziehungen zerbrechen können, und haben nun wenig Vertrauen in die Zuverlässigkeit menschlicher Beziehungen. Wenn sie sich immer wieder an neue Betreuungspersonen oder an wechselnde Partner ihrer Eltern gewöhnen müssen, kann ihre Bindungsfähigkeit im Verlauf der Zeit immer mehr abnehmen.

In vielen Fällen ändert sich auch das Spielverhalten von Vorschulkindern nach der Trennung ihrer Eltern. Sie zeigen weniger Ausdauer und Durchhaltevermögen, sind weniger kooperativ und schauen häufiger anderen Kindern beim Spielen zu, anstatt sich daran zu beteiligen. Außerdem übernehmen sie seltener Aufgaben und setzen weniger ihre Phantasie ein (Hetherington, Cox und Cox 1982). Im Kindergarten suchen diese Kleinkinder häufiger die Aufmerksamkeit, Unterstützung und Nähe der Erzieherinnen. Sie sind öfters ängstlich, weinerlich, unaufmerksam und inaktiv. Vor allem Jungen zeigen vielfach aggressive Verhaltensweisen, die dazu führen können, dass sie von Gleichaltrigen gemieden werden. Sie erfahren manchmal weniger Hilfe seitens der Erzieherinnen (a.a.O.). Lehmkuhl (1988) stellte in ihrer bereits mehrfach erwähnten Untersuchung fest, dass Kleinkinder mit Geschwistern weniger Verhaltensauffälligkeiten zeigten. Sie beobachtete aber auch: "Unregelmäßige oder fehlende Kontakte zum nichtsorgeberechtigten Elternteil führen bei Kindern bis zum siebten Lebensjahr zu vermehrter psychiatrischer Auffälligkeit" (S. 134).

Kinder zwischen sieben und 12 Jahren verstehen eher die aus der Trennung ihrer Eltern resultierenden Umstellungen als jüngere Kinder. Oft machen sie sich Sorgen, ob sich ihre Eltern wie bisher um sie kümmern werden. Da sie die Trennung als Bedrohung ihrer Existenz erleben, fühlen sie sich häufig verlassen und hilflos, haben Angst vor der Zukunft. Wie Kleinkinder verspüren sie ein starkes Verlangen nach der Versöhnung ihrer Eltern, erkennen aber eher die Endgültigkeit einer Trennung und akzeptieren eher die neue Situation. Zugleich tendieren sie aber auch dazu, die eigenen Familienverhältnisse mit denen anderer Kinder zu vergleichen und sich damit zu beschäftigen, was Gleichaltrige von ihnen denken. Vielfach schämen sie sich, verheimlichen die Trennung ihrer Eltern oder fühlen sich isoliert - insbesondere wenn sie glauben, die einzigen in ihrer Klasse mit getrenntlebenden Eltern zu sein.

Im Gegensatz zu Kleinkindern werden ältere Kinder eher zu Vertrauten, Verbündeten oder Ersatzpartnern ihrer Eltern gemacht, ergreifen sie eher Partei und machen einen Elternteil für das Zerbrechen der Familie verantwortlich. Vor allem wenn Eltern depressiv werden oder mit Selbstmord drohen, machen sie sich große Sorgen um sie, verlagern alle Energie auf die Familie und vernachlässigen dementsprechend Schule und Freundeskreis. Aber auch in anderen Fällen kommt es vielfach zu einer Verschlechterung der Schulleistungen, zu Verspätungen, Schuleschwänzen, Tagträumerei, Problemen mit Gleichaltrigen oder Störungen im Sozialverhalten - manche Kinder verhalten sich auch überangepasst und werden leicht zum Liebling ihrer Lehrer. Viele Schüler erfahren bei der Trennung ihrer Eltern kein Verständnis und keine Unterstützung in der Schule, da die Lehrer über die neue Familiensituation nicht informiert werden oder - wie die Eltern - erwarten, dass die Kinder die gleichen Leistungen wie zuvor erbringen werden. Viele Lehrer rechnen aber auch mit negativen Folgen von Trennung beziehungsweise Alleinerzieherschaft und reagieren dementsprechend anders auf die betroffenen Schüler, so dass häufig sich selbst erfüllende Prophezeiungen vorkommen.

Reaktionen von sieben- bis zwölfjährigen Kindern auf die Trennung ihrer Eltern können ferner Ruhelosigkeit, Nervosität, Gereiztheit, Launenhaftigkeit, Konzentrationsstörungen, Trauer, Schmerz, Depressivität, Wut, Aggressivität, Abkapselung (Einsamkeit), Schuldgefühle, Loyalitätskonflikte, Schlafstörungen, Alpträume, Magenbeschwerden, Kopfschmerzen und ähnliche Symptome sein. Manche Kinder lassen sich daheim nur noch schwer disziplinieren oder laufen von zu Hause weg; andere zeigen ein anklammerndes Verhalten. Mädchen entwickeln oft eine negative Haltung gegenüber dem männlichen Geschlecht, Jungen werden in ihrem Sozialverhalten unsicher (wenn der Vater geht). Bittet der anwesende Elternteil den abwesenden um Hilfe wegen der Symptome der Kinder, oder ruft er ihn immer wieder herbei, um über deren Verhalten zu sprechen, so werden Hoffnungen der Kinder auf Versöhnung der Eltern und damit das Auftreten der Verhaltensauffälligkeiten und Schulprobleme verstärkt. Da ältere Kinder von sich aus die Unterstützung anderer Menschen suchen und eher von hilfsbereiten Personen (wie Lehrern, Beratern, Schulpsychologen) erreicht werden können, wird häufig aufgrund von deren positivem Einfluss die Ausbildung von Verhaltensstörungen verhindert oder rückgängig gemacht. So zeigen beispielsweise Großeltern oft Liebe und Zuneigung. Sie helfen ihnen, ihre Eltern zu verstehen und ihnen gegenüber eigene Bedürfnisse und Wünsche zum Ausdruck zu bringen. Viele Großeltern schüren aber auch Loyalitätskonflikte.

Kinder ab 13 Jahren erleben verhältnismäßig selten die Trennung ihrer Eltern, da die meisten Scheidungen in den ersten Ehejahren erfolgen. Oft haben sie diese erwartet, so dass sie weniger überrascht reagieren. Manchmal sind sie sogar froh, dass die Zeit der Spannungen und häufigen Konflikte vorbei ist. Im Gegensatz zu jüngeren Kindern ist bei Jugendlichen in der Regel eine realistische Sicht der Scheidung festzustellen. Sie akzeptieren eher die neue Situation und machen sich nur selten Illusionen hinsichtlich einer möglichen Versöhnung ihrer Eltern. Jedoch verspüren auch sie Reaktionen wie Zorn, Trauer, Schmerz oder Scham, wobei deren Stärke und Qualität vor allem von der Intensität der Beziehung zum abwesenden Elternteil und von dessen Bedeutung als Vorbild abhängen.

Viele Jugendliche werden nach der Trennung ihrer Eltern besonders schnell erwachsen. Andere erleben es als schwierig, die phasenspezifischen Entwicklungsaufgaben zu bewältigen, da sie das "Sicherheitsnetz" der Familie verloren haben: Sie fühlen sich mit den Problemen der Pubertät und Jugend alleingelassen, erfahren nur wenig Rückhalt und Unterstützung auf dem Weg ins Erwachsenenalter. Manche Jugendliche greifen in dieser Situation zu Alkohol und Drogen, gehen verfrüht sexuelle Beziehungen ein, werden aggressiv oder delinquent. Oft denken sie auch über die eigene Partnerfähigkeit nach. So haben sie Angst, die Fehler ihrer Eltern in ihren Beziehungen zu wiederholen.

Im Gegensatz zu jüngeren Kindern können sich Jugendliche eher emotional oder durch vermehrte Aktivitäten im Freundeskreis von ihren Eltern distanzieren. Sie weigern sich, in deren Konflikte hineingezogen zu werden. Auch betonen sie ihre Selbständigkeit und reagieren zum Beispiel sehr verärgert, wenn sie hinsichtlich der Sorge- und Umgangsrechtsregelung nicht konsultiert werden oder sich an feste Besuchszeiten halten sollen. Viele Jugendliche reagieren einfühlsam auf ihre Eltern und leisten konstruktive Beiträge zur Bewältigung der Trennungssituation. Manche übernehmen dann jedoch zu viel Verantwortung für das psychische Wohl ihrer Eltern oder die Führung der Familie (Parentifizierung). Sie werden zu Ersatzpartnern, vernachlässigen Schule, Berufsausbildung und Freundeskreis. Im Gegensatz zu jüngeren Kindern haben Jugendliche aber auch besonders viele Möglichkeiten, aus der Trennung ihrer Eltern resultierende Probleme mit Gleichaltrigen, Großeltern, erwachsenen Bekannten oder Fachleuten zu besprechen.

Nichols (1986) macht auf die bisher kaum erforschte Bedeutung von Geschwistern in der Trennungssituation aufmerksam. So helfen diese einander häufig beim Verarbeiten von Trauer, Schmerz, Angst und Wut. Sie kooperieren miteinander aufgrund der Erwartung ihrer Eltern, dass sie einander unterstützen. Ältere Geschwister führen oft die jüngeren dazu, die neue Situation realistisch zu beurteilen und den teilweisen Verlust eines Elternteils zu akzeptieren. In anderen Fällen bilden Geschwister Koalitionen gegen einen oder beide Elternteile, teilen einander zwischen beiden auf (aus ihrem Gerechtigkeitsempfinden heraus) oder ergreifen die Partei jeweils einen Elternteils. Das Geschwistersubsystem kann aber auch von den Eltern gespaltet werden. Schließlich kann es dazu kommen, dass sich die Geschwister einander entfremden und separate Wege gehen, da sie die Trennungssituation von verschiedenen Standpunkten aus beurteilen und unterschiedlich reagieren.

Exkurs: Das Scheidungsrecht (Stand: 1990)

Jeder Berater oder Therapeut, der beruflich mit Scheidungsfamilien zu tun hat, muss auch Grundkenntnisse im Scheidungsrecht besitzen. Sonst besteht die Gefahr, dass wesentliche Bereiche der Scheidungsproblematik ausgeklammert werden. Auch trägt der juristische Ablauf der Scheidung zu psychischen Problemen und zur Erschütterung des Familiensystems bei. An dieser Stelle kann nur ein grober Überblick über wichtige Gesetzesbestimmungen gegeben werden.

Im Bürgerlichen Gesetzbuch heißt es lapidar: "Eine Ehe kann geschieden werden, wenn sie gescheitert ist" (§ 1565 Abs. 1 Satz 1 BGB). Dieser "Scheidungsgrund" wird folgendermaßen erläutert: "Die Ehe ist gescheitert, wenn die Lebensgemeinschaft der Ehegatten nicht mehr besteht und nicht erwartet werden kann, dass die Ehegatten sie wiederherstellen" (§ 1565 Abs. 1 Satz 2 BGB). Vier Fallgruppen werden unterschieden:

  1. Im Regelfall - wenn beide Ehepartner die Scheidung beantragen oder wenn einer die Scheidung beantragt und der andere diesem Antrag zustimmt - wird nach einer Trennungsfrist von einem Jahr davon ausgegangen, dass die Lebensgemeinschaft nicht mehr besteht und die Ehe somit gescheitert ist. Eine derartige "einverständliche Scheidung" setzt voraus, dass sich die Ehegatten über bestimmte Scheidungsfolgen (vor allem Unterhalt, Wohnung/Hausrat, Sorge-/Umgangsrecht) geeinigt haben (die übrigen können gerichtlich geregelt werden) und die Einigung im Scheidungsantrag enthalten ist.
  2. Will nur ein Ehepartner geschieden werden, und stimmt der andere dessen Antrag nicht zu, gilt die Ehe erst dann als gescheitert, wenn die Ehegatten seit drei Jahren getrennt leben. Bei einer derartigen "streitigen Scheidung" kann der Scheidungswillige jedoch nach mindestens einem Trennungsjahr versuchen, das Scheitern der Ehe zu beweisen. So kann er zum Beispiel auf sein Verschulden der Zerrüttung (Ehebruch, unüberwindbare Abneigung gegenüber dem Ehegatten, endgültige Zuwendung zu einem neuen Partner), auf geistige Störungen oder langwierige Krankheiten Bezug nehmen. Auch bei einer streitigen Scheidung spielt die "Schuldfrage" keine Rolle; immer gilt das "Zerrüttungsprinzip". Die Scheidungsfolgen werden vom Gericht geregelt.
    Sowohl bei der Fallgruppe (1) als auch bei der Fallgruppe (2) hat ein kurzzeitiges Zusammenleben der Ehepartner, das der Versöhnung dienen soll, keine Auswirkungen auf die ein- beziehungsweise dreijährige Trennungsfrist.
  3. Ein scheidungsunwilliger Ehepartner kann unter Berufung auf eine Härteklausel eine Verlängerung der Dreijahresfrist erreichen - wobei es in der Rechtsprechung nur außerordentlich selten zu einer derartigen Verlängerung kommt. Ein möglicher Antragsgrund ist das "Interesse der aus der Ehe hervorgegangenen minderjährigen Kinder" (§ 1568 Abs. 1 BGB), wobei diese Aussage im Gesetz nicht weiter spezifiziert wurde. Nach der Konkretisierung durch die Rechtsprechung kommen hier zum Beispiel folgende Fälle in Frage: ein Kind, das durch die Scheidung schwere seelische Schäden erleiden würde; ein besonders labiler Pubertierender; ein Kind, das große finanzielle Nachteile erfahren würde. Ein weiterer möglicher Grund ist, wenn die Scheidung für den Antragsgegner "auf Grund außergewöhnlicher Umstände eine so schwere Härte darstellen würde, dass die Aufrechterhaltung der Ehe auch unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers ausnahmsweise geboten erscheint" (§ 1568 Abs. 1 BGB). Nach der Rechtsprechung kommen beispielsweise folgende Fälle in Frage: schwere Krankheit; Häufung von Schicksalsschlägen bei labiler seelischer Verfassung; Selbstmordgefahr; planmäßige und bewusste Zerstörung der Ehe durch den Antragsteller; große wirtschaftliche Härten.
  4. Eine Scheidung ist im Einzelfall auch vor Ablauf der einjährigen Trennungsfrist möglich, "wenn die Fortsetzung der Ehe für den Antragsteller aus Gründen, die in der Person des anderen Ehegatten liegen, eine unzumutbare Härte darstellen würde" (§ 1565 Abs. 2 BGB). Dies wäre beispielsweise der Fall bei Misshandlung, Mordversuch, ansteckenden unheilbaren Erkrankungen oder Hospitalisierung wegen Geisteskrankheit.

Nach dem Scheidungsrecht leben die Ehegatten getrennt, "wenn zwischen ihnen keine häusliche Gemeinschaft besteht und ein Ehegatte sie erkennbar nicht herstellen will, weil er die eheliche Lebensgemeinschaft ablehnt" (§ 1567 Abs. 1 Satz 1 BGB) - es gibt also eine objektive und eine subjektive Seite. Die Trennungszeit kann sowohl in verschiedenen Haushalten als auch in einem gemeinsamen (zum Beispiel wenn das Einkommen nicht für zwei Mieten reicht) verbracht werden. Im ersten Fall wird der Hausrat geteilt. Können sich die Ehepartner nicht einigen, wer in der gemeinsamen Wohnung bleibt, muss das Gericht eine Entscheidung treffen; es kann die Wohnung auch einem Ehegatten zuweisen, wenn der andere der alleinige Eigentümer ist.

Rechtsfolgen der Trennung sind vor allem Aufhebung der Schlüsselgewalt (ein Ehepartner verpflichtet nur noch sich selbst durch Rechtsgeschäfte) und Unterhaltsansprüche, insbesondere bei Kindererziehung, höherem Alter (lange Ehe als nichterwerbstätiger Partner), Krankheit oder Arbeitslosigkeit. Die Ehegatten haben das Recht, während der Trennungszeit finanziell weiter so gestellt zu sein, als wenn die Ehe fortbestünde. Arbeiten beide und verdienen sie etwa gleich viel, besteht kein Anspruch auf Ehegattenunterhalt - bei Vorhandensein von Kindern erhält aber derjenige Partner Kindesunterhalt, bei dem diese wohnen. Verdient ein Partner mehr, muss dieser Geldbetrag aufgeteilt werden. Ist ein Ehegatte nicht erwerbstätig, hat er Anspruch auf etwa drei Siebtel oder zwei Fünftel vom "bereinigten Nettoeinkommen" des alleinverdienenden Partners. Wenn er jedoch arbeitsfähig ist und keine kleineren Kinder zu versorgen hat, ist eine Berufstätigkeit zumutbar (s.u.). Auch kann ein Unterhaltsanspruch wegen grober Unbilligkeit ausgeschlossen werden (zum Beispiel bei Zusammenleben mit neuem Partner). Schließlich müssen sich die Ehegatten zu Beginn der Trennungszeit über das elterliche Sorgerecht einigen. Falls es zu keiner Einigung kommt, oder wenn das Kindeswohl gefährdet ist, muss das Familiengericht eine vorläufige Regelung treffen.

Das Scheidungsverfahren erfolgt an dem mit einem Einzelrichter besetzten Familiengericht. Dieses ist auch für die Regelung aller Scheidungsfolgen zuständig. Es besteht grundsätzlich für beide Parteien Anwaltszwang. Jedoch kann ein Ehegatte auf einen eigenen Rechtsanwalt verzichten, wenn er zum Beispiel mit den vorab getroffenen und dem Scheidungsantrag beigefügten Regelungen einverstanden ist und keine eigenen Anträge stellen will. Allerdings kann das Gericht ihm einen Rechtsanwalt beiordnen, wenn dies zu seinem Schutz unabweisbar erscheint. Auch kann der Familienrichter das Verfahren aussetzen, wenn er den Eindruck gewinnt, dass noch eine Versöhnung trotz Vorliegens der Scheidungsvoraussetzungen möglich ist. Bei einer einverständlichen Scheidung nach einjähriger Trennungszeit ist dies aber nicht gegen den Widerspruch beider Ehegatten möglich. Ansonsten kann eine Aussetzung für bis zu sechs Monate (Trennung länger als drei Jahre) oder bis zu einem Jahr (Trennung kürzer als drei Jahre) erfolgen, wobei den Partnern der Besuch einer Eheberatungsstelle nahegelegt werden kann.

Ein vom Familiengericht als erster Instanz ergangenes Scheidungsurteil wird auch dann rechtswirksam, wenn nur ein Teil der Entscheidung angefochten wird, nicht aber die Scheidung an sich. Berufungen oder Beschwerden werden vom Familiensenat des Oberlandesgerichts behandelt. Wird ein Scheidungsantrag (oder eine Berufung) abgewiesen, trägt der unterlegene Antragsteller alle Kosten. Ansonsten werden diese geteilt, wobei das Gericht andere Regelungen (zum Beispiel bei "Hausfrauenehen") treffen kann. Ein Ehepartner ohne eigenes Einkommen kann von dem anderen auch einen Prozesskostenvorschuss (als Teil des Unterhaltsanspruchs) verlangen, wobei dieser nach der Scheidung nicht mehr geleistet werden muss und etwa beim Zugewinnausgleich zurückverlangt werden kann.

Im Scheidungsverfahren werden die Scheidungsfolgen geregelt. Der Versorgungsausgleich (durch Rentenanwartschaftsübertragung, Rentenanwartschaftsbegründung, Realteilung des Rentenrechts, schuldrechtliche Regelungen oder Abfindungen) sowie das Aufteilen des Hausrats sollen uns hier aber nicht beschäftigen. Wichtiger dürfte es sein, auf Sorgerechts-, Umgangsrechts- und Unterhaltsregelungen einzugehen. Der Ehegattenunterhaltsanspruch soll finanzielle Nachteile beim wirtschaftlich schwächeren Partner ausgleichen: "Wer gemeinsame Kinder erzieht, wer zu alt oder zu krank ist, um zu arbeiten, wer seine Ausbildung wegen der Ehe abgebrochen oder gar nicht erst begonnen hat, wer arbeitslos ist oder wer sonst aus schwerwiegenden Gründen seinen Lebensunterhalt nicht selbst verdienen kann, der kann von seinem geschiedenen Ehepartner Unterhalt verlangen" (Münch 1986, S. 36). Dabei müssen auch die Kosten für eine angemessene Krankheits- und Alterssicherung übernommen werden.

Jedoch ist der Anspruch auf Ehegattenunterhalt mit Einschränkungen verbunden: Beispielsweise wird von einer nichterwerbstätigen Frau mit abgeschlossener Berufsausbildung erwartet, dass sie umgehend mit der Arbeitssuche beginnt. Hat sie keine Berufsausbildung absolviert oder ist diese veraltet, muss sie sich ausbilden, fortbilden oder umschulen lassen. Sie verliert ihren Unterhaltsanspruch, wenn sie keine zumutbare Erwerbstätigkeit aufgenommen oder die Bedürftigkeit mutwillig (wie durch eine Kündigung) herbeigeführt hat. Der Unterhaltsanspruch kann auch wegen grober Unbilligkeit (wenn beispielweise die Ehe sehr kurz war) versagt, herabgesetzt oder zeitlich begrenzt werden. Unterhalt wegen Kindererziehung muss einem Ehegatten nur gewährt werden, "solange und soweit von ihm wegen der Pflege oder Erziehung eines gemeinschaftlichen Kindes eine Erwerbstätigkeit nicht erwartet werden kann" (§ 1570 BGB). Jedoch wird erwartet, dass er berufstätig wird, wenn die Kinder bereits zwischen acht und 14 Jahren alt sind. Allerdings kann auch schon früher eine Teilzeitbeschäftigung zumutbar sein - falls diese möglich ist, die Kinderbetreuung sichergestellt werden kann, die Kinder psychisch gesund sind und der Unterhaltspflichtige nur ein geringes Einkommen bezieht. Immer muss das Kindeswohl beachtet werden.

Erwähnenswert ist noch, dass die Ehegatten über die Unterhaltspflicht für die Zeit nach der Scheidung Vereinbarungen treffen können, die jedoch notariell beurkundet und vom Familiengericht genehmigt werden sollten. In ihnen können zum Beispiel die gesetzlichen Bestimmungen über Unterhaltsansprüche geändert, oder es kann auf diese verzichtet werden. Auch können die Vereinbarungen Zusagen Dritter enthalten - dass zum Beispiel der zukünftige Ehemann der scheidungswilligen Frau Unterhalt gewähren wird.

Unterhaltsansprüche der Kinder leiten sich von der allgemeinen elterlichen Unterhaltspflicht ab, die so lange gilt, wie die Berechtigten bedürftig und die Verpflichteten leistungsfähig sind. Nach der Scheidung haften die Eltern anteilig: Sind beide erwerbstätig, muss jeder einen bestimmten Prozentsatz des Unterhalts zahlen. Wenn ein nicht berufstätiger Elternteil die Versorgung und Erziehung der Kinder übernimmt, muss der andere die Unterhaltszahlungen allein übernehmen. Dies gilt in der Regel auch, wenn der erziehende Elternteil teilzeitbeschäftigt ist. Der "laufende Unterhalt" dient der Deckung des Lebensbedarfs und der Kosten für eine angemessene Berufsausbildung. Er muss bei behinderten oder pflegebedürftigen Kindern unter Umständen lebenslang gezahlt werden. Ein erhöhter Unterhaltsanspruch besteht, wenn beispielsweise Nachhilfeunterricht notwendig ist oder das Kinderzimmer altersgerecht umgestaltet werden muss. Aber auch zum Beispiel bei kieferorthopädischer Behandlung, bei der Teilnahme an Legasthenikerkursen oder bei einer anstehenden Konfirmations- oder Kommunionsfeier kann ein Sonderbedarf geltend gemacht werden.

Generell ist die Höhe des Kindesunterhalts vom Alter der Berechtigten sowie von den Einkommens- und Vermögensverhältnissen der Eltern abhängig. Es gibt hier keine gesetzlichen Regelungen; die meisten Familiengerichte halten sich aber an die sogenannte "Düsseldorfer Tabelle". Diese Unterhaltssätze werden von Zeit zu Zeit heraufgesetzt - wobei die erhöhten Forderungen jedoch geltend gemacht werden müssen, was unter Umständen nur auf dem Wege einer Abänderungsklage möglich ist. Dies gilt auch für den Fall, dass eine Erhöhung der Unterhaltszahlungen verlangt wird, weil das Einkommen des Unterhaltspflichtigen gestiegen ist: "Sowohl das unterhaltsberechtigte Kind als auch ein unterhaltsverpflichteter Elternteil hat das Recht, vom anderen Auskunft über Einkommen und Vermögen zu verlangen, soweit eine solche Auskunft zur Feststellung des Unterhaltsanspruchs erforderlich ist" (Münch 1986, S. 225 f.). Der Nachweis über das Einkommen kann durch eine Bescheinigung des Arbeitgebers, über das Vermögen durch ein Verzeichnis (auf Verlangen mit eidesstattlicher Erklärung) erfolgen.

Auch die Unterhaltspflicht zwischen Eltern und Kindern kann vertraglich geregelt werden, wobei die Rechte Minderjähriger durch den (vorläufig) sorgeberechtigten Elternteil vertreten werden. Die Vereinbarungen müssen sich im Rahmen des nach dem Gesetz geltenden Unterhaltsanspruchs bewegen: Es darf also nicht auf den Kindesunterhalt oder einen Teil desselben verzichtet werden, wohl aber darf ein Elternteil vom anderen oder von einer dritten Person von seiner Unterhaltspflicht freigestellt werden. Die Vereinbarungen bedürfen keiner besonderen Form, sollten aber schriftlich niederlegt werden und müssen dem Familiengericht zusammen mit dem Scheidungsantrag zugeleitet werden.

Bei der Regelung des elterlichen Sorgerechts durch das Familiengericht kann zwischen drei Alternativen gewählt werden:

  1. Alleiniges Sorgerecht: In der Regel wird einem Elternteil das Sorgerecht für die Kinder zugesprochen. Dies ist zumeist der Fall, wenn der andere die Kinder nicht versorgen kann oder möchte, wenn er krank ist, wenn er mit den Kindern nicht fertig wird, oder wenn sein neuer Partner nicht die Stiefelternrolle übernehmen will.
  2. Geteiltes Sorgerecht: In seltenen Fällen werden ein oder mehrere Kinder der Mutter und die übrigen dem Vater zugesprochen. Jeder Elternteil erhält dann das Sorgerecht für die bei ihm lebenden Kinder.
  3. Gemeinsames Sorgerecht: Bei dieser ebenfalls recht seltenen Regelung, die erst 1982 durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ermöglicht wurde, behalten beide geschiedenen Elternteile das Sorgerecht für ihre Kinder. Voraussetzungen hierfür sind, dass beide Eltern weiterhin die Verantwortung für ihre Kinder gemeinsam tragen wollen, beide voll erziehungsfähig sind, und das Kindeswohl die Übertragung des Sorgerechts auf einen Elternteil nicht angezeigt erscheinen lässt. Beide Elternteile sollten während der Trennungsphase eine positive Beziehung zu den Kindern aufrechterhalten haben.

Zentrales Kriterium für die Sorgerechtsregelung ist das Kindeswohl, das sowohl Eingriffslegitimation als auch Rechtsmaßstab ist: "Das Familiengericht muss prüfen, wo die Kinder am besten und gesündesten aufwachsen, die beste Erziehung und Ausbildung erhalten können. Hierbei sind die Bindungen des Kindes insbes. an seine Eltern und Geschwister zu berücksichtigen" (Beitzke 1988, S. 186). So sollten Geschwister möglichst zusammenbleiben. Auch sollten die Kinder in der gewohnten Umgebung bleiben (Kontinuität). Bei der Prüfung der erzieherischen Eignung wird auch berücksichtigt, ob ein Elternteil vorher Elternpflichten verletzt hat (beispielsweise seine Kinder misshandelt hat) oder sich als unzuverlässig erwies. Hingegen spielt bei der Entscheidung des Familiengerichts keine Rolle, welcher Elternteil die Scheidung "verschuldet" hat, oder ob beide "gerecht" behandelt wurden: Immer ist das Kindeswohl ausschlaggebend. Auch die Berufstätigkeit eines Elternteils ist kein Hinderungsgrund, ihm das Sorgerecht zuzusprechen, falls die Kinderbetreuung in Zeiten der Abwesenheit sichergestellt ist. Kleinere Kinder werden jedoch eher einem nichterwerbstätigen Elternteil zugesprochen. In hochstrittigen Fällen kann der Richter auch das Gutachten eines Sachverständigen einholen, ist aber an dessen Vorschlag nicht gebunden.

Da davon ausgegangen wird, dass Eltern am ehesten das Wohl ihrer Kinder kennen und berücksichtigen, wird einem gemeinsamen Vorschlag derselben zur Sorgerechtsregelung eine besondere Bedeutung beigemessen. Eine vorgeschriebene Form gibt es nicht: "Die diesbezüglichen Erklärungen der Parteien können privatschriftlich niedergelegt oder zu Protokoll ... oder in den Anwaltsschriftsätzen abgegeben werden" (Göppinger 1985, S. 396). Der Vorschlag sollte klar und eindeutig formuliert werden. Er kann jederzeit widerrufen werden - auch wenn er Bestandteil einer Vereinbarung über die Scheidungsfolgen ist. Nach Göppinger (1985) sind Vorschläge unzulässig, wenn ein Elternteil das Sorgerecht bekommen, das Kind aber die meiste Zeit beim anderen leben soll, wenn der sorgeberechtigte Elternteil das Sorgerecht dem anderen übergeben muss, falls er in eine weiter entfernte Gemeinde umzieht, oder wenn das Sorgerecht an bestimmte Bedingungen geknüpft wird, vom anderen Elternteil jederzeit für sich beansprucht werden kann oder nach einer festgelegten Zeit an diesen übergehen soll. Zudem sollten Personen- und Vermögenssorge möglichst nicht aufgeteilt werden. Der gemeinsame Vorschlag kann auch Vereinbarungen über die Regelung des Umgangsrechts enthalten, wobei diese der üblichen Praxis entsprechen, das Alter der Kinder und den Willen älterer Kinder berücksichtigen und auch Einzelheiten enthalten sollten wie die Häufigkeit von Besuchen. Diese Bestimmungen sind ohne gerichtliche Entscheidung wirksam, sofern sie nicht das Kindeswohl gefährden. Sie können auf Antrag, aber auch in die gerichtliche Entscheidung, übernommen werden. Das Familiengericht darf nur von dem gemeinsamen Vorschlag der Eltern zur Regelung des Sorgerechts abweichen, wenn das Kindeswohl gefährdet ist. Wird er abgelehnt, sind die übrigen Scheidungsvereinbarungen davon nicht betroffen.

Schließlich soll das Familiengericht bei der Regelung des Sorgerechts den Willen des Kindes berücksichtigen. So werden nahezu immer Kinder angehört, sobald sie eine eigene Meinung äußern oder über ihre Bindungen, Neigungen und Gefühle Auskunft geben können. "Vom 14. Geburtstag an kann ein Kind auch von sich aus einen Vorschlag darüber machen, bei welchem Elternteil es leben möchte. Widerspricht dieser Vorschlag des Kindes einem einverständlichen Vorschlag beider Eltern, so braucht der Richter sich an keinen der Vorschläge zu halten" (Münch 1986, S. 212).

Ein nicht sorgeberechtigter Elternteil behält das Recht auf persönlichen Umgang mit seinen Kindern. Auf dieses Recht kann nicht verzichtet werden (es kann also auch nicht verkauft oder getauscht werden); man ist aber nicht verpflichtet, es auszuüben. Der nicht sorgeberechtigte Elternteil darf weder seine Kinder weiterhin erziehen, noch die Besuche zur Überwachung und Kontrolle des anderen Elternteils missbrauchen. Beide Seiten haben die "Wohlverhaltensvorschrift" zu beachten: Jeder Elternteil soll alles "unterlassen, was das Verhältnis des Kindes zum anderen beeinträchtigt oder die Erziehung erschwert" (§ 1634 Abs. 1 Satz 2 BGB). So sollten fortbestehende Konflikte zwischen den geschiedenen Partnern nicht auf dem Rücken der Kinder ausgetragen werden. Wenn sich die Eltern nicht selbst über Art und Umfang des Umgangsrechts einigen können, kann das Familiengericht auf Antrag eine Regelung treffen. Dann wird zumeist für ein- bis zweimal im Monat ein Besuch von einigen Stunden in der Wohnung des umgangsberechtigten Elternteils oder ein gemeinsames Wochenende "verordnet". Bei größeren Problemen, die zu einer Gefährdung des Kindeswohls führen, kann das Familiengericht auch das Besuchsrecht einschränken oder zeitweise und sogar auf Dauer ausschließen. Dabei ist ein dem Umgangsrecht entgegenstehender Wille der Kinder aber nicht ausschlaggebend. Dem Elternteil verbleibt in der Regel aber noch ein Auskunftsrecht hinsichtlich der persönlichen Verhältnisse seiner Kinder.

Gerichtliche Scheidung

Mit "gerichtlicher Scheidung" ist hier der zweite Abschnitt der Scheidungsphase gemeint, in dem das Scheidungsverfahren vorbereitet und das Scheidungsurteil ausgesprochen wird - Verfahren über abgetrennte Scheidungsfolgesachen und Berufungsverfahren können sich noch bis weit in die Nachscheidungsphase hinein hinziehen. In der Regel beauftragt jeder getrenntlebende Ehepartner einen Rechtsanwalt, seine Rechte wahrzunehmen. Da dieser in Kategorien der "Gegnerschaft" denkt, versucht er, für seine Partei das bestmögliche Ergebnis zu erzielen, und berücksichtigt somit das Wohl des gesamten Familiensystems und der Kinder eher am Rande. Häufig werden überzogene Forderungen an die andere Partei gestellt, die von dieser mit ebensolchen Forderungen beantwortet wird, so dass es zu einer Polarisierung und Eskalation in der Auseinandersetzung kommt. Oft werden unrealistische Erwartungen geweckt oder der Eindruck vermittelt, dass man vom Partner belogen und betrogen wird. Manchmal werden die Klienten angehalten, zum Beispiel bestimmte Informationen zu verschweigen oder im Grunde nicht gewünschte Forderungen zu stellen, um ein besseres Verhandlungsergebnis zu erzielen. So mag beispielsweise ein Vater das alleinige Sorgerecht für seine Kinder beantragen - obwohl er dies überhaupt nicht will. Macht die Mutter dann bei den ihn interessierenden Scheidungsfolgesachen Zugeständnisse, zieht er seinen Antrag wieder zurück.

Es ist offensichtlich, dass derartige juristische Abläufe und Empfehlungen von Anwälten zu einer Verschlechterung der Beziehung zwischen den getrenntlebenden Partnern führen. Diese Situation wird oft noch dadurch verschärft, dass Ehegatten das Scheidungsverfahren dazu nutzen wollen, um sich an ihrem Partner zu rächen, ihn zu verletzen und zu erniedrigen, oder um verlorengegangene Selbstachtung wiederzugewinnen ("Der Richter meint, ich wäre der bessere Elternteil"). Auch wenn ein Ehegatte dem Scheidungsantrag seines Partners nicht zustimmt, liegen diesem Handeln - neben verständlichen Beweggründen, wie Angst vor den Folgen einer Scheidung, anhaltender Liebe, Hoffnung auf Versöhnung oder religiös fundierter Glaube an eine Ehe auf Lebenszeit - häufig negative Motive zugrunde: Wut und Enttäuschung, Rachegelüste, der Wunsch, den Partner für seine Untreue zu bestrafen oder ihn daran zu hindern, seinen Willen durchzusetzen etc. Derartige Beweggründe und die ihnen zugrundeliegenden Emotionen und psychischen Konflikte werden in der Regel von Rechtsanwälten ignoriert, sie unterstützen letztlich "die am wenigsten ausgereiften oder am meisten unterentwickelten Persönlichkeitsaspekte ihrer Klienten" (Yahm 1984, S. 62).

Erschwerend kommt hinzu, dass Rechtsanwälte einen Austausch zwischen getrenntlebenden Partnern und deren Suche nach Kompromissen dadurch verhindern, dass sie diese anhalten (und damit Abhängigkeitsbedürfnisse wecken), nur über sie mit der anderen Partei beziehungsweise deren Rechtsanwalt zu kommunizieren. So verschlechtert sich die Beziehung zwischen den Ehegatten, wird eine unter Umständen noch zu erreichende Versöhnung unmöglich gemacht. Bei einer Untersuchung über 210 getrenntlebende oder geschiedene Amerikaner (Spanier und Thompson 1984) gaben 26 % der Befragten an, dass die Einschaltung eines Rechtsanwalts zur Verschlechterung der Ehebeziehung führte. Auch verspürte ein Drittel negative Gefühle ihren Rechtsanwälten gegenüber und fühlte sich von ihnen nicht unterstützt. Hier wird deutlich, dass Juristen in der Regel nicht fähig oder bereit sind, sich auf psychische Probleme ihrer Klienten und den inneren Trennungsprozess einzulassen: "Die Orientierung des juristischen Systems an rationalen und logischen Lösungen ... ist einer Lösung der auf der Beziehungsebene ablaufenden Konflikte nicht förderlich, sondern kann zu verschärften Feindseligkeiten führen" (Sokacic-Mardorf 1983, S. 142). In den USA wenden sich deshalb immer mehr Scheidungswillige an Vermittler, die ihnen helfen, gemeinsam und selbstverantwortlich die notwendigen Scheidungsvereinbarungen zu treffen und vertraglich niederzulegen.

Da viele Scheidungsfolgesachen bereits vor Beginn des Verfahrens (über die Rechtsanwälte) geregelt oder in separaten Verfahren verhandelt werden, kommen die meisten Scheidungsverfahren vor Familiengerichten mit wenigen Terminen aus: Im Jahr 1987 dauerten 64,3 % der Verfahren, die mit einem Scheidungsurteil endeten, nur einen Termin und weitere 31,1 % bis zu drei Terminen - 99 % der Verfahren dauerten bis zu fünf Terminen (Statistisches Bundesamt 1989b). 5.864 Scheidungsurteile erfolgten vor Ablauf der einjährigen Trennungszeit, 25.699 nicht einverständlich nach einjähriger Trennung, 84.381 einverständlich nach einjähriger Trennung und 14.217 nach dreijähriger Trennung. Neben den Scheidungsverfahren wurden 184.939 Verfahren über allein anhängige andere Familiensachen und 24.088 Verfahren über abgetrennte Scheidungsfolgesachen gemeldet. Von den Oberlandesgerichten wurden 846 Berufungsverfahren in Scheidungssachen und 23.138 Verfahren über abgetrennte Scheidungsfolgesachen oder allein anhängige andere Familiensachen durchgeführt (a.a.O.). Hier wird deutlich, dass sich Gerichtsverfahren über eine lange Zeit hinziehen können.

Eine Auswertung von 236 Verfahren am Amtsgericht Hannover (Müller-Alten 1984), die im ersten Halbjahr 1980 mit einem Scheidungsurteil endeten, ergab, dass in 205 Fällen Scheidungsvereinbarungen vorlagen - auch bei 67 % der 58 strittigen Scheidungen. Bei 85 % der 110 Fälle, bei denen Kinder betroffen waren, gab es einen übereinstimmenden Vorschlag der Eltern zur Sorgerechtsregelung, der immer vom Gericht akzeptiert wurde. Bei 22 % dieser Fälle wurde auch das Umgangsrecht in der Vereinbarung geregelt, aber nur zum Teil genauer spezifiziert. In 68 % der Fälle lagen zudem Vereinbarungen über den Kindesunterhalt vor, wobei dessen Höhe aber nicht immer festgelegt wurde. Ansonsten gab es in 77 % der 236 Fälle Einigungen über den Ehegattenunterhalt, in 23 % über die Wohnung und in 69 % über den Hausrat. Hier fällt auf, dass nicht nur bei den meisten Verfahren von Scheidungsvereinbarungen Gebrauch gemacht wird, sondern dass sie auch zu einem großen Teil ohne gerichtlichen Streit ablaufen. Berater und Therapeuten kommen natürlich mit Problemfällen viel eher in Berührung, auf die wir uns - wie bereits erwähnt - in diesem Buch konzentrieren.

Zu Beginn der Trennung spielen noch viele Väter mit dem Gedanken, das Sorgerecht für ihre Kinder zu beantragen, aber nur wenige stellen schließlich einen Antrag. So werden bei circa 85 % aller Scheidungen die Kinder der Mutter zugesprochen; die Väter erhalten etwa in 10 % der Fälle das Sorgerecht (Tiemann 1986; Martiny und Voegeli 1988). Eine Aufteilung der Kinder und die gemeinsame Sorge sind noch seltener: So ergab beispielsweise eine Untersuchung (Limbach 1988) über alle Verfahren der Jahre 1983 bis 1985, in denen über ein gemeinsames Sorgerecht verhandelt wurde, dass nur in circa 1,5 % aller Sorgerechtsentscheidungen das Sorgerecht beiden Eltern gemeinsam belassen wurde. Limbach (1988) kam zu dem Ergebnis, dass die meisten Richter wohl ein gemeinsames Sorgerecht nicht für praktikabel halten und dies gegenüber interessierten Eltern zum Ausdruck bringen. Auch bei einer Befragung von 169 amerikanischen Scheidungsanwälten und 44 Familienrichtern (Weitzman 1985) wurde festgestellt, dass die alleinige Sorge der Mutter (insbesondere bei Vorhandensein kleinerer Kinder) als Sorgerechtsregelung bevorzugt wird.

Weitzman (1985) kritisiert die Regelung, dass generell beide Elternteile gleichermaßen bei der Vergabe des Sorgerechts zu berücksichtigen sind: "Ein Problem mit den gegenwärtigen Sorgerechtsgesetzen ist, dass sie alle Männer und alle Frauen so behandeln, als ob sie gleich fähig wären, für ihre Kinder nach der Scheidung zu sorgen. Dadurch wird die gesellschaftliche Realität ignoriert, dass in den meisten Familien ein Elternteil, typischerweise die Mutter, in erster Linie die Kinder versorgt. Kinder erleiden wahrscheinlich einen großen Verlust, wenn sie von der primären Bezugsperson getrennt werden, und primäre Bezugspersonen leiden wahrscheinlich mehr, wenn sie ihre Kinder verlieren" (S. 394). Die derzeitige Regelung gäbe Vätern mehr Verhandlungsmacht, da sie einen Antrag auf Sorgerecht dazu benützen könnten, von den Müttern Zugeständnisse auf anderen Gebieten zu erpressen.

In manchen Fällen wollen beide Elternteile das alleinige Sorgerecht - sei es aus prozesstaktischen Gründen oder aus den folgenden Motiven heraus: Liebe zu den Kindern, starke Bindungen, Wunsch nach Kontinuität im eigenen Leben, Erhalt des positiven Selbstbildes als Elternteil, Schutz vor Einsamkeit durch Anwesenheit der Kinder, Schuldgefühle ihnen gegenüber, Rachegelüste, Machtkämpfe, Unfähigkeit, den Partner als guten Elternteil anzuerkennen, und so weiter. Ferreiro, Warren und Konanc (1986) machen auch auf folgendes aufmerksam: "Das gesetzliche Sorgerecht ist ein emotional geladenes Thema, das mit symbolischer Bedeutung gefüllt ist. Gesetzliche Sorge bedeutet Kontrolle, Macht, Besitz und Autorität" (S. 443). In den genannten Fällen kann es zu einem erbitterten Kampf um das Sorgerecht kommen, unter dem vor allem die Kinder leiden: Sie fühlen sich zwischen beiden Elternteilen hin- und hergerissen, geraten in starke Loyalitätskonflikte und haben Schwierigkeiten, ihre Beziehung zu beiden Elternteilen aufrechtzuerhalten.

In strittigen Sorgerechtsfällen kommt dem Gutachten des Jugendamtes eine besondere Bedeutung zu, das im Rahmen der Familiengerichtshilfe für jedes Verfahren erstellt werden muss, in dem über das Sorgerecht für minderjährige Kinder oder über das Umgangsrecht entschieden wird. Das Jugendamt als fachkundige Behörde soll das Wohl und die Interessen der betroffenen Kinder vertreten. Es prüft die Lebensverhältnisse beider Elternteile, die Qualität der jeweiligen Eltern-Kind-Beziehung, die Stärke der Bindungen, die Erziehungsfähigkeit der Eltern und ihre Persönlichkeit. Für das Familiengericht sachdienliches Material wird dann in einem Gutachten zusammengestellt, das auch einen Vorschlag für die Sorgerechtsentscheidung und diesbezügliche Prognosen enthält. Problematisch ist, dass der Jugendamtsmitarbeiter zuverlässige Informationen häufig nur schwer sammeln kann: Die Eltern verhalten sich ihm gegenüber strategisch, zeigen also nur ihre besten Seiten und machen die andere Partei schlecht, während Kinder oft voreingenommen oder verschüchtert sind. Auch sind die zuständigen Jugendamtsmitarbeiter vielfach überlastet und ungenügend geschult. Beratungsfunktionen werden erst ansatzweise übernommen.

Bei sehr strittigen Verfahren - in circa 3 % aller Fälle (Tischer-Bücking 1989) - wird ein Gutachter vom Familienrichter bestellt. Hier handelt es sich in der Regel um einen Psychologen, der intensive Gespräche mit Eltern und Kindern führt, familien- und kinderpsychologische Tests (auch projektiver Art) einsetzt und das Verhalten der Familienmitglieder beobachtet. Er kann auch Auskünfte von Dritten einholen. Aufgrund seiner Erfahrung, der Verwendung verschiedener Untersuchungsmethoden und im Rückgriff auf mehrere Quellen ist sein Gutachten in der Regel verlässlicher als das des Jugendamtsmitarbeiters, der sich dann leicht als zweitklassiger Fachmann erlebt. Jedoch können auch diese Experten zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, da sie möglicherweise anderen Theorien folgen, verschiedene Einstellungen zu den Sorgerechtsalternativen haben oder Daten anders interpretieren.

So muss letztlich der Familienrichter die Sorgerechtsentscheidung fällen, der jedoch die Parteien kaum kennt, und dem es an familien- und kinderpsychologischem Wissen mangelt. Auch fehlt ihm die Zeit, sich mit einem Fall intensiver zu beschäftigen - im Jahr 1984 führte beispielsweise jeder Familienrichter im Durchschnitt 597 Verfahren durch (Proksch 1989). So orientiert er sich zumeist an bestimmten Mustern - wie bereits erwähnt, sieht er beispielsweise in der alleinigen Sorge der Mutter den Normalfall, von dem in der Regel nicht abzuweichen ist. Meistens versucht er auch, sich selbst ein Bild davon zu machen, was für die Kinder die beste Sorgerechts- und Umgangsrechtsregelung wäre, indem er diese anhört. Dabei besteht die Gefahr, dass er die Kinder überfordert oder in starke Loyalitätskonflikte stürzt, wenn er sie fragt, bei welchem Elternteil sie leben wollen (eine Aussage zugunsten des Vaters oder der Mutter kann zu starken Gefühlen der Treulosigkeit, des Verrats oder der Schuld führen). Auch verstehen die meisten Kinder nur schwer, weshalb bloß ein Elternteil das Sorgerecht bekommen soll. Hinzu kommt: "Kinder werden auch durch die juristische Sprache und durch die ganze geheimnisvolle Atmosphäre verwirrt, die das Gericht und alles, was damit zusammenhängt, umgibt. Für die meisten Kinder sind Gerichte dazu da, zu entscheiden, wer der Gute und wer der Böse ist - wer dafür bestraft werden muss, dass er das Gesetz gebrochen hat. Irgendeiner muss schuldig sein. Ein Kind kann sich leicht vorstellen, dass eine Scheidung eine Art Verbrechen ist" (Ricci 1984, S. 86).

In manchen Fällen muss das Familiengericht auch über den Versorgungsausgleich, die Aufteilung des Hausrats, den Verbleib in der vormals gemeinsamen Wohnung oder güterrechtliche Fragen entscheiden. Eine besondere Bedeutung kommt der Regelung von Unterhaltsansprüchen zu: "Nur in 10 % aller Scheidungsehen ohne minderjährige Kinder - und das betrifft ca. die Hälfte aller Scheidungsfälle - und in 30-40 % solcher mit minderjährigen Kindern, müssen Männer Unterhalt für ihre Ex-Ehefrau zahlen. In zwei Dritteln dieser Fälle zahlen sie allerdings auch Kindesunterhalt" (Martiny und Voegeli 1988, S. 186).

Weitzman (1985) macht darauf aufmerksam, dass hier Frauen und Kinder benachteiligt würden: Diese würden in ihrem Lebensstandard einen sehr viel stärkeren Rückgang als geschiedene Männer erleben und oft sogar verarmen, da einerseits die Männer in der Regel nun einen geringeren Teil ihres Einkommens als vor der Scheidung an ihre Frauen und Kinder abtreten müssten, und da andererseits heute von geschiedenen Frauen erwartet wird, dass sie sich selbst ernähren und einen Teil der Kinderkosten übernehmen - in der Realität den größeren Teil, da bei der Festlegung des von Vätern zu zahlenden Kindesunterhalts zumeist die Kinderkosten zu niedrig angesetzt würden. Dabei würde nicht beachtet, dass Frauen in der Regel ein niedrigeres Einkommen als Männer erzielen können, insbesondere wenn sie nach einer längeren Berufsunterbrechung auf den Arbeitsmarkt zurückgekehrt sind. Weitzman (1985) stellte für die USA fest, dass, "wenn das Einkommen mit dem Bedarf verglichen wird, geschiedene Männer einen Anstieg in ihrem Lebensstandard um durchschnittlich 42 Prozent im ersten Jahr nach der Scheidung erleben, während geschiedene Frauen (und ihre Kinder) einen Rückgang um 73 Prozent erfahren" (S. 323). Auch das gemeinsame Eigentum würde nicht gerecht aufgeteilt, da zumeist der Mann die eine Hälfte, die Frau und die Kinder (also mehrere Personen) die andere Hälfte erhielten. Zudem wären heute oft berufliche Kenntnisse und Erfahrungen der wichtigste (und nicht teilbare) Besitz, den Männer eher während der Ehe ansammeln könnten als Frauen. Zu ergänzen ist, dass Alleinerziehende auch viel stärker durch ihren Anteil an den Scheidungskosten belastet sein dürften als Männer.

 

3. Die Nachscheidungsphase

Nach der Scheidung empfinden viele Geschiedene weiterhin Schmerz, Selbstmitleid, Verzweiflung, Angst, Schuldgefühle oder Reue. Sie erleben sich als Versager, leiden unter Depressionen und abruptem Stimmungswechsel, fühlen sich einsam, entfremdet, desorientiert, hilflos und unsicher. Oft führt ihr emotionaler Zustand zu Konzentrationsstörungen, ständiger Müdigkeit, Erschöpfung, Rückgang der Leistungsfähigkeit, psychosomatischen Störungen oder Alkohol-, Drogen- und Medikamentenmissbrauch. Beim verlassenen Partner sind diese Scheidungsprobleme zumeist weiterhin etwas stärker ausgeprägt. Auch der nichtsorgeberechtigte Elternteil mag weiter unter dem Verlust der Kinder leiden.

Bei dem größeren Teil der Geschiedenen nehmen negative Gefühle und Symptome innerhalb eines Zeitraumes von sechs Monaten bis zu vier Jahren nach der Scheidung ab und verschwinden schließlich ganz. Eine amerikanische Untersuchung über 210 geschiedene Personen (Spanier und Thompson 1984) ergab, dass sich zwei Jahre nach der Scheidung etwa vier Fünftel der Befragten wieder wohl fühlten. Eine andere amerikanische Studie (Hetherington, Cox und Cox 1982), bei der insgesamt 102 geschiedene und vollständige Familien miteinander verglichen wurden, kam zum Ergebnis: "Zufriedenheit, Selbstachtung und Gefühle der Kompetenz im heterosexuellen Verhalten stiegen gleichmäßig über einen Zweijahreszeitraum bei geschiedenen Männern und Frauen an, aber waren selbst im zweiten Jahr nicht so hoch wie bei verheirateten Ehepaaren" (S. 249) - mit Ausnahme von denjenigen, die in der Zwischenzeit wieder geheiratet hatten. Selbst zehn Jahre nach der Trennung wurde bei einer Längsschnittuntersuchung (Wallerstein und Blakeslee 1989) über 52 Scheidungsfamilien festgestellt, dass ein Viertel der Mütter und ein Fünftel der Väter ihr Leben noch nicht wieder in den Griff bekommen hatten und stark von der emotionalen Unterstützung ihrer Kinder abhängig waren. Generell erschien das Leben nach der Scheidung in der Rückschau viel schwieriger als erwartet. Besonders viele ältere Personen, die sich nach langen Ehejahren scheiden ließen, waren einsam und unglücklich. Sie sahen mit Angst in die Zukunft. Nur etwa die Hälfte der Befragten waren mit ihrem derzeitigen Leben zufrieden.

Hinzu kommt, dass viele Geschiedene nicht mit dem Leben als Single zurechtkommen. Beispielsweise ergab eine für die USA repräsentative Umfrage bei rund 3.000 Singles (Simenauer und Carroll 1982), dass nur 6 % der einmal geschiedenen im Vergleich zu einem Viertel der unverheirateten Frauen sagten, dass das Leben als Single "wunderbar" sei. Nur ein Viertel der geschiedenen im Gegensatz zu fast der Hälfte der unverheirateten Frauen gaben an, dass sie die mit dem Leben als Single verbundenen Probleme meistern. Nur etwa ein Fünftel der geschiedenen Männer meinten, dass ihr Leben als Single trotz Problemen gut verlaufe. Rund 6 % bevorzugten den Lebensstil als Single, während mehr als die Hälfte der Männer (insbesondere ältere und besser verdienende) wieder heiraten wollte.

Nach diesen Forschungsergebnissen dürfte nicht überraschen, dass Geschiedene in psychiatrischen Kliniken überrepräsentiert sind und auch häufiger ambulant behandelt werden (Bojanovsky 1983). Sie leiden öfter unter psychischen Störungen (vor allem Frauen) oder Alkoholismus und unternehmen häufiger Selbstmordversuche. Allerdings traten die psychischen Probleme häufig schon vor der Scheidung auf (a.a.O.). Auch überrascht nicht, dass viele Geschiedene im Nachhinein die Scheidung als einen Fehler bezeichnen (Hetherington, Cox und Cox 1982). Bei einer Befragung von 210 Geschiedenen (Spanier und Thompson 1984) gaben fast 30 % an, dass die Ehescheidung eines der tragischsten Ereignisse sei, die einem Menschen zustoßen könnten.

Ein Teil der Geschiedenen erleben die Nachscheidungsphase aber auch (ab einem bestimmten Zeitpunkt) positiv. Einige konzentrieren sich auf die eigene Person, entdecken neue Seiten ihrer Persönlichkeit und erleben eine große innere Weiterentwicklung. Andere empfinden ein starkes Gefühl der Freiheit, des Ungebundenseins, der Euphorie und des Glücks. Sie experimentieren mit neuen Lebensstilen, mit einer anderen Kleidung und Frisur, neuen Hobbys und sozialen, sexuellen oder kreativen Aktivitäten. So durchleben viele eine zweite Jugend, suchen einen neuen Freundeskreis, definieren die Beziehung zu ihren Kindern um, folgen anderen Lebenszielen und bilden eine neue Identität aus. Sie sind mit ihrem Leben zufrieden und haben innere Ruhe gefunden. Aber auch hier brechen manchmal noch Gefühle wie direkt nach der Trennung hervor, insbesondere wenn der frühere Ehegatte eine feste Bindung eingeht oder wieder heiratet, wenn er ein Kind bekommt oder wenn im eigenen Leben eine größere Veränderung eintritt.

Generell verläuft die individuelle Entwicklung Geschiedener in der Nachscheidungssituation besser, wenn diese bereits vor der Trennung oder in der Scheidungsphase relativ wenig psychische und interpersonale Probleme erlebten, wenn die Trennung mit relativ wenig Stress verbunden war, wenn die Betroffenen viel Unterstützung in ihrem Netzwerk fanden oder bald eine neue Partnerbeziehung eingingen. Auch Persönlichkeitscharakteristika wie Durchsetzungsfähigkeit, Selbstsicherheit, Problemlösungsfähigkeit, Kreativität oder Selbstgenügsamkeit wirken sich positiv auf die Weiterentwicklung aus. Bei Frauen sind positive Faktoren zudem niedrigeres Alter, Kinderlosigkeit und eigene Entscheidung zur Trennung. Bei Männern verläuft die Anpassung besser, wenn sie nicht von ihren Frauen abhängig waren (Ferreiro, Warren und Konanc 1986; Kaslow und Schwartz 1987; Coysh et al. 1989). Aber auch die subjektive Bewertung der eigenen Situation spielt eine Rolle.

Von großer Bedeutung für die Weiterentwicklung nach der gerichtlichen Scheidung ist ferner, ob die Geschiedenen auch eine "psychische Scheidung" von ihrem ehemaligen Ehegatten erreichen. Sie müssen sich mit ihrer gescheiterten Ehe auseinandersetzen, Trauerarbeit leisten, Gefühle des Versagens und der Schuld verarbeiten, den eigenen Anteil am Scheitern ihrer Ehe erkennen und akzeptieren, ein der Realität entsprechendes Bild von ihrem früheren Partner zurückgewinnen und sich von seinem Einfluss auf ihr psychisches Leben befreien. Nach einer amerikanischen Studie über 210 Geschiedene (Spanier und Thompson 1984) gelang es mehr als 90 % der Befragten, innerhalb von zwei Jahren nach der Trennung das Ende ihrer Ehe zu akzeptieren. Nur 9 % waren noch auf ihren früheren Partner wütend. Generell fällt die psychische Scheidung schwerer, wenn die Trennung überraschend kam, die Ehe zuvor scheinbar problemarm war, viel in sie investiert worden war oder wenn der ehemalige Ehegatte immer noch geliebt wird. Gelingt sie, kann eine konfliktarme Beziehung zum früheren Partner etabliert werden, die für eine positive Weiterentwicklung der Kinder von Bedeutung ist.

Auf die psychische Situation Geschiedener wirken sich auch die allgemeinen Lebensumstände aus. Zumeist gelingt es in der Nachscheidungsphase, den eigenen Haushalt voll auszustatten, die in der Scheidungsphase noch schmerzlich vermissten (da zuvor nur vom Partner beherrschten) Fertigkeiten zu erlernen, die meisten Umstellungsprobleme zu bewältigen, sich mit dem neuen Lebensstil anzufreunden und die mit dem Status als Geschiedener verbundenen Rollenmodifikationen wahrzunehmen. Frauen, die erst während der Trennungsphase wieder erwerbstätig wurden, haben sich nun in der Regel beruflich etabliert und neue Freunde unter ihren Kollegen gefunden. Sie sind auf ihre beruflichen Erfolge, ihre Unabhängigkeit und Selbständigkeit stolz. Eine andere Situation ist gegeben, wenn Frauen keine adäquate Beschäftigung finden, arbeitslos sind oder wegen der Versorgung kleiner Kinder nicht erwerbstätig werden können. Die erlebten materiellen Einschränkungen - insbesondere wenn Unterhaltszahlungen unregelmäßig oder unvollständig eingehen - wirken sich auch auf das psychische Wohlbefinden aus. Generell berichten geschiedene Frauen eher von finanziellen Problemen als unverheiratete (Simenauer und Carroll 1982).

Von großer Bedeutung für das Wohlbefinden Geschiedener ist ihr Sozialleben. Auch in der Nachscheidungsphase setzt sich die Aufteilung des familialen Netzwerkes in zwei nur wenig miteinander verknüpften Netzwerken fort. Oft sind die gemeinsamen Kinder das einzige Verbindungsglied, aber auch Schwiegereltern (insbesondere die Eltern nichtsorgeberechtigter Ehegatten) versuchen vielfach, mit der anderen Seite in Kontakt zu bleiben. Gelingt dies, bleiben die Kinder über die Großeltern auch eher mit den Verwandten des nichtsorgeberechtigten Elternteils in Verbindung. Die andere Netzwerkhälfte kann aber auch weiterhin Spannungen verschärfen, indem sie die geschiedenen Partner aufeinander hetzt, "ihre" Seite von jeglicher Schuld an der Trennung freispricht und die "andere" Seite schlecht macht, die Kinder dem umgangsberechtigten Elternteil zu entfremden versuchen oder sich bei Besuchen einmischen.

Die geschiedenen Partner finden zumeist in ihrer Netzwerkhälfte weiterhin emotionale Unterstützung und praktische, aber auch materielle Hilfe. In der Regel werden Frauen und Eltern mit Kindern mehr unterstützt als Männer oder kinderlose Personen (Spanier und Thompson 1984). Sie erfahren Hilfe bei der Kinderbetreuung, im Haushalt, bei notwendigen Reparaturen, bei Umzügen und bei der Suche nach Arbeit oder einer anderen Wohnung. Bei viel Unterstützung durch das Netzwerk fühlen sich Geschiedene in der Regel wohler und haben ein positiveres Selbstkonzept. So stellten Daniels-Mohring und Berger (1984) nach der Untersuchung von 42 Scheidungsfällen fest: "Mehr Beziehungsbedürfnisse werden durch weniger Personen befriedigt in der Untersuchungsgruppe mit hoher Anpassung. Zusätzlich wird von der besser angepassten Gruppe berichtet, dass sie mehr als doppelt so viele Beziehungen hat, in denen Bedürfnisse nach emotionaler Integration und Bestätigung des Selbstwerts befriedigt werden" (S. 27).

Während viele Geschiedene in der Nachscheidungsphase ihr Netzwerk vergrößern, fühlen sich andere einsam und isoliert. So ermittelten Spanier und Thompson (1984) bei ihrer Untersuchung über 210 geschiedene Amerikaner, dass 30 % starke Einsamkeitsgefühle in den ersten zwei Jahren nach der Trennung erlebten und 55 % sich etwas einsam fühlten. Viele wünschten sich zwei Jahre nach der Trennung weitere gleich- und gegengeschlechtliche Freunde, selbst wenn sie bereits mehrere gefunden hatten (wobei Männer im Durchschnitt eine größere Zahl neuer Freunde angaben). Hetherington, Cox und Cox (1982) stellten bei ihrer Vergleichsuntersuchung fest: "Das Sozialleben nahm in unserer Gesamtgruppe geschiedener Frauen im Zweijahreszeitraum zu; es war jedoch immer schwächer ausgeprägt als das verheirateter Frauen. Geschiedene Männer hatten ein eingeschränktes Sozialleben zwei Monate nach der Scheidung, gefolgt von einem raschen Anstieg der Aktivität ein Jahr nach der Scheidung und einem Rückgang der Aktivität bis auf die Stufe der Frauen nach zwei Jahren" (S. 249). Manche einsame Personen schließen sich Selbsthilfegruppen an, um Menschen in der gleichen Situation kennen zu lernen.

Ein Teil der Geschiedenen wird auf sexuellem Gebiet sehr aktiv. Jedoch scheinen die meisten Geschiedenen weniger Sexualpartner zu finden als unverheiratete Personen. So ergab eine für die USA repräsentative Studie über rund 3.000 Singles (Simenauer und Carroll 1982), dass einmal geschiedene Männer häufiger als unverheiratete eine Zahl von 1 bis 19 Sexualpartnern während der Zeit des Alleinlebens (68 % zu 56 %) und seltener eine Zahl von mehr als 20 Partnern (31 % zu 43 %) angaben. Einmal geschiedene Frauen nannten im Vergleich zu unverheirateten häufiger 1 bis 4 Sexualpartner (44 % zu 36 %) und seltener 5 und mehr Partner (43 % zu 51 %) für die Zeit des Alleinlebens. Zweimal geschiedene Personen gaben hingegen eine größere Zahl von Sexualpartnern an als unverheiratete Singles. Generell erlebten sich geschiedene Singles seltener als attraktiv, bezeichneten sich aber häufiger als gute Liebhaber. Sie waren seltener als unverheiratete Singles zu flüchtigen oder auf eine Nacht beschränkten sexuellen Abenteuer bereit; geschiedene Frauen lehnten es auch häufiger ab, einen Mann anzusprechen oder mit ihm schon am ersten Abend zu schlafen.

Nach amerikanischen Untersuchungen wollen rund zwei Drittel aller Geschiedenen wieder heiraten und wünschen sich häufig weitere Kinder (Rosenthal und Keshet 1981; Simenauer und Carroll 1982; Spanier und Thompson 1984). Bei einer deutschen Studie über 100 geschiedene Mütter und 50 geschiedene Väter (Napp-Peters 1985) gaben jedoch 72 % der Frauen und knapp die Hälfte der Männer an, dass sie nicht wieder heiraten wollen. Nach statistischen Erhebungen gehen in Westdeutschland aber fast zwei Drittel aller Geschiedenen eine Zweitehe ein (Rottleuther-Lutter 1989). Die Suche nach einem neuen Lebenspartner ist oft dadurch belastet, dass der Geschiedene noch zu wenig Vertrauen in das andere Geschlecht aufbringt, nur geringe Selbstwertgefühle hat und sich somit als für einen guten Partner nicht geeignet erlebt, dass er ein zu niedriges Anspruchsniveau hat, Angst vor dem erneuten Scheitern einer Beziehung empfindet oder zu große Rücksicht auf seine Kinder nimmt. Diese mischen sich oft auch in neue Partnerschaften ein und versuchen, sie zu sabotieren, weil sie zum Beispiel die Zuneigung des Elternteils nicht mit einer anderen Person teilen wollen, ihre zentrale Stellung in der Teilfamilie nicht verlieren möchten, noch auf eine Versöhnung ihrer Eltern hoffen oder den Elternteil vor einer erneuten Enttäuschung bewahren wollen.

Generell wirkt sich eine befriedigende neue Beziehung positiv auf das Wohlbefinden Geschiedener aus. So stellten Coysh und Mitarbeiter (1989) bei einer Untersuchung über 149 kalifornische Scheidungsfamilien fest: "Die psychische Anpassung von Männern scheint besonders durch eine positive, unterstützende Beziehung gefördert zu werden. Das klinische Fallmaterial lässt vermuten, dass diese neuen Beziehungen mit überraschender Schnelligkeit die durch die Ehescheidung hervorgerufene narzisstische Verletzung rückgängig machen können. Die psychische Anpassung von Frauen scheint hingegen nicht so sehr durch neue unterstützende Beziehungen gefördert zu werden, ... Frauen scheinen mehr durch die übriggebliebene Feindseligkeit aus der früheren Ehe und problematische Beziehungen zwischen Partnern und Kindern in ihren neuen Ehen oder Verhältnissen beeinträchtigt zu werden" (S. 68). Aber auch bei Frauen wurden positive Auswirkungen einer neuen Partnerschaft festgestellt, beispielsweise weniger negative Gefühle.

Die Beziehung zwischen geschiedenen Ehegatten

Als bei einer Studie über 210 geschiedene Amerikaner Spanier und Thompson (1984) zwei Jahre nach der Trennung danach fragten, "wie sie über Kontakte mit ihren früheren Ehepartnern empfänden, sagte etwa die Hälfte der Männer und Frauen, dass sie geringen Kontakt bevorzugen, aber nur wenn nötig. Die andere Hälfte teilte sich fast gleich auf in solche mit Wunsch nach engerem Kontakt und solche mit überhaupt keinem Kontaktwunsch" (S. 131). Knapp 60 % der Befragten hatten in den letzten paar Wochen mit ihren früheren Partnern am Telefon und rund 50 % persönlich gesprochen. Rund 10 % hatten einen Brief von ihnen empfangen, und 7 % hatten einen an sie abgesandt. Jeder zehnte war mit dem ehemaligen Ehegatten ausgegangen, und 4 % hatten sogar mit ihm geschlechtlich verkehrt. Zumeist hatten die Spannungen zwischen beiden Seiten abgenommen; 30 % der Befragten berichteten jedoch von keiner Veränderung oder einem Anstieg der Spannungen. Eine deutsche Untersuchung (Napp-Peters 1988, 1989) über 100 Mütter und 50 Väter, die vor durchschnittlich viereinhalb Jahren geschieden wurden, ergab, dass bei 54 % kein Kontakt mehr zum früheren Ehepartner bestand - er riss oft schon in weniger als 12 Monaten ab. Bei 27 % der Befragten war eine "ko-elterliche Interaktion" festzustellen: Beide Eltern nahmen aktiv am Leben ihrer Kinder teil, hatten für sie Kinderzimmer eingerichtet und trafen gemeinsam Entscheidungen über deren Erziehung. Allerdings hatten nur 63 % der betroffenen Kinder eine enge und herzliche Beziehung zum nichtsorgeberechtigten Elternteil; bei den übrigen lagen keine Beziehung oder eine gewissen Entfremdung vor. Interessant ist, dass eine ko-elterliche Interaktion eher bei sozial schwachen Familien, bei einem größeren sozialen Netzwerk und bei Eltern vorgefunden wurde, die eine neue Partnerbeziehung eingegangen waren.

Bei einer amerikanischen Studie (Ahrons und Wallisch 1987a) über 80 Männer und Frauen, die ein und drei Jahre nach ihrer Scheidung interviewt wurden, gaben etwa 30 % der Befragten an, dass sie noch etwas Liebe oder freundschaftliche Gefühle für ihren früheren Partner empfanden. Circa die Hälfte war indifferent und ein Viertel erlebte negative Gefühle. Ein Jahr nach der Scheidung sprachen 21 % relativ häufig über ihre Kinder, 59 % etwas und 21 % wenig. Drei Jahre nach der Scheidung berichteten nur noch 9 % von häufigen Interaktionen über ihre Kinder. Zu diesem Zeitpunkt verbrachten noch etwa 30 % (gegenüber 45 % ein Jahr nach der Scheidung) gelegentlich Zeit gemeinsam mit dem früheren Ehegatten und den Kindern, und zwar vor allem an Feiertagen und bei Festen, Gaststättenbesuchen und Schulaktivitäten. In diesen Fällen hatte sich laut Ahrons und Wallisch (1987a) die ursprüngliche Familie zu einer "binuklearen" umorganisiert - zwei Haushalte bildeten ein Familiensystem.

Generell besteht mehr Kontakt zwischen Geschiedenen mit gemeinsamen Kindern. Sie sprechen vor allem über Entscheidungen, welche die Kinder betreffen, über Unterhaltszahlungen, alltägliche Ereignisse sowie praktische und persönliche Probleme. Hingegen werden Themen wie die frühere Ehe, die Scheidungsgründe, neue Beziehungen oder die Anpassung der Kinder an die Scheidungssituation gemieden. Geschiedene ohne Kinder sprechen eher über persönliche Fragen und schrecken weniger vor sensiblen Themen zurück. In vielen Interaktionen geht es aber auch um Spannungen. So berichtete bei der vorgenannten Studie von Ahrons und Wallisch (1987a) etwa die Hälfte der Befragten von Auseinandersetzungen und Spannungen ein und drei Jahre nach der Scheidung.

Viele Konflikte beziehen sich auf Unterhaltszahlungen. So fand Napp-Peters (1985, 1988) heraus: "Nur 42 Prozent der Eltern erhalten vom geschiedenen Ehepartner regelmäßig Unterhalt für die gemeinsamen Kinder. Bei 18 Prozent wird der Unterhalt nicht regelmäßig oder vermindert gezahlt. 26 Prozent haben noch nie Unterhaltsleistungen erhalten. 14 Prozent der Eltern, vorwiegend Väter, legen keinen Wert auf Unterhalt ..." (1988, S. 24). In den meisten Fällen waren die Kinder Ansprechpartner oder Ventil für die hieraus resultierende Enttäuschung oder Verbitterung.

Viele Konflikte zwischen Geschiedenen entzünden sich auch am Umgangsrecht. Zum einen versuchen viele sorgeberechtigte Elternteile, die Wahrnehmung dieses Rechts zu erschweren, weil sie sich auf diese Weise an ihrem früheren Partner rächen wollen, ihn für unregelmäßige oder unzureichende Unterhaltszahlungen bestrafen möchten oder ihn als Eindringling erleben - insbesondere wenn sie eine neue Kernfamilie bilden und diese gegenüber Außenstehenden deutlich abgrenzen wollen. Manche möchten nicht, dass ihre Kinder mit dem umgangsberechtigten Elternteil in Kontakt kommen, weil sie dessen Erziehungsstil oder neuen Partner ablehnen. Auch die Weiterentwicklung der beiden früheren Ehegatten kann zu unterschiedlichen Perspektiven hinsichtlich der Kindererziehung führen. Zum anderen sind viele umgangsberechtigte Elternteile bei Besuchen unpünktlich, sagen diese kurzfristig ab, erscheinen zu den vereinbarten Terminen nicht oder verhalten sich bei Besuchen ihren Kindern gegenüber wenig akzeptabel (sind zum Beispiel betrunken, bedrohen sie, fragen sie aus oder versuchen, sie negativ zu beeinflussen). Weitzman (1985) berichtete, dass es bei ihren Interviews mit 228 seit einem Jahr geschiedenen Männern und Frauen "zahlreiche spontane Äußerungen von Müttern gab, die versuchten, den Vater zu überzeugen (oder ihn baten), seinen Kindern mehr Aufmerksamkeit zu schenken und mehr Zeit mit ihnen zu verbringen. Mit großer emotionaler Besorgnis wurden Beschwerden über Väter vorgebracht, die nicht anriefen, ein wichtiges Baseballspiel oder eine Schultheateraufführung verpassten, einen Geburtstag vergaßen, eine Reise absagten, auf die sich die Kinder schon seit Monaten gefreut hatten, oder einfach aufhörten, ihre Kinder zu besuchen" (S. 230). Knapp ein Viertel der Befragten, und zwar gleichermaßen sorge- und umgangsberechtigte Eltern, berichteten von Problemen hinsichtlich des Besuchsrechts.

Für den nichtsorgeberechtigten Elternteil ist oft auch problematisch, dass er sich gegenüber seinem früheren Ehepartner als Verlierer oder Bittsteller, als ohnmächtig und ungerecht behandelt erlebt. Er zieht sich dann häufig zurück. Aber auch der sorgeberechtigte Elternteil fühlt sich vielfach benachteiligt, da er die Last der Kindererziehung tragen muss und von seinem geschiedenen Ehegatten kaum entlastet wird. Viele Auseinandersetzungen resultieren daraus, dass Geschiedene nicht zwischen Partner- und Elternebene trennen können. So werden alte Partnerkonflikte über die Kinder ausgetragen. Besonders problematisch ist, wenn die früheren Ehegatten weiterhin nur negative Seiten am jeweils anderen sehen oder unakzeptable Aspekte ihrer selbst auf ihn projizieren. Auch eine Wiederheirat kann zu neuen Auseinandersetzungen über Sorge- und Umgangsrecht, Unterhaltszahlungen und so weiter führen.

Greift man auf die vorgenannten Forschungsergebnisse zurück, so kann man sechs Arten der Beziehung zwischen geschiedenen Eltern unterscheiden:

  1. Es besteht kein Kontakt zwischen den früheren Ehepartnern. Der nichtsorgeberechtigte Elternteil kümmert sich nicht oder nur sehr wenig um seine Kinder.
  2. Die geschiedenen Ehegatten bleiben miteinander verfeindet. Ihr Ärger, ihre Wut und Enttäuschung zeigen sich in zahlreichen Konflikten, Machtkämpfen, dem häufigen Einschalten von Rechtsanwälten und Gerichten, Bestrebungen, die Kinder zu Bündnispartnern zu machen, und im Versuch, Besuchskontakte zu unterbinden. Die Kinder müssen sich für einen der beiden Elternteile entscheiden.
  3. Die geschiedenen Ehepartner empfinden noch negative Emotionen füreinander und versuchen, den Kontakt auf ein Minimum zu beschränken. Der nichtsorgeberechtigte Elternteil kann aber ungehindert von seinem Besuchsrecht Gebrauch machen. Auch findet eine Abstimmung bei wichtigen Entscheidungen über den weiteren Lebensweg der Kinder statt. Diese erleben häufig Loyalitätskonflikte.
  4. Die früheren Ehegatten haben sich noch nicht voneinander abgelöst und empfinden positive Gefühle füreinander. Sie benutzen jede sich ihnen bietende Gelegenheit, um miteinander ins Gespräch zu kommen oder einander zu treffen. Dabei werden - neben Erziehungsfragen - auch persönliche und interpersonale Probleme sowie allgemeine Themen erörtert. Die Kinder haben Kontakt zu beiden Elternteilen.
  5. Die früheren Ehepartner empfinden weder stärkere positive noch negative Gefühle füreinander. Sie haben aber erkannt und akzeptiert, dass beide Elternteile für ihre Kinder wichtig sind und einen positiven Einfluss auf sie haben. Beide sind aktive und verantwortliche Eltern, stimmen wichtige Erziehungsfragen miteinander ab, haben aber ansonsten wenig Kontakt miteinander. Konflikte sind selten.
  6. Die früheren Ehepartner sind Freunde geworden - obwohl es für eine derartige Entwicklung keine Rollenmodelle gibt und sie vom Netzwerk in der Regel nicht gefördert wird. Sie respektieren einander als Eltern, erziehen ihre Kinder weiterhin gemeinsam und verbringen viel Zeit mit ihnen (und miteinander). Auch die Kontakte zu den Schwiegereltern werden fortgesetzt.

Es ist offensichtlich, dass derartige Beziehungsqualitäten auch bei kinderlosen Geschiedenen vorzufinden sind.

Die letztgenannte Beziehungsart (6) erinnert auf den ersten Blick an die gemeinsame Sorge, kann aber unabhängig von einer solchen Sorgerechtsregelung zustande kommen. Bei einer kalifornischen Untersuchung (Coysh et al. 1989) über 149 Familien zwei Jahre nach der Trennung wurde beim Vergleich der Fälle mit gemeinsamer Sorge (34 %) und denen mit alleiniger Sorge der Mutter (66 %) sogar festgestellt, dass die Sorgerechtsregelung keine Auswirkung auf die Beziehungsqualität zwischen den Geschiedenen und deren Weiterentwicklung hat. Zusammenfassend heißt es: "Trotz des Faktums, dass Väter mit gemeinsamer Sorge ihre Kinder im Durchschnitt an 10 Tagen pro Monat sahen im Vergleich zu nichtsorgeberechtigten Vätern, die durchschnittlich vier Tage pro Monat mit ihren Kindern verbrachten, zeigen die Ergebnisse dieser Studie, dass die gemeinsame Sorge und Besuchsregelungen nicht in Beziehung stehen zu der individuellen Anpassung sowohl der Männer als auch der Frauen, noch dass die Sorgerechtsarrangements ein wirksamer Faktor zu sein scheinen, der die Beziehung der Eltern zueinander nach der Scheidung beeinflusst" (S. 67).

Die Eltern-Kind-Beziehung

Direkt nach der Scheidung erleben sorgeberechtigte Eltern häufig noch große Probleme mit ihren Kindern, da diese zum Beispiel eine Versöhnung ihrer Eltern erreichen wollen, diese gegeneinander ausspielen, verhaltensauffällig oder symptomatisch sind. Auch haben sie oft noch zu wenig Zeit für sie, da Probleme wie das Einarbeiten in einen neuen Beruf, die Partnersuche oder die psychische Verarbeitung der Scheidung im Vordergrund stehen. Im Verlauf der Nachscheidungsphase werden viele sorgeberechtigte Eltern jedoch wieder verständnisvolle und verantwortungsbewusste Erzieher. Napp-Peters (1985) stellte bei ihrer Befragung fest: "Rund ein Drittel der Mütter hob den besseren Kontakt zu ihren Kindern hervor, der zuvor durch eheliche Auseinandersetzungen o.a. belastet war, und betonte die partnerschaftliche Struktur ihrer Beziehungen sowie die Hilfe und Unterstützung, die sie durch ihre Kinder erfahren" (S. 124). Bei einer amerikanischen Untersuchung (Hetherington, Cox und Cox 1982) berichtete die Hälfte der Mütter (und ein Viertel der Väter), dass sich die Beziehung zu ihren Kindern im Vergleich zu der Zeit vor der Trennung verbessert hätte. Auch wurde das Erziehungsverhalten der Mütter zwei Jahre nach der Scheidung positiver beurteilt als zwei Monate oder ein Jahr danach. Die Mütter wurden nach der Scheidung zunächst restriktiver und die Väter permissiver und verwöhnender, dann kam es zur entgegengesetzten Entwicklung.

In vielen Scheidungsfamilien dauert aber der Zustand verringerter elterlicher Fürsorge an, werden die Kinder vernachlässigt und müssen sie für sich selbst sorgen. Oft sind die sorgeberechtigten Elternteile überlastet, da sie Beruf, Haushalt, Erziehung und Partnersuche miteinander vereinbaren müssen und ihnen kaum Zeit zur Regeneration ihrer Kräfte bleibt. Aber auch in der (Vor-)Scheidungsphase entstandene pathologische Erscheinungen können in der Nachscheidungsphase fortbestehen: Beispielsweise werden weiterhin Kinder als Partnerersatz, Bundesgenossen, Spion oder Sündenbock missbraucht. Ältere Kinder werden parentifiziert und müssen den Haushalt und jüngere Geschwister versorgen. Manchmal wird auch der elterliche Konflikt nach der Scheidung fortgeführt, wobei ein Kind den abwesenden Elternteil vertritt: Es eignet sich dessen Eigenschaften an, übernimmt oft die Täterrolle und wird fortwährend in Konflikte mit dem anwesenden Elternteil verwickelt.

In der Nachscheidungsphase löst sich häufig die Beziehung zwischen nichtsorgeberechtigten Elternteilen und ihren Kindern auf. So hatten nach einer Untersuchung des Deutschen Jugendinstituts 40 % der Kinder geschiedener Mütter keinen Kontakt mehr zu ihren Vätern - gegenüber 17 % der Kinder getrenntlebender Mütter (Sozialdienst Katholischer Frauen - Zentrale e.V. 1988). Napp-Peters (1988, 1989) stellte bei ihrer Studie fest, dass bei 45 % der Kinder kein Kontakt mehr zum nichtsorgeberechtigten Elternteil bestand. "Nur bei 17 Prozent der Familien gibt es ein festes Besuchsschema für den nichtsorgeberechtigten Elternteil. Das ist in der Regel ein Besuchstag in der Woche oder alle 14 Tage ein Wochenende. 38 Prozent haben keine feste Vereinbarung getroffen, was in vielen Fällen dazu beigetragen hat, dass sich die Besuchstendenz rückläufig entwickelt hat" (1988, S. 44). Nur bei 27 % der Fälle lag noch eine enge und herzliche Beziehung vor.

Auch nach amerikanischen Untersuchungen nimmt der Kontakt zwischen nichtsorgeberechtigten Eltern und Kindern nach der Scheidung ab und erlöscht in vielen Fällen. So ergab die repräsentative Längsschnittstudie "National Survey of Children" (Furstenberg et al. 1983), die 1976 mit 1.747 Haushalten (mit 2.279 Kindern im Alter von sieben bis 11 Jahren) begann und 1981 mit 1.047 Haushalten (mit 1.377 Kindern) endete, dass nur 16 % der in diesem Sample enthaltenen Kinder aus geschiedenen Ehen wenigstens einmal pro Woche Kontakt zum nichtsorgeberechtigten Vater hatten. Knapp 17 % hatten im vergangenen Jahr zwischen 12 und 51mal und 15 % zwischen 1 und 11mal Kontakt. Etwa 16 % hatten vor mindestens einem Jahr zum letzten Mal Kontakt und fast 36 % vor mindestens fünf Jahren oder konnten sich an das letzte Treffen nicht mehr zurückerinnern. Der Kontakt nahm nach Ablauf des zweiten Jahres nach der Scheidung und nach der Wiederheirat eines oder beider Elternteile besonders stark ab. Er war generell schwächer ausgeprägt, wenn der nichtsorgeberechtigte Elternteil weiter entfernt wohnte oder keine Unterhaltszahlungen leistete, oder wenn es weiterhin Konflikte zwischen den geschiedenen Ehegatten gab. Der Kontakt zu nichtsorgeberechtigten Müttern war etwas intensiver; es gab aber nur 25 derartiger Fälle im Sample.

Eine Befragung von 227 Kindern aus geschiedenen Ehen (Furstenberg, Morgan und Allison 1987) ergab, dass sich 22 % ihrem nichtsorgeberechtigten Vater sehr nahe und 33 % ziemlich nahe fühlten, wobei das Geschlecht, die Enge der Beziehung zur Mutter, das Vorhandensein eines Stiefvaters oder der Zeitraum, der seit der Trennung vergangen war, keinen Einfluss auf die Meinung der 11- bis 16jährigen Kinder ausübten. Auch "bestand nur eine schwache Korrelation zwischen der Menge an Zeit, welche die Kinder mit ihren nichtsorgeberechtigten Vätern verbrachten, und wie nah sie sich ihnen fühlten. Diese schwache Korrelation ist für sich wichtig, weil sie auf die Möglichkeit verweist, dass Kinder in ihrer Identität einen Elternteil bewahren können, den sie unregelmäßig sehen" (S. 698). Der Grad an erlebter Nähe hatte übrigens keine Wirkung auf die Anpassung der Kinder.

Weitzman (1985) stellte bei ihrer Untersuchung über 228 Personen ein Jahr nach der Scheidung einerseits fest, dass wohl 77 % der nichtsorgeberechtigten Eltern ihre Kinder vermissten und 20 % sich ihnen weniger nahe fühlten, jedoch keiner sie häufiger treffen wollte. Etwa 30 % wollten sie gleich häufig sehen und 70 % seltener (30 % kamen mit ihnen mindestens einmal pro Woche und 33 % ein- bis zweimal pro Monat zusammen). Da auch 43 % der sorgeberechtigten Mütter einen geringeren Kontakt wünschten, ist also dessen Abnahme vorprogrammiert. Ursachen für den zurückgehenden Kontakt sind neben Abgrenzungsbestrebungen und Sabotageversuchen der sorgeberechtigten Elternteile auch nachlassendes Interesse der Umgangsberechtigten an den Kindern, Unfähigkeit, mit ihnen eine beidseitig befriedigende Zeit zu verbringen, ein neuer Lebensstil, der Kinder nicht einschließt, Umzug in einen weit entfernten Ort oder der Wunsch, Konflikten mit dem früheren Ehegatten aus dem Weg zu gehen. Oft wollen auch die Kinder einen geringeren oder keinen Kontakt, weil sie beispielsweise den nichtsorgeberechtigten Elternteil für die Scheidung verantwortlich machen, die Partei des anderen ergriffen haben, Besuche als unangenehm oder langweilig erleben, mit zwei verschiedenen Lebens- oder Erziehungsstilen nicht zurechtkommen, den neuen Partner des Elternteils ablehnen, oder auf diese Weise einer Rollenzuweisung als Vermittler, Spion oder Tröster entgehen wollen. Ältere Kinder und Jugendliche wollen auch selbst bestimmen, wie und mit wem sie ihre Freizeit verbringen, und lehnen vor allem feste Besuchsschemata ab.

Trotz des geringen Kontakts stehen viele nichtsorgeberechtigte Eltern ihrer Meinung nach ihren Kindern näher als vor der Trennung, sprechen sich selbst einen größeren Erziehungseinfluss zu und glauben, einen bedeutenden Teil der Erziehungsverantwortung übernommen zu haben - wobei die sorgeberechtigten Eltern meist anderer Meinung sind (Furstenberg und Spanier 1987). Jedoch ist durchaus möglich, dass der Besuchstermin zu intensiven Gesprächen und vielfältigen Aktivitäten genutzt wird und so eine engere Eltern-Kind-Beziehung als vor der Trennung entsteht. Bedenkt man, dass nach einer repräsentativen Studie über 1.106 Familien (Krüsselberg, Auge und Hilzenbecher 1986) Väter - mit beliebig vielen Kindern und unabhängig vom Ausmaß der Erwerbstätigkeit ihrer Ehefrauen - nur rund 20 Minuten pro Tag für die Kinderbetreuung aufwenden, dann investiert ein nichtsorgeberechtigter Vater, der ein oder zwei Wochenenden pro Monat mit seinem Kind verbringt, sehr viel mehr Zeit für sein Kind. Jedoch wird manchmal diese Zeit auf wenig sinnvolle Weise verbracht. Auch scheuen sich manche umgangsberechtigten Eltern, ihre Kinder bei Besuchen zu disziplinieren oder in ihre Grenzen zu verweisen. Nachdem sie versucht haben, ihnen alle Wünsche zu erfüllen, sind sie beim Abschied oft richtig erleichtert. Anzumerken ist noch, dass vielfach aber auch ältere Kinder und Jugendliche die Beziehung zum nichtsorgeberechtigten Elternteil zu intensivieren versuchen, weil sie beispielsweise Hilfe bei der Ablösung und Identitätsentwicklung erwarten, Spannungen mit dem sorgeberechtigten Elternteil entgehen wollen oder sich so gegen eine Vereinnahmung durch denselben wehren.

Nach einer amerikanischen Studie (Kurdek und Siesky 1979) über 74 sorgeberechtigte Eltern, die sich vor durchschnittlich vier Jahren von ihren Ehegatten getrennt hatten, verhielten sich fast 24 % der 126 Kinder undiszipliniert nach Besuchen beim umgangsberechtigten Elternteil, zeigten sich fast 13 % erleichtert, zogen sich knapp 7 % zurück und waren 4 % ablehnend - nur 38 % zeigten keine Reaktionen. Viele Probleme lassen sich darauf zurückführen, dass Kinder verschiedene Regeln, Werte und Einstellungen in beiden Haushalten erleben. Vielen gelingt es aber, damit zurechtzukommen.

Eine besondere Situation ist bei gemeinsamer Sorge gegeben. Hier wechseln die Kinder zwischen den Haushalten ihrer geschiedenen Eltern, verbringen einen Teil der Woche oder abwechselnd eine Woche, einen Monat oder ein Jahr in jeweils einem der beiden Haushalte. Vereinzelt bleiben auch die Kinder in der Familienwohnung und die Eltern wechseln. Wie bereits erwähnt, handelt es sich bei der gemeinsamen Sorge um seltene Fälle. Zudem wird sie nicht immer um der Kinder willen praktiziert, sondern zum Beispiel auch, weil die geschiedenen Ehegatten miteinander in Kontakt bleiben, nicht allein die volle Verantwortung für die Kinder übernehmen oder die Scheidung für die andere Seite nicht so schlimm machen möchten (Wallerstein und Blakeslee 1989).

Bei einer amerikanischen Untersuchung (Wolchik, Braver und Sandler 1985) über 133 Kinder, deren Eltern sich vor etwa 14,4 Monaten getrennt hatten, war bei 33 % eine gemeinsame Sorgerechtsregelung vorgefunden worden. Allerdings hielten sich drei Viertel dieser Kinder in erster Linie bei einem Elternteil (zumeist der Mutter) auf. Sie verbrachten im Durchschnitt 20 Stunden pro Woche bei dem nicht mit ihnen zusammenlebenden Elternteil, während Kinder, deren Mütter das alleinige Sorgerecht erhalten hatten, nur 13 Stunden pro Woche bei ihren Vätern waren. Auch bei einer deutschen Untersuchung (Balloff und Walter 1991) über 111 Kinder, die im Durchschnitt 10,9 Jahre alt waren und vor zwei oder drei Jahren die Scheidung ihrer Eltern erlebt hatten, wurde festgestellt, dass sich fast zwei Drittel der 29 Kinder bei gemeinsamer Sorge der Eltern überwiegend in einem Haushalt aufhielten: 38 % gegenüber knapp 9 % der Kinder bei alleiniger Sorge sahen den zweiten Elternteil mehr als 96 Stunden pro Monat; der Kontakt zu diesem war in keinem Fall abgebrochen (gegenüber fast 42 % bei alleiniger Sorge). Laut einer anderen amerikanischen Studie (Kline et al. 1989), bei der 25 Fälle mit gemeinsamer Sorge mit anderen Sorgerechtskonstellationen verglichen wurden, trafen Kinder (zwei Jahre nach der Trennung der Eltern) bei gemeinsamer Sorge den weniger gesehenen Elternteil sechs Tage mehr pro Monat als Kinder, deren Mütter die alleinige Sorge erhalten hatten - durchschnittlich acht Monate nach der Trennung betrug der Unterschied aber noch 10 Tage. In manchen Fällen wird später das gemeinsame Sorgerechtsverhältnis formell oder informell aufgelöst.

Bei einer Befragung (Rosenthal und Keshet 1981) von 127 geschiedenen Vätern berichteten diejenigen mit gemeinsamer Sorge, dass sie sich oft durch ihre Kinder eingeschränkt fühlen, insbesondere was die Partnersuche und Zeit für sich allein betraf. Sie erlebten häufiger Konflikte hinsichtlich der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, mussten zum Beispiel um eine Kürzung ihrer Arbeitzeit bitten, mit der Kinderbetreuung zu vereinbarende Arbeit suchen oder auf eine Beförderung verzichten, wenn diese mit einer Versetzung verbunden war. Wallerstein und Blakeslee (1989) stellten bei der Untersuchung von 25 Fällen mit gemeinsamer Sorge fest, dass sich die Eltern einig waren, "dass ihre Kinder echte Probleme damit hatten, von einem Haushalt in den anderen zu wechseln" (S. 309). Sie benötigten oft mehrere Stunden, um sich umzustellen. Probleme traten aufgrund unterschiedlicher Schlafenszeiten oder anderer Vorschriften hinsichtlich des Umgangs mit Fernsehen auf (es handelte sich um Geschiedene mit kleineren Kindern), aber auch aufgrund von Spannungen und Konflikten zwischen den Eltern. Weitere Probleme können aus Anpassungsschwierigkeiten resultieren, wenn die Eltern voneinander weit entfernt wohnen und das Kind jedes Jahr zwischen den Haushalten wechselt oder wenn sehr unterschiedliche Lebens- und Erziehungsstile praktiziert werden (Furstenberg et al. 1983; Morawetz und Walker 1984). Positiv kann sich auswirken, dass die Kinder viel Zeit mit beiden Elternteilen verbringen und diese weiterhin als Erzieher und Bezugspersonen erleben. Auch muss nicht ein Elternteil die ganze Last der Versorgung seiner Kinder übernehmen, hat mehr Freizeit und ist bei Abwesenheit weniger auf einen Babysitter angewiesen.

Entwicklung der Kinder

Zu Beginn der Nachscheidungsphase erleben viele Kinder noch Gefühle wie Schmerz, Trauer oder Wut, fühlen sich zurückgewiesen, wenig liebenswert und machtlos. Diese Empfindungen lassen aber in der Regel im Lauf der Zeit immer mehr nach. Ein Teil der Kinder hält schließlich die Scheidung für eine positive Wendung ihres Schicksals, der andere aber für eine negative. Eine amerikanische Studie (Wallerstein und Blakeslee 1989) über 110 Jugendliche und junge Erwachsene ergab, dass viele noch zehn Jahre nach der Scheidung von der Erinnerung an die Trennung ihrer Eltern gequält wurden und immer noch wenig Verständnis für deren Entscheidung aufbrachten. Sie wollten in ihrem eigenen Leben nicht denselben Fehler machen und trachteten nach einer guten Ehe, nach Verlässlichkeit, Treue und dauerhafter Liebe. Zumeist vertraten sie konservativere Moralvorstellungen als ihre Eltern. Die Wissenschaftler zeigten sich überrascht, "wie viele Kinder aus geschiedenen Ehen sich durch Offenheit, Aufrichtigkeit, Sanftmut und Freundlichkeit auszeichnen" (S. 53).

Wallerstein (1983) stellte bei ihrer Längsschnittuntersuchung über 60 amerikanische Scheidungsfamilien fest, dass es den meisten Kindern und Jugendlichen in den ersten 12 bis 18 Monaten nach der Trennung ihrer Eltern gelang, Abstand von den Problemen derselben zu gewinnen, sich von der Familienkrise innerlich zu distanzieren, negative Gefühle zu beherrschen, alte Freunde zurückzugewinnen und vergleichbare Schulleistungen wie vor der Trennung zu erbringen. Viele hofften weiterhin auf eine Versöhnung ihrer Eltern. Auch nach einer Studie von Kurdek und Siesky (1979) hatten vier Jahre nach der Trennung 11 % der 126 Kinder noch immer nicht die Endgültigkeit der Scheidung akzeptiert. Rund 84 % ihrer Eltern berichteten, dass die Kinder neue Kompetenzen und Stärken entwickelt hätten und selbstbewusster geworden wären. Allerdings wurde ihnen auch mehr Verantwortung übertragen als Kindern, die mit beiden Eltern zusammenlebten.

Kurdek (1989) wertete 10 Untersuchungen aus, bei denen Kinder aus Scheidungsfamilien zu einem einzigen Messzeitpunkt mit Kindern aus vollständigen Erstfamilien verglichen wurden. Die Anpassung ersterer wurde in den Studien weniger positiv beurteilt, wobei jedoch nur 40 der 90 univariaten Vergleiche statistisch signifikant waren. Das bedeutet, dass "der durchschnittliche Anpassungs-Score eines Kindes aus einer Familie mit zwei Elternteilen nur um ein Viertel der Standardabweichung höher war als derjenige eines Kindes aus einer Teilfamilie. Anders gesagt, das durchschnittliche Kind aus einer Familie mit zwei Elternteilen (das also 50 Prozent der anderen Kinder aus dieser Gruppe übertrifft) übertrifft nur 60 Prozent der Kinder aus Familien mit einem Elternteil" (S. 86 f.). Dasselbe galt für die 13 Untersuchungen, bei denen Kinder aus Scheidungsfamilien mit Kindern aus anderen Familienkonstellationen (Erstfamilien, Stieffamilien, durch Verwitwung bedingte Teilfamilien) verglichen wurden: Hier waren nur 30 von 59 univariaten Vergleichen statistisch signifikant. Auch bei fünf Längsschnittstudien waren nur 14 von 78 Vergleichen signifikant. Kurdek (1989) kommt zu dem abschließenden Urteil, dass wohl Kinder aus Scheidungsfamilien weniger gut angepasst seien als Kinder aus vollständigen Familien, dass die Unterschiede aber weder groß noch durchgängig wären. Die meisten Kinder würden sich einige Zeit nach der Scheidung ihrer Eltern normal entwickeln.

In der Regel verläuft die Entwicklung von Kindern in der Nachscheidungsphase positiv, wenn sie in einer engen Beziehung zu einem psychisch gesunden Elternteil leben, eine gute Erziehung erfahren und bei der Bewältigung der Scheidungssituation unterstützt werden. Auch wirkt sich positiv aus, wenn die Eltern ihre Probleme bald lösen, wenig Konflikte miteinander haben und hinsichtlich der Erziehung ihrer Kinder zusammenarbeiten können. Daneben spielen die individuellen Charakteristika der Kinder eine Rolle: So entwickeln sie sich normal weiter, wenn sie viele "coping skills", soziale Kompetenzen und Problemlösungsfertigkeiten besitzen sowie gut mit Stress umgehen können. Aber auch Umweltbedingungen sind von Bedeutung: So wirkt sich positiv aus, wenn die materiellen Lebensbedingungen angemessen bleiben, die Kinder nicht aus ihrer gewohnten Umgebung (mehrfach) herausgerissen werden und viel Unterstützung in ihrem Netzwerk finden.

Nach einer amerikanischen Untersuchung (Hetherington, Cox und Cox 1985) entwickeln Scheidungskinder vor allem folgende Symptome: "In den ersten paar Jahren nach der Scheidung weisen Kinder aus geschiedenen Familien im Vergleich zu Kindern aus nicht geschiedenen Familien mehr antisoziales, impulsives Ausagieren, mehr Aggressionen und Ungehorsam, mehr Abhängigkeit, Angst und Depression, mehr Schwierigkeiten in sozialen Beziehungen und mehr problematische Verhaltensweisen in der Schule auf. Von Unterschieden in externalisierenden, impulsiven und antisozialen Verhaltensweisen wird regelmäßiger berichtet als von solchen in internalisierenden Störungen wie Rückzugsverhalten, Depression und Angst" (S. 518). Napp-Peters (1988) Untersuchung ergab, dass bei 59 Kindern aus 52 Familien langfristige Störungen auftraten, und zwar bei 36 % Aggressionen, bei 36 % Depressionen, bei 19 % Einkoten, Einnässen, Suizidversuche und ähnliches sowie bei 9 % Lügen, Stehlen und so weiter. In zwei Dritteln der Fälle wurde eine Erziehungsberatungsstelle konsultiert. Bei einer Studie (Schleiffer 1988) über 438 Kinder und Jugendliche sowie deren Familien, die zwischen 1980 und 1982 die Ambulanz der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universität Frankfurt aufsuchten und von denen 121 die Trennung bzw. Scheidung ihrer Eltern erlebt hatten, wurden bei Scheidungskindern seltener Entwicklungsstörungen, aber häufiger Störungen des Sozialverhaltens, autoaggressive Symptome sowie Suizidgefährdung, dissoziale Verhaltensweisen, Schulphobie, Enkropesis (Einkoten) und "gemischte" Syndrome diagnostiziert als bei anderen Patienten. Bei Sechs- bis Zehnjährigen war es häufiger zu einer Externalisierung, bei Pubertierenden zu einer Internalisierung gekommen. Scheidungskinder sind auch in Heimen und Pflegefamilien überrepräsentiert (Tischer-Bücking 1989).

Häufig sind Unterschiede bei Jungen und Mädchen hinsichtlich der Verarbeitung der Scheidungsphase, ihrer Weiterentwicklung und Symptomatik zu beobachten. So weisen Buben mehr Verhaltensauffälligkeiten auf (insbesondere aggressiver Natur), die zumeist für eine längere Zeit auftreten; sie sind auch häufiger ungehorsam und rebellisch. Generell tendieren Jungen eher zu externalisierenden und Mädchen zu internalisierenden Reaktionen. Bei Buben, die bei ihren Müttern aufwachsen, ist oft auch eine "untypische" Geschlechtsrollenentwicklung festzustellen: Sie weisen zum Beispiel mehr feminine Züge auf und spielen häufiger mit Mädchen. Das ist seltener der Fall, wenn sie viel Kontakt zu ihren Vätern oder anderen männlichen Bezugspersonen haben oder wenn "typisch männliche" Verhaltensweisen von ihren Müttern gefördert werden. Feminine Züge treten häufiger auf, wenn sie von ihren Müttern überbehütet und infantilisiert werden oder diese ihre Väter abwerten (Hetherington, Cox und Cox 1982, 1985; Kurdek 1989).

Generell scheinen Verhaltensauffälligkeiten und psychische Probleme bei Einzelkindern, bei jüngeren Kindern und solchen mittleren Alters sowie bei Kindern häufiger zu sein, deren sorgeberechtigter Elternteil gegengeschlechtlich ist. Negativ wirken sich auch ein niedriger sozioökonomischer Status sowie Spannungen und Konflikte zwischen den geschiedenen Eltern aus. Zumeist wird davon berichtet, dass Verhaltensauffälligkeiten und psychische Probleme häufiger sind, wenn nur wenig Kontakt zum nichtsorgeberechtigten Elternteil besteht (Napp-Peters 1989). Es gibt aber Untersuchungen wie die von Furstenberg, Morgan und Allison (1987), die nicht zu diesem Ergebnis kamen.

Viele verschiedene Faktoren werden dafür verantwortlich gemacht, dass Scheidungskinder verhaltensauffällig werden oder bleiben. Beispielsweise wird auf Vernachlässigung, Mangel an emotionaler Zuwendung, unzureichende oder inkonsistente elterliche Kontrolle und chaotische Familienverhältnisse verwiesen. In manchen dieser Fälle sind überstarke Bindungen zwischen Eltern und Kindern (Symbiosen) oder in Ablehnung verkehrte Bindungen festzustellen, aber auch Bündnisse, Ausstoßungstendenzen oder die Zuweisung von Rollen wie die des Ersatzpartners oder Sündenbocks. Oft kommt es auch zur Ausbildung von Symptomen, wenn die Eltern psychisch auffällig sind, unter Ängsten und Depressionen leiden. Belastend wirkt sich aus, wenn Kinder Gewalttätigkeiten zwischen ihren Eltern erlebten: Jungen identifizieren sich dann oft mit dem Aggressor und werden selbst gewalttätig, Mädchen übernehmen vielfach eine Opferrolle.

Kinder und Jugendliche leiden in der Nachscheidungsphase eher unter Verhaltensauffälligkeiten oder psychischen Störungen, wenn sie sich für die Trennung ihrer Eltern verantwortlich machen, noch immer auf eine Versöhnung hoffen, starke Trennungsängste erleben oder im Konflikt zwischen Ablösungsbestrebungen und starken Bindungen stehen. Negativ kann sich ferner auswirken, wenn sie sich als Bürde für den sorgeberechtigten Elternteil sehen, auf neue Partner ihrer Eltern eifersüchtig sind oder feindselige Gefühle gegenüber dem nichtsorgeberechtigten Elternteil empfinden. Manche Kinder interpretieren den Elternverlust oder die Einstellung von Unterhaltszahlungen auch so, als ob sie wertlos und nicht liebenswürdig wären. Solche Gefühle werden zudem geweckt, wenn nichtsorgeberechtigte Elternteile von sich aus auf ihr Umgangsrecht verzichten, häufig Besuche absagen oder zu den vereinbarten Terminen nicht erscheinen. Ältere Mädchen erleben sich auch als wenig attraktiv und als Frau abgelehnt, wenn sich ihre Väter nicht mehr um sie kümmern. Da ihre Mütter ebenfalls zurückgewiesen wurden, vergrößert die Identifikation mit ihnen noch den Eindruck, nicht liebenswert zu sein. Zumeist führt aber erst eine Kombination mehrerer der in den letzten Absätzen erwähnten Faktoren zu einer Konstellation, unter der Verhaltensauffälligkeiten und psychische Probleme ausgebildet werden und sich verfestigen.

Über die Entwicklung von Kindern bei gemeinsamer Sorge ihrer Eltern liegen erst wenige Forschungsergebnisse vor: Bei einer deutschen Untersuchung (Balloff und Walter 1991) über 111 Kinder, die knapp 11 Jahre alt waren und vor zwei oder drei Jahren die Scheidung ihrer Eltern erlebt hatten, wurde festgestellt, dass sowohl bei ca. 55 % der 29 Kinder mit gemeinsamer Sorge der Eltern als auch bei etwa 55 % der 82 Kinder mit alleiniger Sorge Befindlichkeitsstörungen seitens der Eltern genannt wurden. Bei einem Vergleich der Erstgeborenen wurde ermittelt, dass 60 % der 15 Kinder unter gemeinsamer Sorge im Vergleich zu 25 % der 48 Kinder unter alleiniger Sorge zum Erhebungszeitpunkt noch Wiederversöhnungswünsche äußerten (vor allem bei intensiverem Kontakt zu beiden Elternteilen) und sich zu einem geringeren Prozentsatz (47 % zu 77 %) mit der Trennung der Eltern abgefunden hatten.

Bei einer amerikanischen Untersuchung (Wolchik, Braver und Sandler 1985) über 133 Kinder, die vor etwa 14,4 Monaten die Trennung ihrer Eltern erlebt hatten und von denen sich ein Drittel in gemeinsamer Sorge befand, wurden keine Unterschiede hinsichtlich der Häufigkeit oder Art von Symptomen zwischen Kindern in alleiniger oder gemeinsamer Sorge gefunden. Bei gemeinsamer Sorge berichteten die Kinder jedoch häufiger über positive Erlebnisse innerhalb der letzten drei Monate und zeigten mehr Selbstachtung. Wallerstein und Blakeslee (1989) berichteten aus zwei Forschungsprojekten, dass die 100 bzw. 25 Kinder in gemeinsamer Sorge zwei Jahre nach der Scheidung ihrer Eltern gleich viele Verhaltensauffälligkeiten und Anpassungsschwierigkeiten aufwiesen wie Kinder bei alleiniger Sorge eines Elternteils. Erstere hatten jedoch mehr Kontakt zu ihren Vätern. Auch Kline und Mitarbeiter (1989), die 101 kalifornische Kinder - davon 35 in gemeinsamer Sorge - zwei Jahre nach der Trennung ihrer Eltern untersuchten, stellten keine nennenswerten Unterschiede fest: "Sorge- und Umgangsrechtsregelungen erklärten zusammen einen sehr kleinen und nichtsignifikanten Teil der Varianz bezüglich der kindlichen Anpassung, unabhängig davon, ob gleichzeitig andere Prädikatoren berücksichtigt wurden. Trotz des Zugangs zu beiden Elternteilen wiesen Kinder in gemeinsamer Sorge weder weniger Störungen noch eine bessere soziale und emotionale Anpassung nach der Scheidung als Kinder in alleiniger Sorge auf" (S. 435). Luepnitz (1986) fand bei seiner Studie über 43 Scheidungsfamilien (11 mit gemeinsamer Sorge) ebenfalls keine Unterschiede zwischen beiden Gruppen.

Abschließend ist festzuhalten, dass nur ein Teil der Scheidungskinder in der Nachscheidungsphase verhaltensauffällig bleibt oder weiterhin unter psychischen Problemen leidet - wobei Symptome oft schon vor der Trennung der Eltern festzustellen sind. Auch dürfen diese Auffälligkeiten nicht auf ein oder zwei größere Ereignisse wie Trennung oder gerichtliche Scheidung zurückgeführt werden. Zumeist entwickeln sie sich in einem langfristigen Prozess, in dem eine Vielzahl unterschiedlicher negativer Veränderungen auftraten, die Familienbeziehungen, Netzwerkkontakte, psychische Gesundheit anderer Familienmitglieder, materielle Lebensbedingungen, Qualität der Kinderbetreuung, Wohnortwechsel u.ä. betrafen. Zu beachten ist auch, dass Forschungsergebnisse zeigen, "dass es bei Kindern weniger wahrscheinlich ist als bei ihren Eltern, dass sie sich vom Stress der Trennung erholen" (Isaacs, Montalvo und Abelsohn 1986, S. 6). Viele von ihnen leiden nicht nur zehn Jahre nach der Scheidung noch an deren Folgen, sondern scheitern später auch unverhältnismäßig häufig in ihren eigenen Ehen (Langenmayr 1987; Wallerstein und Blakeslee 1989).

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